Freitag, 18. Oktober 2019 ZÜRICH UNDREGION 19
Heute stehe die FDP finanziell klar besser da alsbei seinemAntritt, sagt Urs Egger. Die Herkunft sei bei der Zürcher FDP nicht entscheidend, sagtSina Rüdisüli. JOËL HUNN / NZZ
Eine 24-Jährige folgt auf einen alten Kämpen
Sina Rüdisüli, die neueGeschäftsführerin der Zürcher FDP, ist weniger als halb so alt wie ihr Vorgänger Urs Egger
MICHAELVON LEDEBUR
AmTisch sitzen ein älterer Mann und
eine jungeFrau. Er,das ist Urs Egger,
64 Jahre alt, scheidender Zürcher Ge-
meinderat, noch bis im November Ge-
schäftsführer der FDP des Kantons
Zürich. Sie heisst SinaRüdisüli, ist 24
Jahre alt, stammt aus Sirnach im Kanton
Thurgauund arbeitetseitübereinem
Jahr auf der Geschäftsstelle derPartei.
Sie wirdseinenJobabDezember über-
nehmen. In einer Zeit, da sichFirmen
wieParteien gerne weiblicher und jün-
ger geben, ist man geneigt, denWech-
sel symbolhaft zu sehen:Daübergibt die
«alte» FDP an die «neue».
Dass Urs Egger, 64Jahre alt, aufhört,
ist altersbedingt. Er hat dasPensionsalter
bald erreicht, seineFrau gibt zeitgleich
nachJahrzehnten die Geschäftsführung
desRestaurants Hornegg im Seefeld ab.
Mehr Zeit für gemeinsameReisen ist
das Ziel. Die Übergabe seiTeil seines
«Abbauplans für die Organisation mei-
nes Lebens», wie sich Egger ausdrückt.
Das Präsidium des FC Seefeld,die Orga-
nisationdes Quartierfests Riesbach und
kürzlich auch seinen Gemeinderatssitz
hat Egger abgegeben, nun folgt mit der
FDP-Geschäftsführung seine berufliche
Hauptbeschäftigung.
Egger ist, um eine militärische Ana-
logie zu bemühen, ein alter Kämpe des
ZürcherFreisinns.Ab 2006 sass er im
Gemeinderat. Im Stadtparlament hat
sich derFussball-Fan, der gerne gewinnt,
damit abfinden müssen, oft auf derVer-
liererseite zu stehen. DerWahlgang 20 18
mit den Sitzgewinnen vonRot-Grün
habe daran gar nicht so viel verändert,
sagt er, weil zuvor die GLP ohnehin fast
immer mit den Linken gestimmt habe.
Als FDP-Parlamentarierkönne man nur
noch in derKommissionsarbeit Einfluss
nehmen.
VerpassterEinzug inExekutive
Am folgenreichsten dürfte Egger als
Präsident einer Spezialkommission der
Geschäftsprüfungskommission gewirkt
haben. Sie brachte die Zürcher Sozial-
hilfe nach skandalträchtigen Miss-
brauchsenthüllungen wieder aufKurs.
Den Schritt in die Exekutive verpasste
Egger hingegen, als er 2 010 Daniel
Leupi (gp.) unterlag. ZweiJahre spä-
ter, bei der Ersatzwahl um den Sitz von
MartinVollenwyder, passte er: NurTage
vor dessenRücktritt hatte er einenVer-
trag als Professor bei der Bernischen
Fachhochschule unterschrieben. Es trat
Marco Camin an, der den Sitz gegen den
AL-Mann Richard Wolff verlor. 2013
übernahm Egger die Geschäftsführung
der Zürcher FDP.
SinaRüdisüli, 24Jahre alt, hatkeine
politischen Meriten vorzuweisen.Für
eine Geschäftsführerin einerPartei ist
das auch nichts Ungewöhnliches. «Un-
gewöhnlich bin ich da eher mit meinem
Alter», sagt Egger. Rüdisüli hat eine
KV-Ausbildung bei einem KMU ge-
macht und danach an einerFachhoch-
schuleWirtschaft undPolitik studiert.
Seit einemJa hr arbeitet sie als politi-
sche Sekretärin eng mit den freisinni-
gen Kantonsräten zusammen.
ImFrühsommer hat sich derPar-
teivorstand für sie als neue Geschäfts-
führerin entschieden.Sie wirdKampa-
gnen derPartei gemeinsam mit einem
fünfköpfigenTeam sowohl für Abstim-
mungen als auchWahlen organisieren.
Sie sagt: «Ich kann einen neuen Blick-
winkel hereinbringen» – gerade wenn
es darum gehe, jüngereWählerschich-
ten anzusprechen. Neben der Kampa-
gnenarbeit gelte es auch denKontakt
zu den Sektionen zu pflegen, sagt Urs
Egger. Die FDP hat über 80 00 Mitglie-
der im Kanton Zürich und liegt damit
mitAusnahme derSVP weit vor allen
anderenParteien.
Eine Thurgauer CVP-Familie
Rüdisüli stammt aus einer Thur-
gauer CVP-Familie.In ihremFreun-
deskreis habe sie mehrereJungfreisin-
ni ge gehabt, einKollege habe sie ein-
mal an einen Anlassmitgenommen.
Kurz darauf warRüdisüli imVorstand
der St. Galler Sektion.Zufällig sei die-
ses Engagement nicht gewesen. Die
Geschichte der Schweiz und dieRolle
derFreisinnigen darin habe sie bereits
im Geschichtsunterricht in der Schule
enorm interessiert. «UnserWohlstand
basiert auf denRahmenbedingungen,
die zu einem grossenTeilFreisinnige
geschaffen haben.» Ein politisches Amt
strebt sie vorläufig nicht an. Sie wolle
sich erst einmal auf ihre neueAufgabe
konzentrieren.
Erfahrungim Fundraising
Wereine Gemeinsamkeit zwischen den
unterschiedlichenFiguren sucht, findet
sie imWillen zum Erfolg. «Kämpfen»
müsse man, sagen imVerlaufe des Ge-
sprächs beide. Egger beschreibt die Stim-
mung,die er in der Geschäftsstelle bei
seinem Antritt 2013 angetroffen habe,
als niedergeschlagen aufgrund häufi-
ger Niederlagen.Er habe versucht, die
Leute in der gesamtenPartei zu motivie-
ren. Und tatsächlich stellte sich bei den
Gemeinderatswahlen 20 14 der Erfolg
ein, der sich einJahr später bei kanto-
nalen und nationalenWahlen bestätigte.
DerDämpfer folgte mit den kantonalen
Wahlen in diesemFrühjahr mit demVer-
lust einesRegierungsratssitzes.
Egger war vor seinem Engagementals
CEO einer Nonprofitorganisation stark
mitFundraising beschäftigt. Diese Er-
fahrung habe er einbringenkönnen.Wer
möchte, kann heute exklusiv mit FDP-
Nationalräten speisen. «Aber wir sagen
dann auch, dass das einen Preis hat.» Ein
Fundraiser dürfe sich nicht scheuen, über
Geld zu sprechen. Heute stehe die FDP
finanziell klar besser da als bei seinem
Antritt. DiePartei der Hochfinanz sei
sie schon lange nicht mehr; sie erhalte
auchkein Geld von den Grossbanken,
sondern finanziere sich zum allergröss-
tenTeil über Spenden vonParteimitglie-
dern. DieDurchschnittsspende lag 20 18
bei 200Franken.DasGesamtbudget der
diesjährigen kantonalen und nationalen
Wahlen liegt bei rund eineinhalb Millio-
nenFranken.
Frecher werden
SinaRüdisüli ist mit Social Media aufge-
wachsen. Es ist einTerrain, auf dem sich
die politischeKommunikation immer
stärker abspielt. ImWahlkampf fiel
die FDP unter anderem mit einemVi-
deo mit der Botschaft «F*** the Plan-
wirtschaft» auf.Als die Handschrift der
neuen Geschäftsführerinkönne man das
nicht interpretieren, sagt sie. «Ich war mit
dem ganzenTeam der Meinung, dass wir
frecher sein müssen.» IhreVision isteine
FDP, die mehr einer Bewegung gleicht
und die Leute mitreissen kann.
«Neue» statt «alte» FDP also?Dass
es gut für das Image derPartei ist, wenn
sie eine jungeFrau an dieSpitze hievt,
ist auch SinaRüdisüli klar.Aber eigent-
lich stört es sie, wenn man sie darauf
reduziert.Wenn, dann stehe ihrePer-
son für etwas ganz anderes. Sie sei
jung, keine Zürcherin, habekeinerlei
Seilschaften undkeinenrein akademi-
schen Hintergrund. Nicht die Herkunft
sei in der Zürcher FDP entscheidend,
sondern die persönliche Einstellung und
Qualifikation.
BEZIRKSGERICHTZÜRICH
Vergewaltigungsversuch an Firmen-Weihnachtsfeier?
Weil der Sachverhalt nicht zweifelsfrei erst ellt werden kann, wird ein 38-jähriger Beschuldigter freigesprochen
TOM FELBER
Es geschah an einerFirmen-Jahres-
abschluss-Veranstaltung mit mehre-
ren hundert feiernden Mitarbeitern in
einem Zürcher Hotel.Unbestritten ist,
dass zu später Stunde ein Mann an der
Bar imTanzsaal eine ihm nur oberfläch-
lich bekannteFrau ansprach, beide eine
Weile miteinanderredeten und sich spä-
ter gemeinsam zu denToiletten begaben.
In einer Behindertentoilette kam es zu
sexuellen Handlungen zwischen den Be-
teiligten, die beide in einer festenPart-
nerschaft lebten. DerMann spricht spä-
ter von einerDummheit, die aber ein-
vernehmlich erfolgt sei, dieFrau von
einemVergewaltigungsversuch.
Die Öffentlichkeit ist von der Ge-
richtsverhandlung ausgeschlossen,
akkreditierte Medienvertreter sind
unter derAuflage, die Anonymität der
Beteiligten zu wahren, zugelassen:Fir-
men- und Hotelname dürfen nicht ge-
nannt werden.Alter und Nationalität
sind aber ausdrücklich erlaubt. Beide
Beteiligten sind französische Staats-
angehörige.Der 38-jährige Mann hat
inzwischen seine Stelle gekündigt.
Aussage gegenAussage
Die 32-jährige Privatklägerin wird im
Gerichtssaal noch einmal zumVorfall
befragt. Der Mann habeihran derBar
Avancengemacht, sei sehr hartnäckig
gewesen, sie habe sich unwohl gefühlt.
Deshalbkönne sie sich auch nicht erklä-
ren, weshalb sie zusammen weggegan-
ge n seien. Er sei ihr zurToilette gefolgt,
auf derTr eppe habe er zu ihr gesagt,sie
solle sich umdrehen.Dann sei er mit
heruntergelassener Hose und erigier-
tem Glied vor ihr gestanden. Er habe
sie dann in dieToilette gestossen, sie
geküsst und intim berührt und zu ver-
gewaltigen versucht. Sie habe immer
wieder«Nein, nein!» und «Stopp!» ge-
sagt. Er habe dieToilette verlassen, weil
sie geschrien habe.
Der Beschuldigte spricht demgegen-
über von einem Flirt an derBar.Er
habe dieFrau gefragt, ob sie ihm fol-
gen wolle. Das habe diese freiwillig ge-
macht. Er habe sie nicht forciert oder
gestossen. Sie hätten sich in derToilette
geküsst und intim berührt. Es habe für
ihnkeine Anzeichen gegeben, dass sie
nicht einverstanden gewesen sei.Erst als
er sie umFellatio gebeten habe, habe
sie abgelehnt, das habe er akzeptiert.
Zum Abschied habe sie ihn noch auf
den Mundgeküsst.
Anklägerinim Zweifel
Die Staatsanwältin erklärt gleich zu Be-
ginn ihres Plädoyers ihre fehlende Über-
zeugung: Sie habe «in dubio pro duriore»
angeklagt, weil sie im Zweifel anklagen
müsse. Die Privatklägerin habe sich bei
ihrenAussagen in «gravierendeWider-
sprüche» verwickelt. So habe sie denVer-
gewaltigungsversuch bei derPolizei noch
verneint und erst später bei der Staats-
anwaltschaft geltend gemacht.Beantragt
ist eine bedingteFreiheitsstrafe von 24
Monaten wegenversuchterVergewalti-
gung und 5JahreLandesverweis.
DieVerteidigerin beantragt einen
Freispruch. Es handle sich nicht um eine
Straftat, sondern «um eineDummheit
zwischen zwei Erwachsenen». DieFrau
sei bereits vor demVorfall psychisch sehr
instabil gewesen undkönnte von ihrem
Umfeld zur Strafanzeige gedrängt wor-
den sein. Die Anwältin zählt zahlreiche
Ungereimtheiten in denAussagen auf
und hält fest, dass dieFrau zunächst un-
sicher gewesen sei und sich erst imVer-
lauf der Untersuchung angeblich immer
genauer habe erinnernkönnen. IhreAus-
sagen habe die Privatklägerinin Sitzun-
gen mit ihrer Psychologin «erarbeitet».
Das Gericht sprichtden Beschuldig-
ten vollumfänglich frei, weil sich der
Sachverhalt nicht zweifelsfrei erstellen
lasse.Der Mann erhält für seine Un-
bill eine Genugtuung von 40 00 Fran-
ken zugesprochen. DieGeschädigte
habe widersprüchlich undvage ausge-
sagt.Insbesondere lasse sich nicht er-
klären, weshalb sie mit dem Beschuldig-
ten zurToilette gegangen sei, wenn sie
sich schon vorher unwohl gefühlt habe.
Auch an der angeblichen Szene mitten
auf derTr eppe mit heruntergelassener
Hose zweifelt das Gericht. Es hält fest,
eskönne durchaus sein, dass dieFrau
mit ihrer Psychologinnachträglich eine
Erklärung für das ihr selber unerklär-
licheVerhalten gesucht habe.
Urteil DG190227 vom 17.10. 2019, noch nicht
rechts kräftig.