Handelsblatt - 22.10.2019

(Joyce) #1
Als potenzieller Interessent wird
dabei zuerst der US-Konzern Thermo
Fisher gehandelt, der im Diagnostik-
geschäft noch Nachholbedarf hat und
mit seinem umfangreichen Sortiment
an Instrumenten und Reagenzien im
Forschungsbereich eine ähnliche
Kundschaft bedient wie Qiagen.
Für andere Akteure dagegen wäre
eine Übernahme komplizierter. Reine
Diagnostikanbieter wie Abbott und
Healthineers könnten mit dem For-
schungsgeschäft von Qiagen wenig an-
fangen. Die beiden offensivsten Käu-
fer im Life-Science-Sektor, der US-
Konzern Danaher und die deutsche
Merck-Gruppe, sind vorerst noch da-
mit beschäftigt, ihre jüngsten Zukäufe
zu verdauen. Danaher vereinbarte im
Frühjahr die Übernahme des Bio-
pharmageschäfts von GE für 21 Milli-
arden Dollar, Merck hat sich gerade
erst im Chemiebereich mit der Über-
nahme von Versum verstärkt.
Diagnostik-Marktführer Roche wie-
derum müsste Kartellprobleme fürch-
ten, da er ebenfalls Forschungslabore
beliefert und stark in der molekularen
Diagnostik engagiert ist. Zudem wäre
es problematisch für Roche, die Akti-
vitäten von Qiagen in der Entwick-
lung von Begleitdiagnostika für ande-
re Pharmafirmen weiterzuführen.

Wachstumsziele verfehlt
Die operative Entwicklung des Kon-
zerns zeigt dabei keineswegs dramati-
sche Schwächen. Im ersten Halbjahr
steigerte Qiagen den Umsatz trotz
Dollar-Aufwertung noch um gut ein
Prozent auf 730 Millionen Dollar und
bewegte sich damit in etwa im Bran-
chentrend. Währungsbereinigt ent-
spricht das einem Plus fünf Prozent.
Das entscheidende Problem ist,
dass man seit Längerem bereits eine
Beschleunigung des Wachstums ver-
spricht, dies aber letztlich nicht einlö-
sen kann. Im dritten Quartal legte
Qiagen nur um drei statt der verspro-
chenen vier bis fünf Prozent zu.
Als ausgemacht gilt inzwischen,
dass Qiagen Ende des Monats bei Vor-
lage der endgültigen Zahlen auch sei-
ne Jahresprognose nach unten revi-
dieren wird. Unterm Strich wird der
Konzern als Folge von 260 Millionen
Dollar an Wertberichtigungen und Re-
strukturierungskosten im Sequenzie-
rungsbereich womöglich sogar rote
Zahlen schreiben.
Der Schwenk im Bereich der Gen-
sequenzierung, der für diese Kosten
maßgeblich verantwortlich ist, legt
zudem Zweifel nahe, ob die strategi-
sche Ausrichtung immer stimmte.
Qiagen habe zu lange auf die Eigen-
entwicklung Gene-Reader gesetzt, ob-
wohl im Pharmabereich der Trend in
Richtung Hochdurchsatz-Sequenzie-
rung längst erkennbar war, kritisieren
Branchenbeobachter. Die Allianz mit
dem Technologieführer Illumina gilt
als vernünftig, kommt aus Sicht von
Experten aber einige Jahre zu spät.
Solche Fehler erklären die eher mä-
ßige Bilanz von Investitionen und
Wachstum bei Qiagen. Im Schnitt der
letzten zehn Jahre hat der Biotech-
konzern immerhin knapp ein Drittel
seines Umsatzes in Zukunftsinvestitio-
nen gepumpt, gut 21 Prozent flossen
in Sachanlagen und Zukäufe und wei-
tere mehr als elf Prozent in die For-
schung. Dem stehen nur rund fünf
Prozent Umsatzwachstum und etwa
sechs Prozent operatives Ertrags-
wachstum pro Jahr gegenüber.
Konkurrenten arbeiten in dieser
Hinsicht zum Teil deutlich effizienter.
Auch das könnte möglichen Bietern
Argumente dafür liefern, dass man
das Potenzial von Qiagen in anderer
Konstellation besser und effizienter
ausschöpfen kann.

Siegfried Hofmann Frankfurt


D


ie Strategie von Qiagen
schien lange Zeit eben-
so stetig wie berechen-
bar. Ausgehend von sei-
nem Know-how in der
sogenannten Aufreinigung von DNA
baute der Hildener Biotech-Pionier im
Verlauf von mehr als zwei Jahrzehn-
ten ein breit gefächertes Geschäft als
Vorlieferant für die Genforschung auf.
Ab Mitte der 2000er-Jahre positio-
nierte sich Qiagen auch als maßgebli-
cher Player in der molekularen, gen-
basierten Diagnostik.
Neuentwicklungen aus eigener
Forschung sowie der Zukauf von klei-
neren Firmen und Technologie ha-
ben seither die Expansion vorange-
trieben. Qiagen stieg zum größten
Biotechunternehmen Deutschlands
auf, mit rund 1,5 Milliarden Dollar
Umsatz im vergangenen Jahr und ei-
ner Spitzenbewertung von mehr als
acht Milliarden Euro im April.
Doch seither hat sich der Konzern
mit einer Serie enttäuschender Nach-
richten in eine Vertrauenskrise manö-
vriert, die nach Einschätzung von
Skeptikern sogar die Eigenständigkeit
infrage stellen könnte. Anfang vergan-
gener Woche musste das Qiagen-Ma-
nagement einräumen, dass zum zwei-
ten Mal in Folge das eigene Umsatz-
ziel verfehlt wurde.
Zugleich verkündete das Unterneh-
men den überraschenden Rücktritt
des langjährigen Firmenchefs Peer
Schatz sowie einen gravierenden
Strategiewechsel im wichtigen Be-
reich der Gensequenzierung. Dort
verabschiedet sich der Konzern von
der Weiterentwicklung der eigenen
Technologie, des sogenannten Gene-
Readers, zugunsten einer Allianz mit
dem marktführenden US-Konkurren-
ten Illumina.
Branchenkenner wie Tycho Peter-
son von JP Morgan fragen sich zuse-
hends, „ob Qiagen seine langfristigen
Wachstumspläne wirklich umsetzen
kann“. Zugleich regen sich neue Spe-
kulationen, dass der Biotechkonzern
zum Übernahmekandidaten werden
könnte. Nahrung dafür liefert in ers-
ter Linie der inzwischen erhebliche
Rückstand gegenüber wichtigen Kon-
kurrenten in der Branche, sowohl
was Bewertung als auch die wirt-
schaftliche Leistung angeht.

Bewertung schrumpft
In Reaktion auf die jüngsten Negativ-
meldungen gab die Qiagen-Aktie
mehr als 20 Prozent nach und hat
sich seither nur geringfügig erholt.
Seit April ist die Marktkapitalisierung
des Konzerns um insgesamt gut 30
Prozent auf nur noch 5,7 Milliarden
Euro geschrumpft.
Das Kurs-Gewinn-Verhältnis, ge-
messen am erwarteten bereinigten
Ergebnis, liegt mit rund 19 inzwi-
schen deutlich unter dem Niveau des
Life-Science-Sektors. Dort sind Multi-
ples von 30 oder mehr verbreitet.
Sollte der Qiagen-Kurs weiter auf
dem reduzierten Niveau von 25 Euro
dahindümpeln, so die Spekulatio-
nen, könnte das Interessenten zu ei-
nem Vorstoß ermuntern.
Ein weiterer Anreiz könnte sich aus
dem abrupten Abgang von Peer
Schatz ergeben. „Das Vakuum an der
Führungsspitze“, sagt Commerz-
bank-Analyst Daniel Wendorffff,
„macht den Konzern noch anfälliger.“
Der langjährige Vorstandschef ist
nicht nur Vater der Expansionsstrate-
gie von Qiagen, sondern stand nach
außen stets für die Eigenständigkeit
des Konzerns. Aus seinem Rückzug
könnten externe Akteure auf eine
neue Konstellation schließen.

Qiagen


Vom Jäger zum


Gejagten


Verfehlte Prognosen und ein Vakuum an der


Spitze nähren Übernahmespekulationen für den


Biotech-Pionier.


QiaQ gengen-Laborr:
DerDe Biotech-h-
KonKonzern könnönntete
zum m ÜÜberbernahme-
kkanndidatenn
wwerden..

QIAGEN GmbH


Kursverläufe im Vergleich


Okt. 2017 Okt. 2019


Wichtige Anbieter im Diagnostik-Geschäft


Roche
Abbott
Healthineers
Danaher
Thermofisher
Illumina
Biomerieux
Sysmex
Becton Dickinson
Qiagen

Schweiz
USA
Deutschland
USA
USA
USA
Frankreich
Japan
USA
Deutschland

Umsatz in Mrd. US-Dollar*


6,3
3,8
3,4
3,2
1,9
1,7
1,4
1,4
1,1
0,7

+0,2
+1,0
-2,8
+2,7
+1,1
+4,
+1,9
+3,8
-1,2
+1,3

% % % % % % % % % %


Änd. z. Vorjahr


HANDELSBLATT *Erstes Halbjahr 2019 • Quellen: Unternehmen, eigene Berechnungen, Thomson Reuters


Illumina


Danaher


Qiagen


Prozentuale
Veränderung
seit dem
18.10.2017

+80


+60


+40


+20


0


-20


% % % % % %


26 Unternehmen & Märkte DIENSTAG, 22. OKTOBER 2019, NR. 203


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