Handelsblatt - 22.10.2019

(Joyce) #1

Modebranche


Siegel mit


Mängeln


D


iscounter, Luxusmarken
und Kaufhauskonzerne – al-
le sind sich einig, dass Klei-
dung nachhaltiger werden muss.
Das heißt: Sie muss unter faireren
Arbeitsbedingungen produziert und
umweltfreundlicher hergestellt wer-
den. Das erwarten inzwischen auch
viele Verbraucher.
Doch die Bereitschaft der Mode-
branche, beim neuen Siegel „Grü-
ner Knopf “ mitzumachen, ist ge-
ring. Aber das ist auch nicht überra-
schend. Denn viele Unternehmen
haben schon reichlich Geld ausge-
geben, um sich von den seit vielen
Jahren etablierten Siegeln wie
GOTS, Oekotex oder Fairtrade zerti-
fizieren zu lassen. Jetzt sollen sie für
den Newcomer Grüner Knopf noch
einmal in die Tasche greifen.
Außerdem wirbt das neue Siegel
zwar damit, dass es sich breit für ei-
ne nachhaltige Produktion einsetzt.
Doch es hat zwei gravierende Män-
gel: Es umfasst nicht alle Prozesse
in der Lieferkette eines T-Shirts
oder einer Jeans. Und es fordert
von den Betrieben nur die staatli-
chen Mindestlöhne, die im jeweili-
gen Produktionsland gelten. Die rei-
chen aber nicht zum Leben.
Bundesentwicklungsminister
Gerd Müller will die Kriterien zwar
in den nächsten Jahren verschärfen.
Bis dahin steht das Siegel aber nur
dafür, dass ein Unternehmen eini-
ges unternimmt zum Thema Nach-
haltigkeit, aber eben noch nicht so
viel wie nötig wäre. Das schwächt
das Siegel, das mit einem hohen
Anspruch im September startete.
Deshalb müssen die Prüfkriterien
schnell verbessert werden.
Außerdem sind deutsche Allein-
gänge im internationalen Textil -
geschäft schwierig durchzusetzen.
Ein Siegel hat nur dann eine Chan-
ce, wenn es für europaweit tätige
Unternehmen wie C&A oder Zara
sinnvoll ist.
Darüber hinaus fehlt dem neuen
Siegel ein ausreichendes Werbebud-
get. Das Geld müssten die teilneh-
menden Unternehmen aufbringen.
Die zögern aber noch, weil sie ab-
warten, wie der Grüne Knopf an-
kommt. Ohne größere Werbung je-
doch droht das Siegel in der Bedeu-
tungslosigkeit zu versinken.


Der Grüne Knopf braucht mehr
Werbung und strengere Kriterien,
um Wirkung zu zeigen, sagt
Georg Weishaupt.

„Wir gehen davon aus, dass die erneute
unabhängige Prüfung dazu führt, alle
weiteren Spekulationen endgültig zu beenden.“
Wulf Matthias, Aufsichtsratschef Wirecard. Der Zahlungsanbieter
Wirecard lässt seine Bilanzen von einem unabhängigen
Wirtschaftsprüfer durchforsten.

Worte des Tages


Der Autor ist Redakteur im
Unternehmensressort.
Sie erreichen ihn unter:
[email protected]


D


ie wichtigste Botschaft lautet: Konti-
nuität. Wenn die beiden neuen Chefs
von SAP, Christian Klein und Jennifer
Morgan, öffentlich auftreten – wie jetzt
bei der Vorlage der Quartalszahlen –,
setzen sie sich inhaltlich noch nicht von ihrem Vor-
gänger Bill McDermott ab. Das ist einige Tage nach
ihrer Ernennung auch keine Überraschung, zumal
der Kalender wenig Spielraum für Strategietagungen
lässt: In drei Wochen steht ein außerordentlicher Ka-
pitalmarkttag an, und das saisonal wichtige vierte
Quartal läuft bereits.
Für ein schlichtes Weiter-so hat der Aufsichtsrat
unter der Leitung von Mitgründer Hasso Plattner die
beiden Manager aber nicht berufen. SAP steht finan-
ziell und strategisch zwar solide da, aber einige Pro-
bleme lassen sich im Quartalsbericht zwischen den
Zeilen lesen. Zudem könnte die spürbare Unzufrie-
denheit der Kunden mittelfristig auf die Bilanz
durchschlagen – die Finanzen sind also ein nachlau-
fender Indikator. Ein Zielkonflikt zeichnet sich ab:
Das Duo muss einerseits weiter Ergebnisse liefern,
andererseits in die vielfältigen Produkte investieren.
Das Thema, das SAP und die Kunden am meisten
umtreibt, ist S/4 Hana. Mit dem Programmpaket
können Organisationen sämtliche Geschäftsprozesse
von der Beschaffung bis zur Bilanzierung steuern.
Allerdings zögern viele mit der Einführung der aktu-
ellen Version, die seit 2015 auf dem Markt ist. Im-
merhin 12 000 Unternehmen haben zwar einen Ver-
trag dafür abgeschlossen, die Einführung planen vie-
le aber erst in einigen Jahren. Die genaue Zahl der
erfolgreichen Projekte schlüsselt der Konzern gar
nicht mehr auf.
Die Gründe, die Vorstände und IT-Chefs anführen,
summieren sich zu einer krachenden Kritik. Obwohl
SAP S/4 Hana als Grundlage fürs „intelligente Unter-
nehmen“ bewirbt, spielen bei den Kunden andere
Projekte eine größere Rolle. Darüber hinaus schreckt
die aufwendige Einführung des Programmpakets ab.
Die erste und wichtigste Aufgabe des neuen Füh-
rungsduos besteht darin, bei den Kunden Überzeu-
gungsarbeit für S/4 Hana zu leisten. Wofür steht die
Vision genau? Früher schuf SAP Transparenz über
Mitarbeiter, Warenströme und Finanzen. Was ist im
Zeitalter von Künstlicher Intelligenz und umfassen-
der Vernetzung jetzt aber möglich? Wo ist der Unter-
schied zu Konkurrenten wie Oracle und Workday?
Und wie gelingt die Einführung, ohne Zeitplan und
Budget zu überziehen? Dafür braucht es lehrreiche
Beispiele und detaillierte Dokumentationen.
Bei SAP passiert bereits einiges, wie die gerade an-
gekündigte Kooperation mit Microsoft zeigt. Es ist

aber noch mehr nötig, und zwar in allen Teilen des
Konzerns, von der Produktentwicklung bis zum Ver-
trieb. Klein und Morgan müssen gewährleisten, dass
alle über Ressortgrenzen und Befindlichkeiten hin-
weg zusammenarbeiten.
Die zweite Aufgabe ist ähnlich gelagert. Ein zentra-
les Versprechen von SAP lautet, dass die Produkte
im Portfolio integriert sind und Kunden damit ohne
aufwendige Anpassungen Daten austauschen und
Prozesse automatisieren können. Dieses Verspre-
chen hält der Softwarehersteller derzeit nur einge-
schränkt – er hat die mühevolle Arbeit vernachläs-
sigt, die nötig ist, um die vielen Zukäufe und Neuent-
wicklungen der vergangenen Jahre zu integrieren.
Besonders gilt das für Qualtrics, den Marktfor-
schungsspezialisten, den SAP auf Drängen von
McDermott übernommen hat. Wie sollen die Er-
kenntnisse über die Meinung von Kunden helfen,
das Geschäft zu verbessern? Und wie spielen die Um-
fragen und Social-Media-Analysen mit dem Vertrieb
oder der Finanzabteilung zusammen? Diese Fragen
sind noch nicht ausreichend beantwortet.
Nach der Neuausrichtung ist Zeit für die Konsoli-
dierung. Der neue Co-Chef Christian Klein ist bereits
dafür zuständig gewesen. Gemeinsam mit seiner Kol-
legin Jennifer Morgan muss er dafür sorgen, dass
diese Aufgabe im gesamten Konzern oberste Priori-
tät hat. Das bis in die unterste Ebene durchzusetzen
dürfte aber nicht einfach sein: SAP ist eine komplexe
Organisation, Dezentralität hat Tradition. Eine stär-
kere Zentralisierung dürfte daher auf einigen Wider-
stand stoßen.
Klein und Morgan kennen diese Probleme, und sie
sind mit ihren Hintergründen und Erfahrungen in
der Lage, sie zu lösen. Sie müssen aber gleichzeitig
die Investoren bei Laune halten. Das ist nicht trivial:
Der aktivistische Hedgefonds Elliott Management
hält SAP für unterbewertet, er fordert eine deutliche
Steigerung der Profitabilität und des Gewinns pro
Aktie. Der Konzern muss die Effizienz weiter stei-
gern und Cash für Aktienrückkäufe einplanen, was
den Spielraum für Investitionen erheblich ein-
schränkt.
Die vierte und schwerste Aufgabe lautet somit, die
Anforderungen des Marktes mit denen der Investo-
ren in Einklang zu bringen. Im Zweifel sind kurzfris-
tige Ergebnisse nicht so wichtig wie die langfristige
Kundenbindung. Davon einen Hedgefonds zu über-
zeugen ist aber alles andere als einfach.

Leitartikel


Zwei Chefs,


viele Probleme


Finanziell steht
SAP noch
bestens da, aber
die Kunden
murren – die
neuen Chefs
haben viel zu tun,
sieht Christof
Kerkmann.

Die kurzfristigen


Ergebnisse


sind nicht so


wichtig wie die


langfristige


Kundenbindung.


Davon einen


Hedgefonds zu


überzeugen


ist aber


alles andere


als einfach.


Der Autor ist Redakteur im Ressort Unternehmen.
Sie erreichen ihn unter:
[email protected]

Meinung


& Analyse


(^28) DIENSTAG, 22. OKTOBER 2019, NR. 203
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