Handelsblatt - 22.10.2019

(Joyce) #1

Bulle & Bär


Drei Gründe


gegen einen


Durchbruch


D


ie gute Nachricht rund um den
Brexit-Poker ist: Ein harter EU-
Ausstieg Großbritanniens am 31.
Oktober ist unwahrscheinlicher gewor-
den. Das gilt, obwohl das britische Parla-
ment die Abstimmung über den Deal zwi-
schen Regierung und EU verschoben hat.
Das Unterhaus will die Regelung erst in
britisches Recht gegossen haben. Premier-
minister Boris Johnson hat deshalb –
wenn auch widerwillig – in Brüssel zumin-
dest indirekt eine Verlängerung der Ver-
handlungen beantragt.
Das goutieren auch die europäischen
Börsen. Zum Wochenauftakt legten sie
weiter zu. Dax und Euro Stoxx 50 nähern
sich wieder den Niveaus von August bezie-
hungsweise Januar 2018. Beide hatten ent-
sprechende Stände bereits Ende vergan-
gener Woche in der Hoffnung auf einen
geregelten Brexit erreicht.
Von einem Durchbruch nach oben sind
die Märkte aber weit entfernt. Dafür gibt
es im Wesentlichen drei Gründe.
Erstens spielte die Angst vor einem un-
geregelten Austritt der Briten aus der EU
zwar im Bewusstsein der Investoren eine
große Rolle. An den Kursen ließ sich die
Angst aber kaum ablesen. Selbst Ende
2018, als die Börsen massiv abrutschten,
lagen sie immer noch höher als Ende Juni
2016 und damit zu der Zeit, als sich die
Briten so überraschend gegen den Ver-
bleib in der EU ausgesprochen hatten.
Zweitens wird die Investitionsfreude
der Unternehmen nicht schlagartig zu-
rückkehren, nur weil ihnen ein ungeregel-
ter Brexit erspart bleibt. Denn die Frage,
wie das künftige Verhältnis zwischen der
EU und Großbritannien aussieht und wel-
che Freihandelsabkommen es gibt, wird
erst nach dem offiziellen Abschied der
Briten aus der EU geklärt. Für zunächst
mehr als ein Jahr gilt eine Übergangsfrist,
in der faktisch alles bleibt, wie es ist. Also
bleibt auch die Unsicherheit.
Der dritte Grund, der gegen einen Aus-
bruch der Börsen nach einem Brexit-Deal
gilt, ist das leidige Thema globaler Han-
delsstreit. Verglichen damit ist der Brexit
nur ein Nebenkriegsschauplatz. Derzeit
sieht es zwar wieder nach einer Annähe-
rung zwischen den USA und China aus.
Auch das half den Börsen zuletzt. Doch
die leidvolle Erfahrung zeigt, dass der Ton
zwischen den USA und China sehr schnell
wieder rauer werden kann.

Der tägliche Kommentar
des Handelsblatts analysiert
die Entwicklung
an den Finanzmärkten.
Von Andrea Cünnen

in den Händen öffentlicher Gläubiger. Sie werden
das Land wohl kaum fallen lassen.
Für eine Verbesserung der Schuldentragfähigkeit
soll auch die geplante vorzeitige Rückzahlung von
Hilfskrediten des Internationalen Währungsfonds
(IWF) sorgen. Es geht um Darlehen von 2,9 Milliar-
den Euro, die planmäßig in den Jahren 2020 und
2021 zur Tilgung anstehen. Die Zinsen für diese Kre-
dite sind mit rund fünf Prozent sehr hoch. Am Kapi-
talmarkt bekommt Griechenland inzwischen zu viel
günstigeren Konditionen Geld. Mit einer vorzeitigen
Rückzahlung der IWF-Kredite kann Athen nach Be-
rechnung von Finanzminister Christos Staikouras
rund 70 Millionen Euro Zinskosten einsparen.
Nicht nur der Athener Finanzminister profitiert
beim Schuldendienst von den rückläufigen Rendi-
ten. Auch griechische Unternehmen kommen
günstiger an Geld. So konnte Hellenic Telecom jetzt
eine Anleihe über 500 Millionen Euro am Markt
platzieren. Das mehrheitlich von der Deutschen Te-
lekom kontrollierte Unternehmen zahlt den Anle-
gern einen Zins von 0,875 Prozent. Im ver-
gangenen Jahr musste Hellenic Tele-
com noch 2,4 Prozent bieten.
Die sinkenden Renditen der
griechischen Anleihen signa-
lisieren wachsende Zuver-
sicht der Märkte mit Blick
auf die Zukunft Griechen-
lands. Aber nicht nur, wie
Jakob Suwalski unter-
streicht, Griechenland-
Analyst bei Scope Ratings
in Berlin: „Die niedrigen
Renditen lassen sich zum
Großteil mit mangelnden An-
lagealternativen im langfristi-
gen Bereich und dem Vertrauen in
die europäischen Rahmenbedingun-
gen begründen.“
Bei den großen Ratingagenturen rangiert Grie-
chenland immer noch tief in der Schrottliga der
nicht investitionswürdigen Schuldner. Am Freitag
dieser Woche will die Agentur Standard & Poor’s
(S&P) ihr Griechenlandrating aktualisieren, am 1.
November folgt DBRS. S&P bewertet aktuell grie-
chische Staatsanleihen mit B+ als „hochspekulative
Anlage“. Das Rating liegt vier Stufen unter dem be-
gehrten Investmentgrade. Auch bei Moody’s tren-
nen Griechenland noch vier Stufen von der ersten
Liga, bei Fitch, DBRS und Scope sind es drei. Scope
Ratings setzte Griechenland am vergangenen Frei-
tag von BB- auf BB mit einem positiven Ausblick he-
rauf. „Das spiegelt unsere Erwartung wider, dass
wirtschaftliche Strukturreformen umgesetzt, Priva-
tisierungen beschleunigt und vereinbarte Haus-
haltsziele eingehalten werden“, sagt Scope-Analyst
Suwalski. Das dürfte das Vertrauen der Realinvesto-
ren und Anleger stärken, meint Suwalski.
Premier Mitsotakis hat das ambitionierte Ziel,
Griechenland bis 2021 in die Kategorie der investi-
tionswürdigen Schuldner zurückzuführen. Schlüs-
sel zu einer besseren Bonität ist vor allem die Sta-

bilisierung der angeschlagenen Banken. Die vier
systemischen Geldinstitute kämpfen mit immen-
sen Kreditrisiken. Die Summe der nicht mehr be-
dienten oder akut ausfallgefährdeten Forderungen
(NPE) belief sich nach Angaben der griechischen
Zentralbank Ende Juni auf 78,8 Milliarden Euro.
Das entsprach 43 Prozent aller ausgereichten Dar-
lehen. Diese außergewöhnlich hohe Quote notlei-
dender Kredite in den Bankbilanzen belaste die
Kreditvergabe für inländische Investitionen und
schränke damit das Wachstumspotenzial des Lan-
des ein, erklärt Scope-Analyst Suwalski.
Bis Ende 2021 wollen die Banken die faulen Kre-
dite um zwei Drittel reduzieren, nämlich von
knapp 79 Milliarden auf 26,5 Milliarden Euro. Hel-
fen soll dabei ein Instrumentarium, das der für die
Banken zuständige Vizefinanzminister Giorgos Zav-
vos in den vergangenen Wochen in enger Zusam-
menarbeit mit den Banken, dem griechischen Ban-
kenrettungsfonds HFSF, der europäischen Banken-
aufsicht SSM und der EU-Wettbewerbsbehörde
(DG Comp) ausgearbeitet hat. Das inzwischen
von der EU-Kommission als wettbe-
werbskonform genehmigte soge-
nannte Asset Protection Scheme,
dem Zavvos den Namen „Herku-
les-Plan“ gab, sieht die Bünde-
lung und den Weiterverkauf
fauler Kredite vor, um Risiken
aus den Bankbilanzen auszu-
gliedern. So soll die Kapitali-
sierung der Institute gestärkt
werden. Der Staat übernimmt
dabei eine Garantie für einen
Teil der Schuldverschreibun-
gen, nämlich die am wenigsten
riskanten Papiere.
Vor einer Rückkehr des Landes zum
Investmentgrade müssten sich die Bedin-
gungen im Wirtschafts- und Finanzsektor weiter
normalisieren und der Zugang der Realwirtschaft
zu erforderlicher Liquidität müsste sich verbes-
sern, meint Griechenlandexperte Suwalski. Für ein
stabiles Wachstum sei Griechenland auf ausländi-
sches Kapital angewiesen; dafür müsse sich das
Land mit Privatisierungen und Marktliberalisierun-
gen weiter öffnen, so Suwalski.
Auch wenn Griechenland noch drei bis vier Stu-
fen vom Investmentgrade entfernt ist: Gerade die
Einstufung als Ramschpapiere macht die grie-
chischen Anleihen jetzt so attraktiv. Denn wenn
die Ratingagenturen die Bonität des Landes in Zu-
kunft heraufsetzen, dürften die Kurse der Bonds
weiter steigen. Dann gewinnt, wer jetzt schon grie-
chische Anleihen ins Depot nimmt.
Auch griechische Aktien könnten von einem bes-
seren Rating profitieren. 2013 degradierte der Fi-
nanzdienstleister MSCI Griechenland von einem
entwickelten zu einem Schwellenmarkt. 2015 folg-
te die Herabstufung durch FTSE. Marktbeobachter
in Athen erwarten, dass die griechische Börse in-
nerhalb der nächsten zwei Jahre wieder in die
Oberliga aufsteigen könnte.

Positive Entwicklung bei griechischer Staatsanleihe
Rendite in Prozent, Laufzeit 10 Jahre

1,312 %


HANDELSBLATT
1.1.2015 21.10.2019 Quelle: Bloomberg

20


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  1. Juli bis 21. Okt.
    2019
    2,4


1,


1,2


2,9


MILLIARDEN
Euro an ausstehenden
Krediten beim Internationalen
Währungsfonds will Griechenland
vorzeitig zurückzahlen.

Quelle:
Griechische Regierung

Private Geldanlage


DIENSTAG, 22. OKTOBER 2019, NR. 203^35


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