Handelsblatt - 22.10.2019

(Joyce) #1

Matthias Streit Erfurt


E


s ist vollbracht“, twitterte
Katrin Lompscher (Lin-
ke), Berlins Senatorin für
Stadtentwicklung, am
späten Freitagabend. Ge-
meint war ein Kompromiss zum Mie-
tendeckel im Berliner Senat. Voll-
bracht waren zu diesem Zeitpunkt al-
lerdings erst die Verhandlungen in
der rot-rot-grünen Koalition. Die Eck-
punkte wurden auf einem einseitigen
Papier festgehalten, das dem Han-
delsblatt vorliegt. Der Gesetzentwurf
soll erst zu Beginn der Woche stehen.
Der Mietendeckel könnte schon ab
Anfang 2020 greifen. Er ist vorerst
auf fünf Jahre befristet. Doch was be-
deutet der Koalitionskompromiss
nun für Mieter und Vermieter?
Bestehen bleiben im Vergleich zum
letzten Vorschlag die Obergrenzen. Sie
spannen sich über zwölf Kategorien
von 3,92 Euro bis 9,80 Euro pro Qua-
dratmeter. Maßgeblich bleibt vor al-
lem das Baujahr. Allein die Frage, ob
eine Sammelheizung existiert oder die
Wohnung ein eigenes Bad besitzt, ist
noch ausschlaggebend für die weitere
Kategorisierung der Wohnung. Ausge-
nommen sind Neubauten ab 2014.
Der Mietendeckel wurde zudem an
einigen Stellen entschärft. So dürfen
Mieten in bestehenden Mietverhält-

nissen nur noch abgesenkt werden,
wenn sie mehr als 20 Prozent über
den festgelegten Werten liegen. Diese
„Wuchermieten“, wie es im Papier
heißt, sollen dann auf maximal 20
Prozent über dem festgelegten Wert
gekappt werden. Zu- und Abschläge
für einfache (-28 Cent pro Quadrat-
meter), mittlere (-9 Cent) und gute
Lagen (+74 Cent) sollen berücksich-
tigt werden. Wie viele Haushalte da-
von betroffen sind, ist unklar. Zuletzt
war vorgesehen, dass alle Mieter, de-
ren Mietbelastung über 30 Prozent
des Haushaltseinkommens lag, ein
Recht auf Mietsenkung haben.
Die neue Regelung zur Mietsen-
kung soll allerdings erst neun Monate
nach Inkrafttreten des Gesetzes ange-
wandt werden, offenbar, um dem
bürokratischen Aufwand gerecht zu
werden.
Generell gilt, dass Mieten bei Neu-
vermietung nicht angehoben werden
dürfen. Mieten, die jenseits der Ober-
grenzen liegen, sollen bei Neuvermie-
tungen auf diese abgesenkt werden.
Eine Ausnahme gibt es für besonders
niedrige Mieten unter fünf Euro pro
Quadratmeter. Sie dürfen bei Wieder-
vermietung um bis zu einen Euro auf
maximal fünf Euro pro Quadratme-
ter angehoben werden.

Ursprünglich sollten Modernisie-
rungen maximal bis zu einer Miet -
erhöhung von 50 Cent pro Quadrat-
meter erlaubt sein. Nun sind Moder-
nisierungen bis zu einer Grenze von
einem Euro pro Quadratmeter nicht
genehmigungspflichtig. Angezeigt
werden müssen sie trotzdem. Für
Maßnahmen, die darüber hinausge-
hen, sollen Förderprogramme ge-
nutzt werden. Vermietern räumt der
Mietendeckel zumindest ab 2022 die
Möglichkeit eines Inflationsausgleichs
ein. Mieten dürfen dann um 1,3 Pro-
zent pro Jahr erhöht werden.
Der Berliner Mieterverein begrüßt
die Pläne. „Dies ist eine historisch
einmalige Chance für ein besseres
Mietensystem, das die Defizite der
ortsüblichen Vergleichsmiete vermei-
det und Mietern am Ende auch leich-
ter zu ihrem Recht verhelfen wird“,
erklärte der Geschäftsführer Reiner
Wild. Als historisch ordnet auch der
Immobilienverband IVD das Vorha-
ben ein – wenn auch mit einer gänz-
lich anderen Wertung. „Die Berliner
Landesregierung kehrt zurück zur
sozialistischen Wohnungspolitik“,
sagte IVD-Präsident Jürgen Michael
Schick. Infolge des Mietendeckels
würden private Vermieter um ihre
Altersvorsorge gebracht. Außerdem

täusche die Landesregierung Eigen-
tümer, wenn sie behaupte, die Vor-
miete sei geschützt. „Vermieter müs-
sen nun beim nächsten Mieterwech-
sel auf Mietspiegelwerte von 2013
absenken und damit erhebliche Ver-
luste hinnehmen“, sagte Schick.
Niclas Karoff vom Branchenver-
band ZIA fürchtet weitere Verunsi-
cherung bei Vermietern. So sei etwa
nicht klar, welche Grundlage für die
Wuchermietenregelung gelte.
Obgleich der Mietendeckel zwar
noch keine Realität ist, wird vor al-
lem ein großer Vermieter schon ab-
gestraft: Deutsche Wohnen. Knapp
70 Prozent der 160 000 Wohnungen
im Portfolio des Unternehmens lie-
gen in der Hauptstadt.
Die Aktie rutschte am Montag um
mehr als zwei Prozent ins Minus. Seit
Jahresbeginn hat sie 14 Prozent an
Wert verloren. Zum Vergleich: Der
Mittelwerteindex MDax, in dem
Deutsche Wohnen gelistet ist, hat im
gleichen Zeitraum um 20 Prozent zu-
gelegt. Einbußen bekam auch der
Dax-Konzern Vonovia zu spüren, der
rund elf Prozent seines Wohnungs-
portfolios in Berlin hält. Die Aktie fiel
am Montag um mehr als ein Prozent.
Der Analyst Kai Klose von der Be-
renberg-Bank schätzt den neuen Ent-
wurf des Mietendeckels insgesamt als
deutlich flexibler ein als die Vorgän-
gerkonzepte. Das liegt vor allem da-
ran, dass nun nicht mehr alle Neu-
vermietungsmieten abgesenkt wer-
den müssen. Die Folgen aus
Mietsenkungen seien für die börsen-
notierten Konzerne marginal, was
wiederum für stabile Immobilienwer-
te spräche. Nichtsdestotrotz rechnet
auch er mit juristischem Klärungsbe-
darf rund um das Gesetz. Die Opposi-
tion im Berliner Parlament – CDU
und FDP – hat bereits mehrfach eine
Normenkontrollklage angekündigt.
Dann müsste das Landesverfassungs-
gericht klären, ob Berlin die Gesetz-
gebungskompetenz im Mietrecht –
und der Mietendeckel Bestand hat.

Immobilien


Was der Mietendeckel


bedeutet


Der Berliner Senat einigt sich auf ein Konzept. Kompromisse gibt es


beim Thema Mietsenkungen. Juristische Unklarheit bleibt trotzdem.


Sonnenaufgang
über Berlin: Völlige
Klarheit bringt der
neue Entwurf zum
Mietendeckel nicht.

Photo by Daniel Brosch on Unsplash


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PROZENT
hat die Aktie von
Deutscher Wohnen
seit Jahresbeginn
eingebüßt. 70 Prozent
des Portfolios
entfallen auf Berlin.
Quelle: Bloomberg

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(^36) DIENSTAG, 22. OKTOBER 2019, NR. 203
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