Handelsblatt - 22.10.2019

(Joyce) #1
R. Berschens, I. Narat, Y. Osman, D. Riedel
Frankfurt, Brüssel, Berlin

S


ogar den Friedensnobelpreis haben ihre
Anhänger für Greta Thunberg gefordert.
Die mit der Schwedin verbundene Kli-
madebatte der vergangenen Monate hat
eine große gesellschaftliche Debatte an-
gestoßen und ein Thema in den Fokus der Öffent-
lichkeit gebracht, das lange ein Nischendasein führ-
te: die Nachhaltigkeit. Mittlerweile werden die For-
derungen nach klareren Regeln auch für einen
nachhaltigen Finanzmarkt immer lauter.
Im aktuellen Monatsbericht der Bundesbank,
der am Montag veröffentlicht wurde, kritisiert die
Zentralbank schwammige Vorgaben und fehlende
Transparenz bei grünen Anlagen und mahnt klare
Vorgaben an. Zwar arbeite die EU an einem Klassi-
fizierungssystem für nachhaltige wirtschaftliche Ak-
tivitäten. „Derzeit aber gibt es weder auf globaler
oder europäischer noch auf nationaler Ebene ein
Rahmenwerk, welches es erlauben würde, nach-
haltig angelegtes Kapital einheitlich und eindeutig
zu kategorisieren“, so die Notenbank.
Der Investitionsbedarf in nachhaltige Projekte sei
enorm, schreibt die Notenbank. Verlässliche Kenn-
zahlen seien jedoch „unabdingbar“, um Finanz-
marktakteure zu befähigen, Chancen und Risiken
verschiedener Investments angemessen abzuschät-
zen. Aus Sicht der Notenbank könnten „verbesser-
te Rahmenbedingungen“ dabei helfen, „dass eine
ursprünglich teils marketinggetriebene Nischenent-
wicklung zu einem etablierten Bestandteil des An-
gebots auf den Kapitalmarkten reifen dürfte“. „Das
Thema nachhaltige Geldanlage nimmt unter Zen-
tralbanken Fahrt auf “, sagte Bundesbank-Vorstand
Sabine Mauderer dem Handelsblatt.
Die Nachfrage von privaten wie institutionellen
Investoren nach Anlageprodukten, die Umwelt-
und soziale Aspekte sowie gute Unternehmensfüh-
rung berücksichtigen, „explodiert“ nach Worten
des Chefs der Fondsgesellschaft DWS derzeit. „Der
Paradigmenwechsel ist im Markt im vollen Gange.
Wer sich diesem nicht stellt, würde schon in weni-
gen Jahren seine Daseinsberechtigung im Markt
aufs Spiel setzen“, sagte Asoka Wöhrmann dem
Handelsblatt.

Grüne fordern Kennzeichnungspflicht
Entsprechend genau blickt die Branche auf die De-
batte über erste Gesetzesvorhaben der EU. Auf eu-
ropäischer Ebene sind vor allem die Pläne für ein
EU-Klassifizierungssystem für nachhaltige Finanz-
produkte weit fortgeschritten. Die EU-Kommission
hat dazu im Frühsommer die sogenannte EU-Taxo-
nomie vorgeschlagen. Es handelt sich um eine Lis-
te aller ökologisch nachhaltigen Wirtschaftstätigkei-
ten. Die Taxonomie gilt als Herzstück der EU-Pläne
für Nachhaltigkeit im Finanzsektor.
Andere europäische Gesetzespläne zur Nachhal-
tigkeit sollen künftig darauf aufbauen. Der dafür
zuständige EU-Kommissionsvize Valdis Dombrovs-
kis hat einen neuen Aktionsplan dazu angekündigt.
Zum Beispiel könnten Unternehmen dazu gezwun-
gen werden, Umwelt- und Klimarisiken ihrer Akti-
vitäten im Geschäftsbericht auszuweisen. Geplant

Klare Regeln,


neue Einigkeit


Schwammige Vorgaben für nachhaltige Geldanlagen bremsen den Markt für nachhaltige


Finanzprodukte, moniert die Bundesbank. Nicht nur sie fordert mehr Verbindlichkeit und


Transparenz. Die Grünen wollen das Thema sogar in der Finanzberatung stärker verankern.


Produktion von Solarzellen: Der Investitionsbedarf bei nachhaltigen Projekten ist enorm.


Jochen Zick / Keystone


Titelthema


Boombranche Nachhaltigkeit
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(^4) DIENSTAG, 22. OKTOBER 2019, NR. 203
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