Handelsblatt - 22.10.2019

(Joyce) #1
ist außerdem ein Verbraucherlabel für nachhaltige
Finanzprodukte nach dem Vorbild des Blauen En-
gels. Dombrovskis will zudem einen EU-Standard
für Green Bonds vorschlagen.
„Der vorliegende Entwurf einer einheitlichen Ta-
xonomie auf EU-Ebene ist ein guter und sinnvoller
Schritt. Wir brauchen hier klare und eindeutige
Standards“, sagt Bundesbank-Vorständin Maude-
rer. Einige große Investoren sehen die bisherigen
EU-Pläne weniger optimistisch, das gilt insbesonde-
re für die Taxonomie. „Die derzeitigen Pläne auf
EU-Ebene zur Entwicklung eines solchen Stan-
dards sehen wir kritisch, denn sie konzentrieren
sich fast ausschließlich auf Umweltaspek-
te. Nachhaltigkeit umfasst aber die
drei Dimensionen Umwelt, Sozia-
les und gute Unternehmensfüh-
rung“, moniert Matthias Stapel-
feldt, Leiter Nachhaltigkeits-
management der
Fondsgesellschaft Union In-
vestment.
Diese Kritik teilt auch die
Bundestagsfraktion der Grü-
nen. Sie hat zum Thema Nach-
haltigkeit am Finanzmarkt kon-
krete Positionen erarbeitet, die
über die EU-Pläne teils klar hinaus-
gehen. So fordern sie, dass neben öko-
logischen auch Aspekte wie Soziales oder gu-
te Unternehmensführung integriert werden sollen.
Außerdem soll sich die Bundesregierung bei der
Erarbeitung des geplanten EU-Klassifizierungssys-
tems (Taxonomie) für Nachhaltigkeit für strenge
Maßstäbe einsetzen. Ein Beispiel ist eine Negativlis-
te mit Ausschlusskriterien, die festlegen, „was un-
ter keinen Umständen als nachhaltig gewertet wer-
den kann – beispielsweise Atomkraft und fossile
Energien“. Das ist unter EU-Ländern umstritten. So
setzte Frankreich durch, dass Atomenergie in die
Taxonomie-Liste nachhaltiger Wirtschaftstätigkei-
ten aufgenommen werden soll. Kritiker monieren,
dass die Taxonomie damit bei deutschen Anlegern
unglaubwürdig wird, weil Atomenergie in Deutsch-
land auf Ablehnung stößt. „Auf EU-Ebene besteht
bei der Definition, was eine grüne Finanzanlage
sein kann, ein großer Dissens über die Atomkraft.
Das Bundesfinanzministerium ist vehement dage-
gen, Kernenergie als nachhaltig einzustufen. Ande-

re EU-Staaten, nicht nur Frankreich, sehen das lei-
der anders“, sagte Finanzstaatssekretär Jörg Kukies
(SPD) dem Handelsblatt.
Kukies betont, dass der Bund in seiner eigenen
Anlagepolitik, etwa bei Pensionsfonds, bereits erste
Schritte in Richtung nachhaltiger Investments ge-
he. Für drei Sondervermögen des Bundes, die zu-
sammen rund 38 Milliarden Euro verwalten, hat
die Große Koalition Investments in Atomkraftwer-
ke im Ausland ausgeschlossen und führt derzeit ein
Nachhaltigkeitskonzept ein.
Doch auch Deutschland ist nicht nur Vorbild.
Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) etwa setz-
te Ende September im EU-Finanzminis-
terrat durch, dass die Taxonomie-Kri-
terien für nachhaltiges Wirtschaf-
ten erst ab Ende 2022
verbindlich werden sollen – al-
so drei Jahre später als von
der EU-Kommission vorge-
schlagen. „Eine unverbindli-
che EU-Taxonomie wird
kaum ein globales Regelbuch
werden können“, kritisiert
der grüne EU-Parlamentarier
Sven Giegold.
Für die Bundes-Grünen ist die
Taxonomie aber nur ein Baustein.
Die Fraktion setzt sich für ein EU-Nach-
haltigkeitslabel für Finanzprodukte ein, das
privaten Anlegern Orientierung bieten soll. Den
Grünen schwebt dabei ein Label vor, das unter-
schiedliche Abstufungen von Nachhaltigkeit abbil-
det, „vergleichbar mit dem EU-Energielabel bei
Elektrogeräten“, wie es in einer Erläuterung zum
Antrag heißt. Die Grünen fordern außerdem, dass
das EU-Label auf alle Finanzprodukte angewandt
wird, nicht nur auf nachhaltige Geldanlagen. Damit
geht der Antrag über den Stand der Debatte in der
EU hinaus. Dort ist bislang nur ein Label ähnlich
wie das Umweltsiegel „Blauer Engel“ im Gespräch.
Außerdem wollen die Regierungen der EU-Mit-
gliedsländer bislang so ein Label nur auf nachhalti-
ge Finanzprodukte angewendet wissen.
Nach Einschätzung der Bundesbank würden
neue Transparenzpflichten und ein einheitliches
Klassifizierungssystem Chancen und Risiken nach-
haltiger Geldanlagen „nachvollziehbar und somit
auch für den Privatanleger nutzbar“ machen. Ge-
nau darauf setzen auch die Grünen. Sie wollen,
dass Banken und Versicherer ihre Kunden bei Fi-
nanzberatungen künftig nicht mehr nur nach ihrer
Risikobereitschaft abfragen, sondern auch danach,
ob ihnen Aspekte wie Umwelt, Soziales und gute
Unternehmensführung wichtig sind. „Diese sind
dann entsprechend in der Produktauswahl zu be-
rücksichtigen“, heißt es in dem Antrag.
Kristina Jeromin, Managing Director für Nachhal-
tigkeit bei der Deutschen Börse, warnt davor, allein
über „grüne“ Geldanlagen zu debattieren. „Wir
sollten aufhören, Nachhaltigkeit als Nischenthema
zu diskutieren und einzelne Finanzprodukte mit
Labels zu versehen“, sagte sie dem Handelsblatt.
Extra-Labels könnten schnell wieder abgeschafft
werden. „Es sollte daher das Ziel sein, Kriterien für
langfristige Zukunftsfähigkeit in das Risikomanage-
ment einzubauen“, sagte sie.
Zentralbanken würden Nachhaltigkeitskriterien
bereits nutzen, betont Bundesbankerin Mauderer.
Nicht nur, weil sie Reputationsrisiken meiden und
mit gutem Beispiel vorangehen wollen, sondern
auch, weil sie sich damit gegen Nachhaltigkeitsrisi-
ken absichern. Das gelte auch für Banken: „Klar ist,
dass im Risikomanagement der Finanzinstitute Kli-
marisiken adressiert werden müssen“, sagte sie.
Erste Schritte dazu hat vor Kurzem die Finanz-
aufsicht Bafin durch die Publikation eines Merk-
blatts unternommen. Es drängt Banken, Versiche-
rer und Investmentfonds dazu, Nachhaltigkeitsrisi-
ken stärker als bisher in ihrem Alltagsgeschäft zu
berücksichtigen. Nach Meinung des Bankenverban-
des ein unnötiger Schritt. Banken müssten solche
Risiken bereits heute berücksichtigen, sagt BdB-
Hauptgeschäftsführer Christian Ossig. „Klar ist,
dass wir eine einheitliche europäische Lösung
brauchen. Dem sollte die deutsche Aufsicht nicht
vorgreifen“, moniert Ossig.

Green-Bond-
Neuemissionen
in Mrd. US-Dollar

Verwaltetes Vermögen
in Bill. US-Dollar

2018 2019


200


150


100


50


0


2015 2016 2017


2015 2016 2017


2018 2019


100


80


60





20


0


Grüne Anlagen
Der globale Markt für nachhaltige
Finanzierung

HANDELSBLATT


1) Stand: September 2019;
Quellen: Climate Bonds Initiative,
Deutsche Bundesbank

Das Thema nachhaltige


Geldanlage nimmt


unter Zentralbanken


Fahrt auf.
Sabine Mauderer
Bundesbankvorstand

Ingo Speich


„Produktlabel


greifen zu kurz“


Herr Speich, die Bundesbank mahnt klare Krite-
rien dafür an, was „grün“ und „nachhaltig“ bei Fi-
nanzprodukten bedeutet. Bremst mangelnde
Transparenz Investorgeld aus?
Es hat sich bereits am Markt durchgesetzt, was
Nachhaltigkeit ist: das Berücksichtigen von Um-
welt- und sozialen Zielen sowie gute Unterneh-
mensführung. Was fehlt, sind Kriterien, wie Nach-
haltigkeit mit Leben gefüllt wird. Da setzt die Bun-
desbank zu Recht an. Entscheidend ist nun, dass
grobe Leitplanken gesetzt werden, es muss aber
Spielraum für Investoren bleiben: Ein zu weit ge-
fasster Rahmen fördert Wildwuchs. Er darf aber
nicht zu eng ausgerichtet werden, das würgt das
Konzept ab. Dann gäbe es zu wenig verschiedene
Möglichkeiten zu investieren, was Klumpenrisiken
schafft. Außerdem würden die meist institutionel-
len Anleger nicht in Nachhaltigkeit investieren,
weil sie ihre individuellen Strategien nicht um-
setzen könnten.

Wie wichtig sind konkrete EU-Standards
für die Entwicklung des Marktes?
Eine Taxonomie, wie sie die EU einfüh-
ren will, macht grundsätzlich Sinn, auch
wenn bestimmte Dinge kritisch zu sehen
sind wie das Thema Atomkraft. Allerdings
ist die Taxonomie nicht verbindlich. Die Re-
gulierung aber wird das Thema vorantreiben.
So wird etwa die Verordnung über die EU-Regeln
für mehr Verbraucherschutz Mifid II Druck auslö-
sen: In der Anlageberatung bei Privatkunden muss
künftig eine Präferenz für Nachhaltigkeit festgelegt
werden. Das wird die Welt der Geldanlage kom-
plett verändern – jede Anlageentscheidung wird
davon betroffen sein.

Was bringt ein Nachhaltigkeits-Label für Finanz-
produkte?
Solche Label greifen meist zu kurz. Es hat in der Fi-
nanzindustrie noch nie etwas gebracht, einfach ein
Siegel auf ein Produkt zu kleben. Unklar ist auch,
wer das Siegel vergeben soll. Zudem dürfte das in
jedem Land anders gehandhabt werden.

Was kommt noch auf die Branche zu?
Es wird vonseiten der Regulierung Druck auf den
gesamten Geschäftsprozess geben bei Vermögens-
verwaltern, Banken und Versicherern. Das neue
Merkblatt der Finanzaufsicht Bafin zu Nachhaltig-
keit wird sehr viele ihrer Prozesse betreffen. Die
neuen Anforderungen könnten verbindlich Gegen-
stand der Bankenaufsicht werden – und 2020, unter
der EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands EU-weit
durchgesetzt werden. Deutschland hat sich bisher
zu wenig eingebracht, um die neuen Vorgaben mit-
zuprägen. Das dürfte sich nun unter der EU-Kom-
missionspräsidentin Ursula von der Leyen ändern.

Was bedeuten neue Vorgaben für den Markt?
Bisher wächst nachhaltig gemanagtes Vermögen
drei- bis viermal so stark wie der Gesamtmarkt in
Europa, also circa 18 bis 25 Prozent im Jahr. Wenn
Privatanleger in den bisher von Großinvestoren ge-
prägten Markt einsteigen, dürfte sich das Wachs-
tum noch weiter erhöhen.

Die Fragen stellte Anke Rezmer.


Der Leiter Nachhaltigkeit und Corporate
Governance der Sparkassen-Fonds-
tochter Deka über einen nötigen, aber
nicht zu engen Rahmen für Investoren.

Deka


Boombranche Nachhaltigkeit
1

DIENSTAG, 22. OKTOBER 2019, NR. 203^5


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