Handelsblatt - 22.10.2019

(Joyce) #1
Auch der grüne Digitalpolitiker Dieter Janecek ist
der Auffassung, dem Monopolisierungstrend im di-
gitalen Kapitalismus müsse mit harten staatlichen
Maßnahmen begegnet werden. „Es ist nicht abseh-
bar, dass sich die Lage von sich aus wieder ent-
spannt“, sagte Janecek dem Handelsblatt. Daher
spricht er sich dafür aus, Amazon dazu zu zwin-
gen, die Geschäftsbereiche Amazon Retail und
Amazon Marketplace voneinander zu trennen. Um
zu verhindern, dass sich die Marktmacht erneut in
den Händen eines einzigen Konzerns konzentriert,
schlägt Janecek vor, großen Digitalplattformen
prinzipiell zu verbieten, zugleich als Betreiber ei-
nes Marktplatzes und als Anbieter von Gütern und
Dienstleistungen zu fungieren. Janecek greift damit
Forderungen auf, die auch in den USA diskutiert
werden. Die demokratische Präsidentschaftskandi-
datin Elizabeth Warren etwa fordert die Zerschla-
gung der Netzgiganten aus dem Silicon Valley.
Auch der Handelsverband Deutschland (HDE)
sieht Regulierungsbedarf. „Es muss verhindert wer-
den, dass Daten, die von Handelsunternehmen auf
einer Plattform generiert wurden, von marktmäch-
tigen Plattformen genutzt werden, um ihre eigenen
Waren an die Kunden zu verkaufen“, sagte der
stellvertretende HDE-Hauptgeschäftsführer Ste-
phan Tromp dem Handelsblatt. Als Lösung
schwebt ihm ebenfalls eine Entflechtung vor. „Hier
sind gegebenenfalls ,Chinese Walls‘ zwischen den
Geschäftsfeldern der Plattformen verpflichtend
einzuführen.“ Dies würde eine Trennung des Ama-
zon-Eigengeschäfts und des Marketplace-Geschäfts
bedeuten. Solche Eingriffe dürften aber nicht wett-
bewerbshemmend wirken, fügte Tromp hinzu.
„Ansonsten könnte das im Ergebnis dazu führen,
dass neue Plattformunternehmen kein Interesse
mehr an Wachstum haben, da sie dann als markt-
mächtig eingestuft werden könnten und dann
strengeren Regeln unterliegen würden.“
Eine Datenteilungspflicht lehnt der HDE grund-
sätzlich ab. „Denn eine Öffnung der Datenbestände
marktmächtiger Wettbewerber für konkurrierende
kleine Unternehmen würde den Konkurrenten Zu-
griff auf autonom generierte und geldwerte Daten-
bestände ermöglichen und damit den Wettbewerb
verzerren“, sagte Tromp. Überhaupt sind die juris-
tischen Unwägbarkeiten bei einem Vorgehen gegen
Amazon nicht zu unterschätzen. Eine Entflechtung
sehe er kritisch, sagte der Direktor des Instituts für
Kartellrecht der Heinrich-Heine-Universität Düssel-
dorf, Rupprecht Podszun. „Das führt vor allem zu
langwierigen rechtlichen Auseinandersetzungen
und ist für uns unbekanntes Terrain“, sagte Pods-
zun dem Handelsblatt. „Da sollte man, wenn über-
haupt, den Amerikanern den Vortritt lassen, wo so
etwas ja inzwischen auch diskutiert wird.“
Podszun wies zudem darauf hin, dass im Fall von
Facebook das Bundeskartellamt eine interne Tren-
nung der Aktivitäten und der Datensätze angeord-
net habe und beim Oberlandesgericht Düsseldorf
gescheitert sei. „Wenn so etwas versucht wird,
muss man sich der Fakten schon sehr sicher sein.“
Bei Amazon sei daher die entscheidende Frage, ob
der Konzern inzwischen eine solche Marktmacht
habe, dass eine Regulierung nötig sei.

Altmaier plant „Regulierung light“
Amazon sei wie ein Makler, erläuterte der Kartell-
experte, der auf beiden Seiten, für Käufer und Ver-
käufer, tätig werde. Und Amazon habe die Möglich-
keit, Verbraucher und Verkäufer zu steuern. „Da-
bei besteht natürlich ein Anreiz, diese Steuerung
zur eigenen Profitmaximierung auszunutzen.“ Es
sei daher zu prüfen, ob dieses Vorgehen untersagt
werden müsse. „Ein Unternehmen kann nicht den
ehrlichen Makler spielen und in Wirklichkeit im
großen Stil manipulieren.“ Das Wirtschaftsministe-
rium sehe das Problem auch, so Podszun. Tatsäch-
lich hat das Haus von Peter Altmaier (CDU) vor
zwei Wochen den Entwurf eines neuen Kartell-
rechts in die Ressortabstimmung gegeben. Was der
Wirtschaftsminister darin vorschlägt, läuft für
Podszun auf eine „Regulierung light von Amazon &
Co.“ hinaus: „Das ist einen Versuch wert.“ Dem
Entwurf zufolge soll das Bundeskartellamt den Da-

tenzugang für kleine Wettbewerber erleichtern.
Der Chef der Monopolkommission, Achim Wam-
bach, lobt den Vorstoß. „Ich denke, es ist sinnvoll,
dass wir konsequenter als bislang über eine Regu-
lierung der dominanten Plattformen nachdenken“,
sagte er. So sei im Altmaier-Entwurf ein „Selbstbe-
vorzugungsverbot“ für Unternehmen mit überra-
gender marktübergreifender Bedeutung für den
Wettbewerb geplant. „Das würde insbesondere
Amazon treffen, die gleichzeitig als Marketplace
und Händler auf diesem Marketplace aktiv sind“,
sagte Wambach.
Viele deutsche Unternehmen kennen die Proble-
matik inzwischen. „Sie sind bei den digitalen Öko-
systemen in einem Klammergriff, aus dem sie
schwer herauskommen“, sagte Podszun. „Einer-
seits wollen sie die Umsätze über Amazon generie-
ren, andererseits laufen sie Gefahr, dass Amazon
ihnen immer mehr Geschäft abnimmt.“ Podszun
setzt auf den Ausgang des Verfahrens der EU-Kom-
mission gegen den US-Konzern. „Dann haben wir
eine gesicherte Faktenbasis“, sagte Podszun. Die
EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager
habe ja Ermittlungsmöglichkeiten, „die über das
Hörensagen und einzelne Anekdoten hinausge-
hen“. Und davon macht Vestager auch Gebrauch.
Im Juli leitete Vestager nach längeren Vorermitt-
lungen eine formelle Untersuchung gegen den Kon-
zern ein. Der Verdacht: Er könnte seine „doppelte
Funktion als Verkaufsplattform und Einzelhändler“
missbraucht haben, um sich einen Vorteil zu ver-
schaffen. So sammele Amazon Daten über Drittan-
bieter auf seiner Marktplatz-Plattform, deren Pro-
dukte und Transaktionen.
Die von den Digitalriesen gefürchtete Dänin hat
bereits angekündigt, gerade die großen Online-
plattformen noch genauer unter die Lupe nehmen
zu wollen. Diese nutzten bisweilen ihre Markt-
macht und ihren Zugriff auf enorme Datenmengen
aus, „um ihre eigenen Geschäftsinteressen zu be-
vorzugen“, sagte sie. Vestager verantwortet unter
der künftigen Kommissionspräsidentin Ursula von
der Leyen weiter die Wettbewerbsaufsicht und di-
rigiert als Vizepräsidentin zugleich die Regulierung
der Digitalwirtschaft.
Die Kommission arbeitet bereits an neuen Regu-
lierungsvorschlägen für die digitalen Dienstleister,
die auch Amazon betreffen könnten. 2020 treten zu-
dem bereits verabschiedete Regeln in Kraft, die die
Rechte kleinerer Anbieter gegenüber den Plattform-
betreibern stärken. So müssen Amazon, Google und
Co. künftig den Firmenkunden etwa erklären, nach
welchen Kriterien sie deren Angebote ranken.
Eine Zerschlagung der Konzerne hält Vestager
für zu weitgehend. „Wir haben dieses Werkzeug“,
sagte sie kürzlich im Europaparlament. Sie sei aber
dazu verpflichtet, keine überharten Maßnahmen
zu ergreifen. „Ein Unternehmen zu zerschlagen ist
schon eine große Sache.“

Es ist


sinnvoll,


dass wir


konsequenter


als bislang


über eine


Regulierung der


dominanten


Plattformen


nachdenken.
Achim Wambach
Vorsitzender der
Monopolkommission

US-Regulierung


Einig im Kampf


gegen digitale


Giganten


W


enn Facebook-Chef Mark Zuckerberg
am Mittwoch im US-Kongress er-
scheint, erwarten ihn kühle Fragen
zur Kryptowährung Libra. Es wird nicht sein letz-
ter Besuch auf dem Capitol Hill sein. Denn nach-
dem die digitalen Giganten über Jahrzehnte lasch
reguliert worden sind, stehen die Topkonzerne
der Westküste inzwischen vor einem Mehrfron-
tenkrieg. Bundesbehörden arbeiten Hand in
Hand, und der US-Kongress untersucht Daten-
missbrauch und Marktdominanz. US-Präsident
Donald Trump legte nahe, das Weiße Haus wolle
gegen „die schlechte Situation“ rund um Tech-
Monopole vorgehen.
Auf Regierungsebene sind das Justizministeri-
um und die Aufsichtsbehörde Federal Trade
Commission (FTC) verantwortlich, beide Häuser
teilen sich die Durchsetzungsbefugnis kartell-
rechtlicher Angelegenheiten. Die FTC untersucht
zum Beispiel, ob die Amazon-Plattform Market-
place Wettbewerber benachteiligt. Und im Juli
verpflichtete die Behörde Facebook zu einer Stra-
fe in Höhe von rund fünf Milliarden Dollar wegen
des Datenskandals um Cambridge Analytica. Das
inzwischen aufgelöste britische Beratungsunter-
nehmen hatte Informationen von 87 Millionen
Nutzern unzulässig weitergegeben.
Die Kongressabgeordneten von Demokraten
und Republikanern im Kongress sind sich bei dem
Thema einig wie selten. Senatoren und Abgeord-
nete untersuchen, ob die Übernahmen von
Whats App und Instagram durch Facebook gegen
Gesetz verstoßen haben, ob Amazon Drittanbieter
diskriminiert und ob der Haftungsschutz von
Plattformen wie Reddit und Google zeitgemäß ist.
Immer wieder wird es zum Problem, dass Ge-
setze, die im Tech-Sektor angewandt werden, aus
dem letzten Jahrhundert stammen. „Was bedeu-
tet es, wenn Amazon ins Lebensmittelgeschäft
einsteigt oder Google in selbstfahrende Autos in-
vestiert? Die Grenzen von Marktdominanz sind
immer schwieriger zu definieren“, sagt der Infor-
mationsökonom Marshall Van Alstyne, der an
der Boston University lehrt.
Amazons Gründer und Chef Jeff Bezos wird
von Trump regelmäßig angegriffen. Bezos gehört
die Zeitung „Washington Post“, die Trumps Poli-
tik oft kritisiert. Auch die Demokraten haben die
digitalen Riesen als Wahlkampfthema entdeckt.
Die Parteilinke Elizabeth Warren gilt als radikale
Kritikerin des Silicon Valleys und fordert die Auf-
spaltung großer Tech-Konzerne. Ihr Ziel wird laut
einer YouGov-Umfrage von fast zwei Dritteln der
US-Bürger geteilt. „Sie merzen die Konkurrenz
aus, benutzen private Informationen für Gewin-
ne und schwächen die Demokratie“, sagt Warren
über die Tech-Giganten.
Kürzlich ließ Warrens Kampagne eine Werbung
auf Facebook schalten, in der absichtlich falsch
behauptet wurde, Zuckerberg sei ein Trump-Fan.
Die Anzeige sollte auf Desinformation im Netz
aufmerksam machen. Zuckerberg selbst scheint
Warrens Aufstieg zu beunruhigen. „Wenn jemand
versucht, etwas so Existenzielles zu bedrohen,
geht man auf die Matte und kämpft”, sagte er in
einer internen Sitzung, von der im Oktober Auf-
nahmen öffentlich wurden.
So fundamental wie Warren will kein anderer
demokratischer Präsidentschaftskandidat gegen
die Tech-Riesen vorgehen, doch sämtliche Be-
werber befürworten eine schärfere Regulierung.
Das ist ein spürbarer Umschwung im Vergleich
zu 2008, als Facebook geschickt genutzt wurde,
um Barack Obama ins Weiße Haus zu bringen.
Jetzt stellen sich die Tech-Riesen auf einen langen
Kampf ein: 2019 geben sie Rekordsummen für
Lobbying in Washington aus. Annett Meiritz

Die größten Onlineshops
E-Commerce: Nettoumsatz in Deutschland
2018 in Mrd. Euro

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Wirtschaft & Politik


DIENSTAG, 22. OKTOBER 2019, NR. 203^7


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