Neue Zürcher Zeitung - 08.10.2019

(Steven Felgate) #1

Dienstag, 8. Oktober 2019 SCHWEIZ 13


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Die Bundesanwaltschaft muss einen Anschlag


auf das türkische Konsulat weiter untersuchen SEITE 14


Tanja Grandits vom Basler «Stucki» erhält als


erste Köchin in der Schweiz 19 Gault-Millau-Punkte SEITE 15


Ein Solarkraftwerk lern t schwimmen


Auf einem Stause e im Wallis nimmt der Stromkonzern Romande Ener gie eine Weltneuheit in Betrieb


HELMUTSTALDER


Auf demLac desToules imWallis bahnt
sich einDurchbruch an:Auf dem Stausee
an derRoute zum Grossen St. Bernhard
auf 1800 Metern über Meer installiert der
EnergiekonzernRomande Energie das
weltweit erste schwimmende Solarkraft-
werk.Lässt es dasWetter zu, werden diese
Woche per Helikopter 18 Plattformen auf
dem See platziert, Ende Oktober weitere
18 Plattformen. Das Kraftwerk wirdeine
Ausdehnung von 7696 Quadratmetern
haben, etwas mehr als einFussballfeld.
EndeJahr, wenn es in Betrieb geht, solles
gut 80 0000 Kilowattstunden Strom lie-
fern, was demJahresverbrauch von 220
Haushalten entspricht. Entscheidend ist
jedoch vorerst nicht die Produktion.Viel-
mehr soll die Pilotanlage unter Beweis
stellen, dass schwimmende Solarpärke
technisch machbar und finanzierbar sind.
Dies soll denWeg dazu ebnen, Stauseen
doppelt zu nutzen, einmal zur Produk-
tion vonWasserstrom, ein zweites Mal als
Tr äger grossflächiger Photovoltaik-Tep-
piche im Gebirge.


Höhere Ausbeute


«Solarpanels im alpinen Gebiet bieten
denVorteil, dass sie sehr ergiebig sind»,
sagt der Projektverantwortliche Guil-
laumeFuchs. «Laut bisherigen Studien
ist dieAusbeute von hoch gelegenen
Solarpärken bis zu 50 Prozent höher als
von vergleichbaren Anlagen im Flach-
land.» Dies aus mehreren Gründen: Es
können doppelseitigePanelsverwendet
werden. Die Atmosphäre ist dünner und
die UV-Einstrahlung höher. Der Schnee
reflektiert imWinter das Licht. Und die
Temperaturen liegen tiefer, was die Effi-
zienz steigert. «Wenn der Solarpark zu-
dem auf einem See installiert wird, der
bereits der Stromproduktion dient,kön-
nen wir von den bestehenden Strukturen
profitieren», betontFuchs. Die benötigte
Flächesei bereits vorhanden, ebenso die
Strominfrastruktur und Zufahrten.Da-
durch beeinträchtige die schwimmende
Anlage das natürliche Umfeld nicht
direkt, sie sei von der Strassengalerie
aus auch nur begrenzt sichtbar.


Romande Energie begann mit dem
Projekt imJahr 2012. NachVorstudien
wurde neben dem See eine 60 Quadrat-
meter grosse Fläche mit verschiedenen
Typen vonPanels bestückt, die in unter-
schiedlichen Neigungswinkeln mon-
tiert wurden. So evaluierten dieTech-
niker die für dierauenWitterungsver-
hältnisse geeignetste und ergiebigste
Technik. ImFrühjahr 20 19 begannen
die Arbeiten für die elektrischen An-
schlüsse an die Kraftwerkzentrale, die
Bauarbeiten für dieVerankerung und
dieKonstruktion der Plattformen, die
sich mit dem Seespiegel heben und sen-
ken.Auf 2,4 MillionenFranken ist das
Projekt veranschlagt. Es wird vom Bun-

desamt für Energie (BfE) unterstützt
und erhält eine Einmalvergütung für
grosse Photovoltaik-Anlagen von rund
125000 Franken. «Mit diesem innova-
tiven Projekt stärktRomande Energie
ihreerneuerbare Energieproduktion,
um die Energiewende voranzubringen,
und positioniert sich als weltweiter Pio-
nier in der Entwicklung schwimmender
Solarpärke», istFuchs überzeugt.

Ausweitung möglich


«Wir finden es spannend und sinnvoll,
dass jemand dies ausprobiert und welt-
weit erstmals Erfahrungen damitsam-
melt», sagtFrankRutschmann, Leiter

ErneuerbareEnergien beim BfE. Ob
das Modell so erfolgreich werde,dass
es auf jedem Stausee angewendet wer-
denkönne, müsse sich jedoch erst wei-
sen. Energetisch sei es sehr interessant.
Aber technisch sei es aufwendig, insbe-
sondere da es eine spezielleKonstruk-
tion für die Anpassung der Plattform an
diePegelstände des Stausees brauche.
Entsprechend seien dieKosten sicher-
lich deutlich höher als beikonventionel-
len Anlagen auf Hallendächern.
Falls dieResultate der Pilotanlage
positiv sind, willRomande Energie das
Projekt auf demLac desToulesauswei-
ten.Vorgesehenistab 2021 die Instal-
lation von insgesamt 1053 Plattformen

mit einer Spannweite von 21 8000 Qua-
dratmetern, etwa 30Fussballfeldern.
Der Photovoltaik-Teppich würde dann
35 Prozent der Seefläche bedecken
und Strom für 6600 Haushalte liefern.
Auch diese Anlage wäre aus Sicht des
BfE grundsätzlich förderwürdig und
könnte eine Einspeisevergütung erhal-
ten. Sie liegt derzeit bei 10Rappen pro
Kilowattstunde. Ob sich die Anlage da-
mit betriebswirtschaftlichrechnet, muss
sich allerdings erst zeigen.

Hindernisse vorhanden


Romande Energie spinnt die Idee je-
doch bereits weiter. Mit einer Studie
identifizierte der Stromkonzern «meh-
rere Seen»,auf denengrosse Solar-
kraftwerke mit mehr als tausend Kilo-
wattstunden Leistunginstalliert werden
könnten.Falls dieTechnik der schwim-
menden Solarpärkebreit angewendet
werden solle,müssten diese genauer
untersucht werden. Ob Stauseeflächen
generell und im grossen Stilfür Solar-
energie genutzt werdenkönnen, lässt
sich noch nicht sagen. Die hauptsäch-
lichen Hindernisse sind lautRomande
Energie die extremen klimatischenVer-
hältnisse im Gebirge mit Schnee und Eis
sowie die Situation der einzelnen Seen.
Anders als derLac desTouleslägen
viele inLandschaftsschutzzonen.
Hier setzt die Kritikvon Natur-
schutzseite an. BeimLac desToules
sei die ökologischeWertigkeit der See-
fläche nicht sehr hoch und er liege auch
nicht in einer Schutzzone, sagte Michael
Casanova von Pro Natura. Hier eine
Pilotanlage zu erstellen, seirelativ un-
problematisch. Aber wenn dieseTech-
nik Schule mache auf Seen in Schutz-
zonen oder auf natürlichen Seen, werde
es problematisch. «Bevor man die Stau-
seen grossflächig mit Solarpanels zu-
deckt,sollte man bereits verbaute Flä-
chen im besiedelten Gebiet nutzen,
wo die Grundbelastung schon da ist
und Solarpanels einfach an bestehende
Infrastruktur angebracht werden kann.»
Dächer, Fassaden,Parkplätze – hier sei
dasPotenzial riesig, auch in den über-
bauten Gebieten in den Bergen.

Die Pilotanlage auf dem Lac desToules ist etwas grösser als ein Fussballfeld. FOTOMONTAGE ROMANDE ENERGIE


Die SBB sehen von einer Reservierungspflicht ab


Fahrgäste mussten am Wochenende aussteigen, weil Züge ins Tessin überfüllt waren – die SBB wollen über die Büch er


LINDAKOPONEN


Für einige SBB-Passagiere endete am
Samstag dieFahrt in den Süden früher
als geplant.Weil mehrere Züge Rich-
tung Italien überfüllt waren, wurden
Fahrgäste ohne Sitzplatz amBahnhof
Arth-Goldau gebeten auszusteigen. Bil-
der aus den betroffenen Zügen zeigen
ein Gedränge derReisenden im Gang.
Alle Sitze waren besetzt. Am Abend
kam es zu ähnlichen Problemen in der
Gegenrichtung.
Zum grossenAnsturm geführt hatte
der zeitgleiche Beginnder Herbstferien
in vielen Deutschschweizer Kantonen,
gepaart mit dem schlechtenWetter im
Norden.Waren die SBB also schlecht
vorbereitet? MediensprecherRaffael
Hirt verneint.Wegen einer Störung
habe ein Zug verkürzt geführt werden
müssen, weshalb auf einerVerbindung
500 Sitzplätze gefehlt hätten. Dies habe
einen Dominoeffekt über den ganzen
Tag zurFolge gehabt. Die überfüllten
Züge fahren zu lassen, war für die SBB
keine Option.Für den 57 Kilometer lan-
gen Gotthard-Basistunnel gelten stren-
gere Sicherheitsbestimmungenals für
andereBahnstrecken.Das vom Bun-


desamt fürVerkehr (BAV) genehmigte
Sicherheitskonzept sieht vor, dass die
Züge bei Störungen wieeinem Brand,
wenn immer möglich, aus demTunnel
fahren.Fange es in einemWagen an zu
brennen, müsse gewährleistetsein,dass
diePassagiere in den nächstenWagen
fliehenkönnten, erklärtBAV-Medien-
sprecher Gregor Saladin.
JederTunnel habe seine eigenen
Sicherheitsvorschriften.Auf der Strecke
durch den Lötschberg-Basistunnel etwa
seienkeineAuslastungsbeschränkun-
gen nötig, weil dieReisenden im Not-
fall durch die zweiteRöhre mit Bussen
evakuiert würden.

VerärgerteKunden


Bei den SBB bedauert man denVor-
fall vomWochenende und entschuldigt
sich bei den betroffenenKundinnen und
Kunden.Dass Züge derart überbelegt
seien, dassPassagiere wieder aussteigen
müssten,komme sehr selten – bei einem
von 850 Zügen – vor, sagt Medienspre-
cherRaffael Hirt. Bei einem erwarte-
ten hohen Reiseaufkommen setzten
die SBB zusätzlicheWagen und Extra-
züge ein. Mit einem in Bellinzona statio-

nierten bemannten «Dispozug»könne
innerhalb weniger Minuten auf Überbe-
legungenreagiert werden.
Beim Fahrgastverband Pro Bahn
Schweiz sieht man das anders. Laut Prä-
sidentin Karin Blättler handelt es sich
nicht um einen Einzelfall. Seitder Eröff-
nung derNeuen Eisenbahn-Alpentrans-
versale (Neat) seien die Züge immer wie-
der überlastet. «DieVerärgerung bei den
Kunden ist sehr gross», sagt sie. Eine Ent-
schärfung der Situation verspricht sich
Blättler von einerAuslastungsanzeige,
die auf Echtzeitdaten basiert.Auf die in
der App angezeigteAuslastungkönne
man sich nicht verlassen, weil sie auf
Erfahrungswerten fusse und demnach
nichts darüber aussage, wie vielePerso-
nen tatsächlich mit einem Zug unterwegs
seien.Wüsste man imVoraus,welcheVer-
bindungen besonders stark ausgelastet
seien, würde man dieeigeneReise unter
Umständen anders planenkönnen.
Raffael Hirt sagt, man wolle das
Wochenende genau analysieren und die
Belegungsprognose falls nötig anpassen.
Bisher empfehlen die SBBReservatio-
nen nur anFeiertagswochenenden. Nun
werde geprüft, ob dies auch an weiteren
Wochenenden mit hoher prognostizier-

terAuslastung angezeigt sei. Zur Pflicht
wollen die SBB dieReservation den-
noch nicht machen.«Der öffentlicheVer-
kehr in der Schweiz soll ein offenesSys-
tem bleiben», sagt Hirt. EineReservie-
rungspflicht bei einzelnen Strecken wäre
schwierig zu vermitteln und technisch
umzusetzen.Ähnlich sieht man das bei
ProBahn. In der Schweiz seien sichRei-
sende nicht gewohnt, Sitzplätze zureser-
vieren. «Das schränkt dieReisefreiheit
sehr stark ein und erhöht auch dieReise-
kosten», sagt Karin Blättler.

Ceneri alsEnt lastung


Ob mit oder ohneReservierung:Passa-
giere aus dem Zug weisenkönnen die
SBB wegen derTr ansportpflicht nicht.
Entsprechend sind sie darauf angewie-
sen, dassPersonen aussteigen. Sei dies
nicht derFall, müsse der Zug über die
Gotthard-Bergstrecke umgeleitet wer-
denoderer falleaus, sagtHirt. EineEnt-
lastung auf der Nord-Süd-Achse bringen
wird der Ceneri-Basistunnel. Dort sollen
Doppelstockzüge mit mehr Sitzplätzen
eingesetzt werden. Geht alles nach Plan,
wird er bereits 2020 eröffnet.
«Reflexe», Seite 32
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