Neue Zürcher Zeitung - 08.10.2019

(Steven Felgate) #1

14 SCHWEIZ Dienstag, 8. Oktober 2019


Der Sinn und Unsinn von Kinderabzügen

Kurz vor den Wahlen liefern die Bürgerlichen der SP Futter für einen Referendumskampf


HANSUELI SCHÖCHLI


In der Sonntagsschule predigenPoliti-
ker gerne dieVorzüge eines einfachen
Steuersystems mit wenig Abzügen.
Doch anWerktagen sind die Predig-
ten rasch vergessen.So hat zum Beispiel
das Parlament diesesJahr eine Motion
zur deutlichen Erhöhung des Steuer-
abzugs für Krankenkassenprämien an
den Bundesrat überwiesen.ImWeiteren
hat der Ständerat einenVorstoss zum
Ausbau des Steuerabzugs für das ge-
bundene Privatsparen (Säule 3a) ange-
nommen. Und dasParlament beschloss
im September eine starke Erhöhung der
Kinderabzüge.
Die Vorlage zu den Kinderabzügen
könnte vor dasVolk kommen. Die SP
hat am Montag nochrechtzeitig vor
den Wahlen ihreReferendumskampa-
gne unter dem Motto «Nein zum Steuer-
bonus fürreiche Eltern» verbal lanciert.
Die ursprünglicheVorlage des Bundes-
rats war nochrelativ eng begrenzt. Er
wollte bei der Bundessteuer die Ober-
grenze des Abzugs für dieKosten exter-
ner Kinderbetreuung von 10 100 auf
25 000 Franken erhöhen. Der Stein des
Anstosses für das SP-Referendum war
der überraschendeAusbauder Vorlage
durch dasParlament – mit einer gene-
rellen Erhöhung des Kinderabzugs von
6500 auf 10000 Franken pro Kind.


Durch dieHintertür


Von diesemAusbau würden vorall em
Gutverdiener profitieren. Die Eidgenös-
sischeSteuerverwaltung erwartet daraus
kurzfristig Einnahmeneinbussen von
350 MillionenFranken proJahr, wo-
von 70 Prozent Haushaltenmitsteuer-
baren Einkommen ab 100000 Franken
zugutekämen.Wer keine direkte Bun-
dessteuer zahlt (44 Prozent derFamilien
mit Kindern), kann naturgemäss über-
haupt nicht profitieren.
Der SP istrecht zu geben:Faktisch
entsprichtdievorgeschlageneErhöhung
einer Entschärfung der Steuerprogres-
sion zugunsten gutverdienender Eltern.
Man kann dies politisch wollen, doch


ehrlicher wäre es in diesemFall, direkt
denSteuertariffürVerheirateteundEin-
elternfamilien zu ändern, statt den Um-
wegüberdenKinderabzugzumachenin
der Hoffnung, dass die Bürger dies nicht
merken, weil dieVorlagedie hehreEti-
kett e «Familienförderung» trägt.
Die SP verschweigt allerdings, dass
auch die Linke diePolitik der versteck-
ten Umverteilung liebt, weil sich dies
eher mit wohlklingenden Etiketten ver-
kaufen lässt; der einzige Unterschied
liegt darin, dass die Linke die oberen
Einkommen mehr stattweniger belasten
will. Lehrbuchbeispiele liefern die chro-
nischeReformblockade in der Alters-
vorsorge, die SP-Initiative zu den Kran-

kenkassenprämien und derkommende
Vaterschaftsurlaub. Letzterer ist für die
Linkevor allem darum interessant, weil
er über Lohnprozente schwergewichtig
durch obere Einkommen finanziert ist.

SindKinderein Luxus?


Die Referendumskampagne zum Kin-
derabzug ruft nach der Grundfrage
nach Sinn und Unsinn dieses Abzugs.
Im Steuerrecht gilt der Grundsatz der
Besteuerung nach wirtschaftlicher Leis-
tungsfähigkeit. Ein Haushalt mit Kin-
dern ist wegen der damit verbundenen
Kosten imPrinzip wirtschaftlich weniger
leistungsfähig als ein Haushalt mit glei-

chem Einkommen, aber ohne Kinder.
Ähnliches liesse sich aber für denVer-
gleich eines Haushalts mit Luxuswoh-
nung undFerrari mit einem sonst iden-
tischen Haushalt mit Billigwohnung und
ohneAuto sagen; in diesemFall macht
das Steuerrecht keinen Unterschied,
weil dieWohnungs- undAutowahl als
privater Entscheid zum Lebensstil gilt.
AuchdasKinderhabenentspringtpri-
vatenundegoistischenEntscheidenzum
Lebensstil. Dennoch besteht ein politi-
scherKonsens darüber, dass der Staat
dieKinderkostenfürdieElternnichtnur
via Subventionierung der Schulen und
in der Sozialhilfeberücksichtigtensollte.
EineRechtfertigungdafür:Kindersollen

nichtfürdieEntscheideihrerElternbüs-
senmüssen.DerKinderabzugimSteuer-
recht sitzt allerdings eher schief,da er
für Gutverdiener wegen der Steuerpro-
gression einen höheren Nutzen hat als
fürGeringverdienerundvieleHaushalte
überhaupt nicht profitieren. In derTen-
denz geben zwarReiche mehr für ihre
Kinder aus alsÄrmere, doch das Steuer-
recht müsste gemäss seiner sonst gelten-
den Logik diese Differenz eher wie die
DifferenzzwischendemFerrariunddem
SBB-Abonnement betrachten – alsAus-
flussprivaterEntscheidezumLebensstil,
welche die Steuerrechnung nicht spie-
geln muss.

Umbaustatt Ausbau


Aus dieserSichtwäre der Kinderabzug
umzubauen, so dass er allen Eltern im
gleichen Umfang zugutekäme. Ein An-
satz dazu wäre die Berücksichtigung
der Kinderkosten im Freibetrag. Bei
der direkten Bundessteuer sind der-
zeit Einkommen über17 800 Franken
(Alleinstehende) bzw. über 30 800Fran-
ken (Verheiratete und Einelternfami-
lien) steuerpflichtig.Pro Kind liesse sich
dieserFreibetrag erhöhen. Der Unter-
schied zum jetzigen Kinderabzug: Bei
all en Einkommensklassen fielen Ein-
kommen in der untersten Progressions-
stufe weg.Wer keine direkte Bundes-
steuer zahlt, würde allerdings auch von
diesem Modell nicht profitieren. Wer
auch solche Haushalte begünstigen und
sich nicht auf die Sozialhilfe beschrän-
ken wollte, müsste eine pauschale Gut-
schrift pro Kind vorschlagen – etwa in
Form einer Steuervergütung oder einer
allgemeinen Kinderzulage.
Ein Postulat aus der SP von 20 18
verlangt vom Bundesrat einen Bericht
zur Frage, wie die jetzigen Kinderabzüge
durch Kindergutschriften ersetzt werden
könnten, so dass alle Eltern «unabhän-
gig von Lebensform und Einkommen»
gleich gefördert würden. Der Bundes-
rat lehnt einen solchenSystemwechsel
allerdings ab, da dieser «weder zuVer-
einfachungen noch zu mehrTranspa-
renz» führe.

DasParlament erhöht den Kinderabzug von 6500auf 10000 Frankenpro Kind–der SP gefällt das nicht. KARIN HOFER /NZZ


Bundesanwaltschaft muss weiter ermitteln


Nach einem Anschlag auf das türkische Konsulat in Zürich konnten Verdachtsmomente gege n eine Linksaktivistin nicht ausgerä umt werden


MARCEL GYR


In der Nacht auf den18.Januar 20 17
haben Unbekannte das Generalkonsu-
latderRepublikTürkeianderWeinberg-
strasse im Zürcher Kreis6mit pyrotech-
nischen Gegenständen beschossen. Da-
bei ging einFenster in die Brüche, Per-
sonen kamenkeine zu Schaden.Das
türkische Generalkonsulat vermutete
hinter demVorfall einen «terroristischen
Hintergrund»,wieestagsdarauffesthielt.
GleichzeitigbekanntensichExponenten
der linksradikalen Szene zum Anschlag.
AlsGrundnanntensiedieTeilnahmevon
Regierungsvertretern derTürkei am be-
vorstehendenWEFinDavos.Weilessich
nach offizieller Lesart um ein Spreng-
stoffdelikt handelt, wurden die Ermitt-
lungen alsbald der Bundesanwaltschaft
übertragen.Auf dem Holzstabeiner der
abgefeuertenFeuerwerksraketenkonnte


eine DNA-Spur gesichert werden – jene
von Andrea Stauffacher, der bekannten
AnführerindesRevolutionärenAufbaus.

Stauffacher verweigert Aussage


Aus dem Entscheid des Bundesstraf-
gerichts, der am Montag publiziert wor-
den ist,geht hervor,dass Stauffacher von
der Polizei ein halbesJahr nach demVor-
fall ein erstes Mal angegangen worden
war. Bei dieser Gelegenheit habe sie sich
auf ihrAussageverweigerungsrecht be-
rufen. Zwei Monatespäter, im Novem-
ber 2017,sistie rte die Bundesanwalt-
schaft das Strafverfahren, das offiziell
gegen Unbekannt lief, ein erstes Mal.
Dagegen erhob dieRepublikTürkei Be-
schwerde und erhielt am Bundesstraf-
gerichtrecht: Die Sistierung wurde auf-
gehoben. Daraufhin wurde Stauffacher
imNovember2018 vonderPolizeierneut

befragt, machte aber auch diesmalkei-
nerleiAussagen.Wiederum zweiMonate
später, im Januar 2019, sistiertedie Bun-
desanwaltschaft das Strafverfahren zum
zweiten Mal.Wieder erhob dieRepublik
Türkei Beschwerde dagegen – und hat
jetzt erneutrecht bekommen: Die Bun-
desanwaltschaftmussdasVerfahrenwei-
terführen.In ihrer Begründunghatte die
Bundesanwaltschaftzuvorangeführt,der
Fundort der DNAreiche nicht aus, um
gegen Stauffacher einen hinreichenden
Tatverdacht zu begründen. Es habe sich
zudemgezeigt, dass sie weder gewillt sei,
als AuskunftspersonAussagen zu ma-
chen, noch Hinweise auf die mögliche
Täterschaft zu liefern.
Zwar anerkennt die Beschwerde-
kammer des Bundesstrafgerichts in
ihrem Entscheid, dass die sichergestellte
DNA-Spurlediglichdaraufhinweise,dass
Stauffacher imVorfeld derTat irgendwie

in Kontakt mit derFeuerwerksrakete ge-
kommen sei.Weiter gelte es aber,den
Modus operandi derTat zu berücksich-
tigen. Und dieser sei vergleichbar mit
derVorgehensweise gegen das spanische
Generalkonsulat von 2002, als ebenfalls
Feuerwerk «nicht bestimmungsgemäss»
eingesetzt worden war. Für jenenVor-
fall ist Stauffacherrechtskräftig verur-
teilt worden.Auch das Bekennerschrei-
ben lasseRückschlüsse auf ein mög-
liches Motiv von Stauffacher zu.Jeden-
fallshättendieVerdachtsmomentegegen
dieLinksaktivistinnichtausgeräumtwer-
den können. In der Summe bestehe ein
hinreichenderTatverdacht, die von der
Bundesanwaltschaft angeordnete Sistie-
rung sei nicht nachvollziehbar.
Verwiesen wurde auf den Grundsatz
«in dubio pro duriore», wonach die An-
klagebehörde im Zweifelsfall ein Straf-
verfahren nicht einstellen darf. Dies im

Gegensatz zum Grundsatz «in dubio
pro reo», wonach das Gericht einenAn-
geklagten im Zweifelsfall freisprechen
muss. Die Bundesanwaltschaft wird im
vorliegendenFall angewiesen, dasVer-
fahren abzuschliessen – sei es durchAn-
klage, Einstellung oder Strafbefehl.

17-monatige Strafeabgesessen


Wegen des seinerzeitigenAnschlags auf
das spanische Generalkonsulat – sowie
einesPolizeigebäudes – war die heute
69-jährige Stauffacher 2011 vom Bun-
desstrafgericht zu einer unbedingten
Freiheitsstrafe von17 Monaten verur-
teilt worden. Diese Strafe hat sie abge-
sessen. Der Richterhatte di e unbedingte
Strafe damals damit begründet, bezüg-
lich einer allfälligen Besserungkönne
man Stauffacher keine positive Pro-
gnose stellen.

In den


Nationa


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bisher Liste^3

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Liste 3
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