Neue Zürcher Zeitung - 08.10.2019

(Steven Felgate) #1

16 ZÜRICH UND REGION Dienstag, 8. Oktober 2019


Die neue Generation der Zürcher Politik


ist jung,urban und weiblich SEITE 17


Kommennachdem Besteckaus Plastik


bald auchdie Kunstrasenplätze auf den Index? SEITE 20


Blaulicht-Einsätze für kleine Patienten


In Zürich gibt es eine spezielle Babyambulanz für Notfälle – mit dieser müssen die Rettungssanitäter noch vi el vorsichtiger fahren


Kommt ein Kind krank


oder viel zu früh zurWelt,


zählt jede Minute. Mit


der Babyambulanzkönnen


Neugeborene auf schnellstem


Weg in eine spezialisierte


Klinik gebracht werden.


REBEKKA HAEFELI


Es riecht nach Desinfektionsmittel.Die
gel b-sc hwarzenTurnschuhe der Ärztin
Cornelia Hagmann quietschen, wäh-
rend sie in Richtung Notfalleingang
eilt. Über ihren weissen Hosen und
der weissen Bluse trägt sie eine neon-
gelbeWarnjacke, dar über einenroten,
rechteckigenRucksack, der prall ge-
fülltaussieht.
Hagmann ist leitende Ärztin in der
Neonatologie am Universitäts-Kinder-
spital beim Hottingerplatzin Zürich.
Hier betreut sie normalerweise neuge-
borene Kinder, die mit einerFehlbildung
geboren wurden,die krank sind oder die
Wochen oder Monate vor dem errech-
neten Geburtstermin zurWelt kamen.
Die Winzlinge, deren Haut manchmal
noch ganz durchscheinend ist, brauchen
besonderePflege.Frühgeborene liegen
in Brutkästen, sogenannten Inkubato-
ren, in denen dieTemperatur und die
Luftfeuchtigkeit konstant sind.
Auf der Neonatologie lässt Hag-
mann alles stehen und liegen, wenn
sie alarmiert wird. EineKollegin über-
nimmt dann für sie. Hagmann nähert
sic h im Laufschritt dem Notfallein-
gang, vor dem bereits dieBabyambu-
lanz parkiert ist.Bei dem weissenFahr-
zeug mit der violetten und grünen Be-
malung stehen zweiRettungssanitä-
ter von Schutz undRettung Zürich.
Nach der Alarmierung sind sie von
der Hauptwache der Sanität am Neu-
mühlequai mit einem normalenRet-
tungswagen zum Kinderspital gefahren
und haben hier den Schlüssel für die
Babyambulanz übernommen.


Risiken bei holprigen Strassen


Die Einsätze derBabyambulanz spielen
sich amAnfang immer gleichab. Manch-
mal ist HagmannsKompetenz als Neo-
natologie-Fachfrau gefragt; manchmal
braucht es vor allem ein vertieftesWis-
sen in der Intensivmedizin.Dann steigt


Barbara Brotschi insFahrzeug, sie ist lei-
tende Ärztin auf der Intensivstation des
Zürcher Kinderspitals.
«Stets dabei ist eine Pflegefachper-
son», erzählen diebeiden.Während sich
die jeweils zwei Spitalmitarbeiterinnen
in derBabyambulanz um das kranke
oder frühgeborene Kind kümmern, len-
ken dieRettungssanitäter das Blaulicht-

fahr zeug durch denVerkehr und über-
nehmen am Einsatzort das Ein- und
Ausladen; sie leisten aber auch medizi-
nische Unterstützung.
«Mit derBabyambulanz fahren wir
noch viel vorsichtiger als mit dem nor-
malenRettungswagen», sagen die Sani-
täterMarcWicki undRaphael Stössel.
«Ma n versucht, so vorausschauend wie

möglichzusein,umnichtabruptbremsen
zu müssen.»Auf holprigen Strassen oder
SchwellenwerdendieWinzlingegeschüt-
telt, auch wenn sie durch den Inkubator
und die gefederteBahre so gut wie mög-
lich geschützt sind.Ihre Schädelknochen
sind noch weich, das Hirn ist verletzlich.
Das wissen dieRettungssanitäter.

FahrendeIntensivstation


Die Ausstattung derBabyambulanz ist
auf dem höchsten technischen Stand,
denn mitunter geht es um Leben und
Tod. Die Ambulanz ist eineArt fah-
rendeIntensivstationimMiniaturformat.
Die ÄrztinBarbara Brotschi erzählt von
einemFall, den sie kürzlich erlebt hat:
«WirmusstennacheinerGeburteinBaby
mitAtemproblemenausderGebärabtei-
lung eines Spitals holen, um es im Kin-
derspital auf der Intensivstation aufzu-
nehmen.Während desTransports stell-
tenwirfest,dassdasBeatmungsschläuch-
lein durch Blut verstopft war. Das Baby
erlitt einenHerz-Kreislauf-Stillstand;wir
musstenes wiederbeleben.»
Die Reanimation fand während der
Fahrt st att,dasBaby blieb die ganze Zeit
im Inkubator, der quer zurFahrtrich-
tung in der Ambulanz auf einerBahre
befestigt wird. Dahinter befinden sich
nebeneinander zwei Sitze für die Ärz-
tin und die Pflegefachperson.Früh-
geborene brauchen die gleichbleibende
Wärme des Brutkastens, da sie sonst
schnell auskühlen würden, was lebens-
gefährlich sein kann. Aber auch die am
Termin geborenen, krankenBabys wer-
den im Brutkasten transportiert, damit
sie nicht zu vielWärme verlieren.
2018 war dieBabyambulanzüber
400 Mal im Einsatz. Eigentümerin des
Fahrzeugs ist die Stiftung «Chance für
das kritisch kranke Kind», welche die
Ambulanz vor fünfJahren dank Spen-
den anschaffenkonnte. Die Samm-
lung für ein Nachfolgefahrzeug hat be-
reits begonnen.EinAmbulanzauto wird
durch die Blaulichtfahrten sehr viel stär-
ker beansprucht als ein normalesFahr-
zeug. Nach sieben bis zehnJahren muss
ein Ersatz beschafft werden.
Mit derBabyambulanz werden nicht
nur frühgeborene Kinder in speziali-
sierte Kliniken wie das Kinderspitalge-
bracht oder von hier in eineandere Kli-
nik mit einer Neonatologie-Abteilung
verlegt.Das spezielle Ambulanzfahr-
zeug dient auch demTransport schwer-

kranker Neugeborener, die am errech-
netenTermin zurWelt kamen, wieBar-
bara Brotschiund CorneliaHagmann
erläutern.
«Viele Paare, die heutzutage ein Kind
erwarten, gehen selbstverständlich da-
von aus, dass alles gut geht», sagt Brot-
schi. «Sie sind sich nicht bewusst, dass
eine Schwangerschaft und eine Geburt
auch in unseren Breitengraden gewisse
Gefahren bergen.» Es gebe Missbildun-
gen oder Krankheiten, die trotz prä-
nataler Diagnostik nicht erkanntwer-
den könnten. Und jede Geburt an sich
bedeute für die Mutter und das Kind
ein Risiko – auch wenn dieses dank
dem medizinischen Fortschritt möglichst
klein gehalten wird.

Brotschi erklärt: «Es gibt Neugebo-
rene, die gleich nach der Geburt Anpas-
sungsschwierigkeiten inForm von Herz-
Kreislauf-Problemen entwickeln oder
durch einen Infekt erkranken. Andere
leiden unter Sauerstoffmangel wäh-
rend der Geburt, was lebensbedrohlich
sein kann.» Nicht immer sei es ganz ein-
fach,den Eltern in dieser besonderen Si-
tuation zu erklären, dass ihr Kind weg-
gebracht werden müsse, in eine Klinik
mit einer Intensivstation fürBabys. «Für
vielePaare ist das verständlicherweise
ein Schock.»
In derBabyambulanz gibt es nicht
genugPlatz,umdenVaterodereinande-
resFamilienmitgliedmitfahrenzulassen.
Das verstehen nicht alle gleich gut, und
dieÄrztinnen müssen die Eltern beruhi-
gen.EssindnurwenigeFälle,dietragisch
enden, in denen dasBaby trotz soforti-
ger medizinischer Hilfe später im Spital
stirbt. «Diese Schicksale berühren auch
uns», sagenBarbara Brotschi und Cor-
nelia Hagmann, die beide selber Kinder
haben. «Die Erfahrung und dasWissen,
dass die meistenFälle gut ausgehen,leh-
ren einen, damit zurechtzukommen.»

Die ÄrztinnenBarbaraBrotschi (l.) und Cornelia Hagmann. JOËL HUNN / NZZ


Bevor die Bauarbeiter kommen, wird das Mobiliar liquidiert


Nächste Woche beginnen bereits die Abbrucharbeiten beim Restau rant «Fischstube» am Zürichhorn


JOHANNA WEDL


Bis vor wenigenTagen sind hier noch fri-
sche Fische serviert worden. Jetzt stapeln
sich auf denTischen saubereTeller und
Tassen.DanebenliegtSilberbesteck,blitz-
blank poliert und akkurat aufgeschichtet.
Für wenigeFranken ist ein Stück Inven-
tar der «Fischstube» zu haben.
Bereits nächsteWoche beginnen die
Abbrucharbeiten beimRestaurant am
Zürichhorn. Draussen vor derTür ver-
suchtein Mann, einen gusseisernen Gar-
tentisch ineinenKleinlastwagenzuladen.
Doch wieer ihn auch dreht und wendet,
die Tischplatte ist zu sperrig für denKof-
ferraum.«Moment,ichbringeIhneneinen
Schr aubenzieher», ruft Jürg Hoss.


Estrich entstaubt


Er leitet die Liquidation und versucht,
möglichst das ganze Inventar zu Geld
zu machen. Hosshat den gleichnamigen


Familienbetrieb vor über zehnJahren
von seinemVater übernommen, er ver-
äussertauchWertgegenständeausNach-
lässen oderKonkursverfahren. «Es ist
sehr gut gelaufen», sagt Hoss am Mon-
tagvormittag.DiesesMalseienvorallem
Privatkundengekommen,dieGastrono-
men dagegen fehlten.
Vielleichtblieben die Profis fern,weil
der Termin sehr kurzfristig bekannt-
gegeben worden war? Hoss und seine
zehnMitarbeiterbegannenamMittwoch
mitdenVorbereitungen,amSamstagwar
derersteLiquidationstag,amMontagder
zweite und letzte. DieAngestellten küm-
merten sich um eineVerkehrsregelung,
organisierten einen Sicherheitsdienst
und holten das Silberbesteck vomDach-
boden. «Das war teilweise schwarz, weil
man es so lange nicht verwendet hatte.
Wir haben es stundenlang geputzt, bis
es wieder auf Hochglanz war», erläutert
Hoss.Bei seinenVerkäufen, das ist ihm
wichtig, muss alles passen. Er ist einPer-

fektionist, das wissen und schätzen seine
Auftraggeber. Zu seinenKunden zäh-
len Anwaltskanzleien undBanken, auch
Nobelhotels und Edelrestaurants haben
ihmihreBetriebsauflösungenanvertraut.
Jede Woche könnte er eine Liquidation
durchführen,sagt Hoss, die Nachfrage sei
gross .Aberweilesihmviel bedeute,jedes
Malpersönlichanwesendzuseinundden
Anlass fehlerfrei über die Bühne zu brin-
gen,organisiereerblossetwazwölfLiqui-
dationenimJahr.«MiristeseinAnliegen,
die Hinterlassenschaftenrespektvoll zu
präsentieren», betont Hoss.
60 Prozent der Liquidationsbesucher
seien übrigens Stammgäste, sagt Hoss.
Während Hoss von seinerKundschaft
schwärmt, klingelt schon wieder sein
Mobiltelefon. Es läutet alle paar Minu-
ten. Am letzten Liquidationstag wird
vermehrt um Preise gefeilscht,und Hoss
ist durchaus bereit, den Käufern ent-
gegenzukommen. Er begrüsse es, wenn
Gegenstände wiederverwendet würden.

Er sei offen dafür,Waren für einen guten
Zweck weiterzugeben. Einmal brachte
er einer Schule für denWerkunterricht
ganze Stoffballen persönlich vorbei und
übernahmdieKostendafürgleichselbst.
Auch jenes Inventar von der «Fisch-
stube»,das nicht wegkommt, wirdmög-
licherweise gemeinnützigen Organisa-
tionen abgegeben.Erhaltenbleibt ein-
zig eine riesigeLampe inForm eines
Fisches. Sie könnte im neuen Lokal wie-
der einen prominenten Platz einneh-
men.Das Gebäude desRestaurants ge-
hört der Stadt Zürich.Es ist als einer der
wenigen Zeitzeugen von derLandesaus-
stellung 1939 erhalten geblieben, musste
aber nach einemVollbrand1956 wieder
aufgebaut werden.

Wiedereröffnungim Jahr 2021


Als «Fischerstube» will die neuePäch-
terin, die Commercio PiccadillyAG, das
Restaurant im Sommer 2021 wieder er-

öffnen. Der Ersatzneubau war nötig ge-
worden, weil die Altersbeschwerden
augenfällig waren.Von der ersten Pro-
jek tpräsentation bis zur Einweihung des
Neubaus wird es über zehnJahre gedau-
ert haben (statt wie geplant vierJahre).
Schuld daran sindkomplizierteKoor-
dinationen mit dem Kanton,aber auch
eine emotionale Debatte rund um die
äusserst beliebte Seeterrasse, die bisher
zum Lokal gehörte. Die Stadt wollte
diese eigentlich streichen. Schliesslich
rang man sich aber zu einemKompro-
miss durch.Dieser sieht eine seitliche
Terrasse vor. Für die Pläne des Ersatz-
neubaus verantwortlich ist das Berner
ArchitekturbüroPatrickThurston, die
Kosten belaufen sich voraussichtlich auf
rund 20 MillionenFranken.Das Restau-
rant soll künftig ganzjährig betrieben
werden und 290 Sitzplätze bieten.Auf
der Speisekarte werden übrigens weiter-
hin frischeFische stehen,selbstverständ-
lich auch solche aus dem Zürichsee.

2018 war
die Babyambulanz

über 400 Mal
im Einsatz.
Free download pdf