Neue Zürcher Zeitung - 08.10.2019

(Steven Felgate) #1

2INTERNATIONAL Dienstag, 8. Oktober 2019


In London nahm diePolizei den83-jährigenDemonstranten Phil Kingston fest. REUTERS


Festnahmen bei Klimaprotesten


(dpa)·Zu Beginn von weltweiten
Klimaprotesten, zu denen Extinction
Rebellion aufrief, hat es in Amster-
dam und London am Montag zahlrei-
che Festnahmen gegeben. Die Bewe-
gung ExtinctionRebellion (auf Deutsch
etwa:Rebellion gegen dasAussterben)
kommt aus Grossbritannien.Sie fordert,
dass die nationalenRegierungen sofort
den Klimanotstand ausrufen.
Die Amsterdamer Polizei nahm
etwa 50 Demonstranten bei einer Blo-
ckade-Aktion in Gewahrsam. Die De-
monstranten hatten am frühen Mon-
tagmorgen eine wichtigeDurchgangs-
strasse versperrt undDutzende kleine
Zelte aufgestellt. In London legtenTeil-

nehmer des Klimaprotests teilweise den
Verkehr lahm.Bis amAbend gab es über
200 Festnahmen.Auch in Australien und
Neuseeland demonstrierten Hunderte
von Aktivisten,Dutzende wurden fest-
genommen,wie diePolizeimitteilte.
In Berlin liess diePolizei die Akti-
visten zunächst gewähren – obwohl die
Demonstration bei der Siegessäule nicht
angemeldet war. Es habe kaum Staus
gegeben,hiesses. Laut derPolizei nah-
men Tausende von Demonstranten an
Aktionen bei der Siegessäule und am
Potsdamer Platz teil. Am spätenNach-
mittag begann diePolizei damit,die De-
monstranten einzeln vom Platz zu füh-
ren. Dabei blieb es zunächst friedlich.

Zwangsmassnahmen gegen
Boris Johnson abgelehnt

(dpa)·Das oberste schottische Ge-
richt will dem britischen Premierminis-
ter BorisJohnson vorerst nicht mit
Zwangsmassnahmen drohen, sollte er
sich nicht an das Gesetz gegen einen
ungeregelten EU-Austritt halten. Der
Fall könnte aber bereits an diesem
Dienstag in Berufung gehen. Laut
einem vomParlament verabschiede-
ten Gesetz ist der Premierminister
dazu verpflichtet,ein e Verschiebung
des Brexits zu beantragen, sollte bis
zum 19.Oktoberkein Abkommenrati-
fiziert sein.Johnson beteuert, dass er
sich an das Gesetz halten werde, droht
aber gleichzeitig miteinem ungeregel-
ten EU-Austritt am 31.Oktober.Wie
er diesenWiderspruch auflösen will,
beantwortete der Premierminister bis
jetzt nicht. Es wird deshalb spekuliert,
er könnte entweder ein legales Schlupf-
loch finden, das es ihm ermöglicht, den
Antrag auf Brexit-Verschiebung ungül-
tig zu machen, oder aber die EU dazu
zu bringen, ihn abzulehnen.

IN KÜRZE


Gegenseitige Ermahnun gen


vor Brexit-Gesprächen


(dpa)·Vor neuenVerhandlungen über
denEU-AustritthabensichGrossbritan-
nienunddieEUgegenseitigzuKompro-
missen ermahnt. Die EU-Kommission
bekräftigte ihrePosition, dass die briti-
scheRegierung umsetzbare Lösungen
für die irische Grenzfrage präsentieren
müsse.AusbritischenRegierungskreisen
hiess es dagegen,es sei «an der Zeit,dass
die Kommission auchWillen zumKom-
promisszeigt».DerbritischeUnterhänd-
ler David Frost kam zu Gesprächen mit
EU-Experten nach Brüssel.Aus Sicht
der EU-Kommission sollen in den Ge-
sprächen die britischenVorschläge von
vorigerWochegenauererläutertwerden.
In der jetzigenForm erfüllten diese nach
Ansicht der EU nicht alle Ziele der ver-
einbartenKlauselfüreineoffeneGrenze
in Irland. Man werde aberkonstruktiv
mit Grossbritannien arbeiten.


Kurz erhält Auftrag
zur Regi erungsbildung

(dpa)·ÖsterreichskonservativerWahl-
sieger SebastianKurz hat von Bundes-
präsidentAlexanderVanderBellenoffi-
ziell denAuftrag zurRegierungsbildung
bekommen.Das Staatsoberhauptver-
band denAuftrag an denÖVP-Chef
und Ex-Kanzler mit demWunsch,dass
fürdiekünftigeRegierung«derUmgang
mit der drohenden Klimakatastrophe
ganz oben auf derAgenda» stehen solle.
Kurz erklärte, die grösste Herausforde-
rungeinerkünftigenRegierunginÖster-
reich sei einKonzept gegen den drohen-
den Wirtschaftsabschwung.Ausserdem
gelte es , die Steuerlast für die Bürger zu
senkenunddenKampfgegendieillegale
Migration fortzusetzen. Als vierten
Punkt nannte der 33-jährige Ex-Kanzler
den Klimawandel.Kurz will in denkom-
mendenTagenersteSondierungsgesprä-
che mit allen imParlament vertretenen
Parteien aufnehmen.Rechnerisch kann
Kurz mit den Grünen, der sozialdemo-
kratischen SPÖ oder derrechten FPÖ
ein Zweierbündnis schmieden.

Der Druck auf Frankreichs
Innenminister wächst

(dpa)·Wegen des mutmasslich islamis-
tisch motivierten Mordanschlags in der
Pariser PolizeipräfekturstehtFrankreichs
InnenministerChristopheCastanerunter
Rechtfertigungsdruck. Ihm wird vorge-
worfen,Anzeichen einerRadikalisierung
desMesserangreifersunterVerschlussge-
halten zu haben. Am Montag forderte
Castaner, solchen Anzeichen innerhalb
der Polizei künftig genauer nachzugehen.
AmDienstagmussderMinistervoreiner
Delegation desParlamentsRede und
Antwort stehen. Am Donnerstag steht
eine Erklärung vor demRechtsausschuss
des Senats an. Oppositionspolitiker for-
dern seinenRücktritt.

AUFGEFALLEN


Beschränkte Gnade beim


Thronwechsel in Japan


MartinKölling,Tokio·Thronbesteigungensindin Japan nicht
nur ein Anlass zumFeiern, sondern auch einer zumVerge-
ben. Massenamnestien sind dieRegel, wenn der Kaiser wech-
selt. Doch wenn Naruhito am 22. Oktober die notwendigen
Riten durchläuft, geizt dieRegierung mit Gnade. Zwar will
sie laut Medienberichten bis zu 600000Gesetzesbrechern die
Strafe erlassen. Aber diese Zahl verblasst vor den2,5 Millio-
nen Amnestierten bei der Inthronisierung imJahr 1989.Auch
die Hürde ist hoch. DieRegierung willkeine Gefängnisinsas-
sen freilassen; in Betrachtkommen nurPersonen, die wegen
geringfügigerVerstösse bei nationalen Prüfungen für diverse
Berufe ausgeschlossen oder denen die Bürgerrechte teilweise
aberkannt wurden. Selbst in diesenFällen müssen dieVer-
stösse mehr als dreiJahre zurückliegen.Normalerweise wer-
den dieRechte auf bis zu fünfJahre aberkannt.
Als Grund für denAusschluss schwererer Straftäternen-
nen Beamte, dass sie die Gefühle der Opfer würdigen wol-
len. Aber das ist nur oberflächlich so. Eigentlich geht es nur
um die Gefühle, von denen dieRegierung annimmt, dass die
Betroffenen sie hegen. So richtig fragt auch inJapan niemand
die Opfer nach ihrem wirklichen Befinden.Vielmehr unter-
streicht die eng begrenzte AmnestieJapans harte Haltung in
Fragen derJustiz, die nach derVerhaftung von Carlos Ghosn,
dem früheren Chef derRenault-Nissan-Allianz, international
für Verblüffung sorgte.
JapanischeJustizkritiker nennen ihrSystem nicht von unge-
fähr «Geiseljustiz».Verdächtigekönnen bis zu 23Tage in Haft
genommen werden, bevor Anklage erhoben werden muss.
Und in dieser Zeitkönnen die ErmittlerVerdächtige belie-
big oft und lange ohne Beisein vonVerteidigern verhören, um
möglichst ein Geständnis zu erzielen.Unter diesem Druck ge-
stehen oft auch Unschuldige selbst schwereVerbrechen.In der
Haft wird den Menschen dann nicht nur dieFreiheit, sondern
auch ihr freierWille genommen. So wird sogar vorgeschrie-
ben, wann die Häftlinge sprechen oder sich hinlegen dürfen.
An diesemSystem soll auch ein Kaiserwechsel nicht rütteln.

Niederlage Trumps im Streit
um Steuerer klärungen
(dpa)·Im Konflikt um die Herausgabe
seiner Steuererklärungen hat der ameri-
kanische Präsident DonaldTrump eine
juristische Niederlageerli tten. Bundes-
richterVictor Marrero wies in einer Ent-
scheidung vom Montag in NewYork das
Argument vonTrumpsAnwälten zurück,
dass gegen einen amtierenden Präsiden-
ten keine strafrechtlichen Ermittlungen
erlaubt seien.Damit wurde der Staats-
anwaltschaft derWeg geebnet, die per-
sönlichen SteuererklärungenTrumps
und die seinesKonzerns aus den vergan-
genen achtJahren unter Strafandrohung
anzufordern. Die «NewYorkTimes» und
der Sender CNN berichteten,Trumps
Anwälte wollten Einspruch gegen die
richterliche Entscheidung einlegen.Mar-
rero nannte dieArgumente derAnwälte
«eine aussergewöhnliche Behauptung».
Die von ihnen insFeld geführte Immu-
nität würde bedeuten, dass der Präsident,
aber inAbleitung davon auchVerwandte
und Geschäftspartner de facto über dem
Gesetzstünden.Das widerspreche den
Regierungsstrukturen und denVerfas-
sungswerten der USA.Ein Staatsanwalt
in Manhattan hatte die Steuererklärun-
gen vonTrumps Buchhalterfirma im
Rahmen einer Untersuchung über an-
gebliche Schweigegeldzahlungen an
zweiFrauen angefordert.

Erneut schwerer Anschlag
in Afghanistan
(dpa)·Bei einemAnschlag in der afgha-
nischen Stadt Dschalalabad sind min-
destens zehn Menschen getötet wor-
den, darunter ein Kind. Mindestens 27
Me nschen seien verletzt worden,berich-
tete der Sprecher des Gouverneurs der
Provinz Nangarhar. Die Bombe explo-
dierte am Montagnachmittag neben
einem Bus, in dem Soldaten sassen. Zu
dem Anschlag hatte sich zunächst nie-
mand bekannt. Sowohl die islamistisch-
militanten Taliban als auch dieTerror-
miliz Islamischer Staat (IS) sind in der
ostafghanischen Provinz aktiv. Der dies-
jährige7. Oktober war der18.Jahrestag
der US-geführten InterventioninAfgha-
nistan. 2001 hatten die USA ihren Mili-
täreinsatz gegen dieTaliban begonnen.

Niederländische Koalition
verliert Mehrheit

(dpa)·Die Mitte-Rechts-Koalition in
den Niederlanden hat ihre Mehrheit im
Parlament endgültig verloren.Wybren
van Haga,Abgeordneter derrechtslibe-
ralen VVD, wird künftig als Unabhän-
giger in der Zweiten Kammer desPar-
laments bleiben.Das sagte er im nie-
derländischenFernsehen am Montag.
Auf dieRegierungsarbeit hat das laut
Beobachtern aber keinen grösseren
Einfluss: Schon bisher war dieRegie-
rung angewiesen auf Unterstützung aus
der Opposition. Die Koalition hat be-
reits seit demFrühjahrkeine Mehrheit
mehr in der Ersten Kammer desPar-
laments.Van Haga war zuvor aus der
Fraktion ausgeschlossen worden, weil
er sich nicht an Absprachen gehalten
hatte. Er werde aber sein Mandat nicht
an dieFraktion zurückgeben, sagte er
nun.Van Haga versicherte zugleich,
dass er weiterhin hinter demRegie-
rungsprogramm stehe und «im Prinzip
kein Risiko» für dasFortbestehen der
Koalition seinwerde.

NZZGESCHICHTETRIFFTLANDESMU SEUM


Washielt Gesellschaften zusammen? Undwaskönnenwir
darauslernen für unsere Ge genwart, diegeprägt istvon
Ideologien,Nationalismus undReligio n? EinAbend mit dem
ÄgyptologenJan Assmann, Träger desFriede nsprei sesdes
deutschen Buchhandelsund Autor von«Achsenzeit.Eine
Archäologieder Moderne».

Datum
Dienstag,5.November2019,18.30bis20.00Uhr

Ort
LandesmuseumZürich,
Museumsstrasse2,8001Zürich

Eintritt
AbonnentenpreisFr.15.-,NormalpreisFr.25.-,
StudentenpreisFr.12.-

Anmeldung
nzz.ch/live

JanAssmann:


Wahr ist, wasuns verbindet


Mode ration: LeaHaller,Redaktionsleiterin«NZZGeschichte»


Eine Veranstaltungvon

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