Die Zeit - 26.09.2019

(Nandana) #1

STREIT


»Eine Demokratie, in der nicht gestritten wird, ist keine.« HELMUT SCHMIDT


DIE ZEIT: Herr Baum, Herr Maaßen, le-
ben wir in einem freien und sicheren
Land?
Gerhart Baum: Ja, tun wir. Wir leben in
einer geglückten Demokratie, die sich mit
der Mehrheit an den Werten des Grund-
gesetzes orien tiert.
Hans-Georg Maaßen: Deutschland ist ein
sicheres und freies Land. Trotzdem habe
ich den Eindruck, dass es in den letzten
Jahren eine negative Entwicklung gegeben
hat. Etwa bei der Meinungsfreiheit. In
vielen Gesprächen höre ich, wir trauen uns
nicht mehr das zu sagen, was wir noch vor
einigen Jahren gesagt haben. Man werde
schnell stigmatisiert. Das erinnert viele
Menschen in den neuen Bundesländern
daran, wie es vor 30 Jahren war. Eine fatale
Entwicklung.
Baum: Das ist eine gepflegte Legende. Die
Meinungsfreiheit in Deutschland blüht
und gedeiht, auch durch das Internet.
ZEIT: Ist Herr Maaßen nicht ein Beispiel
dafür, dass es berufliche Konsequenzen ha-
ben kann, wenn man seine Meinung sagt?
Baum: Überhaupt nicht! Es ging bei seiner
Absetzung als Verfassungsschutzchef um
sein Amtsverständnis.
ZEIT: Herr Maaßen hatte eine andere
Meinung zu den Vorgängen in Chemnitz
als die Bundesregierung.
Baum: Aber was dort geschehen ist, ist
heftigst diskutiert worden in der ganzen
Republik. Niemand ist eingeschränkt,
seine Meinung zu äußern, zu drucken, zu
publizieren.
Maaßen: Das sehe ich anders. Eine Allens-
bach-Umfrage hat festgestellt, dass viele

Bürger sich nicht mehr trauen, ihre Mei-
nung frei zu äußern. Ich sage dazu: Um die
Meinungsfreiheit einzuschränken, braucht
es zwei: diejenigen, die sie einschränken
wollen, und diejenigen, die sich das gefal-
len lassen. Ich fordere die Menschen im-
mer auf, Mut zu haben, ihre Meinung zu
äußern. Man muss es aushalten, nicht im-
mer mit Applaus belohnt zu werden.
Baum: 27 Prozent der Sachsen haben AfD
gewählt. Sie waren nicht gehindert, eine
Meinung zu äußern. In der Wahl und im
heftigen Wahlkampf.
Maaßen: Geheime Wahlen sind etwas an-
deres als eine freie Meinungsäußerung am
Arbeitsplatz. Die Wahrnehmung vieler
Menschen ist, dass ich über Hansa Ros-
tock oder Union Berlin reden kann, mich
aber bei bestimmten Themen – wie Mi-
gration, innere Sicherheit oder Klimawan-
del – besser zurückhalte. Aus Sorge, mit
der Nazi-Keule geschlagen zu werden.
ZEIT: Macht es nicht einen Unterschied,
ob sich jemand als Privatmensch äußert
oder als Beamter? Von seinen Beamten
darf der Staat ja Loyalität verlangen.
Maaßen: Natürlich.
ZEIT: Was hätte also ein Bundeskanzler
Maaßen mit einem Verfassungsschutzchef
Maaßen getan, der ihn öffentlich kritisiert?
Maaßen: Ich war in bestimmten Punkten
nicht der Meinung der Kanzlerin. Aber
ich finde auch, es gehört sich nicht, als
Behördenchef darüber eine öffentliche
Dis kus sion zu führen. Die Bundeskanz-
lerin kann einen Behördenchef dann in
den einstweiligen Ruhestand versetzen,
das ist ihr gutes Recht.

ZEIT: Also hätten Sie sich in den Ruhe-
stand versetzt?
Maaßen: Nein, als Regierungschef wäre
ich mit mir als Verfassungsschutzpräsident
sehr zufrieden gewesen.
Baum: Mich interessiert, wie Sie als Ver-
fassungsschutzchef mit Rechtsextremis-
mus umgegangen sind. Weil Sie doch sa-
gen, dass Rechtsextremismus eine große
Gefahr für die innere Sicherheit ist. Ich
habe viel erlebt, aber so stark waren die
Kräfte, die sich an den Argumenten der
Nazis orien tie ren, noch nie, stark auch
durch ihre Verharmlosung als reine Pro-
testbewegung. Die wollen eine andere
Republik!
Maaßen: Absolut, ja. Deswegen habe ich
die Abteilung Rechtsextremismus beim
Verfassungsschutz erheblich aufgestockt.
Gegen Widerstand habe ich neue Stellen
eingeworben, in dreistelliger Höhe. Wir
haben rechtsextremistische und rechts-
terroristische Gruppen aufgeklärt. Ich
habe außerdem die Prüfung eingeleitet, ob
die AfD eine extremistische Organisation
ist. Mit Blick auf den »Flügel« und die
Jugendorganisation lautete das Ergebnis:
Beobachtungsobjekt.
Baum: Aber jetzt erwecken Sie den Ein-
druck, als wollten Sie die AfD am politi-
schen Spiel beteiligen, etwa indem Sie für
eine Minderheitsregierung in Sachsen ein-
getreten sind, die dann möglicherweise auf
Unterstützung der AfD angewiesen gewe-
sen wäre.
Maaßen: Ich habe immer wieder gesagt,
eine Koalition mit der AfD kommt nicht
infrage. Viele AfD-Positionen sind mit
christdemokratischer Politik nicht ver-
einbar.
ZEIT: Lassen Sie uns über die Sicherheit
im Land sprechen. Herr Maaßen, können
Sie beschreiben, was für Sie als Verfas-
sungsschützer das Jahr 2015 bedeutet hat?
Maaßen: Das war zunächst einmal das Jahr
der großen Terroranschläge. Im Januar in
Paris auf die Redaktion von Charlie Heb-
do, im November auf das Bataclan und das
Stade de France. Wir hatten einen hervor-
ragenden Austausch mit unseren interna-
tionalen Partnern. Wir hatten gefüllte
Datenbanken über mögliche Terrorkom-
mandos. Dann kamen im Oktober und
November jeden Tag zehn- bis fünfzehn-
tausend Asylsuchende über die Grenzen.
Über 70 Prozent hatten keine Pässe und
haben teilweise Fiktivpersonalien angege-
ben. Wenn man in seinen Datenbanken
Namen von Terroristen hat, und man
weiß nicht, ob diese Leute gerade einrei-
sen, dann kann man als Verfassungsschüt-
zer Schüttelfrost bekommen.
Baum: Warum schmälern Sie die Verdiens-
te unserer Sicherheitsbehörden? Es ist im
Großen und Ganzen gut gegangen. Einen
neuen Terrorismus gab es nicht. Deswegen
kann das alles doch kein Argument gegen
die humanitäre Entscheidung sein, Leute,
die bedroht sind, ins Land zu lassen! Na-
türlich gab es an den Grenzen einen Kon-
trollverlust. Aber der musste in Kauf ge-
nommen werden. Was hätten Sie denn
gemacht, um diese Menschen abzuweisen?
Das war doch gar nicht möglich!
Maaßen: Natürlich war das möglich. Wir
haben eine Drittstaatenregelung, auf-
grund derer diese Menschen gar nicht erst
nach Deutschland hätten einreisen dür-
fen. Wir hätten Außengrenzen haben
müssen, die funktionieren. Wir haben
Schengen und den Wegfall der Binnen-
grenzkontrollen nur deshalb, weil wir da-
von ausgegangen sind, dass wir funktio-
nierende Außengrenzen haben werden.
Aber die hatten wir nicht.
Baum: Sagen Sie das jemandem, der aus
dem zerstörten Aleppo kommt! Ich kom-
me aus dem zerstörten Dresden, habe dort
die Bombennacht überlebt, war selber
Flüchtling. Ich kann nachempfinden,
wenn Menschen aus bitterer Not flüchten.
ZEIT: Syrer haben sich in der Regel ja auch

ausgewiesen. Nicht ausgewiesen haben
sich die, die wenig Aussicht auf Asyl hat-
ten.
Baum: Dass das System ausgenutzt wird,
ist mir auch klar. Wir können nicht jeden
aufnehmen. Aber die Regelung, dass die
Leute im Einreisestaat bleiben müssen –
etwa Griechenland! –, die ist doch obsolet.
Im Grunde bleibt die Frage: Ist diese hu-
manitäre Geste, die Deutschland zeigt, das
Risiko wert – oder nicht?
Maaßen: Natürlich muss den Menschen
Schutz gewährt werden. Die Frage ist, ob
sie Schutz in Deutschland bekommen
müssen. Da kann man nicht einfach sagen,
bestimmte Gesetze sind obsolet. Ich er-
warte, dass der Rechtsstaat Gesetze auch
dann anwendet, wenn es schwierig wird.
ZEIT: Herr Baum hat ein übergesetzliches
Argument gebracht: Die humanitäre Ges-
te sei das Risiko wert.
Maaßen: Ich halte es für ausgesprochen
wichtig, dass Deutschland im Flüchtlings-
recht ein humanitärer Staat ist. Aber ich
bin dagegen, dass die Humanität über
dem Recht steht. Dann müssen wir das
Recht anpassen.
Baum: Das ist nicht notwendig. Die Frage
ist, ob wir in einer solchen Situation das
Risiko eingehen. Und ich sage: Das Risiko
war tragbar.
Maaßen: Wir hatten viel Glück.
ZEIT: Herr Baum, würden Sie auch den
Angehörigen der Opfer des Anschlags auf
den Weihnachtsmarkt vom Breitscheid-
platz ins Gesicht sagen, dass die humani-
täre Geste von 2015 das Risiko wert war?

Baum: Der Attentäter war schon vor dem
September 2015 im Lande. Ich würde den
Angehörigen mit tiefer Zerknirschung
und Demut sagen, wir hätten das Attentat
verhindern können, wenn – was rechtlich
möglich und notwendig gewesen wäre –
der Täter rechtzeitig festgenommen wor-
den wäre. Was ich grundsätzlich sagen
möchte: Wir haben immer wieder Auf-
wallungen von Sicherheitswahn, der die
Freiheiten der Bürger beeinträchtigt. An
Freiheit und Menschenwürde muss sich
alles staatliche Handeln orien tie ren.
Maaßen: Da stimme ich Ihnen zu. Sicher-
heit hat keinen Selbstzweck ...
Baum: Es gibt kein Grundrecht auf innere
Sicherheit.
Maaßen: ... ja. Aber Sicherheit ist die
Grundvoraussetzung, um Freiheit zu reali-
sieren. Was nutzt mir Freizügigkeit, was
nutzt mir das Recht auf körperliche Unver-
sehrtheit, wenn ich aufgrund einer Vielzahl
von Straftaten die begründete Angst habe,
Opfer eines Verbrechens zu werden, sobald
ich die Straße betrete? Deswegen brauchen
wir ein Maß an Sicherheit, das den Men-
schen ein Maximum an Freiheit garantiert.
Baum: Sie werden nicht niedergemacht,
wenn Sie auf die Straße treten! Mit solchen
Argumenten wird die gefühlte Kriminali-
tät genährt. Ich werde zornig, wenn ich
sehe, dass Politiker diese Angst instrumen-
talisieren und schüren. Der hinterhältigste
Dämon in einer freien Gesellschaft ist die
Angst. Weil Angst das Wahrnehmungs-
spektrum verengt und zu Hass führt. Und
dieser Hass führt zu Gewalt.

Leben wir frei und sicher?


»Sagen Sie das mal


jemandem aus Aleppo!«


Wie human darf der Staat sein? Und war die Flüchtlingsaufnahme von 2015 das Risiko für die innere Sicherheit wert?


Ein Streitgespräch zwischen dem Ex-Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen und dem Altliberalen Gerhart Baum


»Man kann nicht einfach


sagen, Gesetze sind obsolet«


10 26. SEPTEMBER 2019 DIE ZEIT No 40

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