Die Zeit - 26.09.2019

(Nandana) #1

Am Ende einer langen Nacht im Bassiani, dem berühmten


Technoclub von Tbilissi, geht Nia Gvatua einen dunklen
Gang entlang, dann eine Treppe hoch, plötzlich wird es


heller. »Von dort oben«, sagt sie und deutet auf ein Tor mit
einem schweren Metallgitter, »hat man einen überraschen­


den Ausblick.«
Nia Gvatua, 28, ist die Gründerin der Success Bar, der ers­


ten Schwulenbar in ihrem Heimatland, und sie ist auch die
Innenarchitektin des Bassiani, einer Art Berghain Ost euro­


pas, nach dem berühmten Vorbild aus Berlin. Die letzten
Stunden hat sie auf der Tanzfläche verbracht, gemeinsam


mit dem Fotografen Patrick Bienert aus München, den sie
seit ein paar Jahren kennt. Patrick Bienert kam zum ers­


ten Mal 2013 nach Georgien, er machte Urlaub mit seiner
Freundin, seitdem hat ihn das Land nicht mehr losgelassen.


Er reist mehrmals im Jahr nach Tbilissi, und irgendwann
hat er angefangen zu fotografieren.


Am Anfang des Abends hatte Nia Gvatua erklärt, dass der
Club zwei Tanzflächen hat, in der großen Halle werde här­


terer Techno gespielt, auf der kleineren Fläche, einer Art
Club im Club, weichere elektronische Musik. An diesem


Freitagabend Mitte Juli ist kein Unterschied zu hören, der
Sound ist auf beiden Tanzflächen gleichermaßen hart –


und das Publikum feiert dazu.
Das Bassiani liegt unter einem Fußballstadion. Als ich da­


von zum ersten Mal hörte, hatte ich mir ein altes, in die
Jahre gekommenes Gebäude vorgestellt, in dem früher ein­


mal Fußball gespielt wurde und das jetzt in einen Club ver­
wandelt wurde. Das Bassiani aber liegt in den Katakomben


des Spitzenfußballclubs der Stadt, Dinamo Tbilissi, der
hier an den Wochenenden seine Spiele austrägt. Die große


Tanzfläche ist ein ehemaliges Schwimmbecken mit olym­
pischen Ausmaßen.


Nach den Stunden in der Dunkelheit des Clubs geht Nia
Gvatua jetzt auf das Tor mit den Metallstäben zu, und sie


hat recht: Der Ausblick ist überraschend. Durch das Git­
ter hindurch ist der Fußballplatz zu sehen, wenige Meter


entfernt, ein frisch gemähter grüner Rasen, umgeben von
leeren Zuschauerrängen. Nia Gvatua zündet sich eine Zi­


garette an und streckt sie durch das Gitter – »draußen« zu
rauchen ist erlaubt.


Sie macht es wie die meisten ihrer Generation in Tbilissi:
Sie macht das Beste aus ihrer Situation, in einem Land, das


einerseits in den Westen strebt und andererseits bedroht
wird durch Putins Russland. Die Jungen hier sind frei, aber


doch nicht ganz. Wie leben sie in diesem Land, das sich
einerseits öffnet und doch noch immer von den Vorstellun­


gen der orthodoxen Kirche dominiert wird?
Seitdem Nia Gvatua vor zwei Jahren ihre Bar eröffnet hat,


wird diese immer wieder überfallen, selbst die Security­
Leute vor Ort wurden attackiert und beschimpft, sagt sie.


Auch sie persönlich wurde auf der Straße angefeindet. Die
Success Bar hat zwei kleine Räume, sie ist bislang der ein­


zige öffentliche Ort in Georgien, an dem sich Schwule und
Lesben treffen können.


Verbringt man ein paar Tage in Tbilissi, besucht Bars und
Cafés, große und kleine Clubs, wird man an die Stimmung
erinnert, die das Nachtleben in Berlin nach dem Fall der
Mauer ausgemacht hat, als die Jugend den Ostteil der Stadt
als ihre Spielwiese entdeckte, in leere Häuser einzog und
illegale Clubs eröffnete. Wobei man diesen Vergleich et­
was einschränken muss. Das Nachtleben von Tbilissi fühlt
sich an, wie sich das Nachtleben im Osten Berlins in den
Neunzigern vielleicht angefühlt hätte, wenn die russischen
Truppen damals nicht ganz verschwunden wären, sondern,
sagen wir, immer noch in Mecklenburg­Vorpommern sta­
tioniert gewesen wären. Und es jederzeit vorstellbar gewe­
sen wäre, dass sie nach Berlin zurückkehren könnten.
Zwei Tage nach der Nacht im Bassiani sitzen Nia Gvatua,
Patrick Bienert und ich in einem Taxi, das uns aus der
Stadt hinausbringt, hoch in die Berge, auf lang gezogenen
Serpentinen. Dort wohnt Nutsa Kukhianidze, 36, die be­
kannteste georgische Schauspielerin ihrer Generation. Sie
wurde als Jugendliche fürs Kino entdeckt, lebte später eini­
ge Jahre in Hollywood, drehte Filme mit Nick Nolte und

Ralph Fiennes. Eine neue internationale Produktion mit
ihr soll später im Jahr in die europäischen Kinos kommen.
Seit einigen Jahren ist sie zurück in Tbilissi, zwei Kinder
hat sie mittlerweile, die sie mit ihrem Partner, dem DJ und
Musikproduzenten Bacho Chaladze, erzieht.
Je höher wir auf dem Weg zu Nutsa Kukhianidze kom­
men, desto kleiner wirkt unten im Tal Tbilissi, die Haupt­
stadt eines Landes mit einer komplizierten Geschichte.
Unzählige Male ist Tbilissi überfallen und verwüstet wor­
den. Heute leben etwas über eine Million Menschen in der
Stadt, die gesamte Bevölkerung Georgiens ist nicht größer
als 3,7 Millionen Menschen. Georgien, das gemeinsame
Grenzen mit Armenien, Aser bai dschan, Russland und der
Türkei hat, wurde nach dem Zusammenbruch der Sow­
jet union 1991 unabhängig. Es begannen Jahre der Ge­
setzlosigkeit, Mafiagruppen kontrollierten die Wirtschaft,
einige Unternehmer wurden extrem reich, sie sind die In­
vestoren von heute.
Kurz bevor wir das Haus der Schauspielerin Nutsa Kukhia­
nidze erreichen, das am Ende einer kleinen Siedlung liegt,
ist plötzlich der Kaukasus zu sehen, das 1100 Kilometer
lange Hochgebirge. Zu Zeiten der Sow jet union wurde

Von CHRISTOPH AMEND Fotos PATRICK BIENERT


»Die Menschen


haben immer noch Angst,


dass Putin eines Tages


seine Truppen


nach Tbilissi schickt«


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