Die Zeit - 26.09.2019

(Nandana) #1

Georgien das »Italien des Ostens« genannt, was an seinem


milden Klima liegt – und an seiner Küche, in der es auch
Nudeln und eine Art Pizza gibt. Und natürlich am geor-


gischen Wein. Die Tradition des Landes geht weit zurück,
mehr als 7000 Jahre, daher sagen viele Georgier bis heute,


der Weinanbau sei hier erfunden worden.
Nutsa Kukhianidze und ihr Mann Bacho Chaladze emp-


fangen uns auf der Terrasse des Hauses mit Brot, dem
berühmten georgischen Käse Sulguni und georgischem


Rotwein. Sie kommt schnell auf die politische Lage zu
sprechen, ihr Mann zieht sich zurück in den ersten Stock


des Hauses. »Die Menschen haben immer noch Angst, dass
Putin eines Tages seine Truppen nach Tbilissi schickt«, er-


zählt sie. »Wir wissen alle, dass seine Panzer nicht weit ent-
fernt stehen.« Während der letzten Invasion der russischen


Armee vor einem Jahrzehnt, sagt Nutsa Kukhianidze, »ha-
ben alle gedacht, dass sie bis nach Tbilissi kommen wer-


den«. Ihre gesamte Familie, Cousinen, Onkel, Tanten und
deren Kinder, sei zu ihr hoch in das Haus geflohen, sagt sie


und lacht über die Absurdität der Situation. »Seitdem wis-
sen wir, dass hier über 30 Menschen übernachten können,


wenn es darauf ankommt. Wir haben einfach nur gehofft,
dass wir hier oben etwas sicherer sein würden.« Am Ende


blieben die Panzer 60 Kilometer vor der Stadt stehen.
Die derzeitige georgische Regierung hat demokratische


Wahlen gewonnen, auch wenn die Opposition von Wahl-
betrug und Bestechung der Bevölkerung auf dem Land ge-


sprochen hat. Viele Georgier wie Nutsa Kukhianidze und
Nia Gvatua sagen, dass die Regierung zu sehr die Nähe zu


Putin suche. Bei den Wahlen im kommenden Jahr werde
sich zeigen, sagt Nutsa Kukhianidze, »ob wir wieder selbst-


ständiger werden«. Wer auch immer die Wahlen gewinnt:
Weil Wladimir Putin mit allen Mitteln verhindern will,


dass Georgien eines Tages Mitglied der Nato wird, was sich
ein Teil der Bevölkerung wünscht, wird das Land auf ab-


sehbare Zeit in Russlands Schatten bleiben.
Auf der anderen Seite sind überall in der Stadt Zeichen zu


erkennen, die zeigen, dass Tbilissi immer internationaler
wird. Neue Hotels wie das Rooms und das Stamba haben


exzellente Restaurants, im Stamba produzieren sie sogar ihre
eigene Schokolade und haben eine zweite, japanische Küche.


An einem Abend in der Drama Bar, einem Club mitten
in der Stadt, besteht das Publikum aus einheimischen und


internationalen Gästen, wie etwa einer Gruppe von Ame-
rikanern aus der Start-up-Szene, die den Sommer in Berlin


verbringen und für ein Wochenende nach Tbilissi gekom-
men sind, um hier zu feiern. Auf dem Balkon des Clubs


erzählt ein junger georgischer Künstler, er sei gerade an
der Düsseldorfer Kunstakademie angenommen worden.


Dann zeigt er eine Narbe auf seinem Rücken, die Kugel
eines Polizisten habe ihn gestreift, auf einer der Demons-


trationen der vergangenen Monate. Panzer vor der Stadt,
Kugeln im Rücken: Es sind solche Momente, die einen


immer wieder daran erinnern, unter welchen Spannungen
die Jugend von Tbilissi aufwächst.


Im Café des Room-Hotels sind wir nachmittags mit Lika
Rigvava verabredet. Sie ist 22 Jahre alt und arbeitet als
Model für internationale Modehäuser wie Gucci und Jil
Sander, sie läuft auf Modenschauen in Paris und Mailand.
Und für Vete ments, die Marke von Demna Gvasalia. »Ich
bin eigentlich nie nervös, wenn ich Designer treffe«, sagt
sie, »aber bei Demna war ich aufgeregt, ich bin so stolz
auf ihn.« Gvasalia, heute 38 und neben der Leitung seiner
eigenen Firma auch als Chefdesigner bei der französischen
Marke Balenciaga unter Vertrag, ist in Abchasien aufge-
wachsen. Seine Familie floh vor den Separatisten während
eines früheren Krieges 1993 nach Deutschland. Er lebt
heute in Zürich.
»Ich wollte eigentlich Journalistin werden«, sagt Lika Rig-
vava, »aber die georgischen Medien berichten so einseitig,
sie verfälschen die Wahrheit, sie sind einfach nicht un-
abhängig.« Lika Rigvava kommt wie Demna Gvasalia aus
Abchasien, das am Schwarzen Meer liegt und sich 1993
für unabhängig von Georgien erklärte. Nach dem Kauka-
suskrieg 2008 wurde es von Russland als eigenständiges

Land anerkannt, völkerrechtlich gehört es aber weiterhin
zu Georgien.
Als der Kaukasuskrieg damals ausbrach, erzählt sie, lebte sie
bei ihrer Urgroßmutter in Abchasien, ihre Mutter arbeitete
in Moskau, ihren Vater hat sie zuletzt gesehen, als sie drei
Jahre alt war. »Er ist ein Krimineller geworden, Drogen,
Gefängnis, wir haben keinen Kontakt zu ihm.«
Eines Abends habe sie im Bett gelegen, am anderen Ende
des Raums saß ihre Urgroßmutter. »Plötzlich klirrte eine
Fensterscheibe, und ich sah zwei Gewehrläufe, draußen
waren Männer. Sie konnten nicht ins Haus, weil die Fens-
ter mit Metallgittern geschützt waren. Meine Urgroßmut-
ter schrie sie an, ›Haut ab, haut ab!‹.« Lika Rigvava lächelt
für einen kurzen Moment. »Meine Urgroßmutter war wie
ein Mann.« Die Einbrecher schossen auf die Frau, ver-
fehlten aber ihr Ziel und verschwanden. Am nächsten Tag
wurde Lika Rigvava zu Verwandten außerhalb Abchasiens
gebracht. »Zehn Tage später haben sie meine Urgroßmut-
ter tot in ihrem Haus gefunden, die Männer waren zurück-
gekommen und haben sie erschossen. Die Beerdigung war
das letzte Mal, dass ich in Abchasien war.« Sie macht eine
kurze Pause. »Wenn wir heute hier in diesem Café sitzen,

Lika Rigvava hat mit 19 ein


Kind bekommen, ihr Mann


ist DJ. Der Club Bassiani,


sagt sie, habe die Stimmung


in der Stadt verändert


33

Free download pdf