Die Zeit - 26.09.2019

(Nandana) #1
Marken und Ambiente: Ein Penny-Discounter in Berlin

Geiz wird ungeil


Mit niedrigen Preisen und wenig Schnickschnack wurden die Discounter erfolgreich. Jetzt ändern sie ihre Strategie VON MARCEL LASKUS


D


ie Gegend am U-Bahnhof Kö-
nigsplatz in München ist ein
guter Ort, um dem Zeitgeist
nachzuspüren. An der Tech-
nischen Universität oder in der
Pinakothek der Moderne etwa.
Doch wer wissen will, was die
Deutschen wirtschaftlich bewegt, der muss zu Do-
senmais und H-Milch. In die neue Filiale von Penny.
Stefan Magel, der für das Tagesgeschäft verantwort-
liche Manager des Discounters, betritt die Filiale mit
Oxford-Schuhen und Jackett – einem Outfit, mit dem
er ganz gut zur Kundschaft passt. Hinter ihm schließt
sich die Schiebetür. Draußen ist zu sehen, wie eine
Gruppe mittelalter Männer am U-Bahn-Eingang
steht. In den Händen halten sie Wodkaflaschen. »Die
Truppe da draußen«, sagt Magel und schaut erst auf
die Männer und dann auf seinen Filialleiter, »ob die
hier auch einkaufen gehen?« Beide müssen lachen.
Draußen also ist alles beim Alten, das Klischee über
die Discounter-Kundschaft erfüllt sich in der Realität.
Im Innern der schicken Filiale sieht es anders aus. Vor-


wiegend jüngere Menschen in Slim-Fit-Anzügen
tragen Körbe durch die Gänge. An den Decken leuch-
tet warmes Licht. Es gibt eine Salatbar. Und es gibt so
wenige billige Eigenmarken, etwa im Süßwarenregal,
dass selbst Penny-Chef Magel zwischen Haribo, Milka
und Ritter Sport suchen muss, um eine zu erspähen.
Ist das eigentlich noch ein richtiger Discounter?
Oder deutet sich hier sein Ende an? Magel sagt: »Die-
se neue Filiale in München ist ein Experiment.«
Deutschlandweit hat Penny in den vergangenen fünf
Jahren 400 Filialen geschlossen. Stattdessen entstehen
neue Märkte in zum Teil bester Lage, die den teureren
Supermärkten wie etwa von Edeka erstaunlich ähneln.
Ausgerechnet in Deutschland, dem Land der güns-
tigsten Lebensmittel in Europa und dem Land des
Schöpfers von »Geiz ist geil«, ist billig nicht mehr cool.
Nach der Finanzkrise wuchs das Volkseinkommen
neun Jahre am Stück. Die Deutschen, sie können und
wollen sich wieder mehr leisten.
Ob und wann es bei Penny weitere Experimente
wie am Königsplatz geben soll, könne Magel nicht
sagen. Doch ohne Hintergedanken macht auch Penny,

ein Teil der Rewe-Gruppe mit 2100 Filialen, nichts in
exklusiver Münchner Lage. Man kann den Bau des
Design-Pennys wahlweise als nervöses Zucken der
Branche verstehen oder als notwendigen Wandel. Aber
wie man es auch lesen mag: Die Discounter wirken
derzeit ähnlich planlos wie jemand, der seinen Ein-
kaufszettel zu Hause liegen gelassen hat.
Natürlich, noch immer verfügen die großen Billig-
Lebensmittelhändler über ein gigantisches Filialnetz.
Noch immer entstehen zwischen Ostsee und Isar neue
Stahlbetonbauten beinahe über Nacht. Doch im ersten
Halbjahr ist der Umsatz bei den Discountern mit
einem Anstieg von nur 0,1 Prozent beinahe ins Minus
gekippt; 2018 machte Aldi Nord in Deutschland nach
zwei Jahrzehnten voller Gewinne tatsächlich Verlust.
Die Vollsortimenter, wie man Rewe und Edeka auf-
grund ihrer deutlich größeren Produktauswahl be-
zeichnet, ziehen davon. Sie erwirtschaften Umsatz-
zuwächse von gut zwei Prozent; im letzten Jahr waren
es sogar vier Prozent. Der damalige Chef der Rewe-
Gruppe, Alain Caparros, sagte 2016 in einem Inter-
view: »In fünf Jahren wird es keinen reinen Discoun-

ter mehr geben.« Penny-Chef Magel erzählt, er sei,
als er das gelesen habe, zu Caparros, seinem Chef,
gegangen. Warum er ihn dann überhaupt eingestellt
hat, habe er ihn im Scherz gefragt.
Caparros wartete keine fünf Jahre ab. 2017
wechselte er von Rewe zu C&A. Magel ist noch
immer bei Penny. Und hat viel zu tun. Früher, da
grenzte sich der Discounter klar ab. Niedrige Preise
waren das Argument, das genügte; der Rest: zweit-
rangig. Nun holen Aldi, Penny und Lidl nach, was
sie jahrelang versäumt haben: Bargeld abheben.
Bio-Produkte. Filialen, die nicht nur funktional,
sondern auch nett aussehen. Der »Hart-Discoun-
ter«, erzählen Handelsexperten, werde weich. In der
letzten Woche gab Aldi bekannt, sogar seine älteste
Filiale in Essen zu schließen: Sie sei zu klein für das
stark gewachsene Sortiment.
Die Kosten steigen. Aldi Nord saniert seit zwei
Jahren all seine 2300 Märkte für insgesamt 5,3
Milliarden Euro; Penny und Lidl machen es ähn-
lich. Das alte Image, dass man hier Dosenerbsen
von der Palette kaufen kann, muss weg. Wer zum
Discounter geht, der will und bekommt heute nicht
nur eine einzige Sorte Mozzarella. Er bekommt
genauso den Bio-Mozzarella, den Büffelmozzarella
und den laktosefreien natürlich auch.
Die Discounter am Puls der Zeit, das klingt
eigentlich gut. Wäre da nicht diese Lücke.
Sichtbar wird diese Lücke zum Beispiel 430 Ki -
lometer nördlich vom Münchner Königsplatz. Dort,
im Osten Leipzigs, haben die Menschen eine im
Schnitt 10.000 Euro geringere Kaufkraft im Jahr –
billige Lebensmittel sind für viele existenziell.
Zehn Minuten vor Ladenöffnung warten an
einem Freitagvormittag zwei Frauen, die eine 65,
die andere 70, am Eingang des neuen Discounters
aus Russland, der Mere heißt und noch billiger ist
als Aldi. Ausgerechnet Aldi war auch der Vormieter
dieser Filiale in Leipzig-Taucha. »Eine Freundin hat
mir erzählt, dass die eingelegte Paprika hier sehr
günstig ist«, erzählt die eine Frau. Genau wie ihre
Begleiterin will sie nicht mit Namen in der Zeitung
stehen. Da ist sie noch, die alte Discounter-Scham.
Eine Viertelstunde später ist der Laden voll, kurz
darauf sind es auch die Einkaufswagen.
Die Milch kostet bei Mere acht Cent weniger
als die ohnehin schon günstige Milch von Lidl und
Aldi. Sechs Einweggläser mit eingelegter Paprika
liegen nun im Wagen der 65-Jährigen, daneben
Schokolade, Wurst und Bohnen. Der Wagen rollt
vorbei am Sauerkraut. In der Büchse mit zehn Kilo-
gramm kostet es nur 4,87 Euro.

Hundert Filialen wollte der russische
Discounter Mere in Deutschland eröffnen

Anders als in der Penny-Filiale in München gibt es
bei Mere nur schlichte Euro-Paletten, auf denen
die Ware gestapelt wird. Von der Decke leuchtet
fahles Licht. Aber sogar hier, unter den sogenannten
Muss-Sparern, ist der Wunsch nach einer gewissen
Qualität zu hören.
Im Frühjahr startete Mere unter großer Auf-
merksamkeit. Sogar Penny-Chef Magel setzte sich
ins Auto und fuhr nach Leipzig, um zu schauen, ob
man in letzter Zeit nicht doch das untere Ende der
Kaufkraft vernachlässigt hat. Doch mittlerweile, ein
halbes Jahr später, gibt es statt der versprochenen
100 Mere-Filialen im Moment neben der Filiale in
Leipzig noch exakt eine andere – in Zwickau. Nach-
fragen der ZEIT zur Strategie lässt die Kette unbe-
antwortet. Es sieht so aus, als sei auch das Mere-
Konzept nicht die Zukunft des Discounters. Wie
aber soll die Zukunft dann aussehen?
»Der Discounter ist in einem Umbruch«, sagt
Robert Kecskes vom Marktforschungsinstitut GfK.
Der Preis sei wichtig, die Kunden achteten aber
auch auf Themen wie Nachhaltigkeit. Lange sei die
Aufteilung klar gewesen: Der Vollsortiment-Super-
markt sei ein »Raum für Möglichkeiten« gewesen,

in dem Funktionalität und Einkaufserlebnis zu-
sammenkommen. Der Discounter werde dagegen
als ein »Raum der Notwendigkeit« wahrgenommen,
in dem es um Funktionalität und Effizienz geht.
Doch das ändere sich.
Zugleich spiegelt die Entwicklung im Lebens-
mittelhandel den Zeitgeist: Gerade in den Städten
versorgt man sich lieber spontan mit kleinen Ein-
käufen im Laden um die Ecke, als mit dem Auto
den Wochenendeinkauf bei Real oder Kaufland zu
erledigen. Große Vorräte anzulegen ist out für alle,
die nicht gerade eine Familie zu versorgen haben.
Doch zu jedem Trend gehören eben auch Men-
schen, an denen der Trend vorbeigeht. Im März gab
es eine wohl in der Geschichte von Berlin-Kreuz-
berg einmalige Demonstration. Anwohner stellten
sich gegen die Schließung der Aldi-Filiale in ihrer
Nachbarschaft, in der es immer mehr Bio-Märkte
und Edel-Boutiquen gibt – aus Angst, dass mit dem
Aldi eine der letzten günstigen Einkaufsmöglich-
keiten schwindet. Auch ein Mädchen war unter den
Demonstranten und hielt ein Schild hoch. »Oma
braucht Aldi«, stand darauf. Sie hätte mit dem
Plural genauso richtiggelegen. Keiner der großen
Lebensmittelhändler hat einen höheren Anteil an
Kunden, die älter sind als 60 Jahre.

Kommt die Krise, sparen viele Menschen
als Erstes bei den Lebensmitteln

Aus den Kommunikationsabteilungen der Dis-
counter klingt es so, als sei das Alte genau das, was
man bewahren will.
»Auch in Zukunft werden die Discount-Prinzi-
pien unsere Stärken bleiben«, heißt es bei Lidl.
»Wir sind Discounter, und das werden wir auch
bleiben«, heißt es bei Aldi Nord.
»Aldi Süd geht mit der Zeit, bleibt aber im-
mer Aldi Süd«, verkündet der Essener Schwester-
konzern.
Das Motto: Schöner sollten wir schon aussehen.
Aber nicht so schön, dass es teuer wirkt – und dass
irgendjemand es merkt.
Wohin es langfristig geht, dürfte sich an den
Zwitter-Konzernen zeigen, die – anders als Lidl und
Aldi – Discounter und Vollsortimenter in einer AG
vereinen. Zur Rewe Group gehört auch Penny, zur
Edeka-Gruppe gehört auch Netto. Auf die Frage,
warum man über die Design-Filiale von Penny am
Münchner Königsplatz nicht gleich »Rewe« ge-
schrieben hat, sagt Stefan Magel: »Diese Frage ha-
ben wir uns im Konzern auch gestellt. Es ist ein Test,
ob ein solches Format auch von Discount-Kunden
angenommen wird.« Schon jetzt arbeiten Penny
und Rewe eng zusammen. Werbe-Budgets, den
Einkauf und die Logistik fertigt man bereits ge-
meinsam ab. Zusammen werden die Kaufgewohn-
heiten mit dem Treue-System Payback analysiert.
Warum also nicht gleich verschmelzen? »Die Grö-
ße des Sortiments wird der Unterschied bleiben«,
sagt Magel und geht noch einmal fünf Jahre weiter
als sein ehemaliger Vorgesetzter. »Auch in zehn
Jahren wird es Discounter geben.«
Ob sie so aussehen wie heute, ist damit aber
nicht gesagt. Aldi Nord und Aldi Süd beginnen
bereits damit, Marken gemeinsam zu verkaufen.
Außerdem soll Aldi der Lebensmittelzeitung zu-
folge die Preise für Markenartikel bereits erhöht
haben – auch um noch mehr Spielraum für Rabatte
zu haben. Aldi selbst dementiert das.
Neue Hoffnung könnte den Discountern aus-
gerechnet die Konjunktur bringen. Schwächt die
sich andeutende Rezession auch die privaten Haus-
halte, dürfte das die Discounter stärken. Wer Angst
vor der Zukunft hat oder seinen Job verliert, spart
oft als Erstes beim Kauf von Lebensmitteln. »Ich
hoffe nicht auf die Krise«, sagt Penny-Chef Magel,
»aber wenn die Krise kommt, dann sind wir da.«

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Foto: Penny Markt GmbH

26 WIRTSCHAFT 26. SEPTEMBER 2019 DIE ZEIT No 40


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