Die Zeit - 26.09.2019

(Nandana) #1

MOBILITÄT VON MORGEN


Der Lilium Jet
aus Oberpfaffenhofen


Foto [M]: Lilium PR


Unter den Wolken


Die Entwicklung tief fliegender Flugtaxis kommt


auch in Deutschland rasch voran VON DIRK PEITZ


D


en Fortschritt soll uns das
Lufttaxi schenken. Elek-
trisch angetrieben, leise
fliegend. Kurzstrecke über
der Stadt, Mittelstrecke zwi-
schen Städten. Nicht über,
sondern unter den Wolken,
um den Flugzeugen nicht in die Quere zu kom-
men. Es soll überall starten und landen können.
In einer großen neuen Halle auf dem Flugplatz
Oberpfaffenhofen steht zum Beispiel der aktuelle
Prototyp des Lilium Jet. Er sieht aus, als sei er für
einen James-Bond-Film designt worden, weißer
Unterkörper, schwarze Glaskuppel darüber, aero-
dynamisch geformt wie ein überdimensionaler
Tropfen im Wind, nur mit Tragflächen dran.
Der Lilium Jet startet und landet senkrecht wie
ein Hubschrauber, im Horizontalflug aber liegt er
wie ein Flugzeug in der Luft. Fünf Sitze, 36 elek-
trisch angetriebene Mantelpropeller, geplante Reich-
weite 300 Kilometer, geplante Höchstgeschwindig-
keit 300 Stundenkilometer. Der Flugplatz sieht nach
alter Bundesrepublik aus: verwitterte Gebäude, ein
Container für die Personenkontrolle bei der Ein-
fahrt. Vor dem Verwaltungsgebäude ist ein Bushalte-
stellenschild, die wenigen Abfahrtszeiten des Pendel-
verkehrs müssen vor Jahrzehnten draufgedruckt
worden sein.
In der Lilium-Halle sagt der Pressesprecher, ein
näherer Blick auf den Prototypen sei nicht drin. Die
Firma sei jetzt im stealth mode. Keine Fotos, keine
Videos und bitte nicht anfassen. Die Konkurrenz
soll nicht mitkriegen, wie der Lilium Jet fortent-
wickelt wird.
Es gibt reichlich Konkurrenz. Weltweit hat die
Unternehmensberatung Roland Berger 75 Lufttaxi-
projekte gezählt, so stand es in einer Studie, die im
November 2018 veröffentlicht wurde. Auch stand
darin, dass im Jahr 2025 bereits 3000 Lufttaxis in
Betrieb sein könnten, im Jahr 2050 gar 100.000.
Die Flugzeughersteller Boeing, Airbus und Em-
braerX ebenso wie die Helikopterfirma Bell arbeiten
an Lufttaxi-Projekten oder sind an welchen beteiligt,
auch Volkswagen und Daimler, der Taxidienst Uber
und die Flugtaxifirma Kitty Hawk des Google-
Gründers Larry Page. Der chinesische Drohnenher-
steller Ehang hat bereits die ersten Exemplare seines
drohnenartigen Lufttaxis ausgeliefert.


Besonders eifrig werden Flugtaxis in
Deutschland und in den USA entwickelt


Das deutsche Start-up Volocopter hat sein gleich-
namiges, hubschrauberähnliches Fluggerät vor
Kurzem erstmals in Europa in die Luft geschickt,
vor Publikum in Stuttgart. Der Ministerpräsident
von Baden-Württemberg, wo Volocopter seinen
Sitz hat, guckte dabei zu und der Daimler-Chef
auch. Alexander Zosel, Mitgründer von Volocop-
ter, stellt sich die Zukunft so vor, dass über den
Megacitys der Welt bis zu 1000 solcher 18-rotori-
gen Lufttaxis fliegen. Gleichzeitig.
Deutschland ist neben den USA das Land, in
dem am eifrigsten Lufttaxis entwickelt werden. Das
geschieht in Kleinstädten in Randlagen: Volocopter
sitzt in Bruchsal, der CityAirbus wird in Donau-
wörth entwickelt, Lilium in Oberpfaffenhofen.
Die vier Lilium-Gründer sind Anfang 30, sie
haben alle mal an der TU München studiert. Die
Ursprungsidee stammt von Daniel Wiegand, und
das nötige Know-how in Mechatronik, Elektronik
und Robotik brachte der damalige Doktorand Mat-
thias Meiner mit. Sebastian Born und Patrick Na-
then heißen die anderen Partner. 2015 gründeten
sie ihre Firma.
Inzwischen hat das Unternehmen nach eigenen
Angaben mehr als 100 Millionen US-Dollar Wag-
niskapital eingesammelt. Als das erste Geld ankam,
erzählt Meiner, wurde ihm klar: Das ist jetzt kein
Studentenprojekt mehr. Meiner trägt trotzdem
Chinos, ein T-Shirt und einen Fünftagebart, wie ein
Student. Das Produktversprechen des Lilium Jet,
sagt Meiner, sei ein Fluggerät, »das so einsatzfähig
und flexibel ist wie ein Auto«. Und: »Mit einem
Lufttaxi spart man im Vergleich zu anderen Trans-
portmitteln Zeit, und im Vergleich zu anderen
fliegenden Fortbewegungsmitteln wie dem Helikop-
ter spart man Geld.«


Der Lilium Jet unterscheidet sich von fast al-
len anderen geplanten Lufttaxis, weil er eine we-
sentlich größere Reichweite haben soll. Der Volo-
copter zum Beispiel soll nur 30 Kilometer mit
einer Akkuladung fliegen können. Der Lilium Jet
hingegen soll die zehnfache Strecke schaffen. Das
würde zum Beispiel von einem Dach in München
bis zu einem Dach in Zürich reichen, also das
Fliegen im Flugzeug ersetzen oder auch eine
Bahnfahrt. Im Jahr 2025 soll der kommerzielle
Einsatz beginnen, anfangs auf festgelegten Stre-
cken in einem kurzen Takt. Davon, dass man ein
Lufttaxi wie ein Autotaxi bestellen könnte, ist
noch längst nicht die Rede.
Zunächst soll ein Mensch noch den Lilium Jet
steuern, doch das Ziel aller Lufttaxi-Konzepte ist
das autonome Fliegen. Das hat mit der Wirtschaft-
lichkeit zu tun. Man verdient mehr Geld, wenn auf
allen Plätzen Passagiere sitzen. Lilium wie Volocop-
ter wollen ihre Lufttaxis nicht an Endkunden ver-
kaufen, sie wollen daraus eine eigene Flotte auf-
bauen und diese selbst betreiben.
Bei Lilium ist Meiner für das autonome Flie-
gen zuständig. Da gebe es noch einige Heraus-
forderungen zu bewältigen, sagt er: Die Leute
müssten autonom fliegende Lufttaxis erst noch
akzeptieren. Werden sie sich trauen einzusteigen?
Meiner hofft aber, dass die Idee des autonomen
Fliegens besser zu verkaufen sei, wenn erst viele
autonome Autos auf den Straßen fahren. Tat-
sächlich werden ja heute schon über weite Stre-
cken Verkehrsflugzeuge nicht von deren Piloten
gesteuert, das übernimmt die längste Zeit der
Computer. Allerdings sitzt da ein Mensch im
Cockpit und kann eingreifen, wenn es sein muss.
»In einer perfekten Welt wird es künftig ein
automatisiertes Air-Traffic-Management geben«,
sagt Meiner, »das dem Fluggerät sagt, wo es hin-
fliegen soll. Und das Einzige, was das Fluggerät
wissen muss, ist: Wo bin ich?« Nicht das Lufttaxi
selbst steuere dann seinen Kurs, sondern ein digi-
tales Leitsystem am Boden. Selbstverständlich
müsse die Technologie fürs Starten und Landen
an Bord eines Lufttaxis sein, sagt Meiner, das
Fluggerät müsse selbst handeln können, falls die
Datenverbindung abreißt. Menschen kämen da-
bei keine ins Spiel.
Heute aber wird der Flugverkehr noch von
Menschen kontrolliert. Den Himmel über
Deutschland regeln weitgehend die Fluglotsen
der Deutschen Flugsicherung (DFS), deren Zen-
trale am Rand der hessischen Kleinstadt Langen
steht, knapp zehn Kilometer vom Frankfurter
Flughafen entfernt. Die DFS ist ein bundeseige-
nes Unternehmen mit eigener S-Bahnstation. Ihr
Hauptquartier ist eine Art Campus mit verglasten
Verwaltungsgebäuden.
Andre Biestmann, der bei der DFS unter an-
derem für die Luftraumplanung über Deutsch-
land zuständig ist, hat drei Landkartenausrisse in
einen Besprechungsraum mitgebracht. Die Aus-
risse zeigen Frankfurt, Düsseldorf und München.
Die Flughäfen und die sogenannten Kontroll-
zonen um sie herum sind rot markiert: Dort re-
gelt die DFS den Flugverkehr.
Biestmann legt zuerst die Karte von München
auf den Tisch: »Beim Flughafen München sieht
man rechts und links die Runways, die Stadt liegt
unten im Süden, gerade außerhalb der Kontroll-
zone. Und von dort, aus der Stadt, werden Luft-
taxiunternehmen den Flughafen anfliegen wol-
len. Auf dem Weg werden die Luftfahrzeuge sich
untereinander selbst staffeln müssen, das regelt
kein Lotse. Nun möchten die Lufttaxifirmen ihre
Passagiere ja nicht drei Kilometer vom Flughafen-
terminal entfernt absetzen. Die möchten genau
in der Mitte der Flugzeuglandebahnen landen,
am besten auf dem Dach des Terminals. Sonst
müsste man nicht mit dem Lufttaxi hinfliegen.
Denn mit der S-Bahn ist es auch nicht anders:
Man erreicht den Flughafen genau in der Mitte
zwischen den Terminals. Auf dem Terminal zu
landen ist eine Herausforderung: Links und
rechts starten und landen die großen Flugzeuge.
Wie kommen die Lufttaxis da durch?«
Der Luftraum wird horizontal unterteilt in ver-
schiedene sogenannte Luftraumklassen, vom Boden
bis in ungefähr 20.000 Meter Höhe. Kontrolliert

wird er aber nicht überall. Außerhalb der Kontroll-
zonen der Flughäfen gibt es Bereiche, die für Flug-
lotsen unsichtbar bleiben, die ihre Radargeräte nicht
erfassen können: Sie reichen vom Boden bis zu einer
Höhe von standardmäßig ungefähr 760 Metern, an
vielen Stellen auch nur bis zu knapp 300 Meter
Höhe. Wer dort fliegen möchte, für den gilt die
Regel: hinschauen und im Bedarfsfall ausweichen.
Auf dieser Höhe sollen die Flugtaxis unterwegs sein,
und bei Größenordnungen ab 1000 Geräten pro
Stadt wird das tatsächlich: interessant.
Neben dem Luftraumplaner Biestmann sitzen
zwei weitere Männer im Besprechungsraum: Oli-
ver Pulcher, der Leiter der Unternehmensent-
wicklung bei der DFS, und Jan-Eric Putze, der
Vorstandschef von Droniq, einem Joint-Venture
von DFS und Deutscher Telekom. Pulcher sagt:
»Wir schauen auf das Thema Lufttaxis zunächst
mal als etwas gar nicht so Außergewöhnliches.
Ob es nun eine Drohne ist, die Blutkonserven
transportiert, oder die Amazon-Drohne, die ein
Paket quer durch die Stadt fliegt – das sind für
uns alles zukünftige Airspace-User, die sichtbar
gemacht werden müssen und die sich in den von
uns kontrollierten Luftraum integrieren müssen.«
Pulcher sagt auch, dass Lösungen für die Be-
reiche gefunden werden müssten, in denen die
Flugsicherung nicht zuständig sei. Übersetzt
heißt das wohl, wenn es von einem Unterneh-
mensentwickler kommt: Die Deutsche Flugsi-
cherung sieht ein neues Geschäftsfeld kommen.

Der Luftraum ist frei, aber nur im Prinzip.
Es gibt viele Regeln zu beachten

Das Droniq-Joint-Venture hat zum Beispiel ein
Kästchen entwickelt, das man an Drohnen und
andere Fluggeräte unten dranhängen kann. Jan-
Eric Putze hat eines mitgebracht. Das Kästchen
kommuniziert über das Mobiltelefonnetz und
dient dazu, den genauen Flugort für eine Zen-
trale sichtbar zu machen. Das funktioniert auch
dort, wo der Radar nichts sieht.
Putze schlägt vor, dass dieses Kästchen in das
bisherige Kontrollsystem der DFS integriert wer-
den könnte. Würde jedes Fluggerät, das nahe am
Boden über Deutschland fliegt, so ein Kästchen
tragen, gäbe es keinen unkontrollierten Luftraum
mehr. Dann sähen die Lotsen alles, von null Me-
ter Höhe bis weit oben am Himmel.
Putze ist selber Pilot. Er sagt: »Bei den Überle-
gungen zu Lufttaxis kommen wir immer wieder zu
der Feststellung, dass unser heutiges Konzept nicht
funktionieren wird. Weder der Luftraum, wie wir
ihn heute haben, noch die heutigen Regelungen bei
der Zulassung für Landeplätze werden dann noch
funktionieren. Wir werden alles anders brauchen.
Wir wollen das. Wir nehmen das ernst. Und wollen
diesen neuen Luftraumteilnehmer in das bestehende
Ökosystem integrieren.« Diese drei Männer wollen
schon, dass die Flugtaxi-Zukunft kommt. Nur ist
die eben kompliziert.
Die Infrastruktur in Städten, sagt Putze, sei noch
gar nicht dafür ausgelegt, dass dort elektrisch be-
triebene Lufttaxis landen, aufgeladen werden und
wieder starten. Die Zulassung für Landeplätze zum
Beispiel liege heute bei den Landesluftfahrtbehör-
den, »und die möchte ich mal die Dächer von Hoch-
häusern und Parkgaragen prüfen sehen – dahin-
gehend, ob man dort sicher landen kann«.
Und dann ist die Frage, was eigentlich die
Menschen in diesen Städten von der Idee halten
werden. Der Unternehmensentwickler Pulcher
vermutet, dass es wohl zu einem Konflikt kom-
men werde: Einerseits wolle man den städtischen
Verkehr immer effizienter und grüner haben.
Andererseits werde ein neuer Typ von Gerät am
Himmel schweben, und die Menschen würden
sich fragen, ob es sicher sei, ob es abstürzen kön-
ne, zu welchen Tageszeiten man den Lärm und
den Anblick erträglich findet.
Pulcher fügt hinzu, dass Deutschland wohl nicht
zu den ersten großen Märkten für Lufttaxis gehören
werde: Die Verkehrsinfrastruktur sei hervorragend
ausgebaut, trotz aller Klagen. Hier herrsche nicht so
ein Druck wie in Megacitys in Asien und insbeson-
dere in China, wo das Verkehrssystem der wachsen-
den Bevölkerung nicht mehr gerecht wird.

Wie bewegen wir uns
im Alltag?
Fünf Menschen haben für
uns eine Woche lang ihre
Wege vermessen.
Lassen sich Staus schon heute
vermeiden? Ja, sagt ein
Mathematiker.
Und warum werden
E-Bike-Fahrer eigentlich so
oft verspottet?
Im großen
Schwerpunkt zur Mobilität
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finden Sie diese und weitere
Themen:
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Wenn möglich,


bitte wenden!


Die Prototypen der Lufttaxis müssten erst einmal
zertifiziert werden, sagt Pulcher. Danach folge die
echte Testphase, und erst dann werde man irgendwann
bei einzelnen Veranstaltungen Lufttaxis Passagiere hin
und her fliegen sehen. »Aber von einem Regelflug sind
wir noch weit entfernt.«
Die Zeitrechnung der Lufttaxifirmen ist allerdings
ganz anders. Lilium plant ein Startdatum schon 2025,
Volocopter will in zwei bis drei Jahren erste Dienste
anbieten. Uber will in den USA im Jahr 2023 abheben.

Da gibt es allerdings noch ein paar wirtschaft-
liche Probleme. Uber zum Beispiel hat im zweiten
Quartal einen Rekordverlust von 5,2 Milliarden
Dollar gemacht, und vielleicht gehen dem Taxiver-
mittlungskonzern demnächst die Mittel für Luft-
sprünge aus. Das gilt auch für einige Lufttaxi-Start-
ups, die neuerdings in Finanzprobleme geraten sind.
Garantiert ist eine rasche Zukunft mit Lufttaxis
über deutschen Städten also noch nicht – oder noch
nicht sofort.

Begehrte


Rohstoffe


Lithium
Das Leichtmetall ist essentiell für die
Herstellung moderner Batterien. Es
gilt als vorläufig unersetzbar. Große
Vorkommen sind in Südamerika und
den USA, aber auch im deutschen
Erzgebirge gibt es Förderpläne.

3

6941

Lithium

Li


Mangan
Das bräunliche Metall spielt schon
länger bei Batterien für Kleingeräte
eine Rolle. In Autobatterien dient es
heute dazu, den Anteil des proble-
matischen Kobalts zu reduzieren.

25

54.938

Mangan

Mn


Nickel
Das silbrig-weiße Schwermetall wird
für die Herstellung verschiedener
Batterietypen eingesetzt, darunter
auch moderne Lithium-Ionenbatte-
rien. Sein Einsatz kann die Speicher-
kapazität in den Zellen erhöhen.

28

58.693

Nickel

Ni


Kobalt
Das stahlgraue, zähe Schwermetall
ist der problematischste Batterie-
Rohstoff. Er wird überwiegend im
Konfliktgebiet Kongo abgebaut, wo
es schreckliche Arbeitsbedingungen
und vielfach Kinderarbeit gibt.

27

58.933

Cobalt

Co


E-Autos gab es
schon früher:
Hier ein Modell
von circa 1910

Foto [M]: Shutterstock Creative

Auf der Straße


Deutschlands Autoindustrie setzt auf Batteriefahrzeuge –


und macht sich damit abhängig VON THOMAS FISCHERMANN


I


m Jahr 2010, als Dirk Harbecke die ersten
Teslas auf den Straßen sah, kam ihm die
Idee fürs große Geld. »Ich hatte damals
noch keine Ahnung, was Lithium ist«, sagt
der deutsche Start-up-Unternehmer, der
eine Firma in Kanada gegründet hat. Aber
er wusste, dass kein Elektroauto ohne das
Element auskommt. Und darin sah er seine Chance.
Seine Rechnung war ganz einfach: Elektrofahr-
zeuge laufen mit Batteriestrom, und die gängigen

Autobatterien werden mit Lithium gebaut, einem
besonders leichten, weichen und chemisch re ak-
tions freu di gen Metall.
Also investierte Harbecke in eine Lizenz für die
Lithiumförderung in der Nähe eines Sees in der kana-
dischen Provinz Ontario. Die Firma ist winzig, sie hat
nur drei Mitarbeiter, aber der Gründer hat Großes
mit ihr vor. »Wir sind in der Phase der Machbarkeits-
studien«, sagt er. In zwei Jahren soll sein Unterneh-
men mit der Förderung des begehrten Stoffes be-

ginnen. Der richtige Stoff für einen weltweiten
Batterienboom – mit dem Harbecke reich werden
will. So weit der Plan.
6183 Kilometer von Harbeckes Claim entfernt,
im nördlichen Harzvorland, rollt am Montagmittag
eine Kolonne schwarzer Transportbusse in eine In-
dustriehalle. Der Autokonzern VW hat Pressever-
treter aus europäischen Ländern in sein Werk in
Salzgitter geladen, damit sie der Eröffnung einer
neuen Produktionsanlage für Auto-Batteriezellen
beiwohnen. »Jetzt geht es richtig los mit der Elek-
trifizierung«, sagt VW-Vorstand Stefan Sommer,
der für das Ressort »Komponenten und Beschaf-
fung« zuständig ist. Ingenieure in hellgrauen Werks-
jacken preisen die Technik (»die modernsten Ver-
fahren der Welt«), und am Rand der Halle parken
Zukunftsautos. Der batteriebetriebene Porsche
Taycan (761 PS). Der angeblich CO₂-neutral her-
gestellte Kleinwagen ID.3. Ein elektrischer Käfer.
Die Vorführung passt bestens zur deutschen
Klimadebatte. Nicht nur VW, sondern alle großen
deutschen Automobilbauer steigen gerade auf elek-
trische Motoren um. VW setzt bei den Personen-
fahrzeugen bis auf Weiteres auf Batterien aus Lithi-
um, Kobalt, Nickel und einer Reihe anderer Me-
talle. Die neue Anlage in Salzgitter soll Experimen-
te mit der jeweils neuesten Batterietechnik erlauben.
Für die Massenfertigung baut der Konzern, eben-
falls in Salzgitter, noch eine Fabrik – zusammen mit
dem schwedischen Batterielieferanten Northvolt.
Dort soll die Produktion 2023 anlaufen.
Momentan sieht es gut aus für Volkswagen, auch
weil die Kosten für einige Rohstoffe sinken. »Lithi-
umpreise seit dem Ende des ersten Quartals im
stetigen Fall«, meldeten Anfang der Woche die
Londoner Rohstoffmarktexperten von der Bera-
tungsfirma CRU. Lithiumkarbonat war zuletzt um
die 20 Prozent billiger als zu Jahresbeginn. Dabei
sollte man eigentlich das Gegenteil erwarten: Wenn
immer mehr Elektroautos auf die Straße kommen,
müssten Nachfrage und Preis steigen. Doch weil
gerade in China ein Subventionsprogramm für
Elektroautos ausläuft, wird nicht mehr so viel Li-
thium bestellt. Aber das ist ein kurzfristiger Effekt.

Die deutsche Industrie ist der Macht
der Monopolisten ausgeliefert

Mittelfristig zweifelt kaum jemand daran, dass der
Bedarf an Batterien für Autos, Busse, Lastwagen,
Schiffe, Flugtaxis und E-Roller in den kommenden
Jahren massiv steigen wird. VW, Tesla, General
Motors, BMW: In den vergangenen Jahren hat sich
ein großer Hersteller nach dem nächsten der E-Mo-
bilität verschrieben. Das Joint Research Centre der
Europäischen Union prognostizierte Ende 2018,
dass in zehn Jahren weltweit 200 Millionen E-Au-
tos auf den Straßen führen, in 20 Jahren könnten
es sogar 900 Millionen sein – gut fünf Millionen
sind es heute. Die Nachfrage nach Lithium-Ionen-
Batterien werde um das Sieben- bis Fünfzigfache
steigen, je nach Entwicklung der Nachfrage und
der Technik. Lithium und die anderen Batterieroh-
stoffe werden künftig also stark nachgefragt.
Am Montagmittag steht Frank Blome, Volks-
wagens Chef für Batteriefragen, im Werk in Salz-
gitter. Er sagt, dass er »absolut gar keine Probleme«
sehe bei der Beschaffung von Batteriezellen und der
notwendigen Rohstoffe. Diese Einstellung ist in der
deutschen Industrie weitverbreitet. »Aktuell be-
stehen für Deutschland keine Engpässe bei der Roh-
stofflieferung und bei der Batteriezellenfertigung«,
sagt auch Matthias Wachter, der beim Bundesver-
band der Deutschen Industrie (BDI) die Abteilung
für Sicherheit und Rohstoffe leitet.
Das Szenario der deutschen Optimisten sieht so
aus: In den vergangenen Jahren ist schon sehr viel
Lithium, Kobalt und dergleichen gefördert worden.
Die Bestände reichen noch für ein paar Jahre, denn
noch ist das Geschäft mit E-Autos klein. Der wah-
re Boom steht erst noch bevor, und er startet von
einem niedrigen Niveau.
Probleme könnte es höchstens aus politischen
Gründen geben. Etwa wenn China seine Macht als
Hersteller von Batteriezellen und Rohstoffprodu-
zent ausspielen und die Güter künstlich verknappen
würde. Ähnliches könnte auch mit Kobalt passieren.
Das Element wird hauptsächlich im Kongo abge-

baut, das Land hat quasi ein Monopol – und könn-
te in Versuchung geraten, diese Stellung auszunut-
zen. Bei Nickel, das Kobalt teilweise ersetzen kann,
sieht es kaum besser aus: Da haben Indonesien und
Russland beinahe ein Duopol.
Wirklich knapp sind all diese Stoffe allerdings
nicht, sie kommen in vielen geologischen Forma-
tionen auf der Welt vor. Es gibt nur nicht überall
entsprechende Bergwerke und Weiterverarbeitungs-
anlagen. Doch derzeit entstehen – von Kanada bis
Südamerika, von Australien bis ins deutsche Erz-
gebirge – zusätzliche Minen. In einigen Jahren soll
der Produktionszyklus dann geschlossen werden:
Gebrauchte Autobatterien werden wiederaufberei-
tet, und vielleicht geht das irgendwann so weit, dass
kaum noch zusätzliche Rohstoffe eingekauft werden
müssen.

Letztlich bleibt der Rohstoff-
Nachschub eine gewagte Wette

All das zusammen lässt deutsche und andere eu-
ropäische Hersteller gerade recht entspannt in
die Zukunft schauen – vielleicht zu entspannt.
Nur wenige wollen selber im großen Stil in die
Fertigung von Batteriezellen einsteigen. Volks-
wagen und das Joint-Venture mit Northvolt sind
da eine Ausnahme.
Als die EU-Kommission vor zwei Jahren einen
»strategischen Aktionsplan« für die »Zukunftsin-
dustrie« Batterien forderte und als Bundeswirt-
schaftsminister Peter Altmaier (CDU) in Deutsch-
land sogar eine Milliarde Euro Fördermittel ver-
sprach, entstanden zwar einige Konsortien und
prüften die Möglichkeiten. Doch viele große Her-
steller winkten dann ab. Der weltgrößte Automobil-
zulieferer Bosch erklärte, dass man im Batteriezel-
lengeschäft nicht mitmachen werde. Viel zu hohe
Investitionen in eine längst standardisierte Massen-
technik seien da nötig. Der Vorsprung der asiati-
schen Konkurrenten sei kaum aufzuholen: Firmen
wie CATL aus China und die Koreaner LG Chem
und Samsung beherrschen etwa 85 Prozent des
Geschäfts mit Antriebsbatterien für Autos, und sie
bauten schließlich schon erste Werke in Europa auf.
Und doch: Letztlich bleibt die Sache eine ge-
wagte Wette. Deutschland habe »keine Vale, kein
Rio Tinto oder Ähnliches«, sagt der BDI-Rohstoff-
experte Wachter. Sprich: keinen Rohstoffkonzern,
der irgendwo auf der Welt die Beschaffung sicher-
stellen kann, wenn es doch mal eng wird.
Und Dirk Harbecke, der Lithium-Unternehmer
mit den Claim in Ontario, bleibt beharrlich bei
seiner Position. Er hält die Sichtweise der euro-
päischen Konzerne für naiv und rechnet früher oder
später mit einer Preisexplosion. »Ich kenne keinen
Hersteller, der wirklich die Batteriezellen bekom-
men wird, die er braucht«, behauptet er. Die be-
schwichtigende Haltung des BDI sei »fahrlässig«.
Harbeckes Erzählung ist etwas komplizierter als
der fröhliche Konsens der Optimisten: Er weiß aus
eigener Erfahrung, dass Bergbauprojekte für die
Lithiumförderung und alle weiteren Rohstoffe aus-
gesprochen teuer sind. Lithium beispielsweise wird
häufig in Flüssigkeiten unter Salzseen abgepumpt
und muss dann sehr aufwendig angereichert wer-
den. Ein monatelanger Prozess, der teure Anlagen
erfordert.
Bisher sei der Markt für Batteriezellen für Elek-
troautos so klein gewesen, dass viele Investoren
nicht auf allen Stufen des Produktionsprozesses
rechtzeitig investiert hätten. Immer nur Klecker-
beträge statt des einen großen Wurfes.
Drohen in den nächsten Jahren dann doch Eng-
pässe? Zumal es bei den Metallen unterschiedliche
Qualitäten gibt. Lithium ist nicht gleich Lithium,
Kobalt ist nicht gleich Kobalt. Nicht alles, was bei-
spielsweise aus einer chinesischen Anreicherungs-
anlage als Lithium kommt, ist gut genug für den
Einbau in ein deutsches Auto.
Harbecke warnt deshalb heute schon: Einige
Lieferanten für Batteriezellen würden in den kom-
menden Jahren Probleme bekommen, ihre Liefer-
verträge mit den Autokonzernen einzuhalten. Wenn
das dann wirklich so kommt, gibt es bei diesem
Geschäft mindestens einen Gewinner: Harbeckes
Plan, mit Rohstoffen reich zu werden, könnte doch
noch aufgehen.

28 WIRTSCHAFT 26. SEPTEMBER 2019 DIE ZEIT No 40 WIRTSCHAFT 29


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