Die Zeit - 26.09.2019

(Nandana) #1

WISSEN


KLIMA • STATISTIK • PHILOSOPHIE • ARBEIT • GESUNDHEIT • RAUMFAHRT


Stimmt’s?


... fragt Hans-Hendrik
Ewert aus Titisee

Fett gehört durchaus zu einer aus-
gewogenen Ernährung, besonders
die ungesättigten Fettsäuren gelten
als gesund. Die Stars unter ihnen
sind die viel beschworenen »Omega-
3-Fettsäuren«. Chemisch handelt es
sich bei ihnen um besonders lange
Fettmoleküle. Sie sind für die
körperliche Entwicklung eines Ba-
bys unverzichtbar, wirken aber auch
bei älteren Menschen positiv. Sie
können den Verfall der Gehirn-
leistung zumindest bremsen, wie
Studien zeigen.
Omega-3-Fettsäuren stammen im-
mer aus Pflanzen: aus den Samen
von Gräsern etwa, aus Nüssen, aber
auch aus Algen. Fressen Tiere diese
Pflanzen, reichern sich die Fettsäu-
ren in ihnen an, besonders in Fi-
schen. Sie gelten daher zu Recht als
gute Quelle.
Aber nicht jeder Fisch enthält gleich
viel Omega-3. Der Gehalt schwankt
ganz erheblich, einerseits zwischen
den Arten, andererseits zwischen
den Individuen. Zwei Faktoren sind
ausschlaggebend: erstens die Ernäh-
rung des Fischs – er kann die Fett-
säuren ja nicht selbst bilden. Zwei-
tens die Wassertemperatur – je käl-
ter die Umgebung, desto mehr Fett
braucht der Fisch als Kälteschutz
und desto mehr Omega-3 enthält
er. Denn diese Fettsäuren bleiben
auch bei niedrigen Temperaturen
geschmeidig und garantieren die
Beweglichkeit der Fische.
Das gilt sowohl für Salzwasser- als
auch für Süßwasserfische. Zwar leben
die Spitzenreiter in der Omega-3-Hit-
liste – Hering, Thunfisch und Lachs


  • alle im Meer. Aber auch die Forelle
    enthält ordentliche Mengen, mehr als
    etwa der Seelachs. Weit dahinter folgt
    der Pangasius aus den Fischfarmen im
    asiatischen Mekong-Delta.
    Fische aus Fischfarmen enthalten
    übrigens nicht weniger der begehr-
    ten Fettsäuren als ihre wild leben-
    den Artgenossen, sondern eher
    mehr – aber nur weil sie insgesamt
    fetter sind. CHRISTOPH DRÖSSER


Enthalten nur


in Salzwasser


lebende


Fische die


gesunden


Omega-3-


Fet t säu ren?


Die Adressen für
»Stimmt’s«-Fragen:

DIE ZEIT, Stimmt’s?,
20079 Hamburg,
oder [email protected].
Das »Stimmt’s?«-Archiv:
http://www.zeit.de/stimmts

A http://www.zeit.de/audio

Die Flut von morgen


D


ie Fluten der Zukunft zeich-
nen sich schon in der Gegen-
wart ab, spätestens seit dieser
Woche. Da wurde der ak-
tuelle Stand des Wissens
über jene Sphären der Erde
vorgestellt, die auf ihr den
größten Teil einnehmen: im »Sonderbericht über
die Ozeane und die Kryosphäre«, also die Eisgebie-
te des Planeten. Mehr als sieben Zehntel der Erd-
oberfläche sind von Meeren bedeckt, und rund ein
Zehntel der Landfläche liegt dauerhaft unter Eis.
Noch. Denn das Eis schwindet und lässt die Welt-
meere anschwellen.
Globale Erwärmung und steigender Meeres-
spiegel, dieser Urzusammenhang wirft tatsächlich bis
heute eine der kniffligsten Fragen der Klima-
forschung auf: Falls die Atmosphäre sich um sound-
so viel Grad erwärmt, wie hoch steigt dann das Meer?
»Bei zwei Grad Celsius globaler Erwärmung im
Vergleich zur Zeit vor der Industrialisierung steigt
der globale Meeresspiegel bis 2100 um zusätzliche
30 bis 60 Zentimeter an, und um 60 bis zu
110 Zentimeter, wenn die Emissionen weiter
zunehmen«, sagt Hans-Otto Pörtner vom Bremer-
havener Alfred-Wegener-Institut für Polar- und
Meeresforschung. Er ist einer der Hauptautoren
des 900 Seiten starken neuen Berichts, für den
104 Wissenschaftler des Weltklimarats aus
36 Ländern den Wissensstand aus 6981 Fachver-
öffentlichungen zusammengefasst haben.
»Wenn die Emissionen weiter zunehmen«,
diese Formulierung von Pörtner beschreibt um-
gangssprachlich ein Szenario, das die Klima-
forscher »RCP8.5« nennen. Dieses Rechenmodell
geht davon aus, dass mehr und mehr Treibhaus-
gase in die Luft entweichen. Dadurch würde die
globale Erwärmung schon im Lauf dieses Jahr-
hunderts die Zwei-Grad-Marke überschreiten und
bis 2100 wohl auf drei bis vier Grad steigen. Un-
realistisch? Gerade erst haben Forscher des Projekts
»Climate Action Tracker«, das die weltweit ange-
kündigten und tatsächlich umgesetzten Maßnah-

men zum Klimaschutz vergleicht, erklärt: Selbst
wenn man alle Selbstverpflichtungen und Ziele
berücksichtige, stoße die Menschheit auch künftig
mehr CO₂ aus als bisher. Gegenwärtig steuere sie
auf 3,2 Grad Celsius Erwärmung bis zum Ende
des Jahrhunderts zu.
Deshalb sind die 110 Zentimeter Meeres-
spiegelanstieg jetzt jene Marke, mit der man
rechnen muss. Dieser Wert für die Oberkante
liegt höher als in früheren Berichten des Klima-
rats (im Jahr 2007 ging man noch von höchstens
plus 59 Zentimetern aus,
2014 dann von 82 Zenti-
metern im globalen Durch-
schnitt). Mehr Meer also.
Die Zahl klingt für den
Laien nicht gerade gewaltig.
Tatsächlich birgt die Progno-
se gewaltige Probleme. Drei
Punkte sind wichtig, um sie
einordnen zu können:
Variation – »Es gibt nicht
nur ein globales Mittel für
den Meeresspiegel, es gibt
vor allem starke regionale
Änderungen«, sagt der Ozea-
nograf Detlef Stammer von
der Universität Hamburg.
Ein Drittel mehr oder weniger
nennt der Sonderbericht als
natürliche Bandbreite beim
regionalen Anstieg. Und sinken Städte wie Jakarta
ab, weil dort zu viel Grundwasser entnommen
wird, fällt der Anstieg des Pegels noch drastischer
aus. Außerdem reagiert das Meer sehr träge und
würde selbst dann noch lange weiter anschwellen,
wenn ab sofort kein CO₂ mehr in die Luft ge-
langen würde.
Extremereignisse – Zumindest in diesem Jahr-
hundert wird nicht der durchschnittliche Pegel das
Problem sein, sondern Fluten und Stürme. Denn
mit den steigenden Meeren werden Sturmfluten
höher an den Küsten anbranden. Die Autoren des

Berichts sind sich sehr sicher, dass mit dem An-
stieg der Pegel auch »die Häufigkeit extremer
Wasser stände an den meisten Orten steigen« wird.
Was vormals eine Jahrhundertflut war, werde
künftig jährlich vorkommen (siehe Grafik). Einige
Atolle erleben dies bereits, vielen Küsten steht es in
der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts bevor.
Akut strapaziert die Naturgewalt Schutzbau-
werke wie Deiche und Mauern, sofern vorhanden.
Dauerhaft trägt sie zu einer stärkeren Erosion
natür licher Schutzzonen bei, etwa wenn Mangro-
ven, Salzmarschen, Strände
und vorgelagerte Sandbänke
weggespült werden.
Verwundbarkeit – Rund
380 Millionen Menschen le-
ben weniger als fünf Meter
über dem Meeresspiegel,
680 Millionen weniger als
zehn Meter darüber. Ein
großer Teil der Megastädte
wie New York oder Mumbai
liegen an Küsten und in
Flussdeltas, wo man künftig
mit stärkeren Wetterextremen
rechnen muss. »Staaten wie
die Niederlande oder die
Bundesrepublik mit einer
jahrhundertelangen Erfah-
rung im Umgang mit Sturm-
fluten haben sich gut ge-
wappnet für die bislang prognostizierten Gefah-
ren«, sagt die Hamburger Geografin Beate Ratter,
die ebenfalls am Sonderbericht mitgearbeitet hat.
Doch an den Küsten ballen sich Menschen und
Reichtum, sie zu schützen wird teuer. Sofern Ge-
genmaßnahmen ausbleiben sollten, veranschlagt
der Report bis zum Jahr 2100 einen Anstieg der
Kosten durch Flutschäden auf das 100- bis
1000-Fache.
Nicht alle werden sich darauf einstellen kön-
nen. »Flache Koralleninseln und flache Küsten-
staaten wie Bangladesch, die nur wenig finanzielle

und räumliche Möglichkeiten haben«, gehörten
dazu, sagt Beate Ratter. Der Sonderbericht hält
fest: »Einige Inselstaaten werden wahrscheinlich
unbewohnbar.«
Die Fluten von morgen sind eine Chiffre.
Steht doch der Anstieg der Meere gleichermaßen
für die physikalischen Folgen der Erderwärmung
(Eis schmilzt, warmes Wasser dehnt sich aus) wie
auch für deren vielfältige soziale, wirtschaft liche
und politische Auswirkungen. Das alles konzen-
triert sich symbolisch in dieser einen Zahl,
110 Zentimeter.
Der Bericht enthält allerdings viel mehr, näm-
lich einen naturwissenschaftlichen Querschnitt
durch die Eis- und Wasserwelt: von der Po lar re-
gion (wo Meereis schmilzt und Gletscher ver-
schwinden) über die Permafrostgebiete (welche
abtauen und bis 2100 erhebliche Mengen Kohlen-
stoff in die Luft entlassen) bis in die gemäßigten
Breiten (wo viele Gebirgsgletscher schwinden und
Flüsse wie der Rhein weniger Wasser führen wer-
den) und die Tropen (wo die Versauerung und
ozeanische Hitzewellen die Vielfalt von Pflanzen
und Tieren dezimieren).
Welchen Unterschied jedes bisschen Klima-
schutz macht, zeigen eindrucksvoll die Grafiken
des Werks. Deren Kurven laufen entweder rot
markiert als business as usual aus dem Ruder oder
steigen blau eingefärbt im Rahmen des Zwei-
Grad-Ziels nur moderat an – sozusagen der best
case des gerade noch Erreichbaren.
In seinen letzten Kapiteln legt der Sonder-
bericht Maßnahmen dar: Naturschutz für Meere
und Eisgebiete, Senkung der Emissionen und
Vorbereitung der Anrainer auf das Unvermeidli-
che. Der Sonderbericht zeige »den Nutzen ambi-
tionierten Klimaschutzes und effektiver Anpas-
sung«, betonen die Autoren. Aber er zeigt eben
auch: »die eskalierenden Kosten und Risiken zö-
gerlichen Handelns«.

Lesen Sie eine ausführliche Analyse des
Berichts bei ZEIT ONLINE unter zeit.de/srocc

Wie hoch steigt das Meer? Noch höher als befürchtet,


warnt der Weltklimarat in seinem neuen Bericht VON STEFAN SCHMITT


Der steigende Wasserstand
sorgt häufiger für extreme Pegel

Neues Niveau


ZEIT-GRAFIK/Quelle: SROCC, SPM S. 33, IPCC (2019)

einmal im Jahrhundert

einmal im Jahrzehnt

einmal im Jahr

einmal im Monat

Meeresspiegel

einmal im Jahrhundert

einmal im Jahrzehnt

einmal im Jahr

einmal im Monat

Meeresspiegel

Anstieg

»Jahrhundertflut«

bisher

in
Zukunft

Foto: Jasper Doest; Illustration: Armando Veve für DIE ZEIT; Grafik: DZ


IPCC »Special Report on the Ocean and
Cryosphere in a Changing Climate« (2019)
und Fünfter Sachstandsbericht (2014)

CAT »Warming Projections Global Update«
und »United in Science«-Report der
Weltmeteorologie-Organisation WMO (2019)

Links zu diesen und weiteren Quellen
finden Sie auf ZEIT ONLINE unter
zeit.de/wq/2019-40

Quellen



  1. SEPTEMBER 2019 DIE ZEIT No 40 35

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