Die Zeit - 26.09.2019

(Nandana) #1
Trügerische Ruhe: Im Wohnzimmer-Büro stört kein Chef,
dafür quengelt das Kind nebenan

»Mit dem Frust allein«


Homeoffice – großartig, denken viele Beschäftigte. Bis sie dann über Erschöpfung klagen.


Die Ärztin Monika Rieger weiß, wie es dazu kommt


übernehmen aber längst nicht die volle Verantwortung
für die neue Situation. Ob der Arbeitsplatz im Schlaf-
oder Wohnzimmer gesundheitsförderlich ist, inter-
essiert keinen.
ZEIT: Bundesarbeitsminister Hubertus Heil plant, einen
gesetzlichen Anspruch auf Homeoffice einzuführen.
Wie sinnvoll wäre das?
Rieger: Mir ist der Nachsatz seines Vorschlags wichtig:
wenn es die betrieblichen Belange erlauben. Der Arbeit-
geber muss sehr gut definieren, unter welchen Bedin-
gungen die Arbeit zu Hause stattfinden darf. Allerdings
kann eine solche Gesetzes-Initiative das Misstrauen
gegenüber Homeoffice bei Chefs und Kollegen verrin-
gern und dazu beitragen, dass die Gesellschaft das flexible
Arbeiten stärker akzeptiert.
ZEIT: Neid und Missgunst der Kollegen lassen viele
Arbeitnehmer im Homeoffice glauben, mehr leisten zu
müssen als im Büro. Für den Vorgesetzten kann es doch
kaum besser laufen ...
Rieger: Eine gute Führungskraft muss klären, welche
Leistungen erwartet werden, und für alle transparent
machen, bis wann eine Aufgabe erledigt sein muss.
ZEIT: In der Befragung der AOK gab mehr als ein Drittel
der Beschäftigten im Homeoffice an, dass sie Probleme
haben, nach Feierabend abzuschalten. Wie lässt sich
eine Grenze zwischen Privat- und Arbeitsleben ziehen?
Rieger: Auch hier hat der Chef eine Verantwortung, er
muss dafür sorgen, dass die flexible Arbeit einen Rahmen
bekommt. Ich selbst beantworte zum Beispiel grund-
sätzlich an Wochenenden keine Mails. Einige Mitarbeiter
schicken mir da gerne noch fertiggestellte Arbeiten, aber
ich reagiere darauf nicht vor Montag. Es gibt also keine
Belohnung dafür, dass einer am Wochenende arbeitet. Es
wird natürlich auch keiner dafür bestraft.
ZEIT: Jammern Arbeitnehmer zu viel?
Rieger: Ein Blick ins Arbeitszeitgesetz zeigt, dass jeder
Arbeitnehmer längst ein Recht auf geregelte Arbeits-
zeiten und ungestörten Feierabend hat. Das muss also
nicht erfunden werden. Problematisch ist allerdings,
wenn sich Menschen durch ihre Arbeit so belastet fühlen,
dass sie sich nicht mehr auf andere Dinge konzentrieren
können. Andererseits sollte uns der Wunsch nach Ent-
spannung nicht zusätzlich unter Druck setzen. Wir
dürfen auch beim Yoga mal an die Arbeit denken. Wir
sind keine Maschinen, wir brauchen keinen Ausknopf.

Das Gespräch führte Jeannette Otto

Monika A. Rieger ist Ärztliche Direktorin des Instituts
für Arbeitsmedizin am Universitätsklinikum Tübingen

ARBEIT


DIE ZEIT: Frau Rieger, eine Umfrage des Wissenschaft-
lichen Instituts der AOK hat ergeben, dass Homeoffice
schlecht für die Psyche sei. Hat Sie das als Arbeitsmedi-
zinerin überrascht?
Monika Rieger: Ja, zumindest das Ausmaß. 73 Prozent
der Befragten sagten, sie fühlten sich im Homeoffice
erschöpft, fast 70 Prozent klagten über Wut und Verär-
gerung, 67 Prozent über Nervosität und Reizbarkeit.
Ich bin mir aber nicht sicher, ob sich das allein auf das
Arbeiten im Homeoffice zurückführen lässt.
ZEIT: Warum nicht?
Rieger: Da kommen viele Faktoren zusammen. Häufig
sind Arbeitnehmer im Homeoffice Mehrfachbelastungen
ausgesetzt, weil sie versuchen, zugleich die Kinder zu
betreuen oder einen Angehörigen zu pflegen. Vielleicht
entscheiden sich aber auch gerade jene fürs Homeoffice,
die dazu neigen, sich über alle Maßen zu verausgaben.
Ich gehe von einer Mischung von Ursachen aus.
ZEIT: Worin unterscheidet sich denn der Arbeitsplatz
zu Hause von dem im Unternehmen?
Rieger: Nicht zu unterschätzen ist, wie sehr im Home-
office der Austausch mit Kollegen fehlt, das kurze
Gespräch auf dem Weg zum Kaffeeautomaten, beim
Mittagessen. Zu Hause haben viele zwar das Gefühl,
konzentriert zu arbeiten und mehr zu schaffen, auch
das zeigt die Befragung, aber man bleibt mit Ärger
und Frust oft allein. Dabei sind die sozialen Kontakte
eine wesentliche Ressource, um Arbeitsanforderungen
zu bewältigen.
ZEIT: Ist das Homeoffice für manche auch ein Versteck?
Rieger: Natürlich gibt es Menschen, die sich gerne
zurückziehen. Ich habe selbst mal eine Mitarbeiterin ein-
gestellt, die nicht jeden Tag pendeln wollte. Also haben
wir uns darauf geeinigt, dass sie zu Hause arbeitet. Weil
ich nicht überprüfen kann, wann sich jemand im Com-
puter ein- und ausloggt, arbeite ich in solchen Fällen mit
konkreten Zielvereinbarungen. Irgendwann aber kam
die Leistung einfach nicht mehr, die ich erwartet habe.
Es stellte sich heraus, dass die Frau psychisch krank war.
Wäre sie hier im Büro gewesen, hätte ich das bemerkt,
aber so ist sie mir regelrecht verloren gegangen.
ZEIT: Schauen Führungskräfte zu wenig hin, wenn sie
ihre Mitarbeiter ins Homeoffice entlassen haben?
Rieger: Ein echter Homeoffice-Arbeitsplatz unterliegt
dem vollen Arbeitsschutz und der Fürsorgepflicht des
Arbeitgebers. Im Moment bewegen wir uns aber häufig
in einer Grauzone. Mit dem Ziel der Flexibilisierung
lassen Unternehmen ihre Mitarbeiter zu Hause arbeiten,
weil die sich dann einfacher um Kind und Familie küm-
mern können und weniger belastet scheinen. Die Chefs


Foto: Theodora Melnik

38 WISSEN 26. SEPTEMBER 2019 DIE ZEIT No 40


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