Die Zeit - 26.09.2019

(Nandana) #1

E


rinnerung an den Sommer 1978:
Tramp-Urlaub auf dem Balkan, Heim-
fahrt mit dem Budapester Nachtzug,
der am Morgen des 27. August Dresden
erreicht. Es ist Sonntag, also zeitungs-
frei, doch auf dem Bahnsteig wird ein Extrablatt des
Neuen Deutschlands ausgerufen: »Der erste Deut-
sche im All – ein Bürger der DDR«. Sigmund Jähn
heißt er, ein Arbeitersohn aus dem vogtländischen
Morgenröthe-Rautenkranz nahe der tschechischen
Grenze. Nun eilt er in der Raumkapsel Sojus 31 zur
Raumstation Salut 6, an der Seite des kosmisch er-
probten Waleri Bykowski.
Jähns Expedition war Teil des Interkosmos-
Programms: sowjetischer Kommandant plus Co-
Pilot aus einem sozialistischen »Brudervolk«. Sprin-
gers Welt verhöhnte Jähn als »Trittbrettfahrer und
Mitesser in der Russenrakete«. Acht Tage währte die
Reise – Zeit für eine gigantische Propaganda-Offen-
sive der DDR-Medien. Auch der Volkswitz wurde
aktiv: Was ist ein Jähn? – Die Maßeinheit für den
Abstand zwischen zwei Jähn-Plakaten. – Warum hat
Sigmund Jähn darauf so rote Hände? – Weil ihm
Bykowski dauernd draufhaut und sagt: Nimm deine
Flossen von den Knöpfen! – Und was ist, wenn Jähn
nicht zurückkommt? – Dann hat die DDR einen
glühenden Patrioten mehr. Im Jähnseits.
Er kam zurück. Bykowski und Jähn landeten
holprig in der kasachischen Steppe. In Moskau
dekorierte sie Kreml-Fürst Leonid Breschnew. In
Berlin wurden sie Ehrenbürger und rollten durch
ein Spalier von Hunderttausenden zum Staatsrat
der DDR. Sodann musste Jähn auf Jubeltour
durch die gesamte Republik. Schulen, Kinder-
gärten und ein Frachter empfingen seinen Namen,
Briefmarken zeigten sein Konterfei. Das Getöse
misshagte dem bescheidenen Sachsen. »Volksheld
wollte ich nicht sein«, sagte er Jahrzehnte später.

»Im Rampenlicht zu stehen fand ich anstrengender
als die Reise ins All.«
Die politische Kampagne verdeckte die wissen-
schaftliche Dimension des Raumflugs. Forschungs-
kosmonaut Jähn hatte Kristallzucht-Experimente
durchgeführt und die Erde mit der neuartigen Zeiss-
Multispektralkamera MKF6 fotografiert. 1983
promovierte er über die Fernerkundung der Erde.
Eigentlich war er Militärpilot. Am 2. Oktober 1990,
dem Vortag der deutschen Vereinigung, wurde
Generalmajor Sigmund Jähn aus der Nationalen
Volksarmee entlassen. Die Bundeswehr hatte für ihn
keinen Platz. Ein gebürtiger Vogtländer half: Ulf
Merbold, 1983 erster westdeutscher Astronaut, ver-
mittelte Jähn via European Space Agency (ESA) als
Projekt-Koordinator ins russische Raumfahrtzentrum.
Regelmäßig hörte und las man höchstes Kollegenlob
über »Sigs« Kompetenz und Kollegialität.
Sigmund Jähn war ein Unikat. Er vereinte die
Hochschätzung von Staatsführung und Volk, ohne
sich zu verbiegen. Sein Ruhm überdauerte den Staat,
dessen Parteigänger er war. Im Westen hätte er nie-
mals Kosmonaut werden können, sagte Jähn, der
gelernte Buchdrucker, der Sohn einer Näherin und
eines Sägewerkers. 2003 wurde er gar Staatsober-
haupt. In Wolfgang Beckers entzückender Tragi-
komödie Good Bye, Lenin! spricht sein Lookalike
(Stefan Walz) als finaler Präsident der DDR: »Liebe
Bürgerinnen, liebe Bürger der Deutschen Demokra-
tischen Republik! Wenn man einmal das Wunder
erlebt hat, unseren Blauen Planeten aus der Ferne des
Kosmos zu betrachten, sieht man die Dinge anders.
(...) Sozialismus, das heißt nicht, sich einzumauern.
Sozialismus, das heißt, auf den anderen zuzugehen
und mit dem anderen zu leben, nicht nur von einer
besseren Welt zu träumen, sondern sie wahr zu
machen. Ich habe mich daher entschlossen, die
Grenzen der DDR zu öffnen.«

Jähn lebte seit Langem in Strausberg bei Berlin,
blieb jedoch der alten Heimat treu. In Morgenröthe-
Rautenkranz entstand ein Raumfahrtmuseum. Der
Kuschelsender MDR pflegte Jähns Geschichte. Man
huldigte dem Kosmonauten in der Hutzenstub von
Rautenkranz, mit dem örtlichen Gesangsverein. Jähn
besang Bergmänner Glück auf, der Steiger kommt und

Pilze »Schwamme, Schwamme, Schwamme, die sei
gut, wer viel Schwamme hot, der spart ...«. Nun ist
der neunzigste Weltraumflieger, der gute Erdenbürger
Sigmund Jähn, im Alter von 82 Jahren gestorben.

Der erste deutsche Kosmonaut ist gestorben. Ein Nachruf


auf den guten Erdenbürger Sigmund Jähn VON CHRISTOPH DIECKMANN


Bodenständig ins All


Sigmund Jähn,
erster Kosmonaut der DDR:
* 13. Februar 1937
†^ 21. September 2019

picture alliance/AP Photo


RAUMFAHRT


ANZEIGE

40 WISSEN 26. SEPTEMBER 2019 DIE ZEIT No 40


Der Nachwuchspreis
fördert Karrieren
erfolgreicher junger
Wissenschaftlerinnen

und Wissenschaftler.

http://www.academics.de/nachwuchspreis

Bis zum
30.September
bewerben!

REGINE SMITH THYME

Regionale Produkte ver-
kosten, Traditionen lebendig
halten, nach Herzenslust
feiern und tafeln: Bei diesen
Festen genießen Einheimi-
sche und Gäste gemeinsam
die Kärntner Esskultur.

Wer die Berg welt der sonnigen
Südseite der Alpen im Herbst er-
kundet, freut sich auch auf die
köstlichen Schmankerln der
Kärntner Küche. Die kulinarische
Vielfalt des Alpen-Adria-Raumes
ist auch hier auszumachen, denn
Kärnten, Friaul-Julisch-Venetien
und Slowenien haben in punkto
Kulinarik vieles gemein. Doch
es ist immer die persönliche
Note, die den Süden Österreichs
mit seiner frischen, saisonalen,
bodenständigen und abwechs-
lungsreichen Küche unverwech-
selbar macht. Urige Almhütten
haben ihre Sonnenterrassen bis
in den Oktober hinein geö net, in
den Tälern feiert man den Genuss
mit unzähligen Festen ...
Bei den Tagen der Alpen-Adria-
Küche vom 21. bis 29. September

sind Spitzenköche in den Klagen-
furter Restaurants zu Gast und
kredenzen auf den Tellern ihre Phi-
losophie der Alpen-Adria-Küche
(visitklagenfurt.at/alpenadria).
Herbstliches Tafeln am Mill-
stätter See, der jetzt besonders
romantisch ist: Die herrliche Aus-
sicht mit kulinarischem Genuss
zu verbinden – das war die Idee.
Am 11. Oktober wird die Granat-
Tafel gedeckt (millstaettersee.
com/t a fel n).
An den Wochenenden vom 20.
September bis zum 12. Oktober
kann man in Bad Kleinkirchheim
in den Kulinarischen Nächten auf
Geschmacksreise gehen. Freitags
und samstags laden die Genuss-
land Kärnten-Produzenten beim
Genuss-Basar der Regionalität
zum Verkosten und Gustieren
ein. In den Restaurants werden
ihre Produkte dann zu kreativen
Menüs (badkleinkirchheim.at).
Die schönsten Hütten laden in
der Region Villach-Faaker See-
Ossiacher See, im Herzen Kärn-
tens, ab 5. Oktober zum Hütten-
Kult ein. Bei der genussvollen
Kombination aus Wandern und
Kulinarik tischen die teilnehmen-

den Hütten ihre Spezialitäten auf


  • von Kärntner Kasnudeln bis Al-
    penzushi. In der Walderhütte am
    Wöllaner Nock zum Beispiel wird
    neben der typischen Kärntner
    Jause und selbstgemachten Mehl-
    speisen auch eine spezielle Haus-
    sulze serviert. Wer sich beim Wirts-
    paar am idyllischen Schwarzsee
    für den Abstieg nach Afritz oder
    einer weitere Wanderung stärken
    möchte, bekommt Hauswürste,
    Leberwurst, deftigen Speck, echten


Glunder Käse und Bauernbutter
aufs Jausenbrett. Eifrige Hütten-
Kult-Wanderer können Stempel
sammeln und an einem Gewinn-
spiel teilnehmen. Unter w w w.
huettenkult.at  ndet man aus-
führliche Informationen zu Hütten,
Spezialitäten und Wanderungen.
Bunt, laut und ganz schön
quirlig: Vom 28. September bis
zum 7. Oktober  ndet das älteste
traditionelle Volksfest Kärntens
statt. Auf dem St. Veiter Wiesen-
markt werden alljährlich etwa

150 000 Liter Bier ausgeschenkt
sowie 20 000 Hendln und 50 000
Würste verspeist (www.stveiter-
wiesenmarkt.at).
Seit fast 30 Jahren dreht sich
in Nötsch im Gailtal am ersten
Samstag im Oktober alles um
die Polenta, die ja ursprünglich
ein Armenessen war. Auch beim
Polentafest am 5. Oktober sind
wieder über 50 schmackhafte
Polenta-Gerichte dabei – von
Schwammerlgulasch, Frigga und

Schweinsbraten über Calamari
und Chili con Carne mit Polenta
bis hin zu Polenta-Burgern und
Nudeln aus Polenta sowie süßen
Polenta-Krapfen und -Torten. Zum
Ka ee wird dann Polenta pur ge-
reicht.
Am 6. Oktober ist in Kärnten
eine Menge los: Abgesehen vom
Erntedank, stehen Karto el, Kraut
und Apfel im Mittelpunkt der
Feierlichkeiten. Beim Repica-Fest
in Sankt Michael ob Bleiburg
dreht sich alles um Karto eln,

die im Jauntaler Dialekt Repica
heißen und für die Region schon
immer wichtig waren. Karto el-
fans können an diesem Tag ver-
schiedenste Sorten verkosten.
Auch das Apfelfest in Kirchbach
sorgt für ein volles Programm


  • mit Erntedankgottesdienst,
    Frühschoppen, Kinderaktionen,
    Ausstellung alter Apfelsorten aus
    heimischen Obstgärten und Ku-
    linarisches rund um den Apfel
    (kirchbach.gv.at). Das Gitschtal
    verschreibt sich alljährlich am
    ersten Sonntag im Oktober ganz
    dem  ema Kohl. Beim Krautfest
    in Weißbriach bieten heimische
    Wirte an herbstlich dekorierten
    Ständen selbst hergestellte Le-
    ckereien an: »Fleischkrapfalan«
    sind dabei oder Hauswürste mit
    Sauerkraut, Krautpizza oder La-
    sagne mit Kraut, Krautburger
    und Krautstrudel. Natürlich darf
    auch Szegediner Gulasch nicht
    fehlen. Krautscheuchen schmü-
    cken die Dorfstraße und weisen
    Besuchern schon von Weitem
    den Weg.
    Infos zur Kärntner Küche, plus
    weitere Feste und Termine unter:
    genusslust.info 


IMPRESSUMVerantwortlich für den redaktionellen Inhalt: ZEIT Verlag Gerd Bucerius GmbH & Co. KG, Helmut Schmidt Haus, Speersort 1, 20095 Hamburg Geschäftsführung: Dr. Rainer Esser Art Direktion: Kay Lübke, Dietke Steck Realisierung: TEMPUS CORPOR ATE GmbH


  • Ein Unternehmen des ZEIT Verlags; Projektmanagement: Stefanie Eggers; Grafik: Sonja Feldkamp; Text: Regine Smith Thyme; Lektorat: Sabine Witt; Bilder: iStockphoto.com – Adehoidar / fatumwr /TatianaDavidova / master1305 / larik_malasha / fominox / Kumer / stellalevi
    Chief Sales Officer ZEIT Verlagsgruppe: Áki Hardarson Produktmanagement: Ingo Neumann Verkaufsleitung:Sandra Lindemeier, Tel.: 040 / 32 80 359, [email protected]; Anzeigenpreise: Preisliste 64 vom 1. Januar 2019


Kärnten feiert – von Kraut bis Polenta


me gusta


KULINARISCHE REISEN


Hier sollte man
hinfahren und den
Herbst genießen:
In Österreichs
südlichstem Bundes-
land ist auch
kulinarisch eine
Menge los.

Im sonnigen Herbst auf Geschmacksreise gehen
und von Hütte zu Hütte wandern

ANZEIGE |ME GUSTA| Ein Spezial des Zeitverlags 1

Slow Food Travel


Genussreisen: In Kärnten sind


das Lesach-, das Gail- und


Gitschtal sowie der Weissensee zur


weltweit ersten Slow Food


Travel-Destination geworden.


Ausführliche Infos über Slow


Food Travel Alpe Adria Kärnten


unter: slowfood.travel


Eintritt:EUR 15 ,inkl.Verkostung
undKatalog,VvkEUR 13
ÜberdieWebadressekönnenSiesich
imDetailzujederVeranstaltung
informierenundihreTicketsdirekt
onlinebestellen.

wbe

rmesse

.de

Genusserleben


!

Free download pdf