Die Zeit - 26.09.2019

(Nandana) #1

Merkur ist rückläufig


Astrologische Beratungen


boomen, vor allem bei


jungen Menschen.


Woran liegt das? Und was


erfährt man über sich,


wenn man die Sterne fragt?


Ein Selbstversuch von


A N T O N I A B AU M

E


ine meiner seriösesten Freundin-
nen (Schriftstellerin) sagte am
Telefon, die Wahrscheinlichkeit,
dass das mit ihr und diesem Typen
(Architekt) etwas werden könnte,
sei recht groß, weil sie Steinbock
und er Skorpion sei. Natürlich, sie
lachte dabei ein bisschen und meinte das alles völ-
lig ironisch. Aber sie schien sich auch irgendwie
sehr über diese günstige Stern zei chen- Kon stel la-
tion zu freuen und erklärte mir dann, warum
Steinbock und Skorpion ein wirklich hervorragen-
der Match seien und wie sehr die Steinböcken und
Skorpionen zugeschriebenen Eigenschaften auf sie
zuträfen und dass sie, meine Freundin, gleich mal
sein Tageshoroskop checken werde. Außerdem war
da noch dieser Freund, der sich bei seiner Finanz-
planung vom Vogue- Jah res horo skop inspirieren
ließ und der, darauf angesprochen, entgegnete:
»Wieso, in meiner ehemaligen Agentur haben das
alle so gemacht.«
Und als ich einmal ein bisschen in Sheila
Hetis Buch Motherhood las, in dem die Protago-
nistin ständig Münzen wirft und sich die Karten
legen lässt, um herauszufinden, was für sie die
richtige Entscheidung sei, und dann aufstand,
um ganz normal Tee kaufen zu gehen, sah ich
beim Bezahlen eine Postkarte, auf deren Rück-
seite für den Kurs »Grundlagen der Astrologie«
geworben wurde (60 Euro). Vorn war ein Mann
abgebildet, der aussah, wie man sich Männer,
die fortschrittlich und am Zeitgeschehen irgend-
wie intensiv beteiligt sind, heute typischerweise
vorstellt (große Brille, komplexer Bart, nach-
denklich), und der sich, an einem Tisch sitzend,
auf dem allerlei Karten lagen, über ein schwarzes
Notizbuch beugte (wahrscheinlich Moleskine)
und etwas notierte. Hinter ihm war ein Nacht-
himmel voller Sterne abgebildet, wobei einige
dieser Sterne mit ein an der verbunden waren, was
einem sofort eine Assoziation zu irgendwas Wis-
senschaftlichem in den Kopf reinzauberte, ge-
nauso wie die rechts von dem Mann arrangier-
ten Pflanzen und Glasflaschen (Alchemie, Na-
turheilkunde). Dieser Mann, das sah man so-
fort, war ein sensibler, überhaupt nicht irratio-
naler Forscher, der Zugang zu Einsichten hatte
und der sich so schnell nichts von der Pharma-
industrie erzählen ließ (und wahrscheinlich lag
in der Absicht, genau diesen Eindruck zu erwe-
cken, der Grund dafür, dass da ein Mann hin-
gesetzt worden war und nicht, wie bei spirituel-
len Ballaballa-Themen eigentlich zu erwarten,
eine Frau).
Wenig später berichtete eine ebenfalls sehr
seriöse Freundin (Akademikerin), die ihr Leben
viel besser managt als ich, von der Inanspruch-
nahme einer »astrologischen Beratung« und wie
hilfreich und erkenntnisfördernd diese gewesen
sei. Und weil es wieder einmal eine dieser Wo-
chen war, in der völlig unklar war, was das alles
hier werden sollte und warum überhaupt; eine
Woche außerdem, in der eine Frau auf der Stra-
ße zielstrebig auf mich zugegangen war, um mir
anzubieten, mir gegen Geld etwas über meine
Zukunft zu erzählen, mit der Begründung, dass
meine Aura »ziemlich blau« sei, und ich wegen
der mir bisher verborgenen astrologischen In spi-
ra tion meiner Freunde natürlich sofort FOMO
bekommen hatte (Internetwort, bezeichnet die
Angst, etwas zu verpassen, insbesondere im Zu-
sammenhang mit sozialen Netzwerken), buchte
auch ich einen astrologischen Beratungstermin
(etwa 1,5 Monate Wartezeit, 135 Euro für 90 Mi-
nuten), schließlich ließ sich selbst Siri Hustvedt
astrologisch beraten (bei Susan Miller, verant-
wortlich für das Vogue- Jah res horo skop).


R


echerchiert man ein bisschen zum
Thema, hat man schnell verstanden,
dass Journalistinnen (tatsächlich fast
ausschließlich Frauen) im englisch-
sprachigen Raum das im vergangenen
Jahr ebenfalls getan haben, und zwar um den
Astro -Boom in der Generation der sogenannten
Millennials zu verstehen. Astrologie »is suddenly
trendy again« (New York Times) und sei längst
kein uncooles Hippie-Ding mehr, sondern gelte
als »fortschrittlich« und »schick«, und zwar nicht
nur unter Yogalehrern und Heilpraktikern, son-
dern längst auch unter »Akademikern und
Schriftstellern« (Vanity Fair), was sich laut Ob-
server unter anderem an den steigenden Zugriffen
auf Online-Horoskope ablesen lässt, die jedes an-
ständige Millennial-Medium (Broadly, refinery29,
The Cut) anbietet. Außerdem wird in jenen Astro-
Erklärtexten immer wieder hingewiesen auf die
verbreitete Nutzung von astrologischen Apps,
Astro-Memes und astrologischem Vokabular in
der Alltagssprache (»Merkur ist rückläufig«) und
auf die Verarbeitung astrologischer Themen
auch in der Mode (Vete ments, Valentino und in-
zwischen auch Urban Outfitters). Das Interesse
für Astrologie sei, klar, ein Frauending und spre-
che insbesondere queere Menschen an, was
möglicherweise daran liege, dass die sich von der
jeweiligen Religion ihrer Eltern seit je verachtet
gefühlt hätten (New York Times). Die verschie-
denen Versuche zur Erklärung dieses Trends ha-
ben viel mit dem Internet zu tun (jeder kann sich
hier unkompliziert sein persönliches Geburts-
horoskop erstellen lassen, außerdem klickt sich


personalisierter »Happy Content« naturgemäß
gut, das heißt, es ist einfach toll, wenn man das
Gefühl hat, das Internet rede ganz persönlich mit
einem). Und dann wird, wenn es darum geht, das
neue Interesse an Astrologie zu verstehen, selbst-
verständlich auch hingewiesen auf die unbere-
chenbaren beziehungsweise »unsicheren Zeiten«,
unter deren Eindruck die sogenannten und of-
fenbar ziemlich gestressten Millennials stehen
(Finanzkrise 2008, Klimawandel, Trump, man
kann sich auf gar nichts mehr verlassen), wobei
die Astrologie als hierarchielose Antwort auf ein
»System, das nicht mehr funktioniert«, interpre-
tiert wird, die insbesondere »Outsider« anspreche
(Observer). Und ja, dieses ganze Online-Astrologie-

Thema lasse einen manchmal schon an eine Hin-
wendung zu alternativen Fakten denken (New
York Times), andererseits hätten viele dazu ein
eher ironisches Verhältnis. Aber vielleicht ist das
ja trotzdem ein guter Zeitpunkt, um darauf hin-
zuweisen, dass es keinen wissenschaftlichen Beleg
für einen Zusammenhang zwischen der Bewe-
gung bestimmter Himmelskörper und den Din-
gen, für die Menschen sich auf der Erde ent-
scheiden, gibt, und das heißt auch, dass Unter-
suchungen zu dem Ergebnis kommen, dass Aus-
sagen von Astrologen über das Wesen oder den
Charakter eines Menschen nicht mehr zutreffen
als willkürliche Aussagen.
Nun ist es aber so, dass ich mir nicht irgend-
ein Wald-und-Wiesen-Horoskop im Internet

Vielleicht schickt er
uns bald ein Zeichen?
Eine Collage der
griechischen
Künstlerin
Eugenia Lobi

zusammenbasteln ließ, nein, ich ging unter vor-
heriger Angabe meines Geburtsdatums, Ge-
burtsortes und meiner Geburtszeit zu einer as-
trologischen Beratung, durchgeführt von einer
diplomierten Psychologin und Vertreterin der
psychologischen Astrologie (macht keine Aussa-
gen darüber, was wann passieren wird, hebt die
Entscheidungsfreiheit des Einzelnen hervor),
und das ist in Spiri-Kreisen (sagt man so) etwas
vollkommen anderes. Das Zimmer, in dem wir
ein an der gegenübersaßen, sah genauso schön
aus wie das Layout der genannten Millennial-
Horoskop-Seiten (helle Farben, lauter Dinge,
die Lena Dunham gefallen würden), und die
psychologische Astrologin sah auch so aus, und

ich wollte dort sofort bleiben und mich für im-
mer beraten lassen, hielt es aber gleichzeitig
auch für clever, möglichst wenig von mir zu er-
zählen, um herauszufinden, ob meine Beraterin
Spezialkräfte hatte, doch auch um mich nicht
von dem sogenannten Barnum-Effekt (Men-
schen neigen dazu, allgemeingültige Aussagen
zu ihrer Person so zu interpretieren, dass sie als
zutreffend empfunden werden) austricksen zu
lassen. Aber die Beraterin war so aufmerksam, so
bestärkend und einfühlsam, wie es eben regel-
mäßig nur Menschen sind oder sein können, die
genau damit ihr Geld verdienen, sodass ich die
Idee, über mein »Beziehungsthema« (Aszendent
Waage) und meine »unausgeschöpften Potenzia-
le« zu reden, immer besser fand. Und es war na-

türlich zum Totlachen und Weinen gleichzeitig,
so zum Klischee seiner selbst zu werden, aber
eben auch sehr unterhaltsam, nicht zuletzt, weil
vermutlich die meisten Menschen dann am bes-
ten unterhalten sind, wenn es um sie geht. Wir
fanden heraus, dass ich hochsensibel, wahnsin-
nig kreativ und sehr freiheitsliebend sei, aber
eben auch sehr verantwortungsbewusst (typisch
Steinbock, neigt deswegen zu Depressionen)
und harmoniebedürftig, und da kann man sich
halt ziemlich leicht »im Du verlieren«, wenn-
gleich ich insofern Glück hätte, als Mars noch
im ersten Haus sei und es dadurch eine Gegen-
steuerung gebe. Es gehe darum, mehr bei sich
selbst zu bleiben und an die eigene Kraft heran-
zukommen, die ich eigentlich total hätte. Eine
konkrete Pro gno se zu einer konkreten Frage
(ging um Geld) wollte die Beraterin, in die ich
inzwischen verliebt war, leider nicht machen
(»wäre Wahrsagerei«), was ich sehr schade fand,
was aber auch mein Vertrauen in sie sofort stei-
gerte. Weiter: Die Familienstimmung sei, als ich
auf die Welt gekommen sei, sehr ernst gewesen
(glaube ich sofort), und dann müssten wir uns
vielleicht mal meinen »inneren Kritiker« anse-
hen, dieses dumme Schwein (auch das erschien
mir folgerichtig). Da Saturn am IC (Astro-Fach-
jargon) stand, solle ich mir eine Therapie »gön-
nen« (wer sollte das nicht?), weil das eine sehr
harte Zeit sei und für den Fall, dass Sie sich in
all den genannten Beschreibungen wiedererken-
nen und ebenfalls den Eindruck haben, dass Ihr
Leben ziemlich hart sei, so ist das überhaupt
keine Überraschung, sagt aber gleichzeitig auch
nichts über Qualität und Funktionsweise jener
hier natürlich nur sehr verkürzt dargestellten
astrologischen Beratung aus.

E


s war eine Art Tanz, bei der die astro-
logische Beraterin auf Grundlage ihres
komplexen astrologischen Systems ein
Lebensinterpretationsangebot machte,
bei dem Verständnis, Mitgefühl und
die Hervorhebung positiver Eigenschaften eine,
wenn nicht die entscheidende Rolle spielten
(Ärzte, Freunde und Familie haben einfach keine
Zeit mehr für Mitleid, um das zu gewährleisten,
müsste man ihnen allen wirklich ausreichend
viele Berater zur Seite stellen), und von diesem
In ter pre ta tions ange bot nahm ich mir, was ich
passend fand, und interpretierte es meinerseits,
was wiederum sie in ihrer Interpretation bestätigte
und sie, unter Einsatz der von mir preisgegebe-
nen Informationen, zu weiteren Interpretationen
veranlasste, und am Ende waren wir uns über die
sich fortwährend verdoppelnden Interpretatio-
nen vollkommen einig und hatten das Gefühl,
Entscheidendes herausgefunden zu haben, und
dabei waren die – oh Gott – Sterne nur das Sys-
tem, mit dem wir uns über Bande unterhielten.
Man könnte auch sagen: Es war ein ganz norma-
ler Therapie-Talk, getunt durch ein bisschen
Astro-Power, und man könnte außerdem sagen,
dass sich beim Lesen von Literatur ein ähnlicher
Vorgang vollzieht, nämlich dass man sich mit
einem geschlossenen System unterhält, das von
der Zeichenhaftigkeit der Dinge (Orangen, Äp-
fel, Käfer, Blumen) ausgeht und in dem man
meistens die Annahmen bestätigt sieht, von de-
nen man ohnehin ausgegangen ist. Denn das ist
ja, was Menschen von morgens bis abends tun:
Sie suchen nach einer Geschichte für das eigene
Erleben, um zufälligen Ereignissen, die sich dem
eigenen Einfluss entziehen, einen Sinn zu ver-
leihen, und sie tun es auch dann noch, wenn sie
Joan Didions Das Jahr magischen Denkens gelesen
haben, das im Grunde auf genau diese Unter-
scheidung hinausläuft: Anders als die Literatur
(Filme, die Bibel etc.) ist das Leben nicht zei-
chenhaft, und das ist eine Beleidigung, über die
Menschen schwer hinwegkommen. Folgerichtig
beschreibt die New York Times die Funktion der
Sterne für Susan Millers Horoskope auch als
»kreative Schreibanregung«, die sie zu jenen Ge-
schichten inspiriert, die sie ihren Lesern über
deren Leben erzählt.
Jenen Geschichten allerdings liegen, genau
wie meiner astrologischen Beratung, häufig be-
stimmte, stark von einem Therapie-Diskurs in-
spirierte Prämissen zugrunde: Die Gesellschaft
(»das System«) hindert den Einzelnen daran, zu
erkennen und zu tun, wozu er wirklich berufen
ist, und sein Potenzial voll zu entfalten. Und so
geht es häufig darum, die zu werden, die man
wirklich ist, indem man an sich selbst arbeitet,
und dieser Anspruch ist, wenn man ihn als al-
ternative Antwort auf ein »System, das nicht
mehr funktioniert«, versteht und damit den so-
genannten Kapitalismus meint, selbstverständ-
lich exakt das Gegenteil davon, nämlich dessen
Perfektionierung. Aber das alles spricht über-
haupt nicht gegen astrologische Beratungen.
Meine war ganz toll, fantastisch, jederzeit wie-
der. Sie war ein Trostpflaster, nur ein bisschen
teuer vielleicht. Andererseits: Wie könnte man
ein funktionierendes, erfülltes Mitglied dieser
Gesellschaft in Geld aufwiegen wollen, zumal
wenn es sich dankenswerterweise ganz allein
darum kümmert, zu funktionieren und erfüllt
zu sein?

A http://www.zeit.deeaudio

Foto: Eugenia Loli


  1. SEPTEMBER 2019 DIE ZEIT No 40 FEUILLETON 61

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