Was hat diese
Avoc ado m it
Antisemitismus
zu tun?
I
m März dieses Jahres stieg am Flug
hafen BerlinTegel eine Frau aus dem
Flugzeug, die weltweit berüchtigt ist:
Rasmea Odeh, Palästinenserin und
verurteilte ExTerroristin. Im Jahr
1970 war Odeh an einem Anschlag
auf einen Supermarkt in Jerusalem
beteiligt gewesen. In einer Kaffeedose hatte ein
Kommando der militanten Volksbefreiungs
front PFLP einen Sprengsatz deponiert, der
zwei jüdische Studenten tötete. Zehn Jahre ver
büßte Odeh im Gefängnis, ehe sie im Zuge
eines Gefangenenaustauschs freikam.
In Berlin wurde die ExTerroristin von
einem Gesinnungsgenossen empfangen: Kha
led B. gilt als heutiger Repräsentant der PFLP
in Europa. Ein Foto zeigt die beiden auf dem
Flughafen, wie sie Arm in Arm in die Kamera
lachen. Bei ihrem Auftritt sollte Odeh über
»palästinensische Frauen im Befreiungskampf«
reden. Aber dazu kam es nicht: Nur Stunden
vor der Veranstaltung ließ Berlins Innensena
tor Andreas Geisel (SPD) Odeh das Visum
entziehen und verhängte ein politisches Be
tätigungsverbot. Die Palästinenserin musste
unverrichteter Dinge wieder abreisen.
Die Veranstaltung hatten Berliner Anhän
ger der israelkritischen Bewegung BDS organi
siert, deren Akronym für »Boykott, Desinves
tionen, Sanktionen« steht. BDS hat es sich
zum Ziel gesetzt, den jüdischen Staat zu iso
lieren, um damit die palästinensische Sache zu
unterstützen.
Das Auftrittsverbot war der erste Schritt in
einer Reihe von Maßnahmen, mit denen die
Sicherheitsbehörden BDS bekämpfen wollen.
Am Dienstag dieser Woche stand das Thema
auch auf der Tagesordnung des wöchent
lichen Treffens der NachrichtendienstChefs
im Kanzleramt.
Mit Roger Waters und Jean-Luc Godard
gegen dem jüdischen Staat
Die Anhänger von BDS nennen Israel einen
ApartheidStaat. Die Gegner von BDS nennen
die Bewegung antisemitisch. Der Streit ist Teil
eines global ausgetragenen Kulturkampfes, der
eskaliert und sich um die Frage dreht: Wie
hältst du es mit Israel – und wie mit BDS?
Die 2005 gegründete, von Palästinensern
geführte Bewegung, die von Prominenten wie
Roger Waters, Desmond Tutu oder JeanLuc
Godard unterstützt wird, stellt den jüdischen
Staat weltweit an den Pranger. Sie bedrängt
Musiker, ihre Auftritte in Israel abzusagen, ruft
zum Boykott des Eurovision Song Contest in
Tel Aviv auf und setzt Unternehmen unter
Druck, nicht in Haifa oder Jerusalem zu inves
tieren. In Broschüren fordern BDS und dessen
Sympathisanten die Verbraucher auf, Produkte
aus Israel zu meiden, Orangen beispielsweise
oder auch Avocados. Der wirtschaftliche Scha
den geht in die Milliarden, vor allem aber nährt
die Kampagne ohnehin vorhandene Ressenti
ments. Im Mai verurteilte eine große Mehrheit
der Abgeordneten im Deutschen Bundestag die
Bewegung.
Wie gefährlich ist BDS? Wo endet legitime
Kritik an Israel und wo beginnt der Hass auf
Juden? Und ist die Bewegung so radikal, dass
sie in Deutschland, dem Land der Täter, zum
Fall für den Verfassungsschutz wird?
»Bei BDS haben wir zu lange gedacht: Das
ist eine Randgruppe, das wird schon nicht so
schlimm werden«, sagt der Berliner Innensena
tor Geisel. »Jetzt stellen wir fest, dass dem nicht
so ist. BDS stellt das Existenzrecht Israels in
frage.« Geisel sitzt in seinem Büro im vierten
Stock der Innenverwaltung in der Kloster
straße, helles Parkett, großer Besprechungstisch.
Der Senator hat sich Zeit genommen, um über BDS
zu reden, das Thema bewegt ihn. Er rutscht unruhig
auf seinem Stuhl hin und her, als wolle er höchst
persönlich aufspringen und die BDSAktivisten am
Revers packen und schütteln.
In Berlin hat BDS nicht nur die Veranstaltung
mit Odeh organisiert. Die Gruppe, die in der
Hauptstadt aus rund 20 Aktivisten besteht und
deren Frontfrau aus dem gutbürgerlichen Stadtteil
Charlottenburg stammt, schreibt offene Briefe, ruft
zum Boykott von Popfestivals auf und hält Mahn
wachen vor Geschäften der Marke Puma ab, weil
der Sportartikelhersteller den israelischen Fußball
verband finanziell unterstützt.
Geisel will BDS nun mit der vollen Härte des
Staates entgegentreten. Dazu gehöre auch, »dass sich
die deutschen Verfassungsschutzbehörden stärker
mit dem BDS und seinen antiisraelischen Positionen
auseinandersetzen«. Die Sicherheitsbehörden wissen
bis heute nicht, wer eigentlich Veranstaltungen wie
jene mit Rasmea Odeh organisiert, wer die Boykott
Kampagne finanziert und wie eng die Verbindungen
von BDS zu militanten Gruppen wie der PFLP, Ha
mas oder Hisbollah sind. Anfang des Jahres riefen
die Verfassungsschutzbehörden von Bund und Län
dern eine interne Arbeitsgruppe ins Leben, die klä
ren soll, was es mit BDS auf sich hat und wie die
Sicherheitsbehörden mit dem Phänomen umgehen
sollen: Ist die Bewegung Teil einer öffentlichen De
batte, die vielleicht unappetitlich sein mag, aber die
eine Demokratie ertragen muss? Soll BDS bundes
weit vom Verfassungsschutz beobachtet werden?
Oder gehört sie gar verboten?
In mehreren vertraulichen Lageberichten haben
die Verfassungsschützer seitdem zusammengetragen,
welche belastenden Erkenntnisse es gibt. Darin wird
etwa eine Veranstaltung in der Berliner Humboldt
Universität aufgeführt, auf der BDSAktivisten
einen Vortrag der HolocaustÜberlebenden Deborah
Weinstein und einer liberalen israelischen Knesset
Abgeordneten mit Rufen wie »Kindermörder«
sprengten und sich anschließend ein Handgemenge
mit Ordnern lieferten.
In ihrer Übersicht zitieren die Verfassungsschüt
zer auch den Gründungsaufruf der Bewegung aus
dem Juli 2005, in dem es heißt, BDS werde nicht
ruhen, ehe »die Besetzung und Kolonisation allen
arabischen Landes beendet« sei. Weil sich einige
BDSAktivisten auf den Status von 1948 berufen,
also auf die Zeit vor der Gründung des israelischen
Staates, werde damit implizit das Existenzrecht
Israels infrage gestellt, argumentieren die deut
schen Beamten.
Tatsächlich reicht die Weltsicht von BDS weit
über eine punktuelle Kritik hinaus. Israel sei keine
Demokratie, sondern »ein Schurkenstaat« mit »Fa
schisten in der Regierung«, behauptet Omar Bar
ghou ti in Interviews, ein in Katar geborener palästi
nensischer Aktivist, der als Mitbegründer und Kopf
von BDS gilt. Er plädiert für die Abschaffung des
Staates, der sich als Heimat des jüdischen Volkes
versteht. Ersetzt werden soll dieser Staat durch ein
Gemeinwesen, in dem es keine Vorrechte für Juden
mehr gäbe. Eine Bitte um ein Gespräch lehnte eine
Berliner BDSVertreterin ab, schriftliche Fragen
blieben bis zum Redaktionsschluss unbeantwortet.
Es sind Visionen wie die von Barghouti, die Gei
sel, aber auch Bundesinnenminister Horst Seehofer
(CSU) alarmieren. »Es muss erlaubt sein, das Han
deln von israelischen Politikern zu kritisieren«,
sagt Geisel. »Aber wenn daraus eine grund
sätzliche IsraelKritik wird, verwischen die
Unterschiede zwischen legitimer Kritik und
Antisemitismus.«
Der Verfassungsschutz ist laut Gesetz zu
ständig dafür, Bestrebungen zu beobachten, die
gegen die freiheitlichdemokratische Grund
ordnung gerichtet sind. Antisemitismus zählt
fraglos zu den hässlichsten politischen Erschei
nungsformen, aber ist er auch gegen die deut
sche Verfassung gerichtet? Ja, meint Geisel.
»Wenn jemand herabgewürdigt wird, weil er
Jude ist, ist das ein Angriff auf die Menschen
würde und damit gleich auf Artikel 1 unseres
Grundgesetzes.«
Die Lage ist allerdings nicht ganz so über
sichtlich, wie es erscheinen mag. Barghouti, der
in Israel und den USA studiert hat, ist ein klu
ger, eloquenter Redner, der sich öffentlich ab
zugrenzen weiß und sagt: »BDS stellt sich ge
gen jede Art von Antisemitismus und Islamo
phobie.« Und im August verurteilte BDS in
einem Aufruf »die aufstrebenden rassistischen
und faschistischen Gruppen in Deutschland
und Europa«, die Organisation distanziere sich
von allen Formen von Diskriminierung, »dar
unter auch Antisemitismus«. Zumindest vor
dergründig wendet sich die Bewegung gegen
eine pauschale Herabwürdigung von Juden.
»Wenn ich höre, dass BDS sich angeblich
gegen Antisemitismus engagiert, kann ich nur
müde lächeln«, sagt Berlins Innensenator Gei
sel. »Solche Organisationen behaupten ja ger
ne, sie seien antizionistisch, aber nicht anti
semitisch. In der Praxis bedeutet das bei BDS
IsraelFeindlichkeit. Da sind die Übergänge
zum Antisemitismus fließend.«
Ist Antisemitismus ein Fall für
den Verfassungsschutz?
Intern ist die harte Linie der Behörden aller
dings nicht unumstritten. Nicht alle Verfas
sungsschützer der Länder sind überzeugt da
von, dass BDS ein Thema für die Nachrichten
dienste sei. Wenn man künftig Antisemiten als
Verfassungsfeinde einstufe, sagt ein Verfas
sungsschützer, müsse man konsequenterweise
auch Islamhasser beobachten – die ebenso pau
schal eine bestimmte gesellschaftliche Gruppe
herabwürdigten. Hinzu kommt, dass der Artikel
5 des Grundgesetzes auch harte israelkritische
Worte als Meinungsfreiheit schützt.
Gut möglich also, dass ein Verwaltungs
gericht die Verfassungsschützer in die Schran
ken weisen würde, käme es zu einer juristischen
Entscheidung.
Wie sehr die Frage, wie man zu BDS steht,
mittlerweile polarisiert, zeigt die Vergabe des
NellySachsPreises. Mit der angesehenen Aus
zeichnung ehrt die Stadt Dortmund Schrift
steller, die sich für »Toleranz, Respekt und Ver
söhnung« einsetzen; in diesem Jahr, teilte die
Jury Anfang September mit, sei als Preisträgerin
die pakistanischbritische Autorin Kamila
Shamsie auserkoren worden, die mehrere gefei
erte Romane veröffentlicht hat und in London
lebt. Shamsie unterstützt BDS und weigert
sich, in Israel zu publizieren. Der Jury war das
entgangen.
Vergangene Woche teilte das Gremium
mit, Shamsie werde die Auszeichnung doch
nicht erhalten – wogegen wiederum mehr als
250 Schriftsteller in einem offenen Brief pro
testierten.
Der Preis wird nun in diesem Jahr nicht
verliehen.
Siehe auch Feuilleton, Seite 59, zum
NellySachsPreis
Mit wachsendem Erfolg agitiert eine Bewegung namens BDS gegen Israel. Auch in Deutschland.
Nun befasst sich der Verfassungsschutz mit den Aktivisten VON HOLGER STARK
Foto: Shutterstock
ANZEIGE
- SEPTEMBER 2019 DIE ZEIT No 40 POLITIK 7