Die Zeit - 26.09.2019

(Nandana) #1
Liebe Ella,

ich war schon immer ein Papakind.
Mein Papa hat mir die Welt erklärt,
mich weltoffen und empathisch er­
zogen und mir stets eingebläut, alles
und jeden zu hinterfragen, damit ich
mir eine objektive Meinung bilden
kann. Das ist ihm immer noch ex­
trem wichtig.
Inzwischen bin ich erwachsen, und
auch mein Papa hat eine Wandlung
durchgemacht. Aus dem ehemals
liberalen Menschen ist ein AfD­ Wähler
geworden, der den Klimawandel
leugnet, people of color grundsätzlich
feindlich gegenübersteht, der denkt,
dass LGBITQ­Menschen in ihr
»Schicksal« überredet werden und
davor eigentlich »normal« waren,
jemand, der den Medien nicht mehr
vertraut und nur noch Artikel von
Journalistenwatch liest und YouTube­
Videos schaut.
Mein Papa ist ein intelligenter
Mann, er recherchiert viel. Nur leider
kann er anscheinend nicht zwischen
seriösen und politisch gefärbten Quel­
len unterscheiden.
Die Entwicklung war schlei­
chend. Wir haben nicht jeden Tag
darüber geredet – und eines Tages
bin ich aufgewacht und hatte einen
rechts extremen Vater. Bis vor Kur­
zem habe ich seine monologartig

vor getragene Meinung kommentar­
los hingenommen, weil ich ihn nicht
verärgern und damit weiter von mir
entfernen wollte. Das hat aber nichts
gebracht. Nun bin ich dazu überge­
gangen, jede einzelne seiner Aussagen
mit wissenschaftlichen Quellen zu
widerlegen, doch was nicht in sein
Weltbild passt, wird ignoriert.
Nun zu meiner Frage: Woher neh­
me ich die Kraft, einem Menschen
wieder die Augen zu öffnen und die
Angst vor Veränderung zu nehmen?
Wie schaffe ich es, zu einem normalen
Verhältnis zurückzukehren?
Das Letzte, was ich will, ist, den
Kontakt zu ihm zu verlieren. Wenn
es aber so weitergeht wie bisher, bin
ich machtlos.
Eine verzweifelte Tochter

Liebe verzweifelte Tochter,

wäre die Angelegenheit nicht so ernst,
würde ich sagen: Du wirst lachen – ich
hab ein ähnliches Problem wie Du.
Als ich klein war, hing bei uns zu
Hause ein Plakat der Grünen. Es gab
die Partei damals noch nicht lange.
Bei Kindergeburtstagen fragten meine
Gäste, ob meine Mutter das sei, was ich
heute mit dem Begriff linksradikal
beschreiben würde. Ich weiß nicht
mehr, was ich darauf geantwortet habe.
Nur dass ich wahnsinnig stolz war. Auf

meine Mutter, die Grüne, die Dage­
gene, die Linke.
Eher durch Zufall habe ich vor ein
paar Jahren erfahren, dass sie jetzt die
AfD wählt. Sie hat es nicht bestritten,
als ich sie darauf ansprach. Und ich er­
innere mich, dass ich geweint habe, vor
Zorn und Scham. Es ist mir noch im­
mer schwer begreiflich.
Ich kann nicht ausschließen, dass
ich mir aus dieser persönlichen Be­
troffenheit heraus in die Tasche lüge,
aber mein Eindruck ist, dass vieles von
dem, was sie umtreibt, mit diffusen
Ängsten aus allen möglichen Ecken des
Lebens zu tun hat, deren oft schmerz­
haften Ursachen man sich nicht stellen
muss, wenn es gelingt, sie stattdessen
einmal durch das bewährte Ressenti­
ment­Ventil zu jagen, das die AfD zur
Verfügung stellt.
Als Journalistin entsetzt mich, dass
sie auf meine Frage, woher sie ihre mit­
unter hanebüchenen Informationen
bezieht, oft einfach »aus dem Internet«
antwortet. Vor einiger Zeit sprachen
wir über Skandinavien, sie verwies auf
die »Vergewaltigungsquote« in Schwe­
den, die viel höher sei, als »die Medien«
in Deutschland berichten würden. Zu
Hause fing ich an zu googeln. Mit den
Suchwörtern »Vergewaltigungsquote«
und »Schweden« landete ich aus­
nahmslos auf kruden Seiten. Erst mit
den Schlagwörtern »Vergewaltigung«,

»Statistik« und »Schweden« stieß ich
auf seriöse Quellen.
Ich habe leider kein Rezept für
Dich, im Sinne von: So und so funk­
tioniert es. Ich habe meiner Mutter ein
Zeitungsabonnement bestellt. Manch­
mal recherchiere ich ihren Statements
hinterher und konfrontiere sie mit dem
Ergebnis, selbst wenn ich sie damit
nicht überzeuge. Ich gehe Diskussio­
nen mit ihr nicht aus dem Weg, um des
lieben Frieden willens. Nicht weil ich
der Auffassung bin, dass man mit AfD­
Wählern sprechen muss. Sondern weil
diese AfD­Wählerin meine Mutter ist.
Weil ich das, was ihr im Netz das Hirn
zumüllt, nicht unwidersprochen stehen
lassen will.
Ich streite mich nicht grundsätzlich
mit ihr, wenn wir miteinander spre­
chen. Ihre Gedanken erscheinen mir
manchmal wie ein verheddertes Woll­
knäuel, das man nicht löst, indem man
fester am abstehenden Faden zerrt.
Aufdröseln lässt es sich bestenfalls
dann, wenn man versucht, über all das
zu sprechen, was sich im Durcheinan­
der verknotet hat.
Natürlich musst du das nicht tun.
Es steht Dir frei, den Kontakt zu
Deinem Vater abzubrechen. Aber ich
habe nicht das Gefühl, dass das für
Dich eine Option ist. Dann bleibt Dir
nichts anderes übrig: Rede mit Deinem
Vater – nicht nur über seine politischen

Positionen. Der Mensch, der er einmal
war, kann ja nicht einfach weg sein.
Wie erklärt er denn selbst, dass er die
Welt heute so anders sieht? Gibt es per­
sönliche Themen, die bei ihm liegen
geblieben sind und sich jetzt mit den
Angeboten rechtspopulistischer Welt­
deutung verhaken? Das ist das eine.
Das andere ist, sich in Gesprä­
chen mit ihm politisch klar zu posi­
tionieren. Diskutiere mit ihm. Auch
wenn er sich nicht überzeugen lässt.
Sprich trotzdem mit ihm. Wider­
sprich ihm. Streite. Und dann sprich
weiter. Womöglich wird euer Ver­
hältnis nie mehr so harmonisch, wie
es einmal war. Aber vielleicht reicht
die Reibung für Wärme.
Stay strong!
Deine Ella

Ein geliebter Mensch ist rechtsextrem geworden.


Wie kehren wir zu einem normalen Verhältnis zurück?


Sie haben ein Problem und würden gern darüber sprechen – aber es hat mal wieder keiner Zeit? Dann fragen Sie ELLA!


Schreiben Sie uns!
Sie haben Mist gebaut? Sie wären
gern anders, aber wissen nicht, wie?
Ella lässt sich was für Sie einfallen.
Ella ist eine ZEIT­Redakteurin mit
abgebrochenem Psychologiestudium
und vielen Stunden Tresentherapie­
Erfahrung. Schreiben Sie ihr offen
und angstfrei unter einem
Pseudonym Ihrer Wahl per Mail
an: [email protected]
oder über Instagram unter @zeit_ella

Origami-Schnecke


Doris Dörrie sammelt auf Reisen
seltsame Dinge. Diesmal in Japan

A


ls ich mit meinem kleinen Kind nach Ja­
pan fuhr, überlegte ich, in welcher Sprache
wir denn dort kommunizieren könnten,
denn mein Japanisch war rudimentär (und
ist es leider immer noch), und so beschloss
ich, ein bisschen Origami zu lernen, kaufte Anleitungs­
buch und Papier und brütete über den Diagrammen
der Anleitungen, den verschiedenen Strichsymbolen
für Knick und Gegenknick. Geduld war gefragt, nicht
meine Stärke, und vor Wut schnauben ließ mich der
Hinweis: Wer alle Regeln genau beachtet und sauber
und sorgfältig faltet, wird sehr viel Freude mit den Er­
gebnissen haben. Erstaunlicherweise konnte mein
Kind das alles sehr viel besser als ich, und wir meis­
terten vor der Abreise tatsächlich den Kranich. Meine
Idee entpuppte sich als ziemlich genial, denn jeder,
wirklich jeder lernt in Japan Origami schon im Kinder­
garten, und kaum packt man Origamipapier aus, fan­
gen alle automatisch an zu falten.
Während ich in verschiedenen Unis irgendwas über
den deutschen Film erzählte, verteilte meine Tochter
Origamipapier an die Studenten, und am Ende der
Vorlesung sammelte sie ein unglaubliches Arsenal an
Blüten, Drachen, Fröschen, Käfern, Heuschrecken,
Schweinen, Vögeln, Pferden, Fischen, Mönchen, Rei­
tern, Hunden und Schnecken wieder ein. Kein einziger
Kranich war je dabei, als wolle man uns dieses Stan­
dardorigamitier überlassen, und wenn mein blond ge­
locktes Kind einen Kranich überreichte, wurde es mit
lauten Ohs und Ahs belohnt, manchmal kam es zu
Tränenausbrüchen vor Rührung. Am Ende bewerteten
wir die verschiedenen Unis nach den Origamifertig­
keiten der Studenten und unseren Lieblingstieren. Der
absolute Sieger war die Schnecke. Schwierig zu falten
und so hübsch mit ihrem runden Bauch, der am Ende
aufgeblasen wird. Eine dieser Schnecken von vor mehr
als zwanzig Jahren hat in der Schublade überlebt, und
ich habe in zwischen gelernt, sie nachzufalten. Ich be­
nutze das Schnecken falten als Beruhigungsmittel für
die Wut über die Schnecken in unserem Gärtchen, ge­
gen die kein Kraut und keine Mordmethode gewach­
sen ist. Immer wenn ich toben und schreien könnte,
weil sie wieder jedes zarte Pflänzchen ausradiert haben,
falte ich eine Schnecke, sauber und sorgfältig – und
habe sehr viel Freude an dem Ergebnis.


Doris Dörrie, 64, ist Regisseurin und Schriftstellerin.
Ihre Kolumne erscheint im Wechsel mit »Das gehört
nicht ins Feuilleton«. Ihr neues Buch »Leben, schreiben,
atmen« ist gerade bei Diogenes erschienen Illustration: Sergio Membrillas für DIE ZEIT; kl. Fotos: Doris Dörrie, Dieter Mayr

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Förderer

Dr.Irina Kummert
Präsidentin, Ethikver-
bandder Deutschen
Wirtschafte.V.
(EVW)

Prof.Dr. Stefan
Simon
Generalbevoll-
mächtigter,
DeutscheBankAG

Dr.HannsChristoph
Siebold
Vizepräsident,
IHKFrankfurt amMain;
Mitglied desVorstands,
Morgan Stanley
Bank AG

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29.OKT OBER 2019,IHK FRANKFUR TAMMAIN

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Mitglied desVorstands,
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Geschäftsführer,
SPIEGEL-Verlag Rudolf
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Partner,Pricewater-
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Exekutivdirektor
Bankenaufsicht,
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