Die Zeit - 26.09.2019

(Nandana) #1
Türkis ist die neue Farbe der ÖVP, seitdem Sebastian Kurz den Vorsitz übernommen hat Kurz im Kreis seiner Anhänger am 19. September in Baden

Wien, Wels

W


ie leicht alles zu sein
schien, damals vor zwei
Jahren. Erst hatte Se­
bastian Kurz die Öster­
reichische Volkspartei
(ÖVP) übernommen,
hatte sie aus der unge­
liebten Koalition mit den Sozialdemokraten ge­
führt und einen Wahlkampf bestritten, in dem alles
nach Plan lief. Er galt als Erneuerer des Landes, als
Kämpfer gegen illegale Migration, und am Ende
des Jahres war er Bundeskanzler. Mit 31 Jahren.
Zwei Jahre später ist Sebastian Kurz Altkanzler.
Auch diesmal wieder der jüngste, den das Land je
hatte. Und er führt einen Wahlkampf, der nicht
vorgesehen war.
An diesem Sonntag finden in Österreich vor­
gezogene Neuwahlen statt, und Kurz steht vor
einer paradoxen Situation: Wenn die Umfragen
recht behalten, wird er die Wahl mit großem Vor­
sprung gewinnen, vielleicht bekommt er sogar
mehr Stimmen als vor zwei Jahren. Trotzdem ist
alle Leichtigkeit verflogen. Kurz sei dünnhäutig
geworden, sagen jene, die ihn häufiger erleben, der
Wahlkampf laufe nicht mehr so reibungslos. Und
auf die Frage, was den mutmaßlichen Sieger nach
der Wahl erwartet, antwortet einer, der Kurz berät:
»Ein Scheißherbst.«
Ein Samstagvormittag im oberösterreichischen
Wels, 14 Tage vor der Wahl. In Frankys Bierstadl,
auf einem Volksfest, wird Sebastian Kurz erwar­
tet, doch bevor der Spitzenkandidat und Alt­
kanzler im Festzelt eintrifft, darf ein junger ehren­
amtlicher Bürgermeister der ÖVP auf der Bühne
erzählen, wie ihn »der Sebastian« überrascht und
auf dem Handy angerufen habe, um ihm zu sei­
ner Wahl zu gratulieren. »Der ist tatsächlich am
Boden geblieben«, sagt er. Fast wortgleich steht es
auf den Plakaten, mit denen die Volkspartei
wirbt. Kurz und sein Team überlassen ungern et­
was dem Zufall. Nur der Bürgermeister von Wels
ist nicht in Fran kys Bierstadl erschienen; kein
Wunder, er ist Mitglied der FPÖ.
Mit den sogenannten Freiheitlichen hat Kurz
18 Monate lang regiert, gegen viele Widerstände,
auch in den eigenen Reihen. Immer wieder waren
rechtsextreme Vorfälle in der FPÖ bekannt ge­
worden, ebenso ihre Verbindungen mit der äu­
ßersten Rechten. Dann bereitete »Ibiza« der Koa­
lition ein vorzeitiges Ende. Die Süddeutsche Zei-
tung und der Spiegel veröffentlichten ein Video,
das den früheren Vizekanzler und FPÖ­Chef
Heinz­Christian Strache als offensichtlich kor­
rumpierbaren Handlanger einer russischen Oli­
garchin vorführte. Kurz beendete die Zusam­
menarbeit. Und die FPÖ revanchierte sich, in­
dem sie den Kanzler gemeinsam mit den Sozial­
demokraten per Misstrauensvotum stürzte.

»Wir wollen unseren Kanzler zurück«,
lautet der Slogan der ÖVP

Vom »Ibiza­Video« zum Kurz­Sturz: In Wels er­
innert die Volkspartei mit einem kurzen Film an
diese Vorgeschichte der bevorstehenden Wahl. »Die
Sozialdemokratische Partei handelt gegen den
Willen des Volkes«, heißt es in dem Film. Ein Red­
ner fordert anschließend: »Es ist Zeit, dass wir uns
unseren Kanzler zurückholen.« Auch im Internet
kann man Kurz mit einem Mausklick und der Aus­
sage unterstützen: »Ich will meinen Kanzler wieder!«
Erst wurde er von der FPÖ betrogen, dann
von der SPÖ gestürzt – Kurz als Opfer, das ist der
eine Teil der Wahlkampfgeschichte, die von der
ÖVP erzählt wird. Kurz selbst sagt dazu in Wels:
»Wir haben versucht, das mit Würde zu ertragen.«
Der andere Teil der Geschichte ist raffinierter. Die
Strategen der Volkspartei suggerieren, dass Kurz
bis heute der legitime Kanzler der Republik sei
und das Parlament kein Recht gehabt habe, ihn

abzusetzen. »Rot­Blau hat bestimmt. Das Volk
wird entscheiden«, plakatierte die ÖVP unmittel­
bar nach seinem Sturz. Rot und Blau sind die
Farben von SPÖ und FPÖ.
Indem er das Volk gegen die Abgeordneten in
Stellung bringt, versucht Boris Johnson gerade,
Großbritannien aus der EU zu führen. Donald
Trump ist mit dieser Methode Präsident geworden.
Es ist der Sound des Populismus, den auch Kurz
anklingen lässt. Nach seiner Abwahl wäre er nor­
malerweise wieder Abgeordneter geworden. Aber
Kurz hat das Mandat demonstrativ zurückgegeben
und ist stattdessen durchs Land gefahren. Der
Kanzler hat sich unter sein Volk gemischt.
»Wir wollen unseren Kanzler zurück!« Der
Slogan ist eine Anmaßung, aber zugleich verrät er
Ratlosigkeit. Im Jahr 2017 verkörperte Kurz den
im Land weitverbreiteten Wunsch nach Verände­
rung und einem neuen Anfang. Die bis dahin re­
gierende große Koalition hatte sich in den Augen
vieler Wählerinnen und Wähler erschöpft. Kurz
stellte eine Alternative in Aussicht. Schon vor der
Wahl war er der FPÖ weit entgegengekommen.
Im Wahlkampf hatte er fast ausschließlich über
Migration, den politischen Islam und Versäum­
nisse bei der Integration gesprochen.

Kurz ist beliebt, aber er weiß nicht, mit
wem er nach der Wahl regieren soll

Und nun? Die Koalition mit der FPÖ ist spekta­
kulär zu Ende gegangen; die Migration ist als
Thema nicht mehr so dominant wie 2017; und
Kurz’ Bilanz als Reformer ist umstritten. Außer­
dem hat er innerhalb von zwei Jahren nun schon
den zweiten Koalitionspartner verschlissen. Ent­
sprechend unklar sind die Perspektiven. Mit wem
will Kurz in den kommenden Jahren regieren?
Und vor allem: wofür?
Im Festzelt in Wels spricht Kurz über den
Klima wandel, den er aus der Perspektive einer
Bäuerin zusammenfasst. Die habe ihn gefragt:
»Warum müssen wir Fleisch aus Südamerika im­
portieren?« Gern bezieht sich Kurz in Reden auf
die Heimat, die man schützen müsse, doch zu­
gleich versichert er, dass er »immer neue Steuern
und Verbote« ablehne. Auch sei er dagegen,
»Pendler und Autofahrer zu bestrafen, nur weil sie
in Wien nicht im ersten Bezirk wohnen«.
Die Menschen auf dem Land gegen die in der
Stadt, das ist neben dem Gegensatz von Volk und
Parlament die zweite Achse, an der Kurz seinen
Wahlkampf ausrichtet. Der erste Bezirk in Wien
steht dabei als Sinnbild für eine linksliberale, ver­
meintlich abgehobene Elite. Hierzu passt, dass
Kurz nun häufig seine Großeltern aus dem Wald­
viertel erwähnt, einer ländlichen Gegend. Auf
deren Bauernhof habe er als Kind »mit Ziegen,
Hunden, Katzen und Hasen« gespielt. Bislang
hatte Kurz stets seine Schulzeit in einem Wiener
Arbeiterviertel herausgestrichen.
Auch in diesem Wahlkampf spricht er viel über
Migration, mehr als über das Klima. Er verspricht
einen Sozialstaat, »in den nicht alle zuwandern
dürfen, aber der für die da ist, die ihn brauchen«.
Er bekennt sich »zu unserer kulturellen Identität als
Österreicher« und verteidigt sich und seine Wähler
gegen »die Keule der politischen Korrektheit«:
Man sei nicht rechts, wenn man Zuwanderung
steuern wolle und für Kreuze in Klassenzimmern
eintrete. Noch immer bekommt Kurz an diesen
Stellen Applaus, aber die Frage, wofür er jenseits
dessen eigentlich steht, ist dringlicher geworden.
Seine Gegner haben Kurz als Coverboy einer
neuen, ruchlosen Rechten gezeichnet. Die Satire­
zeitschrift Titanic hat ihn nach seinem ersten
Wahlsieg sogar in die Nähe des Faschismus ge­
rückt und als »Baby­Hitler« geschmäht. Doch
eine solche Kritik verkennt den Kern der politi­
schen Figur Sebastian Kurz. Selbst Parteifreunden
fällt es mitunter schwer, zu sagen, was bei ihrem

Der Unfassbare


Die Ibiza­Affäre war der erste Tiefpunkt in der außergewöhnlichen Karriere von Sebastian Kurz. Nun wählen die Österreicher neu,


und es stellt sich die Frage: Hat ihm der Skandal geschadet oder am Ende gar genutzt? VON MATTHIAS KRUPA


Chef Pose ist und was Überzeugung. Der Mann, der
damit geworben hatte, in der Flüchtlingskrise die
Balkanroute geschlossen zu haben, erscheint ihnen
zunehmend als ein Mann ohne Eigenschaften.
Es gibt in Österreich keinen zweiten Politiker, der
so professionell agiert wie Kurz. Dazu gehört, dass er
seine Auftritte akribisch vorbereitet, jede Spontanität
vermeidet und jeden Effekt zu berechnen versucht.
»Er kontrolliert ständig, wie er wirkt«, sagt einer aus
seinem Umfeld. Umso mehr fällt es auf, wenn er ein­
mal die Kontrolle verliert. Im Sommer war Kurz bei
einem Treffen der Pfingstkirche in der Wiener Stadt­
halle aufgetreten. Auf YouTube kann man sehen, wie
ihm einer der Evangelikalen die Hand auf die Schul­
ter legt und auf der Bühne für ihn betet: »God, we
thank you so much for this man. Herr, wir danken dir
so sehr für diesen Mann, für die Weisheit, die Du ihm
gegeben hast.« Das war selbst Kurz erkennbar unan­
genehm. Vor wenigen Wochen ist dann eine peinliche
Biografie erschienen, es ist bereits die vierte, Kurz und
sein Team haben sie autorisiert, also daran mitgewirkt.
Die Autorin Judith Grohmann porträtiert den heute
33 ­Jährigen als eine Lichtgestalt des 21. Jahrhunderts,

der schon als Baby »auf der Überholspur fuhr« und
Österreich zurück ins Zentrum der europäischen Po­
litik geführt habe, »so wie es einst mit den Königen in
der Habsburger Monarchie der Fall war«. Es gibt eine
Form des Lobes, die ist vernichtender als jede Kritik.
Hinter der Marke Kurz ist der Politiker kaum
noch zu erkennen. Er verspricht geringere Steuern,
bessere Pflege und Klimaschutz durch Wasserstoff­
technologie. Eine klare Botschaft wird daraus zwar
nicht, doch scheint die Person Kurz bei vielen Wäh­
lern noch immer zu wirken.
Doch wo beginnt Erfolg, wenn einer vieles tut,
um wie eine Lichtgestalt zu erscheinen? »Es reicht
nicht einfach ein gutes Ergebnis, wir müssen hoch
gewinnen«, sagt einer der mächtigen Landesfürsten
der ÖVP. Kurz ist nun nicht mehr Herausforderer,
sondern Titelverteidiger. Und er hat Erwartungen
geschürt, die er erfüllen muss. Die größte Heraus­
forderung wartet auf Kurz erst nach der Wahl: die
Suche nach einem Koalitionspartner. Die FPÖ steht
trotz »Ibiza« in den Umfragen bei etwa 20 Prozent
und würde gerne wieder regieren; aber eine erneute
Zusammenarbeit wäre nur schwer zu vermitteln und

höchst riskant. Noch einmal könnte Kurz nicht be­
haupten, er habe nicht gewusst, was der Koalitions­
partner so alles treibt. Eine Rückkehr zur großen
Koalition mit der SPÖ als Juniorpartner würde hin­
gegen den Neuanfang dementieren, den Kurz ver­
sprochen hatte. Aus seinem Umfeld heißt es daher,
am liebsten wäre ihm ein Bündnis mit den auch in
Österreich erstarkten Grünen und den liberalen
Neos. Eine Art Jamaika in Wien: »Das wäre eine
Chance für ihn, sich politisch neu zu definieren«,
sagt einer, der ihm nahesteht. Aber bislang sind die
inhaltlichen Differenzen zu den Grünen groß.
Und auch in der ÖVP sind nicht mehr alle bereit,
jede Wendung des jungen Vorsitzenden klaglos mit­
zumachen. Schon als es darum ging, die Koalition
mit der FPÖ zu beenden, haben einige Landes­
verbände ein wichtiges Wort mitgesprochen. Nun
beschreibt ein Mitglied der Parteiführung die Aus­
gangssituation für die kommende Regierungsbil­
dung so: »Es wird mit den Blauen schwierig, es wird
mit den Roten schwierig, und mit den Grünen geht
es gar nicht.« Die Zeiten, in denen alles leicht zu sein
schien, sind für Sebastian Kurz jedenfalls vorbei.

Fotos: Revierfoto/imago (l.); Leonhard Foeger/Reuters (r.)


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  1. SEPTEMBER 2019 DIE ZEIT No 40 POLITIK 9


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