Die Zeit - 03.10.2019

(singke) #1

Es kommt vor, dass ich nachts aufwache und ein Piepsen


höre. Meist denke ich zuerst, es ist der Wecker. Ich er inne­


re mich noch daran, wie revolutionär mir mein Braun­


Wecker in den Achtzigerjahren vorkam, als solche Geräte


populär wurden: ein Wecker, der mit einem kraftvollen


Piepsen jeden aus dem Schlaf hämmern konnte. Mit kal­


ter Sachlichkeit zerriss er den morgendlichen Dämmer­


zustand und signalisierte, dass die Schule auf mich wartet.


So ein Wecker war damals allerdings das Einzige, was in


der Wohnung piepste. Das Telefon schrillte noch, die Tür­


klingel schellte. Einen Computer, der vielleicht auch hätte


piepsen können, hatten wir nicht.


Mittlerweile steckt in meinem Haushalt eigentlich in je­


dem Gerät ein Computer. Es gib mehrere Smart phones


und andere Kommunikationsgeräte, die mit ein an der ver­


bunden sind. Und sie alle können sich auch mit mir ver­


ständigen – im Zweifelsfall durch Piepsen. Da ist etwa


der Kühlschrank, der stets mit einem Piepsen darauf hin­


weist, dass jemand vergessen hat, die Tür zuzumachen.


Da ist der Herd, der stets piepst, wenn man etwas auf


den Kochfeldern liegen lässt, ganz egal, ob sie warm


sind oder nicht. Es piepst die Waschmaschine, wenn sie


der Meinung ist, dass zu wenig Wasser aus dem Zulauf


kommt, und die Spülmaschine piepst aus ganz verschie­


denen Gründen. Man muss dann die Klappe auf­ und


zumachen, ein paar Knöpfe drücken, ein Ventil öffnen



  • irgendwann hört das Piepsen dann auf. Das sind die


Megapiepser, die laut überall zu hören sind. Es gibt aber


auch die Minipiepser. Da ist das Telefon, das leise piepst,


wenn jemand anruft, aber auch wenn der Empfänger kein


Si gnal bekommt. Da ist der Toaster, der verkündet, dass


der Toast fertig ist. Jedes dieser hellen, durchdringenden


Si gna le bedeutet: »Obacht! Alarm! Hier muss sofort etwas


getan werden. Und das Piepsen wird nicht aufhören, bis


sich jemand darum kümmert.«


Also stehe ich auf, trotte in Richtung der Piepserei und


drücke, lade, rüttle. Ich tue alles, was die Maschine gerade


will. Jedes Mal werde ich durch ein Piepsen bei irgend­


einer Tätigkeit unterbrochen. Jedes Mal muss ich mich aus


einem Sessel hochstemmen, muss ein Buch weglegen, den


Fernseher ausschalten, mich innerlich um orien tie ren, weil


mir ein Apparat sagt, was jetzt sofort zu tun sei. Dabei


wollte ich zu Hause doch vor allem eines: meine Ruhe. Wo


ist die eigentlich geblieben?


Das Wohnen hat sich verändert. Und es verändert sich


immer mehr, je weiter es sich in Richtung Smart Living


bewegt. Denn überall, wo Elektronik verbaut wird, muss


Elektronik gewartet, müssen Geräte auf ein an der abgestimmt


werden. Immerzu muss man sie im Blick behalten. Schon


heute muss man sehr darauf achten, ob in der gesamten


Wohnung das WLAN­Signal stark genug ist. Denn ohne


gutes WLAN funktionieren die WLAN­Boxen nicht oder


der Laptop oder das Smart phone oder das Tab let – oder


irgendein anderes der Geräte, die einen den ganzen Tag mit


ihrem Piepsen verfolgen, als würden sie einem hinterherlau­


fen wie Katzen, die dringend gefüttert werden müssen. Die


moderne Wohnung ist heute an der Idee ausgerichtet, dass
man alles jederzeit überall machen kann. Man kann im Bett

arbeiten, in der Dusche Dinge im Internet bestellen und am
Esstisch mit dem Laptop eine Serie gucken.

Aber brauche ich das auch alles? Wir wären ja nicht die
Ersten, die sich einrichten und all das Zeug eigentlich nicht

brauchen. Jedes Zeitalter folgt anderen Geschmäcken, aber
ähnlichen Zielen. Vor einigen Jahrzehnten stattete man

üppige Wohnzimmer aus, um klarzumachen, dass man
nicht zur Arbeiterschicht gehörte, sondern zum Bürger­

tum. Dass man es sich leisten konnte, sich im Lehnstuhl
niederzulassen und sich mit einem Buch, einer Schallplat­

te oder einer Radiosendung zu beschäftigen. Wer wollte,
investierte in eine aufwendige Bücherwand oder gar eine

Bibliothek, um zu zeigen, wie belesen er war, auch wenn er
die Bücher womöglich gar nicht gelesen hatte.

In den vergangenen Jahrzehnten wurden Unterhaltungs­
geräte zu Statussymbolen. Man baute aufwendige Stereo­

anlagen auf und großformatige Fernseher. All diese Ein­
richtungen haben nicht viel damit zu tun, wie Menschen

wirklich leben – wer einen Technics­Plattenspieler besitzt,
legt deswegen noch nicht jeden Abend eine Jazzplatte auf.

Man richtet sich ein, weil man möchte, dass Leute, die zu
Besuch kommen, das Richtige über einen denken. Und

natürlich, um sich selbst zu versichern, wer man ist oder
wie man zumindest gern wäre. Ganz unabhängig von sei­

nen echten Bedürfnissen.
Das bürgerliche Wohnzimmer hat in den vergangenen Jah­

ren stark an Reiz verloren, denn es herrscht das Primat der
Mobilität. Wir sind stolz darauf, viel unterwegs zu sein,

und dazu passen wandfüllende Fernseher eben nicht mehr.
Auch keine großen Verstärkertürme, eher kleine WLAN­

Boxen. Selbst wenn wir in Wirklichkeit kaum aus dem
Haus gehen, wollen wir den Eindruck erwecken, als könn­

ten wir alles, was wir haben, schnell in einen Beutel packen
und damit irgendwohin aufbrechen. Aber ist es wirklich

ein Gewinn, im Bett am Computer sitzen zu können?
Raubt es uns nicht eher das Gefühl, dass das Bett ein Ort

ist, an dem wir uns fallen lassen können?
Es gibt einige Dinge, die man in der Wohnung leicht ver­

ändern kann, um wieder wirklich zur Ruhe zu kommen.
So sieht ein Sofa zwar präsentabel aus, wenn es in der Zim­

mermitte steht. Man entspannt sich darin aber leichter,
wenn es an der Wand steht. Man sollte sich überlegen, wo

man am liebsten lesen möchte, und sich dort dann entspre­
chende Licht inseln mit punktueller Beleuchtung schaffen.

Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass man am Ende tat­
sächlich etwas Gedrucktes liest. Man kann den Tätigkeiten

also wieder einen festen Ort geben. Einen Computer dort­
hin stellen, wo man arbeiten möchte, und nirgends sonst.

Dann findet man vielleicht wieder Ruhe.
Das nächtliche Piepsen, habe ich festgestellt, kommt aus

einer Nachbarwohnung. Wer immer dort lebt, muss die
Ruhe weg haben.

2 .10.19 N


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