Die Zeit - 03.10.2019

(singke) #1

VON KATJA BERLIN


Torten der


Wa h rheit


A


m 23. August, einem Freitag,
wird im Kleinen Tiergarten in
Berlin ein Mann mit drei
Schüssen getötet. Der mut­
maßliche Mörder wird einige
Minuten später geschnappt,
als er sich gerade in einem Ge­

büsch umzieht. Er hat zuvor die Tatwaffe sowie


eine Perücke in der Spree versenkt, aber Tauchern


gelingt es, die Utensilien aus dem Wasser zu fi­


schen. Für die Ermittler beginnt eine mühevolle


Spurensuche. Für die Politik beginnt ein Fall, der


das Zeug dazu hat, die Beziehungen zu Russland


schwer zu belasten, und der in Washington ebenso


aufmerksam verfolgt wird wie in London und


Moskau.


Denn bei Wadim Sokolow, mit diesem Na­


men hat sich der mutmaßliche Schütze ausge­


wiesen, handelt es sich höchstwahrscheinlich um


einen Auftragsmörder. Die Frage ist: In wessen


Auftrag erschoss er sein Opfer, den Georgier Se­


limchan Changoschwili?


Je länger die Ermittlungen dauern, desto mehr
verdichten sich die Indizien dafür, dass der russi­
sche Staat hinter dem Mord von Berlin steht. Seit
seiner Festnahme schweigt Sokolow. Nur eine
Sache war ihm wichtig: Er gehe davon aus, sagte
er den Berliner Polizisten, dass ihm die russische
Botschaft einen Anwalt organisieren werde.
Und tatsächlich: Nach Recherchen der ZEIT
besuchten ihn einige Tage nach der Tat zwei rus­
sische Diplomaten in der Justizvollzugsanstalt.
Die Russen wiesen sich mit diplomatischen Päs­
sen aus und unterhielten sich ausführlich mit So­
kolow. Weil die Konversation ohne Aufsicht
stattfand, ist bis heute unklar, was die Diploma­
ten dem mutmaßlichen Mörder zu sagen hatten.
Nach dem Wiener Übereinkommen über diplo­
matische Beziehungen war ihr Vorgehen zwar er­
laubt, eine so schnelle und intensive Betreuung
ist aber ungewöhnlich.
Die Ermittler nehmen an, dass Sokolow die
Waffe auf seinem Weg von Warschau nach Berlin
übergeben wurde. Die Pistole der Marke Glock

wurde nach ZEIT-Erkenntnissen im Jahr 1986
von Österreich nach Estland verkauft, also da­
mals noch in den Einflussbereich der Sow jet­
union. Später wurde der Lauf der Waffe ausge­
tauscht, womöglich um Spuren zu verwischen.
Ein weiteres Indiz ist der Reisepass des Ver­
dächtigen. Nach Recherchen des Investigativ­
teams Bellingcat, des Spiegels und des russischen
Magazins The Insider wurde das Dokument erst
in diesem Juli ausgestellt, ein älteres Modell ohne
biometrische Daten; Pässe mit verwandten Seri­
ennummern haben die Russen auch für andere
geheimdienstliche Operationen genutzt.
Hinzu kommt, dass es einen Mann namens
Wadim Sokolow unter der angegebenen Mel de­
adres se in St. Petersburg nicht gibt. Gut mög­
lich also, dass der Todesschütze anders heißt
und für diesen Auftrag eine neue Identität ver­
passt bekam.
Das Motiv für den Mord an Chan goschwili
könnte in seiner Vergangenheit liegen. Der Georgier
galt als Islamist und kämpfte im tschetschenischen

Bürgerkrieg gegen die Russen. Die US­amerikani­
sche Website Daily Beast berichtete Ende vergange­
ner Woche, Changoschwili habe zudem für den
georgischen Geheimdienst gearbeitet.
Der Fall wird im Kanzleramt und im Auswär­
tigen Amt voller Sorge beobachtet. Denn würden
die Ermittlungen ergeben, dass ein Attentäter im
Auftrag Moskaus mitten in Berlin zugeschlagen
hat, wäre dies ein Politikum mit gravierenden
Folgen. Die Deutschen müssten mit konsequen­
ter Härte reagieren, ähnlich wie die Briten im
Sommer 2018, als der russische Geheimdienst
einen Giftgasanschlag auf den russischen Über­
läufer Sergej Skripal verübte. Großbritannien
antwortete damals mit der Ausweisung von 23
russischen Diplomaten; 13 EU­Staaten solidari­
sierten sich, darunter Deutschland.
Ein Fall von Staatsterrorismus auf deutschem
Boden müsste ähnlich entschieden beantwortet
werden. Das hätte Folgen: Die deutsch­russi­
schen Beziehungen würde der Skandal auf Jahre
schwer belasten.

Mordbefehl aus Moskau?


In Berlin wurde ein Georgier erschossen. Die Indizien mehren sich, dass der russische Staat den Auftrag dazu gab VON HOLGER STARK


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am Tatort in Berlin

Foto: Fabrizio Bensch/Reuters


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