Die Zeit - 03.10.2019

(singke) #1

Eigentlich ist das hier eine Galerie, aber gerade sieht es eher


nach Baustelle aus. Plastikplanen flattern, Arbeiter studieren
Pläne, Popmusik plärrt aus einem Radio. Mittendrin Axel

Vervoordt. Er trägt ein blaues Sakko und blaue Socken,
Staub haftet an seiner Schulter. Vor ihm wird eine Raum-

skulptur des dänischen Künstlers Per Kirkeby aufgebaut,
der voriges Jahr verstorben ist: eine meterhohe, kreisförmige

Struktur aus roten Ziegeln. Die Zeit drängt, denn am kom-
menden Wochenende soll die Ausstellung eröffnet werden.

Noch kann man sich schwer vorstellen, dass hier, in einer
ehemaligen Mälzerei in dem kleinen Ort Wijnegem bei Ant-

werpen, in wenigen Tagen internationale Kunden und die
Kulturszene der nahen Großstadt mit Sekt anstoßen werden.

Vervoordt ist in Eile, bald muss er zum Flughafen. Dafür hat
er seine blauen Socken angezogen. »Blau ist die Farbe der

Luft«, erklärt er. Er reise viel, seine Assistentin meint sogar,
zu viel, er solle weniger reisen mit seinen 72 Jahren.

Der Belgier Axel Vervoordt ist Kunstsammler, Galerist, In-
nenarchitekt, Immobilienentwickler und Möbeldesigner.

In internationalen Kunsthandelskreisen gilt er als einer
der ganz Großen. Seit einigen Monaten ist er aber auch

den Fans von Kim Kardashian bekannt. Im April hat sie
auf You Tube ein Video veröffentlicht, in dem sie zu einem

Rundgang durch ihre Villa in Calabasas in Kalifornien ein-
geladen hat. Erstaunlicherweise sah man statt der üppigen

Barockeinrichtung, die viele mit US-Superstars verbinden,
helle, sorgfältig ausgewählte Möbel, die für eine einladende

Atmosphäre sorgten. Es sei ein »minimalistisches Kloster«,
hatte die Hausherrin erläutert. Die Idee dazu habe ihr Gat-

te Kanye West gehabt – zusammen mit Axel Vervoordt.
Der Rapper ist derzeit Vervoordts vielleicht berühmtester

Kunde. Ihn lernte er kennen, als West auf ein Möbelstück
aufmerksam geworden war, das Vervoordt entworfen hat:

einen Couchtisch, der aus einer dicken, ellipsenförmigen
Schieferplatte besteht, die Füße sind nicht zu sehen, also

scheint die Platte über dem Boden zu schweben. West fand,
dass sie wie ein Raumschiff aussehe, und wollte den De si-

gner kennenlernen. Mittlerweile seien die beiden Freunde,
sagt Vervoordt: »Wir mögen uns sehr, obwohl wir so unter-

schiedlich sind.« An West schätzt er, dass dieser Verantwor-
tung empfinde: »Er glaubt, dass er eine Mission hat. Er ist

sich sehr bewusst, dass er mit allem, was er tut, Einfluss auf


Millionen hat. Und er mag meine Herangehensweise sehr.«
Das Geheimnis ihrer Freundschaft sei gegenseitiges Ver-

ständnis: »Ich bleibe der, der ich bin. Ich passe mich nicht
zu sehr an, aber ich kann durch ihn hindurchsehen und

erkennen, was er wirklich will.« Und was will West wirk-
lich? »Er möchte mit einfachen Dingen verbunden sein. Er

lebt mit seinem ganzen Glamour, aber was er wirklich will,
ist eine einfache menschliche Verbindung zur Erde. Das ist

ihm nicht einmal die ganze Zeit bewusst. Und deswegen ist
er sehr wild und sehr frei und will immer das Neue. Und

kommt immer einen Schritt weiter.«
Vervoordt findet interessant, welchen Unterschied es zwi-

schen der öffentlichen Wahrnehmung der Familie Kar-
dashian-West und den Menschen gebe, die er selbst ken-

nengelernt hat. Kim Kardashian zum Beispiel. »Im echten
Leben würde sie einem gar nicht auffallen«, sagt er. »Sie

ist sehr intelligent, charmant, sehr liebevoll mit ihren Kin-
dern. Sie ist die woman in the house – es ist toll. Und für die

Welt sieht sie völlig anders aus.«
Axel Vervoordt war es auch, der für den Schauspieler Robert

De Niro vor einigen Jahren ein Pent house auf dem Dach
seines Greenwich Hotel im New Yorker Stadtteil Tribeca

eingerichtet hat: eine Wohnung, deren besonderer Luxus
die fast meditative Ruhe und Wärme ist, die sie ausstrahlt.

Auch der Popsänger Sting ist Vervoordt-Kunde – so wie et-
liche weitere sehr wohlhabende Menschen, über deren Na-

men geschwiegen wird. In Vervoordts Firma arbeiten etwa
hundert Leute daran, Menschen, die schon alles haben, et-

was zu geben, was man eigentlich schwer kaufen kann: das
Gefühl, am richtigen Ort angekommen zu sein.

Axel Vervoordt möchte sich aber nicht als Einrichter und
Kunsthändler der Reichen verstanden wissen. »An einem

Tag arbeite ich für einen bekannten Künstler mit viel
Geld, am nächsten Tag für einen befreundeten Musiker,

der wenig investieren kann. Manchmal ist es die größere
Herausforderung, etwas Schönes zu machen, wenn man

nur ein kleines Budget hat, aber beides ist gleichermaßen
aufregend«, sagt er. Vervoordt ist fast nur für Privatkunden

tätig. Ihm sei die direkte Beziehung zu den Kunden wich-
tig, sagt er. Er will für Menschen einrichten, nicht für Un-

ternehmen. In Kürze erscheint ein Bildband, Interieurs im
Portrait, in dem seine Kunden ihre Häuser öffnen: warme

Wohnwelten mit vielen Erdtönen an den Wänden, knis-
terndem Kaminfeuer und altem Holz.

Orte sind wichtig für Vervoordt. Deshalb will er, bevor er
aufbricht, unbedingt diesen Ort erklären, den er am Ufer

eines Kanals in Wijnegem für seine Firma erschaffen hat.
Es ist ein ehemaliges Industriegelände, eine knappe halbe

Autostunde von Antwerpen entfernt. Die alte Fabrik hat er
vor einigen Jahren in ein Kultur- und Wohnquartier umge-

stalten lassen. Mit der Galerie, einem Ausstellungsgelände,
Apartments und Büros.

Vervoordt steht in einer hohen Halle, die von 23 massi-
ven Betonsäulen gestützt wird. Früher war das hier

Vervoordts Vater war Pferde-


händler. Er gab seinem


Sohn Kredit, damit dieser


schon als Jugendlicher


Antiquitäten kaufen konnte


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