einmal eine Maschinenhalle der Mälzerei. Nun hat Ver-
voordt seine Sammlung von Mon-Dvaravati-Skulpturen,
Steinfiguren aus buddhistischen Tempeln aus dem 7. und
- Jahrhundert, zwischen den Säulen platziert. Ansonsten
wurde nicht viel verändert. Der Raum habe sich einfach
dadurch gewandelt, dass man die Maschinen heraus-
geräumt habe, sagt Axel Vervoordt. Und natürlich sei er
aufgeladen durch die guten Schwingungen der Körner,
die über Jahrzehnte hier verarbeitet wurden. »Die positive
Energie von Getreide ist fantastisch«, sagt er. Denn wich-
tig ist ihm nicht nur die Oberfläche, wichtig ist auch die
Geschichte, die Spur der Zeit. Die Schönheit, die nicht
durch einen Pinsel aufgetragen wird, sondern durch die
Jahre. »Für mich müssen die Dinge mehr als schön sein«,
erklärt er. »Sie müssen interessant sein, emotional, spiri-
tuell, oder sie müssen einen auf eine neue Ebene bringen.
Aber sie dürfen nicht einfach nur schön sein. Sie müssen
reichhaltig und warm sein, aber nicht nur oberflächlich
schön. Schönheit ist göttlich.« Vervoordt ist der Meister
der Schönheit, die man nicht unmittelbar sehen kann,
der Energie.
Kanaal, wie der Gebäudekomplex heißt, ist sozusagen der
Tempelbezirk dieser Ästhetik. Alte Ziegelbauten und aus-
gebaute Silos schmiegen sich an moderne Glasfas sa den.
Dazwischen Grasflächen mit Bäumen und gewundene
Wege. »Wege, wie sie ein Schaf wählen würde, wenn es
über die Wiese gehen würde«, sagt Axel Vervoordt.
Er führt in den Besprechungsraum, dort sitzt an einem
großen runden Tisch sein Sohn Boris. Die Vervoordts
sind ein Familienbetrieb. Boris kümmert sich um das Ge-
schäft mit der Kunst und der Innenarchitektur, sein Bru-
der Dick überwacht das Immobiliengeschäft, Axel Ver-
voordts Frau May ist für das Design zuständig. Der Raum
ist in einem der ehemaligen Silos untergebracht. An den
Wänden stehen hohe Regale, in denen sich Bildbände,
Kataloge für Kunstmessen und alte Bücher stapeln. Sol-
che Bücherwände sieht man heute an vielen Orten. Aber
hier ist auffällig, dass mit den Büchern offenbar tatsäch-
lich gearbeitet wird, fast alle zeigen Gebrauchsspuren,
manche sind aufgeblättert, andere tragen Lesezeichen.
Dazwischen findet man solche, in denen sicherlich nicht
mehr viel nachgeschlagen wird, etwa eine Ausgabe des
Freiherrlichen Taschenbuchs von 1897.
Dass Vervoordt so erfolgreich ist, liegt auch daran, dass
er ein Alleinstellungsmerkmal hat: Niemand kombiniert
Kunstwerke und Möbel wie er, verschafft den Räumen da-
durch eine solche Wärme. Eines der wenigen Projekte, die
Vervoordt gerade für Firmen verfolgt, ist der Umbau des
Hotels Bayerischer Hof in München. In wenigen Wochen
wird dort ein von Vervoordt eingerichtetes Restaurant neu
eröffnet, das Palais Keller. »Vervoordt schafft Modernität
durch Zurückgenommenheit«, sagt die geschäftsführende
Gesellschafterin des Hotels, Innegrit Volkhardt, die schon
seit 15 Jahren mit ihm zusammenarbeitet. »Er verleiht
Räumen Proportionen, die sofort eine Stimmigkeit schaf-
fen und eine große Ruhe ausstrahlen.« Besonders gefällt
ihr, dass Vervoordt großen Respekt vor dem Gewachsenen
hat: »Er sucht das Schöne in der Vergangenheit.« Die Ho-
tel-Inhaberin arbeitet mittlerweile so eng mit dem Belgier
zusammen, dass sie ihn sogar bei der Anschaffung von Oli-
venöl-Fläschchen für das neue Projekt konsultiert: »Weil
ich weiß, wenn sie ihm nicht gefallen, könnte er es kaum
ertragen, sie anzusehen, wenn er hier ist.«
Vervoordts Liebe zur Ästhetik kann man am besten bei ihm
zu Hause besichtigen. Axel Vervoordt lebt tatsächlich in
einem Schloss. In den Achtzigerjahren hatte die Familie
das Wasserschlösschen Kasteel van ’s-Gravenwezel bei Ant-
werpen erworben und zum Domizil umgebaut. Ein Rund-
gang durch den Bau ist wie eine Grand Tour durch die
Philosophie der Vervoordts. Schon im Empfangsraum geht
es los. Dort prangt ein wandfüllendes Porträt eines Pferdes,
das der Künstler Michaël Borremans gemalt hat.
Vervoordts Vater war Pferdehändler. Er gewährte seinem
Sohn früh Kredite gegeben, damit der als Jugendlicher
seine ersten Käufe von englischen Antiquitäten finanzieren
konnte. Und er brachte ihm die Kunst des Handelns bei.
»Alles, was ich über Handel gelernt habe, habe ich gelernt,
bevor ich 18 Jahre war«, sagt Vervoordt. Das porträtierte
Pferd ist sein eigenes. Sein Stall ist neben der Orangerie.
Vervoordt reitet es nach Möglichkeit jeden Tag.
Vom Empfangsraum des Schlosses gelangt man in die Bi-
bliothek, deren Mittelpunkt ein großer Kamin ist. In den
alten Regalen sind nicht nur Bücher zu sehen, sondern
Hunderte Sammlerstücke aus allen Epochen. Einige Fä-
cher sind mit Darstellungen von Köpfen bestückt, andere
mit Tierskulpturen. Überall gibt es etwas zu entdecken.
Mal eine kleine Totenkopf-Skulptur, die auf den Büchern
ruht, dann den großen Stoßzahn eines Narwals, der ne-
ben dem Kamin aufragt. Es gibt auch einen Raum, der
früher als Musikzimmer genutzt wurde. Heute ist er ein
Konferenzraum mit einem großen Tisch, der gänzlich von
Bildbänden und Kunstkatalogen bedeckt ist. Im Gäste-
zimmer sind die Wände mit Bücherregalen ausgekleidet.
Ein besonderer Clou in der Kammer ist eine Geheimtür
in der Regalwand, die in ein Bad führt. Das Teezimmer ist
mit altem Porzellan dekoriert. Als Vervoordt ein-
Patina fasziniert Vervoordt.
Schönheit, die nicht
durch einen Pinsel auf
getragen wurde, sondern
durch die Jahre
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