Die Zeit - 03.10.2019

(singke) #1

Rückblickend war mein schlimmstes Airbnb-Erlebnis viel-


leicht mein bestes. Ich hatte mich bei einer Frau in Paris ein-
gemietet, in einem Viertel im Süden der Stadt mit marokka-

nischen Restaurants und kleinen Gemüseläden. »The Design
Appartement« nannte die Mittvierzigerin ihr Domizil im In-

serat, man sah Bilder einer hellen Altbauwohnung mit ei-
nem roten Sitzkissen auf dem Parkettboden, Bücherstapeln

und Ölbildern an den Wänden. Von der Decke baumelte
eine Vase an einer Schnur, darin eine rote Rose. Sie vermiete

eines ihrer zwei Zimmer, schrieb die Frau. Als ich ankam,
wurde klar, was das hieß: Für die Dauer meines Aufent-

halts schlief sie auf einer Isomatte im Wohnzimmer, ich im
Schlafzimmer. Die Tür zwischen den beiden Zimmern ging

nicht richtig zu, und sie kam ständig bei mir rein, um Dinge
aus dem Schrank zu nehmen und mich daran zu erinnern,

Ordnung zu halten. In der Küche stapelte sich benutztes Ge-
schirr, und wenn ich abends nach Hause kam, musste ich

über ihr Schlaflager im Wohnzimmer steigen. Hinterher
schrieb ich ihr eine, wie ich fand, konstruktiv kritische Be-

wertung, woraufhin sie mir eine gekränkte Nachricht schick-
te: Wenn ich ein Hotel wolle, solle ich doch in eines gehen!

Komfortabel war dieser Aufenthalt nicht, dafür hielt er
aber, was Airbnb versprochen hatte: Ich wohnte in einer

fremden Stadt, als gehörte ich dazu. Vier Tage lang schloss
ich abends die Tür zu einer echten Pariser Wohnung auf.

Auf dem Sofa saß meine schnippische Pariser Mitbewoh-
nerin, und unter dem Fenster herrschte Pariser Alltag. In

einem billigen Touristenhotel hätte ich für denselben Preis
ein seelenloses, mit Polyester-Tagesdecke und grauem Tep-

pich eingerichtetes Zimmer bekommen. Hier wohnte ich
für 50 Euro die Nacht zwischen den Souvenirs, Büchern

und Fotos einer Einheimischen.
Diese Geschichte ist schon fünf Jahre her. In den letzten

Jahren haben sich Airbnb-Gastgeber stark professionali-
siert. Heute werden viele Unterkünfte das ganze Jahr über

an Touristen vermietet, Einheimische wohnen schon lange


nicht mehr darin. In den Wohnzimmern stehen Regale


voller Bücher, die niemand gelesen hat, an den Wänden
hängen auf Amazon bestellte Weltkarten statt Familien-

fotos, die Kühlschränke sind leer, und in den Fluren liegen
laminierte Pappen mit den Hausregeln aus. Es gibt Zim-

merpalmen, die kein Wasser brauchen, und in der Küche
die obligatorische Kaffeemaschine mit abgezählten Espres-

sokapseln. Die Airbnb-Standardausstattung wurde beim
letzten Ikea-Großeinkauf erstanden: Nudelsieb, Käsereibe,

Seifenspender. Um den Übernachtungspreis noch ein biss-
chen in die Höhe treiben zu können, wird dazu irgendeine

Schwarz-Weiß-Fotografie in den Flur gehängt und eine
Makramee-Hängematte auf den Balkon. Der Gast soll sich

ja wenigstens ein bisschen so fühlen, als sei er richtig im
Urlaub, ganz weit weg von zu Hause.

Ich habe dieses Gefühl in einer Airbnb-Wohnung allerdings
schon lange nicht mehr gehabt. Ich habe eher das Gefühl,

dass es in vielen dieser Unterkünfte heute überall gleich und
deshalb überhaupt nicht mehr originell oder landestypisch

aussieht. In dem Apartment, das ich in Rio de Janeiro be-
wohnte, hing das gleiche Schwarz-Weiß-Poster eines klei-

nen Jungen mit Baguette unterm Arm wie in der Wohnung
in Mailand. In Los Angeles fand ich im Wohnzimmer die

gleiche Monstera-Palme neben dem Mid-Century-Sofa vor
wie im Strandhaus in Andalusien. Obendrein musste ich

feststellen, dass viele Gastgeber im Zuge der Professiona-
lisierung ihres Gewerbes offenbar gar keine Lust mehr auf

echte Gastfreundschaft haben. In vielen Fällen meiden sie
sogar gänzlich Kontakt; den Schlüssel darf man dann der

im Vorgarten versteckten Schlüsselbox entnehmen. Oder
sie haben nach 200 Gästen innerhalb von acht Monaten

einfach keine Energie mehr für Höflichkeit. Im süditalie-
nischen Ostuni wohnten mein Freund und ich einmal im

Gartenhaus eines älteren Paars mit Hund. Dem Hund, sag-
te der Mann streng, dürfe man nicht zu nahe kommen, er

beiße nämlich. Frühstück gebe es nur bis 9.15 Uhr, erklärte


46


Foto

:AlexanderFanslau

Aufregendnachhaltig.


Lustobjekt


NordicSpaceBettbyEllenberger


Lust objekt


Nordic SpaceBettbyEllenberger

Free download pdf