Die Zeit - 03.10.2019

(singke) #1

schaftskeller verwahrlosten und die Ideen verraten wurden.


Noch immer gibt es zu wenig Ostdeutsche, die an der Spit-
ze der Gesellschaft mitentscheiden.

Das klingt aberwitzig: Eine Zeit lang waren die beiden


hochrangigsten Vertreter Deutschlands, Angela Merkel und


Joachim Gauck, Ostdeutsche. Warum werden die nicht als


Identifikationsfiguren empfunden?


Aber wie viele ostdeutsche Vorstände gibt es in den füh-
renden Unternehmen unseres Landes? Drei! Es gibt zu

wenige Identifikations- und Symbolfiguren, an denen sich
der Bürger orien tie ren kann und die er als seine Vertreter

empfindet. Heute finden sich viele Ostdeutsche in einer
Gemeinschaft wie Pegida oder unter den Wutbürgern wie-

der, die für sich in Anspruch nehmen, sie hätten das Land
vor 30 Jahren schon einmal verändert. Das ist ein gefähr-

liches Selbstverständnis.


Noch mal, eine Ostdeutsche ist seit 14 Jahren Kanzlerin,


auch wenn sie ihre Herkunft immer eher unter dem Radar


gehalten hat ...


... genau. Diesen Vorwurf muss sie sich gefallen lassen. Es
wäre gut gewesen, wenn sie ihre Rolle genutzt hätte. Kohl

steht für die alte Bundesrepublik, Angela Merkel ...


... für die Uckermark.


Eben nicht! Dafür hätte sie stehen können. Es geht um
Symbolik. Es geht um das kleine Augenzwinkern, das sie

mit auf der Weltbühne hätte einbringen können – im
Kanzleramt ein großes Bild von der Bastei in der Sächsi-

schen Schweiz aufhängen und sich davor medienwirksam
inszenieren. Das wäre das trojanische Pferd gewesen, das

echte Wertschätzung gebracht hätte.


Sie haben es doch auch geschafft! Sie saßen ab 2007 im Vor-


stand von Debitel, dem damals größten Mobilfunkprovider


Deutschlands.


Ja, drei Jahre. Auch dort habe ich das Thema Osten ganz
klar gespürt. Aber ich war zu jung und hatte diese Konflik-

te noch nicht ausreichend reflektiert. Ich habe aus meiner
alten Firma 2500 Leute mit zu Debitel gebracht, die ka-

men zu einem großen Teil aus dem Osten. Meine Karriere
begann kurz nach dem Mauerfall aus dem Abenteuer, der

Unbedarftheit. Ich bin jetzt genauso alt wie meine Eltern
damals, als ein ganzes System, ein ganzes Land von heute

auf morgen zusammengebrochen ist. Das ist die größte
Prägung meines Lebens: wach zu bleiben, wach bleiben zu

müssen! Das treibt mich an, das macht mich unruhig. Das
ist ein Geheimnis dieser Generation im Osten. Wir konn-

ten von unseren Eltern wenig lernen. Sie waren in dersel-
ben Berufsphase wie wir: wieder ganz am Anfang.

Für ein zweites Treffen schlägt Lars Dittrich als Treffpunkt den


Alexanderplatz vor, die Weltzeituhr, wo sich schon in der DDR


viele verabredeten. Es ist ein früher Sommerabend, der Platz


ist voll – Touristen, Obdachlose, Polizei. Unten am Fuß des


Fernsehturms sind billige Kioske eingezogen. Der einstige Prä-


sentierplatz sieht mitgenommen aus. Lars Dittrich läuft über


den Platz und wird immer stiller. »Es ist furchtbar hier«, sagt


er. Für Dittrich bedeutet dieser Ort so etwas wie Heimat. Nun


sieht er ihn jeder Identität beraubt. »Ein architektonisches und
menschliches Chaos. Dieser Platz kann metaphorisch für die

innere Einheit unseres Landes stehen.« Nach dem Alexander-
platz will Dittrich ins Borchardts, ein Restaurant am Gendar-

menmarkt, in dem sich gern Prominente zeigen. Die Kellner
begrüßen Dittrich mit Namen.

Erkennen Sie Ostdeutsche noch?


Ich glaube, ja. Es kann die Betonung eines Wortes sein,
sehr oft ist es eine Art Unbedarftheit, wenn man sich be-

gegnet.
Sie leben nun 30 Jahre in diesem Land, auch Sie sind kein

Ostdeutscher mehr. Und die Ostdeutschen sind auch keine
homogene Masse. Gibt es noch eine ostdeutsche Identität?

Ja, aber die Identitätsfrage würde ich nicht auf den Osten
reduzieren. Eine ähnliche Identität oder auch einen Iden-

titätsverlust findet man vielleicht noch im Ruhrgebiet. Ich
sehe viele Parallelen zwischen dem Osten und dem Ruhr-

gebiet. Es gibt in beiden Regionen Dinge, die die Men-
schen verbinden, sie einen. Das hat viel mit den zum Teil

massiven Brüchen und Umbrüchen zu tun. Das Thema
Gemeinschaft beschäftigt mich immer wieder. Ich ver-

suche das auch in meinem Unternehmen zu kultivieren.
Ich stelle mich immer vor meine Leute und erwarte das

auch von ihnen. Wie in dem Song Haifisch von Ramm-
stein: »Wenn einer nicht mithält, dann halten wir sofort.«

Diese Liedzeile ist für mich ein perfekter Ausdruck, etwas
zu schaffen und dabei auf alle zu achten.

Sind Sie nie allein weitergeschwommen?
Doch, natürlich. Aber man muss, auch wenn man weiter-

schwimmt, immer den Blick nach hinten haben.
Das hilft denen, die hinterherschwimmen, aber auch nicht

wirklich, oder?
Dann habe ich, wenn einer zurückbleibt, wenigstens nach

dem Warum gefragt. Wenn zum Beispiel jemand in dei-
nem eigenen Laden stiehlt und du ihn rausnehmen musst,

erlaube dir einmal kurz die Frage: Warum hat er gestohlen



  • und: Kann man es anders lösen? Wenn du die letzte Frage


dann mit Nein beantwortest, bleibt nur die Trennung. Das
hat aber nichts mit Ost und West zu tun.

Haben Sie schon einmal Geschäfte gemacht, die Ihnen spä-
ter unangenehm waren?

Ja, weil erst später Folgen sichtbar wurden, die ich am An-
fang nicht gesehen habe. Ich mach lieber kein Geschäft als

eines, mit dem ich jemandem schade.
Herr Dittrich, im Ernst?

Ja, ich weiß, das klingt wahnsinnig ehrbar, um Gottes wil-
len! Ich will das nicht zu Markte tragen, aber es ist für mich

eine Maxime.
Würden Sie auch auf Wohlstand und Rendite verzichten,

wenn Sie von dieser Maxime regelmäßig abweichen müss-
ten, um als Unternehmer Erfolg zu haben?

Absolut. Denn ich bin überzeugt, dass mittelfristig jeder,
der dauerhaft gegen diese Maxime verstößt, hohe Zäune

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