Die Zeit - 03.10.2019

(singke) #1

bauen müssen wird, um sich zu schützen. Und ich will


nicht hinter hohen Zäunen wohnen.


Was tun Sie konkret für den Osten?


Ich habe unterschiedliche Aktivitäten im Osten, unter an-
derem eine Beteiligung an der Porzellanmanufaktur Hed-

wig Bollhagen. Außerdem recherchiere ich gerade für ein
Filmprojekt über die »Jugend in der DDR«. Ich habe mich

in gewisser Weise auf den Osten spezialisiert, weil ich mich
auskenne, die Zwischentöne kenne. Das heißt aber nicht,

dass ich eine spannende Gelegenheit in Gelsenkirchen
nicht verfolgen würde.

Wir fragen uns: Wie kann ein nachdenklicher Ostdeut-


scher, der auf Gleichheit setzt, im kapitalistischen System


so erfolgreich sein?


Das ist ein riesiger Widerspruch in mir. Und nicht allen


erzähle ich von meinem wirtschaftlichen Erfolg. Eine ost-
deutsche Bekannte von mir wusste davon zum Beispiel

nichts. In der Sekunde, in der sie es herausfand, gefror alles
am Tisch. Sie hatte mich zuvor komplett falsch verortet,

und nun verurteilte sie mich als üblen Kapitalisten. Ich
habe mich gefühlt wie einer, der heute in Kreuzberg durch

die Gegend rennt und sagt: Ich bin Vermieter!


Viele glauben, dass man ein Schwein sein muss, wenn man


so reich geworden ist wie Sie!


Ich finde die Frage nicht angemessen formuliert. Die Fra-


ge ist eher, was es mit einem macht. Was ist es, wenn ein
Kapitalismuskritiker plötzlich ein Haus erbt und auf ein-

mal Mieter und Verantwortung hat. Was passiert dann mit
dem? Ich bin für den Mindestlohn und eine soziale Grund-

absicherung. Und ich verurteile jede exzessive Verhaltens-
weise von vermögenden Menschen. Besonders von denen

der Erbengeneration, die teilweise völlig unreflektiert ihr
Vermögen sichtbar als Statussymbol zur Schau stellen.

Machen Sie das nie?


Ich bin nicht Teil der Erbengeneration, und ich glaube, ich


habe ein hohes Verantwortungsbewusstsein für selbst er-
arbeitetes Geld.

Was macht man, nachdem man aus dem Vorstand eines


Großkonzerns wie Debitel aussteigt?


Es war wie in dem Loriot-Film Pappa ante portas, in dem er
in den Vorruhestand geschickt wird und erst einmal palet-

tenweise Senf bestellt. Ich bin nach Hause gekommen und
war zunächst traurig. Ich war nun ein König ohne König-

reich. Ich hatte ein großartiges Team verlassen, gleichzeitig
war ich aber 35 und konnte mit großer Freude etwas Neues

beginnen. Im Übrigen sind etwa drei Viertel meiner Mit-
arbeiter heute noch dort. Das ist wunderbar. Nach Debitel

kamen automatisch andere Sachen. Es gab neue Erfolge,
aber auch Verluste. Zum Beispiel das Internet- Investment

Tape TV. Da hat uns die Erfahrung gefehlt. Das war ein
finanzieller Verlust. Diese Firma gibt es nicht mehr. Das war

eine heilsame Erfahrung.


Was war bei Ihrer ersten Firma anders?


Wenn man in jungen Jahren ein Unternehmen aufbaut wie
die dug telecom, ist das wie ein Zeltlager. Dann wird es grö-

ßer, und irgendwann geht der Sommer vorbei, und es kom-


men andere Tage. Auf einmal gibt es Überschwemmungen.
Sie meinen, von außen drohten unvorhersehbare Gefahren,

und Sie wollten durch den Verkauf an Debitel vorsorgen?
Ja, meine alte Firma wuchs und wuchs. Ich dachte, sinn-

bildlich gesprochen: Wenn von außen richtig Gewitter
kommt, ist es für mein Zeltlager hilfreicher, ein Hoch-

haus zu haben. Der Nachteil ist: Im Hochhaus ist es nicht
schön. Irgendwann hatte ich 2500 Mitarbeiter, mein Mit-

gründer war gerade das erste Mal Vater geworden. Ich war
32, wir hatten 500 Millionen Umsatz, und ich überlegte:

Was macht diese Größe mit einer Firma?
Dann verkauft man die Firma an einen Marktführer und

setzt sich ab – so wie man es im Kapitalismus gelernt hat?
Ich habe mich ja nicht abgesetzt. Wir hatten einen Riesen-

erfolg. Dennoch fragte ich mich: Sind wir in der Lage,
eine wirtschaftliche Krise zu meistern? Was wäre bei einer

Finanzkrise? Wie sicher ist eine Bank, die mit uns wächst
und uns vertraut, uns Luft und Liquidität gibt, wenn sie

in Schwierigkeiten gerät? Kurzum, ich habe mich gefragt:
Was könnte uns gefährden? Wie sicher ist meine Firma,

mein Zeltlager?
Sie haben so laut gefragt, dass Mitbewerber das mitbekamen.

Ich wurde regelmäßig von unterschiedlichen Interessenten
angesprochen, ob ich verkaufen will. Dann bekam ich einen

Anruf und wurde gefragt, ob ich mit zwei Leuten in Berlin
essen gehen wolle. Es war tolles Wetter, ein tolles Lokal, und

ich saß mit zwei ehemaligen McKinsey-Beratern zusam-
men, die haben erst mal Bier bestellt, um eine vertrauens-

volle Atmosphäre zu schaffen. Ich blieb beim Wasser. Dann
fragten sie mich, was ich machen würde, wenn ich Chef von

Debitel wäre, dem Unternehmen, das sie vertraten.
Und was haben Sie denen erzählt?

Das war offensichtlich ein Anwerbegespräch. Nur hatte ich
das zunächst nicht bemerkt. Dann gab es noch einen zweiten

Termin. Da kamen sie zu uns in die Firma. Der eine hat sei-
ne Vision auf einem Flipchart skizziert: Wir hätten Interesse,

euch zu kaufen und in Debitel zu integrieren. Die machten
damals 2,5 Mil liar den Umsatz. Er hat das mit Zahlen unter-

legt, und am Ende kam ein Kaufpreis raus. Das Gespräch
dauerte zwei Stunden. Ich habe gleich entschieden, wenn der

das ernst meint, dann machen wir das. Ich hatte die Chance,
mein Zeltlager auf dem Marktplatz einer Stadt aufzuschla-

gen. Wir sollten denen im Hochhaus erklären, wie Lagerfeu-
er funktioniert, und wenn es regnet, könnten wir zu denen

rein ins Hochhaus. Aber ich habe den Mann nicht wirklich
ernst genommen, dass der das tatsächlich durchsetzt, dass

der Deal zustande kommt und gezahlt wird.
Am Ende wurde gezahlt!

Wir haben uns mit den Anwälten die Köpfe eingeschla-
gen. Zum Schluss haben wir den Deal aber genau so ab-

geschlossen wie zuvor skizziert. Wir haben unsere Firma
an einen Finanzinvestor verkauft, den Kaufpreis habe ich

mit meinem Miteigentümer geteilt, und wir bekamen
auch Anteile am neuen Unternehmen. Nun war ich akti-

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