Die Zeit - 03.10.2019

(singke) #1

ver Mitarbeiter und Eigentümer. Ab dem Tag war Chaos.


Das war schief.


Und Sie hatten plötzlich sehr viel Geld!


Ja, es war, als hätte ich plötzlich einen Elefanten im Vor-
garten stehen. Riesig, unübersehbar, aber man weiß noch

nicht, was man damit anfangen soll. Ich habe mich erst
einmal nicht darum gekümmert. Geld war nicht mein An-

trieb, das wird einem aber nicht geglaubt. Mein Antrieb
war, meine Firma abzusichern.

Was macht man mit so viel Geld?


Das liegt erst mal auf der Bank.


Wird so eine Summe einfach aufs Girokonto überwiesen?


Es gab in der Tat sechs Wochen nach der Unterschrift ei-


nen Tag, an dem das Geld aufs Konto gekommen ist. Es
gibt bei solchen Geschäften einen »Signing-Tag«, den Tag,

an dem unterschrieben wird, und es gibt das sogenannte
Closing. Das Closing ist der Moment, in dem das Geschäft

juristisch final abgeschlossen wird, und gleichzeitig der
Augenblick des »Cash-Events«. Der »Cash-Event« ist der

Moment, wo Sie tatsächlich vor dem Rechner sitzen und ...


... wo waren Sie da, wer war bei Ihnen?


Wir saßen im Büro, mein Miteigentümer, ich und der
Steuerberater, und wir haben uns das auf dem Bildschirm

angesehen. Wir wussten, dass das so etwa um die Mittags-
zeit gebucht werden würde – und so war es auch. Plötzlich

stand da eine hohe grüne Zahl. Das war schon absurd.


Wir schätzen, es waren um die 200 Millionen für Sie?


Da liegen Sie falsch. Es waren keine 200 Millionen, und ob-
wohl immer mal wieder über die Summe spekuliert wurde,

habe ich bis heute nichts dazu gesagt, und das bleibt auch so.


Und dann: Champagner, Party?


Im Gegenteil. Die Summe, die wir sahen, war, obwohl wir
sie ja vorher kannten, total abstrakt. Für wenige Sekunden

entstand Stille, weil wir wussten: Jetzt ist was weg ...


... Ihr Unternehmen, Ihr Baby, alles, was Sie sich aufgebaut


hatten, seit Sie im Osten »Bravo«-Poster verkauften.


Genau, die Firma war weg. Es war ein Schmerz, den man


vergleichen kann mit jenem, den man empfindet, wenn
man eine Wohnung verlässt, in der man lange gelebt hat.

Du lässt etwas hinter dir. Auch deshalb: kein Sekt, keine
Party, nichts.

Wie hat Ihre Familie darauf reagiert?


Das ist in der Tat nicht einfach. Wahrscheinlich ist es wie


bei einem Lottogewinn, das versteht auch nicht jeder. Die
Zahl habe ich deshalb selbst in der Familie nicht kommu-

niziert. Hilfreich war, dass mein Vater zu dem Zeitpunkt
in meiner Firma gearbeitet hat, er hatte den Verkaufspro-

zess miterlebt.


Wie kam Ihr Vater denn zu Ihnen?


Mein Vater war zuvor ja in Westdeutschland gewesen und
hatte mich 2003 angerufen: »Ich muss eine größere Struk-

turmaßnahme durchführen und soll Mitarbeiter entlas-
sen.« Ich glaube, das war sehr fordernd, menschlich. Ich

habe gesagt, ich fände es toll, wenn er uns in der Firma
unterstützt. Er hat dann bei mir eine Abteilung geleitet.

Das ist nicht einfach, wenn der Sohn Chef und Eigentümer


ist und der Vater Angestellter.
Für mich war das sehr schön zu erleben. Es war auch ein

Vertrauensbeweis meines Vaters, dass er sich an mich wen-
det und glaubt, es bei mir bis zur Rente zu schaffen. Das

ist, glaube ich, nicht mit allen Eltern möglich. Bei vielen
entsteht dann eine Schieflage ...

... die Kinder wissen besser Bescheid und sind erfolgreicher
als ihre Eltern.

Wir haben das nie wirklich hinterfragt. Wir hatten bei der
Arbeit auch nicht viele Berührungspunkte. Aber dass er

sich mit 59 Jahren traute, zu uns zu kommen und etwas
Neues zu beginnen, dem zolle ich großen Respekt. Mein

Vater blieb dann sechs Jahre länger als ich.
Warum also haben Sie selbst bei Debitel aufgehört?

Neben Konflikten in der Führungsebene, unterschiedlichen
Arbeitsweisen und Sichtweisen zur Unternehmensstrategie

verspürte ich den Wunsch, dieses Kapitel zu beenden, um
Neues zu beginnen. Ich bin in diese Führungsposition nicht

durch jahrelanges Aufsteigen im Konzern gelangt. Ich war
durch den Verkauf gesetzt. Da kommen einem Mitarbeiter

entgegen, die sagen: Schön, dass Sie da sind, aber ich habe
schon viele vor Ihnen erlebt und nach Ihnen auch. Ich bin

am 4. Januar 2007 in Stuttgart in der Zentrale angetreten,
und am Empfang sitzt ein Dienstleister. Ein Unternehmen,

bei dem eine ausgelagerte Dienstleistungsfirma »Guten
Tag« sagt, hat keine Seele mehr. Ich habe mich dann vor-

gestellt: Ich bin der neue Mitchef und komme zur Arbeit.
Die haben mich angeguckt wie eine Straßenbahn. Als Ost-

deutscher hatte ich vergessen, dass Heilige Drei Könige war
und niemand war da. Und ich stand da um neun. Es gab an

dem Tag nichts für mich zu tun. Also bin ich wieder nach
Hause geflogen.

Wie verlief schließlich die Zusammenarbeit mit Ihren Vor-
standskollegen?

Du spürst, die anderen sind Wettbewerber, die haben
eine ganz andere Karriere-Idee. Das habe ich völlig unter-

schätzt. Der Vorstandsvorsitzende war Mitte 50 und lebte
in Paris, der kam jede Woche aus Paris angeflogen. Ein

sehr belesener Mann. Ein Kollege kam aus der Schweiz,
ein Doppelmarathonläufer, ein Extremsportler, das ist

nicht unbedingt ein Teamsport. Der Dritte kam aus der
McKinsey-Kultur und hatte früher einmal Physik studiert,

und dann saß da noch ich – polytechnische Oberschule,
Unternehmensgründer.

Haben Sie sich auch mal angeschrien, oder wie muss man
sich das vorstellen?

Ja, einmal sehr heftig. Ein Kollege hat mir gesagt, ich soll
meine Leute mehr prügeln, ihnen mehr Druck machen.

Ich habe gesagt, in Deutschland wird seit 1945 nicht mehr
geprügelt. Wir hatten unterschiedliche Weltanschauungen.

War Ihre Ostherkunft ein Thema?
Wir hatten die Situation, da hat mich der Mediator, der

zwischenzeitlich beauftragt worden war, zur Seite genom-
men und gesagt: Du gehst zu unbedarft vor, du musst dich

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