Die Zeit - 03.10.2019

(singke) #1

in der Struktur bewegen! Es ging auch um das Verständnis


und das Zeigen von Dominanz. Zum Beispiel darum, ob
ich einen Fahrer haben sollte. Ich bin nicht wirklich in der

Lage, einen Fahrer vor der Tür warten zu lassen, während
ich, egal wie lange, irgendwo herumsitze. Ich denke dann,

es ist Freitagabend, der hat Familie. Das halte ich nicht aus,
den da ewig sitzen zu lassen. Das ist falsch von mir.

Warum denn falsch?


Das war im Konzern nicht angesagt. Gleichzeitig war


ich finanziell unabhängig und bewegte mich mit so einer
Leichtigkeit. Meine Arbeitsweise war nicht opportun.

Also nahmen Sie sich einen Fahrer?


Nein. Mich interessieren Hierarchien nicht. Ich zeige mei-


ne Dominanz, indem ich Entscheidungen fälle, sie umset-
ze und sie dann auch verantworte. Wenn mich etwas oder

jemand interessiert oder mir etwas nicht gefällt, gehe ich
direkt zu demjenigen hin. Mir war nicht klar, dass die an-

deren das nicht lustig fanden.


Das haben die Ihnen sicher sehr schnell klargemacht?


Ja, in einer Mentorenrunde kam heraus, dass die anderen
mich nicht lesen konnten. Ich würde eine Firma wie ein

Kollektiv führen. Ich hätte keine eindeutige Karrierevision
formuliert. Ich bin zu hundert Prozent anders sozialisiert

worden: Ich dachte, meine Firma, das Zeltlager, steht jetzt
auf dem Marktplatz, und nun machen wir im Hochhaus

ein gemeinsames Fest und bauen aus beidem eine neue
Stadt. Meine Mitarbeiter wollten auch nicht nach Stutt-

gart fahren, die sagten: Wir können da nicht hinfahren,
die nehmen uns nicht ernst. Und dann konnte ich mich in

einer Sache, die 150 Mitarbeiter betraf, nicht behaupten.
Das war der Moment meiner innerlichen Kündigung. Ich

weiß nicht, was mehr geschmerzt hat, das Wissen um eine
meines Erachtens falsche Strategieentscheidung oder dass

ich mich nicht durchsetzen konnte.


Herr Dittrich, hat der Reichtum Sie verändert?


Reichtum ist ja relativ. Ich beschäftige mich mit dieser Fra-
ge sehr intensiv – was hat es mit mir gemacht, habe ich

mich verändert? Ich glaube, ich selbst habe mich gar nicht
so sehr verändert, jedoch spüre ich stark prüfende Blicke

von außen. Es grenzt mich aus.


Ein Multimillionär, der sich ausgegrenzt fühlt. Das klingt,


Pardon, etwas selbstgefällig. Wollen Sie denn immer


dazugehören?


Selbstgefällig finde ich unverschämt. Zur Frage der Zu-
gehörigkeit spüre ich eine Zerrissenheit in mir.

Man könnte es auch so sehen: Sie sind in einer sehr kom-


fortablen, privilegierten Situation. Ist es schwerer für Ost-


deutsche, erfolgreich und wohlhabend zu sein?


Es katapultiert mich in eine andere Rolle. Stichwort: Klas-


sentreffen, Familienfeste – was bringt man mit, oder bringt
man überhaupt was mit? Beides ist falsch. Gefühlt. Ich den-

ke bei bestimmten Anlässen zweimal darüber nach, was ich
anziehe, wie ich mich gebe, und agiere zurückhaltend, um

mich nicht noch mehr von den anderen abzusetzen. Das
führt dazu, dass man sich mit Menschen von früher umgibt,

die man schon sehr gut kennt. Man schottet sich ab. Die-


ser Kosmos beschützt dich. Es wird nicht hinterfragt, auch
wenn du jetzt oben am Pult bist und die anderen nicht.

Das Problem an dem Konzept ist, dass die anderen Sie an-
ders sehen als Sie sich selbst.

Jetzt klauen Sie mir nicht die Romantik! Wie sehen die
mich denn?

Als den Wohlhabenden oder den Chef, da bleibt ein Gefälle!
Geld gibt dir, wenn du es richtig einsetzt, Möglichkeiten,

Dinge zu probieren und zu tun. Gleichzeitig grenzt es einen
ab. Das zu akzeptieren und sich einzugestehen, in dieser

Rolle zu sein, das ist ein Widerspruch in mir. Das treibt
mich und lässt mich vorsichtiger werden. Die Vorsicht

kommt von Enttäuschungen. Ein Beispiel: Ich hatte einen
privaten Termin mit einem meiner Vorstandskollegen in

München. Ich war völlig naiv und habe den in einem Hotel
getroffen, in dem ich Ferien machte, meine ganze Familie

war auch dort. Anderthalb Jahre später wird mir in einer
ganz anderen Situation im Vorstand gespiegelt, dass jemand

aus meiner Familie ein Piercing hat. Die einzige Situation,
in der einer von denen meine Familie gesehen hat, war in

dem Hotel. Und das stand dann so in einer Akte!
In was für einer Akte denn?

In einer Art Personalakte. Das war ein privates Treffen, und
jemand schreibt danach auf, in Dittrichs Familie trägt je-

mand ein Piercing.
Was war das Problem mit dem Piercing?

Offensichtlich wurde von mir eine Art Sozialprofil erstellt:
Wie stabil ist der zu Hause, wie ist er sozialisiert? Und das

war ein Moment, wo ich etwas preisgegeben habe. Ich wäre
im Leben nicht darauf gekommen, dass so ein Treffen ge-

nutzt wird, um mich zu scannen. Dass da jemand nach
unserem Treffen Notizen macht, um mich sozial einzuord-

nen. Was für ein Schwachsinn!
Sie waren mit Ihrem Hintergrund für die anderen nicht

einzuordnen? Im Grunde zeigt das doch die Verzweiflung
und Unsicherheit in der Begegnung mit Ihnen.

Aber auch, was es mit mir macht. Das sitzt tief.
Denken Sie, der Zusammenbruch aller Autoritäten, den die

Ostdeutschen erlebt haben, trennt heute noch Ost und West?
Unbedingt. Ich habe ein sehr großes Bedürfnis nach Freiheit.

Damals bei Debitel haben sie mir diesen Arbeitsvertrag gege-
ben, den habe ich gar nicht hinterfragt. Da stand eine sehr

hohe Summe drin. Und ich habe nicht einmal einen Anwalt
hinzugezogen. Ich würde es heute genauso machen, obwohl

es falsch ist. Wenn ich einen Anwalt gehabt hätte, hätte ich
heute eine Rentenversicherung und eine Betriebsrente. Das

habe ich versaut. Das wären wahrscheinlich 200.000 Euro.
Aber ich will dieses Geld nicht, es steht mir nicht zu. Ich war

nur drei Jahre bei Debitel. Aber die anderen denken dann,
ich bin blöd. Wenn ich damals darauf bestanden hätte, hät-

ten die mich wahrscheinlich viel ernster genommen.
Weil man sich sonst nicht gut genug verkauft?

Da kommt wieder der Fahrer ins Spiel. In dem Restau-
rant, in dem wir jetzt sitzen, wird geguckt, wessen Wagen

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