Die Zeit - 03.10.2019

(singke) #1

Von Tillmann Prüfer


In diesem Herbst sind in den Kollektionen überall bunte Beine


zu sehen. Denn die Designer haben farbige Damenstrümpfe und


-strumpfhosen für sich entdeckt: ocker orange bei Gucci, moosgrün


bei Versace, zartrosa bei Ma rine Serre, geblümt bei Vi vienne West-


wood und Dolce & Gabbana. Man fragt sich, warum das erst jetzt


so gehäuft der Fall ist, warum das also nicht immer schon so war.


Schließlich dient in der Mode fast der gesamte Körper als eine Art


Plakatfläche, warum also nicht längst auch das Bein?


Vielleicht traut man sich an diesen Körperteil nur zaghaft heran,


weil in der Mode nur eine Form von Bein anerkannt ist – das


schlanke und lange Bein. Die willkürliche Idealisierung des Beines


also. Leider haben die allermeisten Menschen keine solchen Ideal-


beine. Daher wurden in der Vergangenheit oft dunkle Strumpf-


hosen verwendet, um Beine zu verbergen und zu kaschieren und


sie schlanker erscheinen zu lassen. Nun gibt es also erste Anzeichen,


dass die Damenmode sich mehr traut. Das ist überfällig, denn was


bunte Beine angeht, sind die Männer schon weiter. Man denke nur


an all die knallbunten Socken, die heute aus Anzugbeinen ragen. In


der Herrenmode hat dies Tra di tion. Männer haben sich auch frü-


her für bunte Beine nicht geschämt: So trug bereits die männliche


Oberschicht im Byzantinischen Reich gern farbige oder gemusterte


Wadenstrümpfe aus Brokat oder Seide.


Frauen dagegen verbargen ihre Strümpfe unter Röcken. Lange Zeit


war es ihnen untersagt, Bein zu zeigen, da dies als unsittlich galt.


Schon die Fessel des Fußes zu entblößen galt als unerhört erotische


Geste. Das Männerbein hingegen hatte schon früh Konjunktur:


Mitte des 14. Jahrhunderts verkürzte man den Männerrock und


verlängerte die Strümpfe – die Strumpfhose entstand. Oft wurde


sie aus Scharlach, einem dehnbaren Wollstoff, hergestellt. Bis ins



  1. Jahrhundert hinein setzte man im Adel auf männliche Beine


in aufreizenden Strümpfen. Zuletzt in den Cu lottes, engen Knie-


bundhosen, denen sich zarte, mit Strumpfbändern gehaltene weiße


Strümpfe anschlossen. Erst die Französische Re vo lu tion machte


mit dem bestrumpften Herrenbein Schluss, von da an trug man


lange Hosen, um nicht für einen Adeligen gehalten zu werden.


Heute ist es das unbedingte Privileg (oder auch die schwere Bür-


de) der Frau, Bein zu zeigen. Hoffentlich tut sie es bald mit dem


gleichen bunten Selbstverständnis, das die Männer einst an den


Tag legten. Diese möchten wir übrigens gern auch mal wieder in


Strumpfhosen sehen.


Mehr Bein wagen!


Stil


Foto Peter Langer


Durch jahrelanges Boxen und die Arbeit am Laptop haben sich bei


mir einige Bänder verkürzt: Mein Kopf und meine Schultern sind
leicht nach vorne gestreckt. Ich gehe deshalb regelmäßig zum Os-

teopathen und zur Physiotherapie.
Nun habe ich versucht, die Verspannungen anders zu lösen: Ich

habe mir eine Massagematratze nach Hause bestellt. Man schickt
der Herstellerfirma seine Körpermaße und bekommt eine Matratze

geliefert, die zunächst einmal völlig normal aussieht. Eingebaut ist
eine Massage-Vorrichtung, die man mit einer Fernbedienung steu-

ern kann. Es gibt neun Stufen.
Ich habe mich auf die Matratze gelegt und auf die Fernbedienung

gedrückt. In der Matratze begannen sich die eingebauten Massa-
geköpfe zu drehen, und mein Körper wackelte leicht hin und her.

Im Gegensatz zu einer gewöhnlichen Massage wurde mein gesamter
Körper gleichzeitig bearbeitet, alles an mir war in Bewegung.

Wenn ich daran denke, mit wie viel Mühe professionelle Masseu-
re, Physiotherapeuten und Osteopathen versuchen, die entschei-

denden Stellen im Körper zu finden, um Verspannungen zu lösen,
kann ich mir fast nicht vorstellen, dass eine ruckelnde Matratze

Ähnliches bewirkt.
Mag sein, dass sie einen trotzdem gut massiert, doch für mich war

nach kurzer Zeit klar, dass sie nicht in der Lage ist, meine Probleme
zu lösen. Für Menschen, die sich nach der Arbeit mal kurz ent-

spannen wollen, mag die Matratze genau das Richtige sein. Ich aber
zweifelte nicht nur an ihrer Effektivität, sondern mir wurde nach

etwa fünfzehn Minuten intensiven Ruckelns auch noch leicht übel,
so als befände ich mich auf hoher See. Ich stand auf und machte

den nächsten Termin beim Osteopathen aus.


Mirko Borsche


legt sich auf eine Massagematratze


Unter Strom


Technische Daten: Ausgangsspannung 12 Volt, Leistung


24 Watt, 10 Massagemodule in 5 verschiedenen


Mas sage zonen, Größe 90 x 2 0 0 x 2 0 cm; Preis: 3695 Euro


Mirko Borsche, Creative Director des ZEITmagazins,


schreibt jede Woche die Kolumne »Unter Strom«


Foto

Puritas

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