Die Zeit - 03.10.2019

(singke) #1
Eigentlich ist das Jahr 2019 eines
der Freude: Deutschland feiert
30 Jahre Mauerfall.
Aber das Land ist auch gespalten
wie nie, mitunter haben Ost- und
Westdeutsche das Gefühl, sie
verstünden einander nicht mehr.
Woher kommt die
Unzufriedenheit? Wieso sind
manche, die 1989/90 euphorisch
waren, heute verbittert?
Dies ergründen wir in zwölf
Serienteilen –
über ostdeutsches Eigentum,
westdeutsche Chefs, die
Treuhand, die Währungsunion,
über Thüringer Dörfer und
enttäuschte Revolutionäre

Serie:


Erklär mir den


Osten (7/12)


die traditionellen Abnehmer in den anderen


früheren Ostblockstaaten in Luft aufgelöst ha-


ben. Das war schon eine ziemlich verzweifelte


Situation. Und ich sage mal, der liebe Gott hat


es trotz allem gut mit uns gemeint. Wir haben


das ja im Wesentlichen über Verschuldung fi-


nanziert. Aber dass an den Kapitalmärkten nicht


ein einziges Mal auch nur der Anschein eines


Zweifels an unserer Kreditwürdigkeit aufgetre-


ten ist, das weiß man erst zu schätzen, nachdem


man die Finanzkrise erlebt hat. Das Vertrauen,


dass wir in Deutschland das wirtschaftlich und


finanziell schaffen, war schon enorm stark – und


das hat sich dann ja auch als richtig erwiesen.


Brigitta Kauers: In der Präambel des Treu-


handgesetzes stand ja, wenn wir fertig sind, be-


kommt jeder einen Anteil. Da war ja Vater des


Gedankens: dass es sich um volkseigene Betrie-


be handelte und das Volkseigentum am Ende,


wenn was übrig bleibt, verteilt wird. Da ist aber


nichts übrig geblieben. Und für mich stellt sich


schon die Frage, ob bei einer anderen Arbeits-


weise nicht was hätte übrig bleiben können.


Wir hatten eine veraltete Industriestruktur und


haben versucht, für Betriebe, die nicht auf der


Höhe der technologischen Zeit waren, Investo-


ren zu finden. Wir haben gehofft, dass sie die


alten Maschinen rausschmeißen und neue rein-


stellen. Aber das hat die Strukturen nicht er-


neuert. Und niemand hat sich Gedanken ge-


macht, ob es nicht neue Technologien und


Produkte gibt, in die es sich zu investieren


lohnt. Biotechnologie, Medizintechnik, Tech-


nologien für den Umweltschutz – da hätte man


doch was versuchen können! Es gab genug gut


ausgebildete Ingenieure und Facharbeiter, die


einen solchen Neuanfang hätten mitgestalten


können. Aber der Ansatz, veraltete Betriebe


und vorhandene Strukturen in die Marktwirt-


schaft zu bringen, der war ganz einfach falsch.


Johannes Ludewig: Als ich 1997 aus der Re-


gierung ausschied, nach sieben Jahren Aufbau


Ost, hat mich jemand gefragt, wer aus meiner


Sicht eigentlich die Helden dieser Jahre waren.


Und für mich waren das die Betriebsräte in den


ostdeutschen Industriebetrieben. Weil die nicht


weggelaufen sind oder den Kopf in den Sand


gesteckt oder den Betrieb besetzt haben. Son-


dern die haben gesagt, okay, das ist zwar nicht


ganz das, was wir uns gedacht hatten, aber


wenn es hier für den Betrieb eine echte Zu-


kunftschance gibt, dann sind wir bereit, das zu


unterstützen. Das habe ich restlos bewundert.


Die mussten ja den eigenen Leuten erklären,


dass wegen der höheren Produktivität und


Wettbewerbsfähigkeit nur weniger als die Hälf-


te dauerhaft bleiben kann. Doch diese Arbeit


hat keine Anerkennung erfahren in den Medi-


en und in der bundesdeutschen Öffentlichkeit.


Die interessierten sich nur für Transfer-Milliar-


den und für Skandale, aber nicht für den müh-


samen Alltag von Umstrukturierung und Neu-


beginn in Tausenden von ostdeutschen Indus-


triebetrieben. Und das ist für mich die Verbin-


dung zu heute, zur gesellschaftlichen Stimmung


im Osten Deutschlands: Eine große, ja histori-


sche Leistung, die in Ostdeutschland erbracht


worden ist, hat keine Anerkennung erfahren.


Maria Breitfeld-Markowski: Die Treuhand


gilt heute ja als Symbol für alles, was schiefge-


laufen ist im Osten Deutschlands. Sie ist der


Buhmann. Und das ist etwas, davon bin ich in


der Zwischenzeit fest überzeugt, was von der


Politik genau so gewollt war. Die Kritik sollte


nicht den Kanzler oder den Finanzminister


treffen, nicht Kohl oder Waigel. Man brauchte


einen Puffer dazwischen. Und die Treuhand


war wirklich ein ganz hervorragender Puffer.


Helmuth Coqui: Vieles ist nicht so gelaufen,


wie es hätte laufen sollen, und es war vielleicht


naiv, wie wir es angefangen haben. Aber was


mich schon auch stört: dass die Motivation der
Mitarbeiter der Treuhand so dargestellt wird,
als wenn das lauter Leute gewesen wären, die
sich da beworben hätten, um da irgendwie
einen privaten Vorteil rauszuschlagen. Für die
allermeisten von uns, die aus dem Westen dort-
hin gegangen waren, war das kein normaler
Job. Diese Arbeit hat mit jedem von uns etwas
gemacht. Ich lebe schon lange wieder in Mün-
chen. Aber die Treuhand hat sich tief in meine
Lebensgeschichte verwoben.
Brigitta Kauers: Ich habe dieser Tage mit je-
mandem gesprochen, der sagt, er sei so frustriert,
weil man in der Bundesrepublik nur dann etwas
gelte, wenn man viel Geld verdiene. Das trifft es
ganz gut, finde ich. Wer Hartz IV kriegt, sozusa-
gen am Tropf hängt, der ist dann zwangsläufig
nichts wert. Und wie man dieses negative Ab-
stempeln umgestülpt kriegt, weiß ich nicht.
Eckhard Netzmann: Am Ende sind 88 Prozent
des ostdeutschen Eigentums in den Händen west-
deutscher Betriebe, sprich westdeutscher Men-
schen, gelandet. 88 Prozent! Und der Westen do-
miniert den Osten ja nicht nur ökonomisch. Ich
habe mir mal ein paar Zahlen angeschaut: Von den
25 obersten Richtern in Ostdeutschland kommen
heute alle 25 aus dem Westen. Alle 25! Und von
insgesamt 125 Abteilungsleitern, die es zusammen-
gerechnet in allen Ministerien der Bundesregie-
rung gibt, sind am heutigen Tag 123 Wessis. Dabei
ist es nicht mal so, dass sich die Tendenz verbessert,
denn vor fünf Jahren waren es noch 120. Und das
ist wirklich nicht mehr zum Lachen. Wenn Sie
mich also nach meiner ganz persönlichen Bilanz
fragen, dann sage ich Ihnen: Ich bin Ossi. Und ich
werde wohl für immer und ewig Ossi sein.

Bis heute gilt die Treuhand vielen – vor
allem im Osten – als Konstruktionsfehler der
Einheit, als Ursache dafür, dass auch 30
Jahre nach dem Mauerfall die Grenze
zwischen Ost und West noch immer spürbar
ist, wirtschaftlich wie politisch. Politiker von
AfD und Linkspartei fordern einen neuen
Untersuchungsausschuss im Parlament.
Historiker arbeiten sich durch 45 Regal-
kilometer an Akten, die gerade vom
Bundesarchiv erschlossen werden. Und über
allem schwebt die Frage, ob das politische
System und die Marktwirtschaft im Osten
heute angesehener wären, wenn man damals
behutsamer vorgegangen wäre. Oder ob das
einfach nicht ging. Wie eine einzelne
Behörde ein ganzes Land innerhalb weniger
Jahre in die Marktwirtschaft führen sollte,
ist nicht abschließend aufgearbeitet – und
wird es womöglich nie sein.

Siehe auch Politik, Seite 2/3: Ein großer Teil der
Ostdeutschen schaut skeptisch auf die Demokratie

»Jammert nicht rum,


pennt nicht rum,


entlasst eure Leute, strickt


euren Laden um«


Ken-Peter Paulin,
Treuhand-Manager

HINTER DER GESCHICHTE


Marcus Böick ist Historiker an
der Universität Bochum und einer
der bekanntesten Forscher zur
Geschichte der Treuhand. 2018 erschien
sein Buch »Die Treuhand – Idee, Praxis,
Erfahrung«. Eine seiner wesentlichen
Quellen waren bis dato unveröffentlichte
Zeitzeugeninterviews, zum Teil aus
den Jahren 1992 und 1993. Für diesen
Artikel haben Marcus Böick und
Marc Brost, der Co-Politikchef der
ZEIT, einige der damals Interviewten
noch einmal besucht.
Der frühere Treuhandmanager
Helmuth Coqui war bereits schwer
krank, als er Marc Brost im Juni zum
Gespräch in seinem Haus in München
traf. Der 83-Jährige wollte unbedingt
noch über seine Erfahrungen von
damals sprechen. Coqui verstarb wenige
Tage nach der Begegnung.

Neustart, bitte!


Die deutsche Wirtschaft kann sich in der Konjunkturkrise verwandeln – wenn


die Politik sich nicht mit vielen Milliarden als Retter des Alten aufspielt VON UWE JEAN HEUSER


W


enn die Konjunktur
einbricht, kann man
gute Nachrichten ge-
brauchen. Anfang
der Woche ließ eine
Studie der Markt-
forscher von YouGov
und der Cambridge-Universität die Deutsch-
land AG in hellem Licht erstrahlen. »Made in
Germany« ist der Umfrage in 23 Industrie-
und Schwellenländern zufolge die beliebteste
nationale Marke überhaupt.
Die Hälfte aller Befragten sehen deutsche
Produkte positiv, nur sechs Prozent haben
einen negativen Eindruck. Damit liegen die
Deutschen deutlich vor den Italienern, die
Platz zwei besetzen, und erst recht vor den
Amerikanern im Mittelfeld. Übel sieht es für
China aus, dessen Produkte bei fast der Hälfte
der Verbraucher schlecht angesehen sind. Da-
rauf lässt sich aufbauen.
Doch solche Nachrichten verpuffen in einer
Konjunkturkrise, wie sie sich nun anbahnt. In
dieser Lage beherrscht der Abschwung die
Debatte in Medien und Wirtschaftspolitik.
Dann geht es fast nur noch darum, wie der
Staat den Schwund der Wirtschaftsleistung
stoppen kann und wie die Unternehmen Ent-
lassungen vermeiden.
Der Staat soll sich für zusätzliche Ausgaben
bitte neu verschulden, was er bei Steuer-
schwund aber sowieso tun wird, weil dann bei
gleichen Ausgaben die Einnahmen sinken.
Die Wirtschaft möge, so eine weitere gängige

Forderung, mithilfe öffentlicher Unterstüt-
zung auf Kurzarbeit setzen, was sie ange-
sichts des Mangels an Facharbeitern und
Spezialisten auf dem Arbeitsmarkt wohl
ohnehin tun würde.
Dabei gerät eines in Vergessenheit: Es sind
Krisenzeiten, in denen sich eine Wirtschaft
verwandelt. In denen sie das, was sich nicht
mehr lohnt, abwirft, und das Neue voran-
treibt. Unter der dunklen Wolke der Kon-
junkturkrise verändert sich dann die Struktur
der Wirtschaft, und meistens entstehen dabei
nicht nur bessere Produkte, sondern auch
mehr Arbeitsplätze.
Das sollten Wirtschaftspolitiker nicht aus
dem Blick verlieren, zumal der Strukturwan-
del gerade überfällig ist. Der Staat kann ihn
mindestens so gut befördern oder behindern
wie den Verlauf der Konjunktur. Bei dieser
kommt er nämlich gerne zur falschen Zeit,
oder das Geld fließt in die falschen Bahnen –
sofern es, das sieht man heute schon am öf-
fentlichen Investitionsstau, überhaupt fließt.
Deutschland braucht ein neues Erfolgs-
modell. Als Autolieferant und Maschinen-
bauer der Welt war das Land Spitze. Doch
jetzt verwandelt sich – fast alles.
Die Globalisierung stockt, weil Handels-
krieger aus Amerika und Asien sich einen
Machtkampf liefern. Die Globalisierung än-
dert aber auch unabhängig von Trump und Xi
ihr Wesen, weil dank Digitalisierung und im-
mer mehr Produkten nach Maß die Herstel-
lung wieder näher an den Kunden rückt. Das

heißt: oftmals zurück in hoch entwickelte
Länder. Und die Autoindustrie hat es mit der
größten Herausforderung seit hundert Jahren
zu tun, weil aus mechanisch anspruchsvollen,
lauten und vielen ans Herz gewachsenen Fahr-
maschinen nun rollende iPhones werden.
Ohne damit das Leid von Arbeitslosen
oder den Verlust von Wohlstand beiseiteschie-
ben zu wollen: Der Konjunktureinbruch hat
also möglicherweise eine helle Seite. Deutsch-
land und seine Wirtschaft müssen digital und
ökologisch zugleich werden.
Schon am Beispiel des Autos kann man
sehen, dass der Wirtschaft dabei klare Signale
und eine moderne Infrastruktur helfen. Um
die Weltspitze zu verteidigen und sich schnell
zu verändern, braucht die Autoindustrie stei-
gende CO₂-Preise und keine Dienstwagen-
privilegien. Sie braucht die bestmöglichen
Netze für Strom und Internet und keine Mil-
de beim Dieselskandal. Im besten Falle wer-
den Stromauto und E-Bike, E-Bus und Solar-
flugtaxi am Ende Teile ein und desselben
Netzwerks von Internet und Energie.
Es ist das älteste ökonomische Klischee
und stimmt doch: die Krise als Chance, ge-
nauer als Wandelbeschleuniger. Allerdings
trifft das nur zu, wenn Politik und Gesell-
schaft nicht alle Kraft aufs Bewahren konzen-
trieren, sondern eine Balance zwischen Alt
und Neu finden. Und wer könnte den Struk-
turwandel mit mehr Selbstbewusstsein angehen
als das Land mit den beliebtesten Produkten
auf der Welt?

DER WIRTSCHAFTSKOMMENTAR



  1. OKTOBER 2019 DIE ZEIT N WIRTSCHAFT 27
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