Die Zeit - 03.10.2019

(singke) #1

»Die Helden wurden umgebracht«


Sollten Unternehmer sich gegen Extremisten aussprechen? Der Historiker Harold James zieht Lehren aus der Weimarer Republik


DIE ZEIT: Sie haben die Wirtschaftsgeschichte
der Weimarer Republik erforscht und sagen:
Hitler hätte ohne die Wirtschaftsgrößen nie so
viel Macht erhalten. Können deutsche Unter-
nehmensführer daraus etwas für heute lernen?
Harold James: Es wäre absurd, direkte Verglei-
che zwischen der Weimarer Republik und heute
zu ziehen. Aber Parallelen sehe ich schon. Auch
zum Ende der Zwanzigerjahre herrschte ein Ge-
fühl der permanenten Unstetigkeit, es war auch
eine Zeit großen technologischen und sozialen
Wandels. Viele Menschen hatten damals so wie
heute das Gefühl, dass das politische System die-
se komplizierte Lage nicht mehr beherrscht. Sie
glaubten, dass nur eine radikale Lösung möglich
ist, von außerhalb der etablierten Politik.
ZEIT: Galt das auch für die Spitzen der Wirt-
schaft, dieses doch eher konservative Milieu?
James: Ja, in der Weimarer Zeit kamen auch
Manager und Unternehmer auf diesen Gedan-
ken. Man findet ihn etwa bei dem großen Ham-
burger Bankier Max Warburg, der immer sehr
enge Verbindungen zur Politik gepflegt hatte – er
war der finanzpolitische Berater des Kaisers in
der Vorkriegszeit gewesen! Doch 1932 schrieb er
in einem Brief: »Entweder wir gehen resigniert
unter oder trotzen allen uns zugefügten Gemein-
heiten durch eine kräftige Renaissance. Insofern
begrüße ich die Nazi-Bewegung, so traurig die
vielen Ausschreitungen besonders für unsereiner
sind.« Dieser große jüdische Bankier, der eigent-
lich natürlich keine Sympathien für die Natio-
nalsozialisten hatte, glaubte, dass das System ei-
nen Schock brauche.
ZEIT: Wie bei vielen Protestwählern heute – aber
doch sehr selten bei Wirtschaftsführern, oder?
James: Die Haltung findet man damals wie heu-
te auch dort – und bei vielen Intellektuellen.
ZEIT: Obwohl sie eigentlich begrei-
fen müssten, dass das nicht gut aus-
gehen kann und am Ende ihren eige-
nen Unternehmen schadet?
James: Es ist natürlich irrational.
Aber es ist auch eine Reaktion auf
Krisenzeiten. In normalen Zeiten hält
man die Konsequenzen von Entschei-
dungen für voraussehbar. In Krisen-
zeiten weiß man nicht genau, was die
Verbindung zwischen einer Hand-
lung und ihren Folgen ist.
ZEIT: Allzu verbreitet waren solche Gedanken
bei den Unternehmern der Weimarer Republik
trotzdem nicht.
James: Nein, die meisten Großunternehmer ha-
ben die Nazis nicht enthusiastisch unterstützt.
Die bekannteste Ausnahme ist vielleicht Fritz
Thyssen. Aber die größten Unterstützer waren
Kleinunternehmer. Sie fühlten sich damals mar-
ginalisiert durch die Verbindung von Großindus-
trie, Großbanken und Gewerkschaften. Dieses
System wollten sie brechen. Gregor Strasser etwa,
der Wahlstratege der NSDAP, war Apotheker.
ZEIT: Ein Vertreter des Mittelstands also?
James: Die politischen Soziologen beschrieben
schon damals den »alten Mittelstand«. Kleine
handwerkliche Betriebe oder Geschäfte, die ge-
gen den Wandel an zwei Fronten kämpften: auf
der einen Seite gegen die neuen Warenhäuser
und auf der anderen Seite gegen die Hausierer.
In der Wirtschaftskrise waren viele Menschen
dazu übergegangen, als Verkäufer von Tür zu Tür
zu ziehen. Übrigens sehen Sie das auch heute in
einigen europäischen Ländern, wo der Populis-
mus aufsteigt. Wenn in Italien Regen fällt, sind
die Straßen voller Regenschirmverkäufer, und
viele kommen aus Nigeria.
ZEIT: Hat sich die Großindustrie in der Weima-
rer Republik gegen die Nazis starkgemacht?
James: Die Unternehmer waren eher ängstlich.
Sie fürchteten sich vor der neuen Radikalität der
Nazis – und zwar von links. Es gab damals
durchaus revolutionäre Strömungen in dieser
Partei. Der damalige Vorstandssprecher der
Deutschen Bank, Georg Solmssen, schrieb 1930,
die anti semi ti sche Seite sei so absurd, dass sie
nicht ernst genommen werden müsse. Die wahre
Gefahr sei der Sozialismus in der NSDAP.

ZEIT: Was tat man dagegen?
James: Auf die NSDAP wurden Vermittler ange-
setzt, der bekannteste war der ehemalige Reichs-
bankchef Hjalmar Schacht. Er organisierte Tref-
fen zwischen Parteileuten und Industriellen. Of-
fenbar mit Erfolg: Als sie Regierungsverantwor-
tung trug, hat sich die NSDAP von ihrer sozialis-
tischen Seite abgewandt und mit der Industrie
zusammengearbeitet.
ZEIT: Und umgekehrt unterstützte die deutsche
Industrie irgendwann die Nationalsozialisten?
James: Ja. Die NSDAP hatte eine sehr komplexe
Strategie, um Wähler zu gewinnen. Das hat Pa-
rallelen dazu, wie moderne Politiker soziale Me-
dien benutzen. In der Parteizentrale in München
wurde genau analysiert, wer an welchen Orten
wohnte: hier viele Viehbauern, dort viele Arbei-
ter und so weiter. Diese Zielgruppen wurden ge-
trennt von ein an der angesprochen. Hitler ging
zur Arbeiterversammlung im braunen Hemd
und zu Unternehmern im Anzug. Ihm war klar:
Wenn man die bürgerlichen Kräfte nicht hinter
sich hat, scheitert die Bewegung.
ZEIT: Er versprach ihnen Unterschiedliches?
James: Den Arbeitern versprach er einen Um-
sturz des Systems, im Hamburger Überseeclub
oder beim Industrie-Club in Düsseldorf sagte er:
Ich bin der Einzige, der meine radikale Gefolg-
schaft auf den Straßen bändigen kann!
ZEIT: Sie sprechen von der SA.
James: Genau, die Straßenschläger. Im Juni
1934, als die SA-Führung inhaftiert und zum
Teil ermordet wurde, atmete die Elite auf.
ZEIT: Nun sagten Sie doch, dass zuvor das Gros
der Wirtschaftsvertreter eher gegen Hitler war.
Wann wechselte man die Seiten?
James: Nach der Ernennung Hitlers zum Reichs-
kanzler am 30. Januar 1933. Nicht vorher. Die
Gründe waren unterschiedlich. Eini-
ge hofften auf einen Wirtschaftsauf-
schwung wegen der Aufrüstung, we-
gen steuerlicher Erleichterungen, we-
gen Hitlers Konjunkturprogramm.
Andere wollten weiter Regierungs-
aufträge bekommen.
ZEIT: Heute gibt es ja wieder ver-
gleichbare Diskussionen in den Wirt-
schaftsverbänden. Als im vergange-
nen Jahr der Siemens-Chef Joe Kae-
ser gegen die AfD polemisierte, wur-
de er dafür auch kritisiert.
James: Und tatsächlich kann solche Kritik ja
eine gefährliche Sache sein. Wenn Joe Kaeser
stark gegen die AfD polemisiert, besteht auch die
Gefahr, dass die Anhänger der AfD sich in ihren
Meinungen über das Großkapital und das Sys-
tem bestätigt sehen. Direkt kann man das schwer
vergleichen: Die AfD ist nicht die NSDAP, und
der BDI ist nicht der damalige Industrie-Club
Düsseldorf. Aber ob die Wirtschaft eine Pflicht
hat, moralisch beladene politische Ausführungen
zu machen, ist ja eine allgemeinere Frage, die dis-
kutiert werden sollte.
ZEIT: Gab es diese Diskussion in der Weimarer
Zeit?
James: Ja. Einige sagten: Die Industrie- und Fi-
nanzwelt soll sich zurückhalten und keine poli-
tischen Aussagen treffen.
ZEIT: Was muss man wissen, um den Unter-
schied zwischen den Debatten damals und heute
zu verstehen?
James: Die Unternehmer der Weimarer Zeit
hatten insgesamt eine vormoderne Ideologie:
Pater na lis mus, Obrigkeitsdenken. Das hatte
manchmal auch eine fürsorgliche Seite: Ein Un-
ternehmer sollte für seine Belegschaft da sein, er
sollte in Krisenzeiten den Arbeitern helfen, wohl-
tätige Institutionen schaffen, Krankenhäuser,
Wohnhäuser. Das war die alte Welt. Nach 1945
setzte eine Demokratisierung im Denken der
Manager ein.
ZEIT: Wollten die Vertreter der alten Welt diese
nicht bewahren? Kam es nicht zu Widerstand?
James: Es gab Unternehmer, die sich einer libe-
ralen Tradition verbunden fühlten. Viele haben
sich aber gefürchtet, sich politisch zu exponie-
ren. Sie glaubten, dass sie sonst als typisches Bei-

spiel jenes Systems herausgestellt würden, das die
radikalen Populisten zerschmettern wollten.
ZEIT: Wir reden vom Anfang der Dreißigerjahre,
also noch vor der Machtergreifung?
James: Ja, die Chronologie ist interessant. Die
NSDAP wuchs damals sehr rasch zu einer politi-
schen Macht heran. Vor ihrem Erfolg bei der
Reichstagswahl im September 1930 glaubten we-
nige, dass sie je wichtig sein würde. Danach be-
gann das große Nachdenken über diese Partei. In
dieser Phase gab es viele Unternehmer wie Paul
Reusch, den bedeutenden Geschäftsführer der
Gutehoffnungshütte: Er war gegen die Nazis, ver-
trat das aber kaum in der Öffentlichkeit. Er warn-
te nicht, hielt keine Reden. So machten es viele.
ZEIT: Hatten die Unternehmer damals das Pro-
blem, dass in ihren Belegschaften Nazis saßen?
James: Das ist richtig, soweit es das mittlere Ma-
nagement betraf und nicht die Leute ganz oben.
Später, nach dem 30. Januar 1933, waren solche
Manager sehr verwundbar, denn es hatte sich eine
Denunziantenkultur entwickelt. Man sagte: Dieser
Mann ist nicht wirklich in der Bewegung, oder je-
ner hat etwas gegen die Regierung gesagt.
ZEIT: Wenn solche Leute denunziert wurden, setz-
ten ihre bürgerlichen Chefs sie dann ab?
James: Ja. Das war oft vorauseilender Gehorsam,
noch bevor die Partei es forderte. So hat man auch
viele Juden auf die Straße gesetzt.

ZEIT: Das ist doch ein erstaunlich rascher Wandel.
Ende der Zwanzigerjahre ist die Mehrheit der deut-
schen Industrieführer gegen die Nazis, später unter-
stützen sie dann deren schlimmste Gräueltaten: Ju-
denverfolgung, Zwangsarbeit, Kriegsvorbereitung.
James: So ist es mit vielen historischen Prozessen,
ihre Anfänge sind ganz klein. Man merkt, dass es
unangenehmer wird. Was kann man da machen?
Bald wird man immer tiefer in die Logik eingebet-
tet. Und es ist ja auch so, dass die Firma weiterlau-
fen muss, sie soll Gewinne produzieren.
ZEIT: Wenn die Wirtschaftsführer nicht mit-
gespielt hätten, wären die Nazis nicht weit ge-
kommen.
James: Ja, mehrheitlich waren sie keine Nazis, aber
ebenso mehrheitlich haben sie das am Ende mitge-
macht. Sie tragen diese Verantwortung.
ZEIT: Kann die Geschichte sich wiederholen?
James: Die Gefahr sehe ich absolut. Man kann
diese Prozesse derzeit in einigen Schwellenländern
beobachten. Dort gibt es meist eine sehr enge Ver-
flechtung zwischen Politik und Wirtschaft. Unter-
nehmen sind auf die Politik angewiesen, um Steuer-
vor tei le oder Schutz vor ausländischen Konkurren-
ten zu erhalten. Es ist nicht so, dass solche Unter-
nehmen in besonderem Maße radikale Politiker wie
Duterte auf den Philippinen oder Bolsonaro in
Brasilien unterstützten. Aber wenn die einmal an
der Macht sind, machen sie mit.

ZEIT: Unternehmer unterstützen die jeweiligen
Machthaber – das ist nichts Neues.
James: Nein, das war in der Weimarer Republik
auch so. Da gaben Großunternehmen etwas für
die Zentrumspartei, etwas für die DVP, etwas für
die DDP, sogar für die SPD. Das hat mehr mit
Opportunismus zu tun als mit politischer Ver-
bundenheit.
ZEIT: Haben sich denn am Ende gar keine Unter-
nehmer gegen die Nazis zur Wehr gesetzt?
James: Doch, viele. Der bekannteste ist wahr-
scheinlich Robert Bosch, der ein sehr anständiger
Mensch und ein großer Unternehmer war. Doch
auch bei Bosch gab es schließlich Zwangsarbeit,
Rüstungsarbeit, eine gewisse Mittäterschaft. Wenn
man erst in einem solchen System lebt, kann man
sich nicht widersetzen, ohne ganz auszusteigen.
ZEIT: Gab es auch Helden, die das taten?
James: Die Helden wurden umgebracht. Denken
Sie an den sehr dynamischen Forschungsdirektor
bei Krupp, Benno Strauß, er starb in einem Ver-
nichtungslager. Der Stuttgarter Deutsche-Bank-
Manager Hermann Köhler und sein schlesischer
Kollege Georg Miethe wurden vom Volksgerichts-
hof zum Tode verurteilt. Etliche bedeutende Indus-
triemanager wurden damals ins Exil getrieben oder
später in den Vernichtungslagern getötet.

Das Gespräch führte Thomas Fischermann


Harold James lehrt
an der Universität
Princeton

Adolf Hitler besucht im Kreis von Wirtschaftsführern und Parteigenossen das Ruhrgebiet


Fotos (Ausschnitte): Scherl/ullstein bild; Enno Kapitza/Agentur Focus (v. o.)



  1. OKTOBER 2019 DIE ZEIT N
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