Die Zeit - 03.10.2019

(singke) #1

Ralf Teckentrup vergangene Woche in der Condor-Zentrale am Frankfurter Flughafen


Fotos: Thomas Pirot für DIE ZEIT; action press (u.)

Er ist noch zu haben


Mit einem Staatskredit kommt die Fluglinie Condor zwar durch den Winter. Doch um sie langfristig zu retten, braucht der Chef einen Käufer VO N C L A A S TATJ E


A


m Morgen nachdem seine
Fluggesellschaft vorerst gerettet
worden war, kam und kam
Condor-Chef Ralf Teckentrup
nicht aus dem Bett. Um sechs
Uhr steht der 61-Jährige nor-
malerweise auf, frühstückt mit

seinen beiden Kindern und fährt zur Arbeit, aber


Teckentrup verschlief. Wer mag ihm das verden-


ken? Nur Stunden zuvor hatten Bund und Land


Condor einen Überbrückungskredit in Höhe von


fast 400 Millionen Euro eingeräumt. Genug, um


zumindest ein paar Stunden zu entspannen.


Zurück im Büro, geht es weiter Schlag auf Schlag.


Gespräche mit Politikern, Anwälten und möglichen


Investoren wechseln sich ab. Noch immer könnte die


EU-Kommission entscheiden, dass die Staatshilfe


eine illegale Beihilfe sei und zurückgezahlt werden


müsse. »Mein Adrenalinpegel ist gerade sicher zehn-


mal höher, als er sein sollte«, sagt Teckentrup am


späten Nachmittag, als er sich eine halbe Stunde für


das Gespräch mit der ZEIT nimmt. Für das abrupte


Ende des Interviews sorgt Verkehrsminister Andreas


Scheuer, dessen Vorzimmer da schon länger in der


Telefonleitung wartet. »Da muss ich jetzt wirklich


ran«, sagt Teckentrup entschuldigend, während eine


Assistentin den Besucher aus dem Büro begleitet. Das


Baguette auf Teckentrups Schreibtisch ist seit dem


Mittag unangerührt, in einem Schälchen liegen einige


Salbeibonbons. Er braucht jetzt Stimme.


»Ohne den Überbrückungskredit hätten


wir auch keine Chance gehabt«


Kurz zuvor erzählte Teckentrup nicht nur von seiner


Erschöpfung am frühen Morgen, sondern auch da-


von, wie die vergangenen Wochen an ihm gezehrt


haben und was jetzt noch alles auf ihn zukommt.


Condor ist eine Tochter des auf Pauschalreisen


spezialisierten Reiseveranstalters Thomas Cook. Am


Sonntag vergangener Woche meldete das britische


Unternehmen Insolvenz an – und mit ihm viele be-


kannte Tochtergesellschaften wie Neckermann Reisen,


Öger Tours, Air Marin und Bucher Reisen. Allein


Condor gelang es in letzter Minute, dass seine Flug-


zeuge weiter starten dürfen. Nach einem Verhand-


lungsmarathon mit Juristen und Politikern steht am


Ende ein kompliziertes Konstrukt. Einerseits ver-


hindern die Überbrückungskredite die Insolvenz.


Andererseits – ebenso wichtig – darf die britische


Mutter kein Geld mehr aus der Tochter abziehen.


So konnte Condor als einzige Fluggesellschaft des


Konzerns überleben und flog einen Großteil der


60.000 Thomas-Cook-Kunden, die auf Condor ge-


bucht waren, mittlerweile wieder nach Hause. »Ohne
den Überbrückungskredit hätten wir auch keine
Chance gehabt«, sagt Teckentrup.
Klar ist nach dem Besuch bei ihm aber auch, dass
er eines nicht ist: sorglos. Selbst wenn die Brüsseler
Wettbewerbsbehörde die Beihilfe der Regierung
schon bald genehmigen würde.
Die Finanzspritze mag helfen den buchungsarmen
Winter zu überbrücken. Aber was kommt dann? Te-
ckentrup muss einen neuen Investor finden, der sich
langfristig an der Fluggesellschaft beteiligen möchte.
Immerhin: Anders als der Carrier Air Berlin, der nach
der Pleite 2017 am Ende in ihre Einzelteile zerlegt
wurde, ist Condor eine rentable, gut aufgestellte Flug-
linie mit acht Millionen Passagieren im Jahr. Weniger
als ein Fünftel der Sitplätze verkaufte Condor zuletzt
an die eigene Mutter Thomas Cook und deren Reise-
veranstalter. »Der tagesaktuelle Buchungseingang
sieht heute besser aus als vor einem Jahr«, sagt Te-
ckentrup. Das soll heißen: Die anderen Kunden
bleiben der Fluggesellschaft treu. Die Sicherheit des
Kredits sorgt für Vertrauen.
Für die Investoren hat Teckentrup aufgelistet, wie
Condor gewirtschaftet hat, seit er 2004 zum Chef
ernannt wurde. Die Zahlen sind Teil einer Unter-
nehmenspräsentation, die ein Assistent mal schnell
ausdrucken solle. Das zumindest ruft ihm Teckentrup
zu, ehe das Gespräch so richtig beginnt. Als der nach
einer Viertelstunde noch nicht aufgetaucht ist, eilt
Teckentrup vor die Tür. Wo denn die Präsentation
bleibe? Er habe das Gespräch nicht stören wollen,
entschuldigt sich der Assistent. In solchen Momenten
muss Teckentrup tief durchatmen, damit er nicht aus
der Haut fährt.
Wer mit ihm zu tun hat, sollte mindestens so wach
sein wie er. Und Ahnung haben vom Geschäft. Denn
Teckentrup fällt es schwer, selbst kleinste Gedanken-
losigkeiten von Mitarbeitern zu akzeptieren. Das war
schon so, als er noch bei der Lufthansa war. Einmal
zitierte ihn der damalige Vorstandschef Jürgen Weber
in sein Büro. Einige Manager hätten sich beschwert,
weil Teckentrup diese bisweilen respektlos behandelt
habe. Der hatte darauf eine knappe Erklärung: »Ich
kann nicht anders, wenn einige Kollegen die ein-
fachsten Dinge nicht verstehen.« Spricht man Weber
heute darauf an, sagt er: »Ja, der Ralf war immer sehr
direkt.« Und er sagt auch: »Er gehörte zu den Besten.«
Da war es kein Wunder, dass Weber Teckentrup
Ende 2003 zur Condor entsandte. Weber war damals
schon Aufsichtsratsvorsitzender des Lufthansa-Kon-
zerns. Die Lufthansa besaß seit den 1950er-Jahren
die Mehrheit der Condor-Anteile, reduzierte diese
später und verkaufte die restlichen erst 2006 an Kar-
stadtQuelle (siehe Kasten).

WAS BEWEGT RALF TECKENTRUP?


Teckentrup galt da schon als einer der klügsten
Köpfe seiner Branche. Aufgewachsen in Westfalen,
schrieb er sich für das Studium des Wirtschaftsinge-
nieurwesens in Hamburg ein und bewarb sich später
bei der Lufthansa. Dort begann er 1986 in der so-
genannten Konzernorganisation. Weggefährten be-
schreiben ihn als jemanden, der am einfachsten mit
Zahlen überzeugt wird. Jahrelang kümmert er sich
um eine der komplexesten Aufgaben bei der Luft-
hansa, das Netzwerkmanagement. Dort wird das
Geflecht aus Tausenden von Flügen aufeinander
abgestimmt und werden die Preise bestimmt. Wäh-
rend andere im Konzern das Phänomen der Billig-
flieger kleinredeten, schuf Teckentrup Fakten: Er ging
so aggressiv in den Preiswettbewerb mit den jungen
Rivalen, dass sich 2002 das Bundeskartellamt zu einer
Abmahnung gezwungen sah.
Klare Analysen und Furchtlosigkeit machten ihn
zum Vorbild vieler. »Er hat meine Karriere sehr ge-
prägt«, sagt beispielsweise Carsten Spohr, der heutige
Vorstandsvorsitzende der Lufthansa. Und nicht nur
seine. Spohrs Vorstandskollege Harry Hohmeister
arbeitete früher ebenso für Teckentrup wie Euro-
wings-Geschäftsführer Oliver Wagner. Und von all
diesen ambitionierten Managern war Teckentrup als
erster am Ziel: »In unserer Branche ist es der Traum
einer jeden Führungskraft, irgendwann mal selbst
eine Airline zu führen«, sagt Spohr.
Und dann gleich länger als anderthalb Jahr zehnte.
In einem Umfeld, in dem die Manager sonst ähnlich
häufig wechseln wie Bundesligatrainer.
Teckentrups großes Geschick ist dabei der Um-
gang mit den Gewerkschaften. Wer es sich mit den
Piloten oder ver.di verscherzt, dem drohen Jahr für
Jahr teure und kundenfeindliche Streiks. Teckentrup
verständigte sich beispielsweise mit der Pilotenver-
einigung Cockpit in diesen Tagen darauf, dass die
Besatzungen für kurze Zeit auf viele Sonderrechte
verzichten. Dienst- und Ruhezeiten orientieren sich
nun nur noch an den europäischen Gesetzesvorgaben
und nicht an den Tarifverträgen mit all ihren Privi-
legien. So kann sichergestellt werden, dass möglichst
viele Urlauber in kurzer Zeit in ihre Heimat zurück-
geholt werden können. »Wir haben da wirklich Hand
in Hand gearbeitet, damit Condor am Ende gerettet
werden kann«, sagt Cockpit-Sprecher Janis Schmitt.
Teckentrup kommt in diesen Wochen zugute,
dass er Condor schon einmal gerettet hat. Als er
kam, flog die Fluggesellschaft fast 70 Millionen
Euro Verlust im Jahr ein. Dann legte »Tecke«, wie
sie ihn in der Branche nennen, los. Mit Billig-
tickets verdoppelte er die Umsätze jenseits des
Chartergeschäfts, er überarbeitete den Flugplan
und das Streckennetz und führte das Unterneh-

men wieder zurück zu seinen Wurzeln: Er macht
aus diesem einen klassischen Ferienflieger, der
auch die Langstrecke beherrschte. Die Flugzeuge
haben eine hohe Auslastung und sind lange in der
Luft. Dann kamen die Gewinne. Und die Begehr-
lichkeiten der Mutter, die eigene Engpässe mit den
Gewinnen der Condor kompensierte.

Durch den Stress der vergangenen Tage
begann Teckentrup wieder mit dem Rauchen

So ist es nur umso frustrierender, dass Teckentrup
nun eine rentable Airline in Europa führt und den-
noch um ein Haar in die Pleite geflogen wäre. In
einer Telefonkonferenz mit Journalisten gleich
nach der Bekanntgabe des Rettungskredits machte
Teckentrup deutlich, dass nicht sein Unternehmen
in Schieflage geraten sei. Der Mutterkonzern Tho-
mas Cook habe die Liquidität von Condor einfach
»verbuddelt«. Frage: Warum hat er nicht besser auf
das Geld aufgepasst? »Wir haben immer einen
Überblick, wo das Geld der Condor ist, aber wenn
Sie einer Gesellschaft zu 100 Prozent gehören, darf
diese entscheiden, wie man Gewinne und Cash-
flow abführt. Wir haben es nach London überwie-
sen, und nun ist es weg.«
Und noch eine recht klare Botschaft will Tecken-
trup loswerden. »Für mich ist Thomas Cook ein
Brexit-Opfer. Durch den Brexit haben sich die Wech-
selkurse der Engländer um rund 15 Prozent ver-
schlechtert. Wenn ein Familienurlaub 400 Pfund
teurer wird, ist das für Thomas-Cook-Kunden in
England nicht mehr bezahlbar. Kein Wunder, dass
dann die Veranstalterbuchungen ausgeblieben sind.«
Teckentrup hofft, dieses Schicksal für Condor
abwenden zu können. Er arbeitet an einer Lösung,
die das Unternehmen auch mittel- und langfristig
trägt. »Am Ende steht ein neuer Eigentümer. Das
kann ein strategischer Partner sein oder ein Finanz-
investor.«
Dass noch nicht alles in trockenen Tüchern ist,
kann man in diesen Tagen sogar riechen. Der Ge-
ruch von Zigarettenrauch hängt in Teckentrups
Büro. Früher wäre das nicht der Rede wert gewesen,
da qualmte Teckentrup drei bis vier Schachteln am
Tag. Doch die vergangenen dreieinhalb Jahre war
Teckentrup Nichtraucher. Auf diese Willensleistung
war er mächtig stolz. Dann kam der Kollaps von
Thomas Cook, und Teckentrup schnorrte sich eine
Zigarette. Und noch eine. Und noch eine. Er wird
wohl erst wieder aufhören, wenn Condors Rettung
sicher ist.

A http://www.zeit.deeaudio


Gründung
Am 21. Dezember 1955 startet
die Deutsche Flugdienst GmbH.
Zu den Gesellschaftern zählt die
Deutsche Lufthansa, die das Unter-
nehmen 1959 komplett übernimmt.
1961 kauft die Deutsche Flugdienst
GmbH die 1957 gegründete Condor
Luftreederei Hamburg des Oetker-
Konzerns und benennt sich um: in
Condor Flugdienst GmbH.

Urlaubsflieger
Bereits 1962 befördert Condor zwei
von drei deutschen Flugtouristen.
Das beliebteste Ziel ist mit 36.000
Gästen im Jahr Mallorca. Flüge auf
der Langstrecke gehen von 1966 an
nach Sri Lanka, Kenia und in die
Dominikanische Republik.

Die Neuausrichtung
KarstadtQuelle und Lufthansa
formen mit C&N Touristik einen
neuen Tourismusriesen, der von
1997 an als Thomas Cook AG be-
kannt wird. Eine der beiden Töchter
ist Condor. Später trennt sich die
Lufthansa von ihren Anteilen.
KarstadtQuelle übernimmt den
Großteil für 800 Millionen Euro.

Viele Mütter,


wenig Geld


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