Vor allem die Bauten aus den Siebzigerjahren, hier an der Uni Hamburg, sind betroffen
A
n der Universität Halle ist die obere
Etage des Rektoratsgebäudes wegen
Schadstoffen komplett gesperrt. Weil
die Räume alle überbucht sind, wird
»in größeren Gruppen« und in so
genannten Randzeiten unterrichtet, also früh am
Morgen oder spät am Abend. An der Universität
Erlangen müssen Werkzeugwissenschaftler in einem
mit dem Gift PCB belasteten Gebäude lehren und
forschen. Sie sollen alle 30 Minuten lüften, um
nicht krank zu werden. Und die Universität Bonn,
die gerade mit dem ExzellenzSiegel gewürdigt
wurde und viele Millionen Euro Forschungsgelder
einheimsen durfte, hat Sanierungslasten von rund
einer Milliarde Euro. Das ist das Zehnfache ihres
Jahresbudgets. Elite in Bruchbuden – das ist an
vielen Hochschulen Alltag.
Dabei wird viel in die Unis investiert. Um 36 Pro
zent stiegen die Ausgaben für das deutsche Wissen
schaftssystem im vergangenen Jahrzehnt. Vernach
lässigt wurde jedoch die Infrastruktur. Viele Labore,
Hörsäle, Bibliotheken, Verwaltungstrakte sind abge
nutzt, technisch veraltet, nicht mehr sicher und oft
mit Schadstoffen vergiftet. Und wenn nichts mehr
geht, kommt das Schild: »Achtung, gesperrt!«.
Vor allem Gebäude aus den Siebzigerjahren und
Unis in alten Schlössern sind betroffen. Rund sechs
Milliarden Euro fehlen in NordrheinWestfalen. In
BadenWürttemberg liegt das Defizit bei den Unis
bei rund 5,9 Milliarden Euro. Nach einer Hochrech
nung des HISInstituts aus dem Jahr 2016 wird der
Sanierungsstau an Hochschulen und UniKliniken
bis zum Jahr 2025 auf rund 50 Milliarden Euro
steigen. Um diesen Rückstand aufzuholen, müssten
sämtliche Hochschulen ein ganzes Jahr lang fast jeden
Cent nur für Reparaturen ausgeben.
Welche Folgen die Notlage hat, machte die Uni
versität Hohenheim Mitte Juli deutlich: »Mangel
hafte und fehlende Infrastruktur torpediert For
schung und Lehre«, erklärte der UniSenat in einer
Resolution. Hohenheim schätzt seinen Sanierungs
rückstand aktuell auf knapp 340 Millionen Euro, das
Jahresbudget der Uni ist nicht einmal halb so groß.
Die Misere hat politische Ursachen. »Was inte
ressiert mich die Dachsanierung in Greifswald?« Mit
dieser rhetorischen Frage warb die ehemalige Bundes
forschungsministerin Edelgard Bulmahn einst für die
Abschaffung des Hochschulbaus von Bund und
Ländern. Der Bund sagte den Ländern Kompensa
tionszahlungen von jährlich 695 Millionen Euro zu,
bis zum Jahr 2019. Das war 2006. Die Länder
schlugen ein, der gemeinsame Hochschulbau war tot.
Seitdem wird zwischen Hochschul und For
schungsbauten unterschieden. Der Bund investiert
nur noch in letztere, in ausgewählten Fällen. Geför
dert wird die Spitze: Wie eine der ZEIT vorliegende
Übersicht des Wissenschaftsrats zeigt, bekommen
vor allem forschungsstarke Unis Geld für Neu
bauten. Die Logik dahinter fasst der Rektor der
Universität Hohenheim, Stephan Dabbert, so
zusammen: »Mit Sanierungen kann man in der
Öffentlichkeit einfach keinen Blumentopf ge
winnen. Sie sind teuer, dauern ewig, und am
Ende sieht man nichts davon.« Die Eröffnung
eines Labors für die Spitzenforschung lässt sich
besser inszenieren als der neue Brandschutz
schacht. Rotweiße Bändchen, Sekt und Gruß
worte sind dem Neubau vorbehalten.
Jetzt aber steigt der Druck, das Thema an
zugehen. BadenWürttembergs Wissenschafts
ministerin Theresia Bauer will den gemeinsamen
Hochschulbau wiederbeleben: »Die Beteiligung
des Bundes an den Hochschulbauinvestitionen
könnte dazu beitragen, dem allseitigen Sanie
rungsstau abzuhelfen.« Das Bundesministerium
für Bildung und Forschung aber lehnt dies ab:
Bund und Länder unterstützten die Hochschulen
bereits »mit erheblichem finanziellen Aufwand«,
erklärt die Ministerin Anja Karliczek.
Der Wissenschaftsrat, Deutschlands wichtigs
tes wissenschaftspolitisches Beratungsgremium,
zögert, sich zu positionieren. Ein »Diskussions
und Abstimmungsprozess« habe begonnen; man
entscheide im Januar. Bis dahin will sich auch
die Vorsitzende des Wissenschaftsrats Martina
Brockmeier nicht zum Verfall der akademischen
Infrastruktur äußern.
So oder so: Die Hochschulen brauchen Lö
sungen, vor allem für die Raumnot. Doch Anmie
tungen sind teuer und geeignete Gebäude schwer
zu finden. »Der Immobilienmarkt ist explodiert,
Gewerbeimmobilien sind praktisch nicht vor
handen«, sagt Mathias Neukirchen, Kanzler der
TU Berlin. Er hat für seine Uni im vergangenen
Jahr ein Objekt mit mehreren Tausend Quadrat
metern ergattert. Die Miete beträgt 1,5 Millionen
Euro im Jahr, zahlen muss die Uni selbst.
Das hat System, wie eine unveröffentlichte
Umfrage der Hochschulrektorenkonferenz unter
90 Teilnehmern nahelegt. Die Befragung ist
nicht repräsentativ, wirft jedoch ein Licht darauf,
wie die Länder mit dem HochschulbauDesaster
umgehen: Nur 8,4 Prozent der Hochschulen,
die zwischen 2014 und 2017 in ihrer Not
Gebäude anmieteten, bekamen die Ausgaben
vom jeweiligen Land erstattet. Zwei Drittel der
Unis mussten die Mietkosten aus den laufenden
Etats stemmen.
So wie die Universität Hohenheim. 650.000
Euro gibt sie dieses Jahr für Mieten aus. »Das Geld
fehlt natürlich für Tutorien, Lehrbücher und Zeit
schriften«, sagt Rektor Dabbert. Mit dem Putz an
Deutschlands Hochschulen bröckeln auch Pläne,
Konzepte und Ideen.
DIE ZEIT: Sie haben 2500 Schüler an 39 Schu
len im Ruhrgebiet befragt, um herauszufinden,
welche Rolle ethnische Herkunft bei gewaltsa
men Konflikten unter Jugendlichen spielt. Was
für ein Ergebnis hat Ihre repräsentative Studie?
Clemens Kroneberg: Physische Gewalt an
Schulen kommt relativ selten zwischen Jugend
lichen unterschiedlicher ethnischer Herkunft
vor. Sie tritt eher zwischen Schülern gleicher
Herkunft auf.
ZEIT: Also nicht die einen gegen die anderen?
Das ist ja die vorherrschende Perspektive in der
Öffentlichkeit.
Kroneberg: Es gibt eine einschlägige Sichtweise
auf ethnische Vielfalt, eine Konfliktbrille. In der
Öffentlichkeit wie in der Wissenschaft. In der
Forschung wurde bisher oft davon ausgegangen,
dass es in Schulen mit großer Vielfalt auch ein
größeres Konfliktpotenzial gibt; dass es zwischen
einzelnen Gruppen quasi um die Vorherrschaft
auf dem Pausenhof geht. Aber das sind Projek
tionen aus der Erwachsenenwelt, die zu vor
schnellen Urteilen führen. Gewalt an Schulen ist
keine Folge ethnischer Vielfalt.
ZEIT: Tragen Lehrer auch diese Konfliktbrille?
Kroneberg: Auseinandersetzungen werden stär
ker wahrgenommen, wenn die Beteiligten un
terschiedlicher Herkunft sind. Konflikte zwi
schen Schülern gleicher Herkunft erfahren
nicht so viel Aufmerksamkeit oder werden
häufiger ausgetragen, ohne Lehrer hinzuziehen.
ZEIT: Wie haben Sie physische Gewalt in Ihrer
Studie definiert?
Kroneberg: Wir fragten: »Wer schlägt oder tritt
dich manchmal?« und »Wen trittst oder schlägst
du manchmal?« 39 Prozent der Befragten wa
ren weder als Opfer noch als Täter involviert.
Dennoch ist physische Gewalt in den siebten
Klassen noch weitverbreitet. Das nimmt aber
kontinuierlich ab, bis zur zehnten Klasse, in der
weniger als zehn Prozent der Schüler angeben,
Mitschüler aus demselben Jahrgang manchmal
zu schlagen oder zu treten.
ZEIT: Gibt es Unterschiede zwischen den ein
zelnen Schulformen?
Kroneberg: In Hauptschulen findet sich Gewalt
zwar etwas häufiger, aber physische Gewalt wird
in allen Schulformen ausgeübt.
ZEIT: Und warum kommt Gewalt häufiger
innerhalb einer ethnischen Gruppe vor?
Kroneberg: Zwischen Jugendlichen unter
schiedlicher Herkunft gibt es häufiger Abnei
gung, diese führt aber nicht zu Gewalt. Man
geht sich eher aus dem Weg und hat nicht so
viel miteinander zu tun. Schüler, die unter sich
bleiben, verbringen mehr Zeit zusammen. Sie
geraten häufiger in Situationen, in denen es zu
Provokationen und Statuskämpfen kommt.
ZEIT: Was sollten Lehrer und Politiker tun?
Kroneberg: Kommt es zu Auseinandersetzun
gen, sollte man nicht gleich bürgerkriegsähnliche
Zustände auf dem Pausenhof befürchten. Man
sollte versuchen, diese Konflikte als das zu sehen,
was sie sind: Bei vielen Jugendlichen auf engem
Raum kracht es eben auch mal. Eine Rolle spielt
dabei der offene Ganztag, die Nachmittage sind
weniger strukturiert als die Vormittage, bei eini
gen Jugendlichen geht die Selbstkontrolle im
Laufe des Tages in den Keller. Das heißt natür
lich nicht, dass man die ernsteren Vorfälle nicht
konsequent verfolgen muss. Wichtig ist, für ein
gutes Schulklima zu sorgen. Dafür ist entschei
dend, diejenigen Schüler, die in ihrer Stufe be
sonders einflussreich sind, zu einer Einstellung
zu bewegen, die Gewalt klar ablehnt. Die Schü
ler müssen lernen, Konflikte anders auszutragen.
Die Fragen stellte Arnfrid Schenk
Wenn es zu Gewalt auf dem Pausenhof kommt, hat das
nichts mit der Herkunft der Schüler zu tun. Das zeigt eine Studie
Wer schlägt oder tritt?
Elite in Bruchbuden
Trotz ExzellenzMilliarden für die Forschung sind die Hochschulen in Not.
Es bröckelt, es tropft – aber das Geld für Bauarbeiten fehlt VON CHRISTINE PRUSSKY
Clemens Kroneberg lehrt Soziologie
an der Universität Köln
50
Milliarden Euro brauchen
die Hochschulen bis 2025
für die Sanierung
HOCHSCHULE • SCHULE
Foto: Maria Rohweder für DIE ZEIT
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- OKTOBER 2019 DIE ZEIT N
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