WISSEN
Wie süß darf
eine Kindheit
heute sein?
Foto: Lina Grün für DIE ZEIT
Die große Zuckerpanik
Wer seinem Kind noch Süßes erlaubt, gilt heute beinahe als verantwortungslos.
Wie Lollis und Schokolade zur Glaubensfrage in der Erziehung werden VON SARAH SCHASCHEK
D
u sagst jetzt nichts. Es ist
okay, das eine Mal. Du fängst
jetzt nicht von Zucker an.
Das ist mein Mantra, wenn
ich mit meinen Jungs sams
tags beim Bäcker stehe. Wäh
rend wir in der Schlange
warten, beraten die beiden, vier und fünf Jahre alt,
vor den Gläsern mit den Süßigkeiten: »Was nimmst
du?« – »Ein Himbeerbonbon.« – »Ich diese Gummi
schnecke, oder lieber eine Colaflasche?« Sie haben
ihr eigenes, gespartes Geld dabei, sie dürfen sich
davon kaufen, was sie wollen. Nur eine Kleinigkeit,
das haben wir abgemacht. Ich werde ihnen diesen
Spaß nicht verderben. Aber innerlich wüte ich:
Wieso steht das Zeug hier? Ich gucke mich vor
sichtig um. Bin ich eigentlich die Einzige, die
Süßes kauft?
Auf dem Nachhauseweg hoffe ich, dass die Jungs
mit dem Süßkram fertig sind, bevor wir ankommen.
Denn wenn ihre einjährige Schwester sieht, was ihre
Brüder naschen, will sie auch was abhaben. Neulich
hat sie die Gewürzschublade ausgeräumt. Sie suchte
das Glas mit den Smarties, das ich zwischen Curry
und Koriander verstecke.
Seit meine Kinder Gummibärchen kennen, dis
kutieren wir. Wie viele? Wann? Und warum jetzt
nicht, Mama? Manchmal fragen sie vor dem Mittag
essen nach dem Nachtisch. Ich habe in der Eltern
schule den Kurs »Nein, Jein und nochmals Na gut«
besucht, weil ich wissen wollte, wie ich beim Umgang
mit Süßem konsequent bleibe. Man teilte mir mit,
dass es darum gehe, den Kindern eine eigene Haltung
zu Süßem zu vermitteln.
Aber wie findet man die?
Ich selbst mache mir nicht viel aus Süßigkeiten.
Doch seitdem ich Mutter bin und mir beim Kinder
arzt, in der Kita, überall eingebläut wird, wie schäd
lich das Zeug ist: Bloß nicht zu viel davon! Keine
Marmelade in der Frühstücksbox! Kein Eis zur Be
lohnung! Mütter bloggen darüber, wie sie mit ihrer
Familie zuckerfrei leben. Beim Spielenachmittag ent
schuldigen sich Väter, dass der Kuchen gesüßt ist.
Irgendwer kennt immer irgendwen, der seinen
Kindern Süßigkeiten verbietet.
Zucker ist auf dem besten Wege, zum Familien
feind Nummer eins zu werden. Der Streit um Lollis
und Schokoriegel betrifft nicht nur Kinder und Eltern,
er entzweit Mütter und Väter untereinander und sorgt
für Unverständnis zwischen den Generationen. Was
steckt hinter dieser Zuckerpanik? Dass Zucker
schlecht für die Zähne ist und dick machen kann, ist
lange bekannt. Wieso gerade jetzt dieser Alarmismus?
Gunther Hirschfelder hat dafür eine überra
schende Erklärung: »Eltern fühlen sich von den
vielen Meinungen über Erziehung verunsichert,
viele suchen Halt bei der Ernährung.« Der Kultur
wissenschaftler an der Universität Regensburg forscht
zur Bedeutung von Ernährung. Es gebe heute überall
Ansprüche: auf den eigenen Körper zu achten, nicht
nur zu konsumieren, sondern gesund und nachhaltig,
Verantwortung zu übernehmen. Zucker wegzulassen
erscheine vielen Eltern als einfache Lösung. »Einige
Fraktionen in der Gesellschaft halten Zucker für eine
Katastrophe. Indem Eltern auf ihn verzichten, hoffen
sie, eine ganze Reihe von Problemen loszuwerden«,
sagt Hirschfelder. Er hält das für einen Rückzug ins
Private. »Die Eltern wollen alles richtig machen. Aber
stattdessen betreiben sie Komplexitätsreduktion.«
Wenn Eltern über Zucker diskutieren, geht es also
längst nicht mehr nur um Ernährung – es geht um
Erziehung. Natürlich sorgen sich viele um die Ge
sundheit ihrer Kinder, um Zähne, Blutzucker und
Gewicht. Aber wenn sich jemand für einen Kuchen
entschuldigt, spürt man die Unsicherheit: Was denkt
die andere von mir? Viele Eltern haben Angst, nicht
dazuzugehören: zur Gruppe der Verantwortungs
vollen, der Engagierten. Die wollen, dass ihre Kinder
fit sind, gut gerüstet für eine glückliche Zukunft.
Wie stark ich selbst schon so denke, fällt mir auf,
wenn ich mit dem Gegenteil konfrontiert werde: etwa
wenn ich meine Kinder auf einer Geburtstagsfeier
abliefere und erfahre, dass es Cola gibt. Wann hat
dieses Umdenken angefangen?
Als ich klein war, im Rheinland der 1980erJahre,
gehörten Süßigkeiten zu jedem Kindergeburtstag, zu
Karneval, Sankt Martin. Auf einem Foto, da bin ich
vielleicht acht, lutsche ich Bonbonmasse aus einem
Plastikschälchen: einer »Leckmuschel«. Ich spüre noch
heute, wie mir das klebrige Zeug die Zunge zu
sammenzog. Hemmungslos Gummibärchen und
Schokolade essen durfte ich aber nie. Süßes war
etwas Besonderes, und Fanta war das Größte!
Als ich mein erstes Kind bekam, erklärte meine
Hebamme: Kein Zucker im ersten Jahr. Ich war
dankbar für den Hinweis, auch für den des Zahn
arztes: Ständiges Nuckeln greift die Zähne an. Was
wusste ich schon über Milchzähne? Beim ersten
Kind hielt ich mich noch an die Empfehlungen,
danach wurde es tricky. Nummer zwei aß mit zehn
Monaten Eis, und wer weiß schon genau, womit
die beiden Jungs in unbeobachteten Momenten
ihre Schwester fütterten.
FAMILIE
Fortsetzung auf S. 44
- OKTOBER 2019 DIE ZEIT N 43
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Aufdie Ausbildung folgt die Weiterbildung
DiefortschreitendeDigitalisierung
verändert denArbeitsalltagrasant.
Umsowichtigerist e in Arbeitgeber,
der seineMitarbeitenden durch
Fortbildungsmaßnahmensicher in
dieZukunftbegleitet.
DigitalCompactist ein Weiterbil-
dungsangebot zur Digitalisierung.
»DieTeilnehmendenkönnen hier zu-
nächstdurch einen Onlinetest,einen
sogenanntenDigi-Check, ermitteln,
wo bei ihnenLernbedarf besteht«,
sagt die Betriebswissenschaftlerin
Verena School, die bei ERGOWeiter -
bildungskonzepteentwickelt.
»Im Anschlusserhalten sieVorschläge
für Weiterbildungsangebote. Dies
können Literaturempfehlungen sein,
digitaleLernbausteine,Beratungen
oderTrainings.« Alsweiter eFortbil-
dungsmaßnahme gilt die Product-
Owner-Ausbildung. Sie besteht aus
mehreren Modulen und richtetsich an
Mitarbeitende ohneFührungsverant-
wortung, denen schrittweise große
Projekte übertragenwerden. Solche
FortbildungenverheißenAufstiegs-
chancen und mehr Selbstbestimmung
am Arbeitsplatz. Und davonprofi-
tieren am Ende alle–vor allem Mit-
arbeitende mitFamilie.
DieZukunftschancen beiERGO
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