Die Zeit - 03.10.2019

(singke) #1
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Als ich ein Kind war, habe ich am liebsten die Fünf
Freunde-Bücher gelesen. Wenn ich zurückdenke,
ging es darin immer um Abenteuer, um Freund-
schaft und Zusammengehörigkeit und auch ein
bisschen darum, möglichst lange ein Kind zu blei-
ben. Julian, Dick, George und Anne waren in den
Geschichten nämlich immer gleich alt, egal wie
viele Jahre vergangen waren. Ich
fand das großartig!
Besonders gut gefallen hat mir
außerdem, dass die Abenteuer im-
mer gut ausgegangen sind. Später
habe ich verstanden, dass es im
Leben nicht immer so rund läuft.
Aber damals mochte ich es sehr.
Von den vier Kindern war mir
Dick der Liebste. Er war nicht
perfekt, aber echt. Manchmal hat
er an sich gezweifelt, war ein biss-
chen verfressen ... Anne war mir
zu sehr ein süßes Mädchen, das
fand ich übertrieben. Genauso
wie Julian, der mir immer zu
schlau vorkam. Figuren, die nicht
in allem die Besten, Stärksten
oder Mutigsten sind, gefallen mir bis heute in Ge-
schichten am besten. Wenn ich jetzt darüber nach-
denke, dass die Fünf Freunde schon bald 80 Jahre
alt sind, finde ich noch etwas anderes erstaunlich:
dass Enid Blyton so früh ein rebellisches Mädchen
wie George erfunden hat, das lieber ein Junge sein
wollte.

Emils Vater Claus, 46 Jahre


Ich mag die Fünf Freunde auch total gerne. Sie
gehören zu meinen Lieblingsbüchern, weil mir die
Freundschaft zwischen den Kindern so gut gefällt


  • wie meinem Papa früher. Mein absolutes Lieb-
    lingsbuch ist aber Der Hobbit. Es ist sogar noch ein
    paar Jahre älter als die Fünf Freunde, um Freund-
    schaft geht es darin aber auch.
    Die Geschichte erzählt von
    Bilbo, dem Hobbit. Hobbits sind
    kleine Leute. Bilbo führt ein ruhi-
    ges, langweiliges Leben und findet
    das ganz gemütlich. Aber eines
    Nachts stehen plötzlich 13 Zwerge
    in Bilbos Haus und bitten ihn, zum
    Drachen Smaug zu gehen und dort
    den Zwergenschatz und den Arken-
    stein zu stehlen. Der Arkenstein ist
    den Zwergen mehr wert als alles
    andere auf der Welt. Und Bilbo soll
    der Meisterdieb sein, der dem ge-
    fährlichen Drachen die Sachen
    klaut. Keine leichte Aufgabe!
    Ich liebe Fantasy, deshalb ge-
    fällt mir dieses Buch so gut. Wenn
    Geschichten ganz viel Fantasti-
    sches haben, kann ich das einfach richtig gut lesen.
    Es sind aber auch Sachen drin, die für einige Kin-
    der vermutlich unheimlich sind. Das muss man
    wissen. Ich habe den Hobbit schon mit neun Jah-
    ren gelesen. Aber ich lese auch sehr, sehr viel. Für
    mich ist die Geschichte weniger gruselig, sondern
    eher spannend.


Emil, 12 Jahre


A lte Freunde


MEIN BUCH – DEIN BUCH


Enid Blyton:
Fünf Freunde
erforschen die
Schatzinsel.
cbj, Neuauf la-
ge 2015; 160
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J. R. R. Tol-
kien: Der
Hobbit
Klett Cotta,
Neuauf lage
2014; 398 S.,
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ab 12 Jahren

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Die monatliche ZEIT LEO-Bestsellerliste basiert auf Daten von media control. Über einen Zeitraum von jeweils vier Wochen werden deutschlandweit an mehr als


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Titel werden nach Warengruppen sortiert. Die ZEIT LEO-Bestsellerliste setzt sich zusammen aus den Warengruppen Erstlesealter/Vorschulalter, Kinderbücher,


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sind. Bei Serien/Reihen wird nur der aktuell höchstplatzierte Band abgebildet. Die Bestsellerliste erhalten Sie monatlich per E-Mail hier: http://www.zeitleo.de/newsletter


Die -Bestsellerliste Oktober


Protokoll und Foto: Jana Magdanz

Illustration: Giacomo Bagnara für DIE ZEIT

Jedes Jahr werden in den USA


Hunderte Kinderbücher aus Bibliotheken und Schulen


verbannt, weil Erwachsene finden,


die Geschichten hätten einen schlechten Einfluss


VON HEIKE BUCHTER


DIE SEITE FÜR KINDER UND FAMILIEN


September gibt es die sogenannte Banned Books Week;
eine Woche voller Veranstaltungen überall in den
USA, in denen es um verbannte Bücher geht. Biblio-
thekare, Autoren, Buchhändler, Lehrer, Journalisten
und viele andere Unterstützer wollen so vielen Men-
schen wie möglich von den verbotenen Büchern er-
zählen, damit sie sich wehren. Denn in einem freien
Land sollten Menschen lesen dürfen, was sie wollen.
Werden bestimmte Meinungen oder Texte unter-
drückt, nennt man das Zensur. Allein im vergangenen
Jahr meldeten Bibliothekare in den USA knapp 500
Versuche, Bücher verschwinden zu lassen.
Solche Verbote sind nichts Neues. Zu den Bü-
chern, denen häufig der Bann droht, gehört Huckle­
ber ry Finn von Mark Twain aus dem Jahr 1884. Twain
erzählt nicht nur von Hucks Abenteuern, sondern
auch vom Leben afroamerikanischer Sklaven und
davon, wie schlecht sie behandelt werden. »Was
Twain beschreibt, ist unsere Vergangenheit, und wir
können nur aus ihr lernen, wenn wir sie kennen«, sagt
Tabrizia Jones, die selbst Afroamerikanerin ist.
Meist sind es besorgte Eltern, die versuchen,
Bücher zu verbieten. Sie setzen Lehrer, Bibliothekare
und Politiker unter Druck, die Bücher allen Kindern
in einer Schule oder einer Stadt wegzunehmen. Es
gibt sogar einen Elternverein, die Parents Against Bad
Books in Schools, auf Deutsch: Eltern gegen schlech-
te Bücher in Schulen; abgekürzt Pabbis. Auf die
Frage der ZEIT, was ein schlechtes Buch sei, meldete
sich niemand von Pabbis zurück.
Erwachsene wie die Pabbis-Eltern glauben, Mäd-
chen und Jungen zu beschützen. Aber eigentlich geht
es gar nicht um die Kinder. Es sind die Erwachsenen,
die Probleme mit bestimmten Themen haben: mit
Ungehorsam, Gewalt, Magie und bestimmten poli-
tischen Ideen. Ganz besonders aber mit Sexualität.
Bücher, in denen es um schwule, lesbische oder trans-
gender Menschen geht, landen seit Jahren vorn in der
Liste der verbotenen Bücher. Und manchmal werden
die Autoren gleich mitverbannt.
So wie Lilah Sturges. Sie hat an der beliebten Fan-
tasy-Reihe Jack of Fables mitgeschrieben. Eigentlich
hätte sie im Sommer Kindern in der öffentlichen
Bücherei der texanischen Stadt Leander vorlesen
sollen. Doch kurz vorher wurde die Veranstaltung
abgesagt. Aus Sicherheitsgründen, weil es schon ein-
mal Proteste gegeben habe. Natürlich wehrt sich

niemand dagegen, dass Kindern vorgelesen wird.
Aber Lilah Sturges wurde als Matthew Sturges ge-
boren. Heute lebt sie als Frau. Sie ist transgender.
Niemand habe es offen gesagt, aber es sei klar gewe-
sen, dass sie deshalb ausgeladen wurde, erzählt Lilah.
Ähnliches hat Alex Gino erlebt. Alex fühlt sich
als Mann und als Frau zugleich und hat das Kin-
derbuch George über ein Transgender-Kind ge-
schrieben. Es steht derzeit auf Platz eins der meist-
verbannten Bücher in den USA. Eine Schülerin
aus Chicago wollte den Roman im Unterricht vor-
stellen, ihre Lehrerin verbot es. Als Alex davon
hörte, ging sie mit dem Mädchen ein Eis essen und
postete ein Foto samt der Geschichte im Internet.
Alex und Lilah lassen sich nicht davon entmuti-
gen, dass sie ausgeladen und ihre Bücher bekämpft
werden. Im Gegenteil: Es zeige ihnen, wie wichtig
es sei, dass Kinder Menschen wie sie kennenlernen
oder Geschichten über sie lesen.
Dass Bücher Freiheit bedeuten können, mag
seltsam klingen. Shini Wang verstand es schon als
Kind. Ihr Vater war ein Dichter, doch in seiner
Heimat China waren seine Texte verboten. Er
musste sogar das Land verlassen. Deshalb wuchs
Shini in den USA auf. Heute ist sie 18 Jahre alt und
Mitglied in einem Jugendrat, der sich gegen Zensur
und Bücherverbote überall auf der Welt wehrt.
»Man darf uns nicht vorschreiben, was wir lesen
und wissen dürfen«, sagt sie. Auch Kinder hätten
ein Recht auf Gedankenfreiheit: »Ihr müsst kämp-
fen«, sagt Shini allen Jüngeren, »auch wenn ihr mit
den eigenen Eltern diskutieren müsst.«
Der Autor Alan Gratz hat dazu einen sehr lusti-
gen Roman geschrieben. In Amy und die geheime
Bibliothek erzählt er von einem Mädchen, das be-
ginnt, verbotene Bücher an seine Mitschüler zu ver-
leihen. Am Ende überzeugen die Kinder die Er-
wachsenen davon, dass die Verbote Quatsch sind.
»Es ist Unfug, dass Kinder zu Dieben werden, wenn
sie Bücher lesen, in denen gestohlen wird«, sagt
Alan. »Erwachsene lesen doch auch Krimis und
werden nicht zu Serienmördern.« Eine andere gute
Erklärung, warum Bücherverbannen wenig bringt,
hat ein Mädchen, das in der Bibliothek in der Bronx
fast ein Dutzend »Banned Books«-Anstecker gebas-
telt hat. Sie sagt: »Wenn ein Buch irgendwo verbo-
ten wurde, dann lese ich es umso lieber!«

V


on außen sieht die Sedgwick-
Library in der Bronx in New York
nicht sehr einladend aus: ein
schmales, graues Gebäude, die
Fenster vergittert. Drinnen aber
geht es fröhlich zu. Kinder ma-
chen Hausaufgaben oder spielen

an den Computern. An diesem Nachmittag Ende


September haben sich ein paar Jungen und Mäd-


chen um Tabrizia Jones versammelt. Sie ist die


Jugend-Bibliothekarin hier. Im Moment ist sie aber


nicht mit Büchern, sondern mit einer Button-


Maschine beschäftigt. Die Kinder malen Figuren


oder Symbole auf Papier und schneiden sie aus.


Tabrizia Jones steckt die Bilder mit einer Plastik-


folie und einem silbernen Rohling in die Maschine,


und heraus kommt ein selbst gestalteter Anstecker.


Die Kinder malen nicht irgendwas, es sind Figu-


ren aus Büchern, die einige Erwachsene nicht in


Kinderhänden sehen wollen. Etwa Harry, Ron und


Hermine. »Wisst ihr, dass die Harry Potter-Romane


zu den verbannten Büchern gehören?«, fragt Tabrizia


Jones. Dann erzählt sie, dass Harry Potter zum Bei-


spiel in einer Schulbibliothek im Süden der USA aus


den Regalen verschwand. Es war eine katholische


Schule, deren Priester glaubte, die Zaubersprüche


könnten böse Geister heraufbeschwören. »Ernst-


haft?«, spricht ein Junge aus, was viele denken.


Die Geschichte von Harry Potter an der katho-


lischen Schule ist keine Ausnahme. Tabrizia Jones


hat auf einen Tisch ganz unterschiedliche Bücher


gelegt. Sie alle sind verbannt. Da ist etwa ein Band


von Captain Underpants, in dem die Viertklässler


George und Harold ihrem fiesen Direktor Streiche


spielen. Er wurde aus einigen Büchereien in Ame-


rika entfernt, weil Eltern sich darüber aufregten,


wie respektlos die Erwachsenen dargestellt werden.


Die Kinder in der New Yorker Bibliothek ärgert


das: »Ich finde auch nicht immer gut, wie wir Kin-


der in Büchern beschrieben sind!«, sagt ein Junge.


Sein Freund fragt besorgt, ob Tabrizia Jones den


Unterhosen-Kapitän jetzt auch hier aus den Rega-


len nehmen wird. »Nein«, verspricht sie den Kin-


dern, »das ist eine öffentliche Bibliothek der Stadt


New York. Bei uns wird kein Buch verbannt.«


Die Bibliothekarin aus der Bronx kämpft gegen


Bücherverbote. Und sie ist nicht allein. Jedes Jahr im


Lesen


verboten!


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