Die Zeit - 03.10.2019

(singke) #1
»Ein fabelhafter politischer Kommunikator«:
Sebastian Kurz im Wahlkampf

»Seine Situation


sieht besser


aus, als sie ist«


Finden Sebastian Kurz und die Grünen zusammen?


Ein Gespräch mit dem Fernsehmoderator Armin Wolf


über den überraschenden Wahlausgang in Österreich


DIE ZEIT: Herr Wolf, die Österreichische Volks-


partei (ÖVP) mit Sebastian Kurz an der Spitze hat


die Parlamentswahl gewonnen und mit rund 37


Prozent noch besser abgeschnitten, als es die Um-


fragen vorausgesehen hatten. Hat Sie das Ergebnis


überrascht?


Armit Wolf: Überraschend ist, dass sich durch die


starken Zugewinne der ÖVP wie auch der Grünen


eine neue Koalitionsoption auftut, nämlich Tür-


kis-Grün (Türkis steht für die ÖVP, Anm. d. Red.),


mit der niemand gerechnet hatte. Außerdem hat


die Freiheitliche Partei (FPÖ) mehr Stimmen ver-


loren als erwartet.


ZEIT: Zuletzt hatte die ÖVP mit der FPÖ regiert,


einer weit rechts stehenden Partei. Ist Österreich


mit dieser Wahl wieder mehr in die politische


Mitte gerückt?


Wolf: Das weiß ich nicht genau. Hunderttausende


Wähler, die von der FPÖ enttäuscht waren, sind


zur ÖVP gewandert. Aber inhaltlich gab es in den


vergangenen zwei Jahren keine dramatischen Un-


terschiede zwischen den beiden Parteien, schon


gar nicht beim zentralen Thema Migration. Un-


terschiede gab es im Stil und im Auftreten. Öster-


reich ist strukturell ein konservatives Land, es gab


mit Ausnahme der 1970er-Jahre nie eine linke


Mehrheit.


ZEIT: Kurz spricht oft über Migration und öster-


reichische Identität. Hat er der FPÖ die Themen


geklaut?


Wolf: Das war ganz sicher die Basis seines Wahl-


erfolgs 2017. In der Flüchtlingskrise 2015 hat sich


Kurz neu positioniert, seither vertritt er eine sehr


restriktive Migrationspolitik, anders als in den


Jahren davor, als er Staatssekretär für Integration


und Außenminister war. Auch rhetorisch hat es


bei ihm eine deutliche Verschiebung nach rechts


gegeben.


ZEIT: Die Koalition mit der FPÖ war von Anfang


an umstritten und hat nur anderthalb Jahre ge-


halten. Warum lasten die Wählerinnen und Wäh-


ler Kurz das nicht an?


Wolf: Er hatte mit der Ibiza-Affäre, an der die Re-


gierung zerbrochen ist, selbst nichts zu tun. Außer-


dem ist Sebastian Kurz ein fabelhafter politischer


Kommunikator, der über ein bemerkenswertes


Talent verfügt, eine politische Erzählung zu for-


mulieren und überzeugend zu vertreten. Was seine


Kritiker rechtspopulistisch nennen, ist für seine


Anhänger »Politik mit Hausverstand«. Auch sein


Kommunikationsteam ist allen anderen Parteien


in Österreich technisch und strategisch weit über-


legen. Kurz’ Erfolg ist in erster Linie eine fantas-


tische Kommunikationsleistung.


ZEIT: Können andere Parteien in Europa von


Kurz lernen, wie man radikal rechte Parteien


bekämpft? Die FPÖ ist von 26 auf 16 Prozent
abgestürzt.
Wolf: Offenbar ist die Übernahme von Themen
rechtspopulistischer Parteien in der Präsentation
eines zivilisierten bürgerlichen Politikers für viele
Wähler attraktiv. Außerdem kann man von Kurz
lernen, dass politische Kommunikation eine im-
mer größere Rolle spielt. Die ÖVP verdankt min-
destens ein Drittel ihres Erfolgs der Person von
Sebastian Kurz.
ZEIT: Man könnte das Ergebnis der FPÖ auch
anders deuten: Die Partei hat trotz aller Skandale
und rechtsextremen Ausfälle in ihren Reihen im-
mer noch 16 Prozent bekommen.
Wolf: Das Ergebnis ist für die FPÖ ein Fiasko.
Aber Sie haben recht, diese 16 Prozent scheinen
der harte Kern der FPÖ-Wähler zu sein – ganz
egal, was die Partei macht. Für diese Wähler ist die
FPÖ die einzige glaubwürdige Bastion im Kampf
gegen Zuwanderung, Islam und angeblichen »Tu-
gendterror«.
ZEIT: Während Kurz und die ÖVP überdurch-
schnittlich stark von Älteren und weniger Gebilde-
ten gewählt wurden, haben viele Junge und Aka-
demiker für die Grünen gestimmt, die zweite
große Wahlsiegerin. Ist das ein Zeichen dafür, dass
Österreich auseinanderdriftet?
Wolf: Diese Polarisierung kann man ja zurzeit in
vielen Ländern beobachten. Etwa die Hälfte ihrer
Stimmen verdanken die Grünen wohl ihrer heim-
lichen Spitzenkandidatin Greta Thunberg, ihr
müssten sie eigentlich mehrere Blumensträuße
schicken. Die Klimapolitik war im Wahlkampf
praktisch das einzig durchgehende Thema. Dazu
kam die eklatante Schwäche der Sozialdemokratie
und ein fulminanter Wahlkampf des grünen
Spitzen kandidaten Werner Kogler.
ZEIT: Müssen die Grünen jetzt mitregieren?
Wolf: Eines der zentralen Themen der Grünen im
Wahlkampf war, dass sie die Neuauflage einer Koa-
lition von ÖVP und FPÖ verhindern wollen. Wenn
sie das ernst nehmen, müssten sie jetzt eigentlich
mitregieren. Trotzdem wird es sehr schwierig.
ZEIT: Was spricht gegen Türkis-Grün?
Wolf: Kurz hat immer wieder formuliert, er wolle
eine »ordentliche Mitte-rechts-Politik« machen,
mit einer »konsequenten Migrationspolitik« und
Steuersenkungen. Beides verträgt sich schwer mit
den Vorstellungen der Grünen, die für eine CO₂-
Besteuerung, aber auch für Vermögens- und Erb-
schaftsteuern sind. Trotzdem ist eine solche Koali-
tion nicht unvorstellbar. Die Grünen müssten
große Zugeständnisse bei der Migrationspolitik
machen, die ÖVP in der Klimapolitik.
ZEIT: Wollen die österreichischen Grünen denn
überhaupt regieren?

Wolf: Die Grünen möchten seit Jahrzehnten re-
gieren, sie regieren auch in fünf Bundesländern
mit, aber zuletzt waren sie nicht einmal mehr im
Parlament, der Schritt wäre schon riesig. Es ist
noch nie eine Partei quasi aus der außerparlamen-
tarischen Opposition direkt in die Regierung ein-
gestiegen.
ZEIT: Außer mit den Grünen hätte die ÖVP auch
mit der SPÖ oder der FPÖ eine Mehrheit. Kann
Kurz sich den Koalitionspartner aussuchen?
Wolf: Seine Situation sieht mathematisch besser
aus, als sie politisch ist. Die FPÖ ist nach ihrem
Wahldebakel vor allem mit internen Intrigen be-
schäftigt, außerdem wäre eine Neuauflage dieser
Koalition im Ausland, zumindest in Westeuropa,
sehr unpopulär. Das spielt für Kurz eine wichtige
Rolle. Auch die SPÖ sind in einem desolaten Zu-
stand. Kurz hält sie für reformunfähig und hat
überhaupt keine Lust, mit der SPÖ zu regieren.
Also bleiben am Ende wohl nur zwei realistische
Möglichkeiten: eine Koalition mit den Grünen
oder mit den Grünen und den liberalen Neos. Eine
solche Dreierkoalition wäre überraschend, weil es
die Neos rechnerisch gar nicht braucht. Trotzdem
könnte sie für die ÖVP reizvoll sein, weil sie so et-
was weniger von den Grünen abhängig wären.
ZEIT: Also rückt das Land doch nach links?
Wolf: Die FPÖ ist die rechteste Partei in Öster-
reich, die Grünen stehen am weitesten links. Na-
türlich würden sich die Gewichte verschieben,
wenn die ÖVP demnächst mit den Grünen re-
giert. Man darf trotzdem nicht vergessen, dass die
ÖVP mit 37 Prozent der dominante Partner in der
Regierung wäre.
ZEIT: Eine persönliche Frage zum Schluss. Sie
wurden als Journalist von der FPÖ wiederholt an-
gegriffen, unter anderem hat der frühere Parteichef
Heinz-Christian Strache Ihnen vorgeworfen, Sie
verbreiteten Lügen und Fake-News. Wird Ihre Ar-
beit künftig einfacher, falls die FPÖ nicht mehr
mitregiert?
Wolf: Für mich persönlich spielt es keine Rolle.
Aber für den ORF könnte es einfacher werden.
Die FPÖ hatte die feste Absicht, die Rundfunk-
gebühren abzuschaffen, was für den ORF und
seine Unabhängigkeit existenzbedrohend gewor-
den wäre. Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine
andere Koalition dieses Thema weiterverfolgt.

Die Fragen stellte Matthias Krupa


Armin Wolf, 53, moderiert die
Abendnachrichten im ORF und ist
einer der profiliertesten
österreichischen Journalisten

Fotos: Florian Schroetter/EXPA/dpa (o.); Jeff Mangione/dpa (u.)

Wahlergebnis: ÖVP: 37,1 % SPÖ: 21,7 FPÖ: 16,1 Grüne: 14,0 NEOS: 7,8 ZEIT-GRAFIK/Quelle: SORA Wahlkarten-Prognose (die Briefwahl war bis Montagabend noch nicht ausgezählt)


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  1. OKTOBER 2019 DIE ZEIT N POLITIK 5
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