Die Zeit - 03.10.2019

(singke) #1

Mal Revolutionär,


mal Reaktionär


Vor 200 Jahren wurde der große Schriftsteller Theodor Fontane geboren.


Von ihm lässt sich etwas sehr Aktuelles lernen: Ein Leben voller


Widersprüche zu führen VON IJOMA MANGOLD


W


as hat uns Theodor
Fontane, der vor 200
Jahren in Neuruppin
zur Welt kam, heute
zu sagen? Gewiss,
seine Geschichte ist
auch die des deut-

schen Bürgertums, das nach Freiheit und Ein-


heit verlangte, sich dann aber doch mit Bis-


marcks Reichsgründung arrangierte, obwohl


diese mehr Einheit als Freiheit bot. Er ist der so


kritische wie anhängliche Erzähler jenes Preu-


ßens, das 1948 durch Beschluss des Alliierten


Kontrollrats abgeschafft wurde, ohne das sich


die deutsche Geschichte aber gar nicht erzäh-


len lässt – auch dafür brauchen wir ihn. Als


1989 die Mauer fiel, griffen viele Neu-Berliner


zu Fontanes Wanderungen durch die Mark


Brandenburg und erkundeten unter seiner An-


leitung eine Re gion, die aus der Sicht des Wes-


tens in einen Dornröschenschlaf gefallen war.


Plötzlich war Fontane ein Reiseführer in eine


wieder offene Gegenwart. Und natürlich brau-


chen wir ihn als großen feministischen Autor,


der beschrieben hat, welch enge Grenzen die


Gesellschaft einem Frauenleben setzte.


Aber Fontanes eigentliche Aktualität liegt


woanders. Fontanes Gedankenwelt hat uns so


viel zu sagen, weil sie von jenen Ambivalenzen


durchzogen ist, mit denen auch wir uns noch


quälen. Er kann uns lehren, dass es zu einem


bürgerlichen Leben gehört, mit Widersprüchen


zu leben. Dass es keine allein selig machenden


Wahrheiten gibt. Dass ein Leben reicher ist als


ein doktrinärer Standpunkt. Dass man dem


Neuen gegenüber aufgeschlossen sein und doch


am Alten hängen kann.


Denn er war ja selbst so vieles: im einen Mo-


ment 1848er-Revolutionär, im nächsten Land-


tagskandidat für die Konservativen, erst Bis-


marck-Verehrer, dann Bismarck-Hasser, seliger


Preußen-Nostalgiker, gleichzeitig wohlwollender


Begleiter der Moderne, der als Theaterkritiker


Ibsen rühmte und den jungen Hauptmann gegen


spießbürgerliche Vorurteile verteidigte. Wenn


Deutschland im Jahr 2019 ein polarisiertes Land


ist, in dem die einen die anderen für Nazis, diese


wiederum jene für Gesinnungsterroristen halten,


dann kann man von Fontane Ambiguitätstole-


ranz lernen: dass der Wert eines Menschen nicht


in seiner Lagerzugehörigkeit aufgeht.


Mit Widersprüchen und Ambivalenzen muss-


te Fontane schon deswegen zu leben lernen, weil


er am liebsten mit warmem Herzen über eine


Klasse schrieb, deren Ansichten er für fatal hielt:


die märkischen Junker. Oft sind es die verbohr-


testen Dickschädel, etwa Friedrich August Lud-


wig von der Marwitz, über die Fontane die liebe-


vollsten Porträts verfasste. Während er gerade


seine ersten literarischen Erfolge mit Balladen


auf preußische Reitergenerale feiert, schreibt er


quasi gleichzeitig im August 1848 einen scharf


antiborussischen Artikel, wonach Preußen unter-


gehen müsse, damit ein einiges deutsches Vater-


land entstehen könne. Diese Ambivalenz, von


Lebensjahrzehnt zu Lebensjahrzehnt anders


akzentuiert, hat ihn nie verlassen. Er musste wohl


selbst darüber schmunzeln. Im Rückblick


schreibt er, seine politischen Anschauungen


seien »zu allen Zeiten etwas wackliger Natur«


gewesen. Er hielt es im Wesentlichen mit den


Nationalliberalen, seine menschlichen Sympa-


thien aber besaß der märkische Junker.


Ein solcher Mann mag ein unsicherer Kanto-


nist sein, er ist aber auch gegen alles Totalitäre


gefeit. Fontanes Altersroman Der Stechlin ist ein


großer Versuch, wie man die Widersprüche des


Lebens aushalten kann, ohne sie glattzubügeln.


Dubslav von Stechlin ist ein alter märkischer Ad-


liger, so selbstironisch wie nostalgisch, der noch


einmal für die Konservativen kandidiert, aber bei


der Wahl gegen den sozialdemokratischen Kan-


didaten unterliegt. Zu seinen Bekannten gehört


der Emporkömmling Gundermann, der bei jeder


Gelegenheit warnend erklärt, alles Mögliche sei


»Wasser auf die Mühlen der Sozialdemokratie«.


Solche Phrasen sind dem Alten verhasst. »Der


Teufel ist nicht schwarz, wie er gemalt wird«, sagt


Dubslav einmal. Stattdessen liebt Dubslav Pa-


radoxien: »Unanfechtbare Wahrheiten gibt es


überhaupt nicht, und wenn es welche gibt, so


sind sie langweilig.«


»Heiteres Darüberstehen« wurde Fontane be-


scheinigt, und für manche mag das nur ein an-


deres Wort für Harmlosigkeit sein, für Mangel


an Radikalität, denn aller Versöhnung eignet


immer ein konservatives Moment. Aber vom


Affekt-Management her betrachtet, gehört zum


»heiteren Darüberstehen« mehr Seelengröße als


zur Selbstgerechtigkeit.


Vermutlich konnte Fontane mit der Prinzi-


pienreiterei auch deshalb nicht viel anfangen, weil


sein eigenes Leben dafür nicht geradlinig genug


war. Die poetische Gerechtigkeit, die er seinen


Romanfiguren angedeihen ließ, hatte er selbst


bitter nötig. Momente des Opportunismus sind


nicht zu übersehen. Aber was heißt das schon für


einen ausgebildeten Apotheker, der es sich in den


Kopf gesetzt hatte, sich Schriftsteller zu nennen


und vom Schreiben zu leben? Da muss man


schon mal des Lied singen, des Brot man isst.


Schauen wir uns einen zentralen biografischen


Moment etwas genauer an. Als die Revolution


THEODOR FONTANE


im März 1848 Berlin erreicht, arbeitet der junge
Fontane in der Jung’schen Apotheke. Mit seinen
volkstümlichen Balladen auf die preußischen
Generale, Der alte Zieten, Der alte Derffling, Der
alte Dessauer, hatte er einen gewissen Ruf erwor-
ben – nicht nur unter Preußen-Freunden, son-
dern auch bei den Kollegen der traditionsreichen
Berliner Dichter-Vereinigung Tunnel über der
Spree, deren Mitglied er war:

»Sie haben’s all’ erfahren,
Wie er die Pelze wusch,
Mit seinen Leibhusaren
Der Zieten aus dem Busch.«

Dann dankt im Februar 1848 in Paris König
Louis-Philippe ab. Mitte März kommt es in
Wien zu Aufständen, der Habsburger Staats-
kanzler Metternich, der wie kein Zweiter die
Restaurationsepoche nach den antinapoleoni-
schen Freiheitskriegen verkörperte, flieht nach
London. Die Hoffnungen des Vormärz auf eine
Einigung Deutschlands und eine konstitutionelle
Monarchie sind plötzlich kurz davor, sich zu
erfüllen. Schon werden in die ersten Landesregie-
rungen liberale Minister berufen. Als der Druck
der Straße immer stärker wird, scheint auch der
preußische König Friedrich Wilhelm IV. wider-
willig einzulenken. Am Nachmittag des 18. März
sind Tausende Berliner auf dem Schlossplatz ver-
sammelt. Sie wollen ihren König hochleben
lassen, von dem es heißt, dass er zu weitgehenden
Zugeständnissen bereit sei. Und tatsächlich er-
scheint er auf dem Schlossbalkon und lässt durch
seinen Staatsminister Bodelschwingh erklären,
dass er die Pressefreiheit achten, den Landtag ein-
berufen und die Einheit Deutschlands herbei-
führen wolle. Sogar eine Verfassung wird in Aus-
sicht gestellt, dabei hatte der König bis dahin die
Ansicht vertreten, dass zwischen ihn und sein
Volk kein Blatt Papier passe ...
Doch als sich der Schlossplatz immer mehr
füllt, beschleicht den König ein mulmiges Ge-
fühl. Die Garde-Dragoner rücken an, versehent-
lich lösen sich zwei Schüsse, und plötzlich wird
scharf geschossen, Barrikaden werden errichtet.
Fontane steht in diesem Moment hinter dem
Schalter der Jung’schen Apotheke im Zentrum
Berlins, als er sieht, wie draußen Menschen vor
den Schüssen der Soldaten fliehen. Es ist ein his-
torischer Moment, das ist Fontane klar. Er hatte
sich schon vorher als Demokrat und Republika-
ner zu erkennen gegeben, jetzt darf der Mantel
der Geschichte nicht unergriffen an ihm vorüber-
wehen. Er stürmt hinaus, rennt zur Georgen-
kirche. Er will Sturm läuten, so gehört es sich für
eine richtige Revolution, doch es gelingt ihm
nicht, die Kirchentür aufzubrechen. Nun schließt
er sich einer Menge von Arbeitern an, die zum
Königstädter Theater eilt. Dort dringt man ein
und nutzt die Kulissen zum Barrikadenbau.
Fontane fällt ein Gewehr in die Hände, leider
ungeladen, er sucht vergebens nach Schießpulver.
»Kleinlaut zog ich mich von der Straße zurück
und ging auf mein Zimmer (...) Ich war nur von
einem Gefühl erfüllt, von dem einer großen
Gesamtmiserabilität, meine eigene an der Spitze.«
Etwa 200 Tote, die März-Gefallenen, forder-
te der Aufstand, darunter 50 Soldaten. Fontanes
Versuch, aktiv die Revolution voranzutreiben,
hat schwankhafte Züge, aber das ist charakteris-
tisch für die ganze 48er-Bewegung, die durch-
drungen war von Treuherzigkeit, der alles Radi-
kale fernlag und die darauf baute, dass der König
von Preußen die deutsche Krone mit patrio-
tischer Rührung annehmen werde. Aber der
König, durchdrungen von der Idee des Gottes-
gnadentums, hielt eine Krone, die ihm vom Volk
angetragen wurde, für unter seiner Ehre.
Fontane schreibt noch einige Zeit radikal-
republikanische Artikel, zwischenzeitlich ist er
sogar Wahlmann für das Paulskirchen-Parlament,
aber die Revolution ist gescheitert, viele 48er
wandern nach Amerika aus oder leben, um der
Verfolgung zu entgehen, in London im Exil.
Gleichzeitig geht das normale Leben weiter. 1849
heiratet Fontane, nun gilt es, eine Familie zu er-
nähren. Um endlich den Brotberuf des Apothe-
kers loszuwerden, heuert er 1850 ausgerechnet
beim Literarischen Cabinet an, einer preußischen
Behörde, die, seit die Zensur offiziell abgeschafft
ist, mit den Mitteln der Desinformation das Mei-
nungsbild beeinflussen soll. Wenn die Regierung
abweichende Standpunkte nicht mehr verbieten
kann, muss sie selbst die Öffentlichkeit infil-
trieren. Dafür braucht sie »Schreiberlinge«.
Wer verstehen will, warum heute noch in
Leserbriefen Journalisten als Skribenten oder
eben Schreiberlinge bezeichnet werden, muss
sich den Fall Fontane anschauen: Als Mitarbei-
ter des Literarischen Cabinets, das bald in Cen-
tralstelle für Preßangelegenheiten umbenannt
wurde, war es seine Aufgabe, unter Pseudonym
Artikel zu verfassen, die er bei liberalen wie kon-
servativen Blättern unterzubringen hatte, schein-
bar freie Meinungsäußerungen des Verfassers,
der in Wahrheit auf dem Lohnzettel des Mi-
nisteriums stand. Nun konnte er endlich vom
Schreiben leben, doch nur unter Aufgabe seiner
innersten Überzeugungen: »Ich habe mich heut
der Reaction für monatlich 30 Silberlinge ver-

wurde am 30. Dezember 1819 in Neuruppin geboren. Er war der Sohn eines Apothekers
und übte diesen Beruf auch selbst aus. Seinen Lebenstraum, ein freier Schriftsteller zu
sein, verwirklichte er spät, aber machtvoll: Aus seiner Feder stammen einige der größten
Prosawerke der deutschen Literatur. Fontane starb am 20. September 1898 in Berlin

T heodor Font a ne



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FEUILLETON


Fortsetzung auf S. 56


Theodor Fontane, um 1898


Foto: akg-images; Ornamente: ZEIT-Grafik

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