Die Zeit - 03.10.2019

(singke) #1
Nancy Pelosi (Mitte),
Sprecherin des
Repräsentantenhauses und
Gegenspielerin des US-Präsidenten

Foto: J. Scott Applewhite/AP/dpa

Können sie


den Präsidenten


stoppen?


In Washington hat das Parlament begonnen, Donald Trump die


Grenzen seiner Macht aufzuzeigen VON KERSTIN KOHLENBERG


V


ielleicht wird man sich an den
Raum mit der Nummer 2154
im ersten Stock des Rayburn-
Gebäudes in Washington ein-
mal als den Ort erinnern, an
dem der Kongress an einem
übermächtig gewordenen Prä-

sidenten scheiterte. An diesem Donnerstag-


morgen scheint es jedoch gar nicht ausgeschlos-


sen, dass das US-Parlament hier damit beginnt,


wieder zu sich selbst zu finden.


Der Geheimdienstausschuss, der hier tagt,


hat an diesem Morgen Joseph Maguire vorgela-


den, den kommissarischen Chef der nationalen


Geheimdienste. Es ist die erste öffentliche An-


hörung, seitdem die Demokraten angekündigt


haben, ein Amtsenthebungsverfahren gegen


Donald Trump zu prüfen. Der Ausschussvor-


sitzende Adam Schiff will von Maguire wissen,


warum er die Beschwerde eines Whistleblowers


nicht wie gesetzlich vorgeschrieben an den


Kongress weitergeleitet hat. Immerhin geht es


darin um den Vorwurf, dass Trump sein Amt


für seinen politischen Vorteil missbraucht habe.


Trump hatte den ukrainischen Präsidenten


Wolodymyr Selenskyj im Juli in einem Telefo-


nat gebeten, gegen Joe Biden und dessen Sohn


zu ermitteln. Biden ist der derzeit aussichts-


reichste Bewerber um die Präsidentschaftskan-


didatur bei den Demokraten. Sein Sohn Hun-


ter hatte im Verwaltungsrat eines ukrainischen


Gasunternehmens gesessen, während der Vater


Vizepräsident war. Warum, will Schiff von Ma-


guire wissen, hat er sich statt an den Kongress


an das Weiße Haus und das Justizministerium


gewendet – zwei Institutionen, deren Chefs in


der Beschwerde belastet werden?


Joseph Maguire ist ein integrer Beamter, der


fast sein ganzes Leben im Dienst des Staates


verbracht hat. Er hat sich, so sieht er es selbst,


nur an die Regeln gehalten. Die besagen, dass


der Präsident ein sogenanntes Exekutivprivileg


besitzt, das ihn berechtigt, vertrauliche Infor-


mationen vor dem Kongress oder vor Gerich-


ten zurückzuhalten. Ursprünglich sollte das


die Regierungsfähigkeit eines Präsidenten ge-


währleisten. Trump beansprucht dieses Privi-


leg seit Beginn seiner Präsidentschaft jedoch


immer wieder als Mittel, um sich jeglicher


Kontrolle durch den Kongress zu entziehen.


Die Frage, die sich Schiffs Ausschuss daher


stellt, lautet: Haben wir den Präsidenten zu


mächtig werden lassen?


Dass der Präsident so mächtig wurde,


hatten die Gründerväter nicht vorgesehen


Es geht hier nicht nur um Donald Trumps


neueste Affäre. In den kommenden Monaten


wird sich ein Kampf der Institutionen entfal-


ten. Kann man das Präsidentenamt, das vom


Parlament kaum noch zu kontrollieren ist, wie-


der einhegen?


Dass der amerikanische Präsident so mächtig


geworden ist, war von den Gründervätern der


Nation nicht vorgesehen. Im Gegenteil. Aus Ab-


neigung gegenüber den Herrschaftsverhältnissen


in den europäischen Monarchien ordneten sie den


Präsidenten sogar unterhalb des Kongresses an.


Die beiden Häuser des Parlaments waren gemäß


der amerikanischen Verfassung die entscheiden-


den Institutionen. Lange hatte der amerikanische


Präsident kein eigenes Büro im Weißen Haus.


Er arbeitete bis 1902 in seinem Wohnzimmer.


Erst dann wurde der West Wing für seine Mit-


arbeiter gebaut, das Oval Office als Büro des


Präsidenten kam sogar noch später durch eine


Erweiterung hinzu.


Im vorigen Jahrhundert haben Präsidenten


beider Parteien die Macht ihres Amtes Stück


für Stück ausgebaut. Ronald Reagan zentrali-


sierte die Arbeit der Ministerien, indem er im


Weißen Haus eine Kontrollbehörde installier-


te, die alle Regulierungsvorhaben der Regierung ko-
ordinierte. George W. Bush übte nach dem 11. Sep-
tember eine nahezu absolute Kriegs- und Über-
wachungsmacht aus. Aber auch die Demokraten Bill
Clinton und Barack Obama begannen sich auf ihre
exekutive Macht zu berufen, als sie einem republika-
nisch dominierten Kongress gegenüberstanden, der
ihre Gesetzesvorhaben blockierte. Obama regierte
am Ende fast ausschließlich per Dekret.
Weil der Präsident im amerikanischen System
über die Jahrzehnte immer mehr Macht erhielt,
nahm im Kongress die Bedeutung derjenigen zu, die
sich als besonders loyale Parteigänger verstanden.
Ein Stockwerk über dem Geheimdienstausschuss
öffnet sich die Bürotür von Mo Brooks aus Alabama.
Der konservative Abgeordnete muss zu einer Ab-
stimmung, wird aber von einigen Damen aus seinem
Wahlkreis noch zu einem Foto überredet. Brooks ist
ein weißhaariger Südstaatler, er hat Trump vor drei
Jahren noch als unglaubwürdigen, serienmäßigen
Ehebrecher beschrieben. Fragt man Brooks jetzt
nach der Whistleblower-Beschwerde, antwortet er:
»Das ist ein Haufen Müll!«
Seit Ende voriger Woche ist die siebenseitige Be-
schwerde öffentlich. Sie beschreibt eine Schatten-

diplomatie, die von Donald Trump und seinem per-
sönlichen Anwalt Rudy Giuliani betrieben wurde,
um die Ukraine dazu zu bewegen, gegen die Bidens
zu ermitteln. Der Text legt außerdem nahe, dass das
Weiße Haus sich über die Brisanz des Gespräches
zwischen Trump und dem ukrainischen Präsidenten
durchaus bewusst war. Die Zusammenfassung des
Anrufs sei auf einem passwortgeschützten Server
versteckt worden. Das Weiße Haus hat das mittler-
weile bestätigt.
»Herr Brooks, Sie sehen kein Problem darin, dass
der amerikanische Präsident den ukrainischen Präsi-
denten um Unterstützung in der Ermittlung gegen
einen politischen Rivalen bittet?«
»Nein, der Präsident hat genau das Richtige ge-
tan!«, erwidert Brooks. Nicht Trump sei das Pro-
blem, sondern Joe Biden und sein korruptes Verhal-
ten. Es sei völlig richtig, dass Trump darauf dränge,
Biden zu untersuchen.
Brooks will im nächsten Jahr in einem Bezirk
wiedergewählt werden, den Trump mit einem Vor-
sprung von 32,9 Prozent gewonnen hat. Erst wenn
die Zahl der Trump-Unterstützer schrumpft, werden
Brooks’ Zweifel am Präsidenten wachsen. Ob das so
kommt, hängt davon ab, wer in den nächsten Wo-

chen die bessere Geschichte über den Telefonanruf
erzählen kann – die Demokraten oder der Präsident.
Es ist kurz nach zwölf Uhr, die Befragung von
Maguire dauert immer noch an, als Nancy Pelosi, die
Chefin der Demokraten, ihre wöchentliche Presse-
konferenz im Besucherzentrum des Kongresses beginnt.
Sie trägt amerikanische Farben – weißes Kleid, rot-
blaue Kette.
Pelosi möchte, dass sich ihre Partei bei den Im-
peachment-Untersuchungen auf die Anschuldigun-
gen in der Whistleblower-Beschwerde konzentriert.
Sie ist überzeugt, dass man die Geschichte des skan-
dalösen Anrufs gut und verständlich erzählen kann.
Bislang hatten die Demokraten Probleme, Trumps
Skandale publikumswirksam aufzubereiten.
Die Ermittlungen zu den Russland-Kontakten von
Trumps Umfeld waren so verworren, dass kaum einer
folgen konnte. Die öffentliche Anhörung des Sonder-
ermittlers Robert Mueller war ein Desaster, weil die
Abgeordneten der Demokraten ihre Redezeit für poli-
tische Fensterreden nutzten, statt sachliche Fragen zu
stellen. Im Justizausschuss, der solche Anhörungen
traditionell durchführt, sitzen einige der am weitesten
links stehenden Fraktionsmitglieder. Nancy Pelosi
kündigte daher jetzt in ihrer Pressekonferenz an, die

Impeachment-Anhörungen in die Hände von
Adam Schiff zu legen, ihrem Abgeordnetenkol-
legen aus Kalifornien, der den Geheimdienstaus-
schuss leitet.
Schiff gelingt an diesem Donnerstag etwas
Erstaunliches. Die Mitglieder des Ausschusses
halten sich mit ihrer Meinung zurück, die Fragen
sind konkret und gut vorbereitet. Der Ausschuss
findet in den fast vier Stunden seiner ersten Sit-
zung zur Ukraine-Affäre zu sich. Die Demokraten
nehmen sich zurück, die Republikaner nehmen
deren Anschuldigungen ernst. Der Ausschuss
agiert dieses Mal als Einheit, als die Institution,
die einen möglichen Machtmissbrauch des Prä-
sidenten untersucht. Nicht wie sonst in Washing-
ton üblich als Medium einer Partei. Für ein paar
Stunden zumindest hat der Kongress zu seiner
eigentlichen verfassungsmäßigen Funktion zu-
rückgefunden.
Pelosi und Schiff wissen, dass sie schnell han-
deln müssen, um die Öffentlichkeit auf ihre Sei-
te zu ziehen. Aber die Möglichkeit besteht. Am
Freitag ergeben Blitzumfragen, dass die Bereit-
schaft in der Bevölkerung, Impeachment-Unter-
suchungen zu unterstützen, um 13 Prozent ge-
stiegen ist. Am Sonntag werden 55 Prozent Zu-
stimmung gemessen.
Bis Ende des Jahres wollen die Demokraten
mit den Befragungen im Repräsentantenhaus
fertig sein. Noch vor Jahresende soll die Liste mit
den Anklagepunkten für die Amtsenthebung an
den Senat gesandt werden. Dort ist eine Zwei-
drittelmehrheit nötig, um ein Verfahren auszu-
lösen. Bis dahin müsste die Zustimmung zur
Amtsent hebung in der Bevölkerung erheblich
steigen. Bevor sich die erforderlichen 20 republi-
kanischen Senatoren von Trump abwenden, muss
es die Öffentlichkeit tun.

Die Demokraten glauben, diesmal könne
man Trump Amtsmissbrauch nachweisen

Für die erste Oktoberwoche hat Adam Schiff be-
reits unter Strafandrohung die wichtigsten Zeu-
gen vorgeladen. Unter anderem Kurt Volker, den
mittlerweile zurückgetretenen Sonderbeauftrag-
ten für die Ukraine. Sein Versuch, normale diplo-
matische Beziehungen zwischen der Ukraine und
den USA aufrechtzuerhalten, wurde von Trumps
Schattendiplomatie unterminiert. Schiff hofft
möglicherweise darauf, dass Volker bei der Auf-
klärung hilft, um seine Reputation zu retten.
Auch Marie Yovanovitch, die ehemalige amerika-
nische Botschafterin in der Ukraine, ließ Schiff
vorladen. Trump hatte sie vorzeitig abberufen.
Von Außenminister Mike Pompeo fordert Schiff
Dokumente zu den Vorgängen, ebenso von
Rudy Giuliani. Der Whistleblower, der alles ins
Rollen gebracht hat, wird in Kürze bereits vor
dem Geheimdienstausschuss aussagen – unter
Ausschluss der Öffentlichkeit.
Schiffs Ziel ist es, dem amerikanischen Pu-
blikum verständlich darzulegen, dass Trump
seine Macht missbraucht habe. Die Chancen
sind nicht schlecht: Ein Präsident, der eine
fremde Macht nötigt, ihm bei seiner Wieder-
wahl zu helfen; der sogar die Militärhilfe zu-
rückhält, die dieses Land dringend braucht,
um sich gegen seinen mächtigen Nachbarn
Russland zu wehren. Am Montag berichtete
die New York Times, dass Trump den austra-
lischen Premier am Telefon gedrängt habe,
seinem Justizminister dabei zu helfen, die
Russland-Ermittlungen zu diskreditieren. Hier
scheint sich ein Muster zu wiederholen.
Am selben Tag zeigte Trump Nerven, in-
dem er Adam Schiff per Twitter eine »Verhaf-
tung wegen Verrats« androhte. Sollte es Schiff
gelingen, sich nicht vom Geist der Eskalation
anstecken zu lassen und den Ausschuss sachlich
durch die Anhörung zu manövrieren, hätte das
Parlament einen wichtigen Sieg im Kampf der
Institutionen errungen.

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  1. OKTOBER 2019 DIE ZEIT N POLITIK 7
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