Die Zeit - 03.10.2019

(singke) #1

ENTDECKEN


»Heiko Maas kann man im politischen Berlin


unbehelligt als ›Herrenausstatter‹


bespötteln oder als ›halbe Portion‹ – ohne


dass es einen #aufschrei gibt«


I’m too sexy


VON FABIENNE HURST


A


ußenminister Heiko Maas hat ein Problem,
das stand neulich im Spiegel. Dabei ging es
nicht um den Bundeswehreinsatz im Irak.
Auch nicht um die Straße von Hormus,
nicht einmal um die Führungskrise seiner
Partei. Nein: Das Problem von Heiko
Maas, so scheint es, ist seine Figur.
»Bislang wurde die Bundesrepublik von
soignierten Herren jenseits des Ideal­
gewichts vertreten«, fand der Autor. »Maas,
der eine gewisse Bürschchenhaftigkeit nicht
loswird, tut sich schwer mit der Verkörpe­
rung dieses Landes.« Ein Außen minister
benötige »Statur«, schrieb er weiter und
krönte das Ganze noch mit einem Seiten­
hieb gegen den verstorbenen Guido Wes­
terwelle. Der sei ja ebenfalls im Land nicht
gut ankommen, weil er – so wurde sugge­
riert – auch zu schlank war.
Dieser Gedanke hat mich in seiner
Schlichtheit wirklich überrascht. Da war
die Zivilisation gerade dabei, die Reduzie­
rung von Frauen auf Beine, Brüste und Po
auf dem Schrottplatz der Kritikkultur zu
entsorgen – und dann so was. Mit exakt
der gleichen Methode, die man jahrelang
an Frauen erprobt hat, werden jetzt Män­
ner diskreditiert. Als könne man am
Schulterumfang oder am Körperfettanteil
eines Mannes seine Kompetenz ablesen.

Stellen Sie sich vor, es ginge nicht um
Heiko Maas, sondern um eine Frau. Wür­
de man etwa Julia Klöckner mangelndes
»Format« vorwerfen, weil ihr Körper – wa­
rum auch immer – nicht exakt nach
Politik betrieb aussieht? Einige stellen es
subtiler an, etwa indem sie immer wieder
Klöckners Vergangenheit als Weinkönigin
aufwärmen. Das ist dann langweilig und
unoriginell, ja, einen Shit storm ergäbe es
eher nicht. Aber sie ganz offen als klein­
mädchenhaft zu beschreiben und damit
ungeeignet für die Politik? Würde sich
keiner trauen. Nicht im Jahr 2019.
Wenn es um die Diskreditierung von
Männern geht, ist diese Fixierung aufs
Äußere, auch »Lookismus« genannt, der­
zeit überraschend akzeptiert. Als wäre es
ein multiresistenter Keim, der überlebt
hat, trotz gesellschaftlicher Breitband­
Anti sexistika wie #aufschrei oder #MeToo.
Heiko Maas kann man im politischen
Berlin unbehelligt als »Herrenausstatter«
bespötteln oder als »Heikochen«, wie sein
ehemaliger Förderer Oskar La fon taine es
tat. Es scheint auch völlig in Ordnung zu
sein, im Feuilletonstil das »ewige Bild von
ihm als halbe Por tion« zu erörtern. Auch
der schleswig­holsteinische Ministerpräsi­
dent Daniel Günther (CDU) wird immer

noch öffentlich »Konfirmand« genannt.
Obwohl er Katholik ist. Und 46 Jahre alt.
Sobald ein Politiker nicht dem gängigen
Bild von Virilität entspricht, nutzen Kritiker
vermeintliche körperliche Unzulänglich­
keiten als Sinnbild für Schwäche und Über­
forderung. Der Focus sinnierte in einem Ar­
tikel über den Wahlkampf des sächsischen
CDU­Ministerpräsidenten Michael Kretsch­
mer darüber, ob dieser »überhaupt das For­
mat« habe, Abtrünnige zur Union zurück­
zuholen. »Schmale Schultern, das ist bei
Kretschmer nicht nur eine Metapher«,
schreiben die beiden Autoren. »Mit seiner
schmächtigen Figur wirkt er sehr jungen­
haft«, befinden sie weiter. Gleichzeitig fehle
ihm die »pralle Jugendlichkeit« eines Sebas­
tian Kurz. »Dazu die rötlichen Stoppeln, die
nicht nach Bart aus sehen, sondern nach ver­
passter Rasur.«
Ich frage mich: Wo genau liegt die Re­
levanz dieser Details? Wo der Zusammen­
hang zwischen Körper und Kompetenz?
Welchen Vorteil hätten die Sachsen, wenn
Kretschmer ein Zweimeterschrank wäre
mit wild gelocktem Rauschebart?
Manche werden jetzt denken: Na ja, so
ein Politiker muss eben etwas darstellen, er
soll ja ernst genommen werden. Aber was
soll das überhaupt genau heißen: »Statur«?

Und was ist ein passendes »Format«? Wie
absurd diese Kategorisierungen sind, wird
deutlich, wenn man optisch vermeintlich
einwandfreie Politikerkörper auf allge­
meingültige Muster hin analysiert. Ich
habe es mal versucht und mir Fotos von
Staatsmännern angesehen, deren Aus­
sehen man nie oder nur selten gegen sie
verwandt hat. Paradebeispiele wie Schrö­
der, Seehofer, Clinton oder Putin.
Hier meine Ergebnisse: Eine gewisse
Mindestgröße, aber auch der Durchmes­
ser scheinen eine wichtige Rolle zu spielen
(wobei mangelnde Größe durch über­
mäßige Breitbeinigkeit kompensierbar
ist). Breite Schultern sind immer gut, eine
Ahnung von Sportlichkeit auch – muss
aber nicht unbedingt. Zu schön ist kontra­
produktiv. Es reicht, wenn das Körperfett
gut verteilt ist – also irgendwas zwischen
Zeus und Samson aus der Sesamstraße.
Gerne »jenseits des Idealgewichts«, aber
eher bärig als unförmig oder adipös. Die
staatsmännische Schwere symbolisiert of­
fenbar Virilität und Standfestigkeit. Die
Leute denken: Der wird nicht so schnell
vom kleinsten Wind weggeweht.
Heiko Maas wiegt 70 Kilo, wie ich aus
der Zeitung erfuhr. Haben Sie schon mal
einen Wind erlebt, der dieses Gewicht ein­
fach so durch die Luft wirbelt? Ich nicht.
Und bei einem ausgewachsenen Orkan
bewahren einen zehn, fünfzehn Kilo Masse
mehr auch nicht vor dem Abheben.
Trotzdem hält sich die Vorstellung
von einer Kör per­ Kom pe tenz­ Kor re la­
tion hartnäckig. »Der Schulz­Körper
strahlt Kraft und Aggressivität aus«, ju­
belte ein ZEIT-Autor über Martin Schulz,
als der noch als große Hoffnung der So­
zial de mo kra tie gehandelt wurde. Am
Ende hat dem SPD­Kanzlerkandidaten
sein Schulz­Körper aber auch nichts ge­
nützt, nicht einmal gegen die absurden
PR­Strategien des eigenen Wahlkampf­
teams konnte er sich durchsetzen.
Dass man vom Körperbau weder auf die
mentale Stärke noch auf die Gesundheit
eines Menschen schließen kann, lässt sich
auch historisch ganz einfach belegen. John
F. Kennedy, der sich gerne als kraftstrotzen­
der Ideal mann inszenierte, wurde mehrmals
am Rücken operiert, litt an einer Neben­
niereninsuffizienz, Osteoporose, Asthma
und zahlreichen Allergien. Er, der mächtigste
Mann der Welt, trug Stützkorsett und
orthopädische Schuhe. Als Franklin D.
Roose velt Präsident wurde, konnte er nicht
ohne Beinstützen stehen, Eisenhower
erkrankte dreimal lebensgefährlich, und
Nixon war alkoholkrank. Dabei hatten alle
optimale Politikermaße.
Körperbeschreibungen müssen noch
nicht einmal negativ ausfallen, um ihre
volle sexistische Wirkung zu entfalten.
Das bloße Thematisieren reicht schon. So
wird Heiko Maas gern als »adrett« be­
schrieben, er habe »wieder mal bella figura
gemacht«, heißt es, und kaum ein Porträt
scheint ohne die genaue Betrachtung sei­
ner »schmal geschnittenen Anzüge« aus­
zukommen. Altkanzler Gerhard Schröder
soll zum damaligen Justizminister Maas
gesagt haben: »Heiko, jetzt ziehst du dich
ja wenigstens anständig an.« Und auch
die ZEIT schrieb über den CDU­Mann
Daniel Günther, dass er es als »schmäch­
tiger Typ« dennoch zu etwas bringe. Das
war vielleicht durchaus anerkennend ge­
meint, wäre bei einer Daniela Günther
aber unvorstellbar.
Das Kompliment – aus den falschen
Gründen platziert – kann zum idealen
Degradierungsinstrument umfunktioniert
werden. Die Betroffenen können nicht
einmal protestieren, schließlich hat der
andere es im Zweifel ja immer noch nett
gemeint. Bei Robert Habeck sind es die

»wuscheligen Haare«. Mit denen sehe er
ja irgendwie lässig aus, liest man, »als wäre
er aus einem Jack­Wolfskin­Katalog gefal­
len«, wie »der coole Typ vom Strand« –
aber halt nicht wie ein ernst zu nehmen­
der Politiker. Mitunter driften solche
Beschreibungen regelrecht ab ins Men­
schenverachtende: Ein Spiegel Online-
Kolumnist störte sich an einem Foto, auf
dem Robert Habeck zu sehr aus sehe »wie
Leonardo DiCaprio an der Bugspitze der
Titanic«. Da habe er gedacht: »Ja, bis du
dann absäufst!«
Dabei ist es kein exklusiv männlicher
Sport, über richtige und falsche Körper
zu urteilen. Sexismus ist für alle da. Auch
eine Reporterin der Süddeutschen Zeitung
schreibt, dass Robert Habeck nachlegen
müsse, wenn er »mehr sein will als der
Brad Pitt der deutschen Linken«. Und
auf einer Party hörte ich neulich eine jun­
ge Frau, die sich als Feministin bezeich­
net, über einen Bekannten lästern: Der
habe »so ein breites Becken«. Eine andere
fand es »schwul«, wenn Männer beim
Sitzen die Beine über ein an der schla gen.
Mir wurde ganz schwindelig. Ist das jetzt
eine neue Art der Gleichberechtigung?
Eine Machtdemonstration als Rache für
das Patriarchat?
Eigentlich haben wir diese ur alten
Vorstellungen von Männlichkeit doch
längst überwunden. Wenn der als Life­
style­ Guru aktive Rapper Kollegah in
seinen Coaching­Kursen predigt, echte
Männer hätten eben dicke Bizepse und
alle anderen seien Waschlappen, dann
schütteln Journalisten angewidert den
Kopf. Aber ist das wirklich so weit weg
von dem, was bei Politikern viel zu oft
stillschweigend akzeptiert wird?
Wir tun uns alle keinen Gefallen,
wenn wir den plumpen Bezug auf Äu­
ßerlichkeiten im Umgang mit Politikern
tolerieren. Schließlich zerfasert er auch
jede berechtigte Kritik, indem er sach­
liche Argumente in den Schatten stellt.
Ein Ministeriums­Gruppenfoto, auf dem
nur Männer zu sehen sind, ist ein Pro­
blem. Dass diese Männer darauf un­
modischerweise braune Schuhe zu blauen
Anzügen tragen, ist keins. Auch um den
aktuellen US­Präsidenten zu kritisieren,
gibt es hunderttausend sachliche Argu­
mente (und jeden Tag kommt mindes­
tens ein neues hinzu) – dafür muss man
nicht auf seine orange far be ne Gesichts­
haut zurückgreifen oder auf seine Frisur.
Wir brauchen dieses ästhetische Bashing
ebenso wenig wie eine Stilkritik seines
Golfoutfits. Eine unvorteilhafte Sporthose
ist für den Weltfrieden keine Gefahr –
Donald Trumps Institutionenverachtung
und Konfliktlust hingegen schon.
Man kann jetzt natürlich einwerfen:
Trump ist doch der Erste, der sich über
Alter, Aus sehen und Vögelbarkeit von
Frauen auslässt, da darf man ja wohl mal
zurückschlagen. Auge um Auge und Zahn
um Zahn, so steht’s ja sogar in der Bibel.
Aber in der Bibel steht auch, dass die Frau
dem Manne untertan sei. Das macht diese
Pu bli ka tion nicht unbedingt zu einem be­
sonders vertrauenswürdigen Handbuch
für ein modernes Zusammenleben.
Vielleicht habe ich aber auch komplett
unrecht, und wir sind gerade kurz vor
einem neuralgischen Punkt. Vielleicht
müssen Männer das alles jetzt noch eine
kleine Weile aushalten und selbst erfah­
ren, wie ungerecht und gestrig Sexismus
ist. Es hat sich für die Gesamtgesellschaft
jedenfalls schon immer gelohnt, wenn
von einem Missstand nicht mehr nur
Frauen betroffen sind. Meist ändert sich
nämlich erst dann wirklich was.

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  1. OKTOBER 2019 DIE ZEIT N
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