Die Zeit - 03.10.2019

(singke) #1

Gerhard Polt parkt sein Auto vor einem


Bootsverleih am Ufer des Schliersees. Das


hier ist die einheimische Seite des Sees,


nicht die touristische. Der Bootsverleih


hat weder Eis noch Latte macchiato und


macht nur auf, wenn wirklich mal je-


mand ein Boot braucht. Er liegt neben


einer kleinen Bucht, direkt an der Land-


straße. Über die Steine kann man zum


Schwimmen ins Wasser staksen. Das


Ehepaar Polt nimmt immer den Steg, sie


haben keine Lust mehr auf Staksen und


außerdem einen Schlüssel zum Boots-


haus, sie sind quasi Nachbarn des Boots-


verleihers. Auf den Holzplanken, die ins


Wasser führen, stehen zwei Stühle: Der


Plan ist, mit Gerhard Polt, 77 (»Mai


Ling«, »Man spricht deutsh«), einfach


nur dazusitzen und zu sehen, was sich


gesprächsmäßig so ergibt, weil man das


erstens eh viel zu selten macht, weil der


Schliersee sich zweitens zum Dasitzen


landschaftlich ganz hervorragend eignet


und weil es drittens wenige bayerische


Erfolgskabarettisten gibt, die sich beruf-


lich wie privat so viel mit dem Dasitzen


beschäftigt haben wie Polt, der schon bei


einem seiner ersten Theaterauftritte in


den Siebzigern einfach nur dasaß (und


aß). Polt guckt ja immer ein wenig, als


blende ihn die Sonne, heute aber wirkt


er komplett unverkniffen, die Sonne


scheint auch erst mal nicht.


DIE ZEIT: Schön, dass das geklappt hat.


Gerhard Polt: Ja, ich muss lachen, vor


einigen Wochen hat eine junge Dame in


der Süddeutschen Zeitung geschrieben:


Hören denn die Alten nie auf, sich ein-


zumischen? Aha, habe ich gedacht.


ZEIT: Das muss ziemlich genau gewesen


sein, als ich mit Ihrer Frau dieses Ge-


spräch vereinbart habe.


Polt: Andererseits hab ich von vielen al-


ten Leuten noch mal was gehört, wo ich


gedacht hab: Ganz gut, dass er sich ge-


äußert hat.


ZEIT: Sie sind ein alter weißer Mann ...


Polt: Bei weise würde ich natürlich sofort


zurückschrecken ...


ZEIT: ... weiß ...


Polt: Bei weise ...


ZEIT: Ja, ich sag aber weiß.


Polt: Ja, weiß, ja. Ich würde aber nie auf-


treten wollen als jemand, der schon was


weiß. Der weiß, wie es war, wie es geht.


ZEIT: Der alte weiße Mann ist zum


feststehenden Begriff geworden. Sie sind


einer. Das spielt für Sie keine Rolle?


Polt: Nein, ich möchte auch nicht, dass in


der U-Bahn jemand wegen mir aufsteht.


Früher musste ein Schüler ja sofort auf-


spritzen, wenn da eine Dame oder ein


Herr etwas wacklig waren. Wenn jemand,


nur weil ich da bin, einen großen Respekt


hätte, den will ich nicht. Im Gegenteil,


wenn man so alte Engel anschaut mit


diesem Heiligenschein, das muss doch


belastend sein.


Im Allzeit-Humor-Ranking der BRD


liegt Polt direkt hinter Loriot (in Bayern,


logisch: davor), er besitzt eine große Liebe


für das komische Zeug, das Menschen so


daherreden, und er bringt das Komischste


davon auf die Bühne (Fernsehen mag er


nicht so gern, zu hektisch). Im Bootshaus,


vor dem wir sitzen, hat einmal ein Boots-


verleiher gearbeitet, der Gerhard Polt, als


er noch ein kleiner Junge war, sehr beein-


druckt hat. Später hat er oft erzählt, so


ein Bootsverleiher habe er auch immer


sein wollen. Boot ins Wasser stoßen. Und


dann wieder einfach dasitzen und auf den


See gucken oder in die Zeitung. Boots-


verleiher ist Polt nie geworden, dafür ein


großer Meister des Einfach-nur-Dasitzens.


ZEIT: Bei Ihren Auftritten sitzen Sie viel


da und gucken ins Publikum.


Polt: Wir reden gern von einer mobilen


Gesellschaft. Das viele Fliegen, Wegfah-


ren und Verreisen, das ist schon im Wort-


schatz. Ich frage: Wo fahren Sie in Urlaub


hin? Ich frag nicht: Was machen Sie im


Urlaub? Als ob es Standard ist, dass man


wegfährt. Es gibt in der Sprache Merk-


würdigkeiten, die viel verraten. Wenn


man etwa fragt: Wo stehen Sie? Da meint


man das nicht politisch, sondern: Wo


steht Ihr Auto? Also wenn man so da-


sitzt ... Das heißt ja: Ich muss nicht wo-


hin, ich bin schon da.


ZEIT: Nach dem Gefühl sehnen sich


heute viele, in Zeiten der Smart phone-


Auf ge regt heit. Manche versuchen es in


Kursen zu lernen.


Polt: Ich weiß nicht, ob man das lernen


kann. Vielleicht ist das auch einfach im


Charakter drin.


ZEIT: Hatten Sie schon immer das Ge-


fühl, da zu sein?


Polt: Irgendwie ja.


ZEIT: Dabei haben Sie sich als Kind nach


dem Krieg zwischen vielen Orten bewegt,


zwischen Ihrer Mutter in München, einer


Art Pflegefamilie in Alt ötting und Ihrer


Großmutter am Schliersee.


Polt: Ja, aber jemand hat das mal sehr


schön über das Zuhausesein von Zigeu-


nern beschrieben. Egal, wo die sind, sie


sind immer in ihrem Milieu.


ZEIT: Den Schliersee kennen Sie seit


mehr als 70 Jahren.


Polt: Da vorn hab ich das Schwimmen
gelernt, mit so einem Korkgürtel.
ZEIT: Sie haben sich das Schwimmen
selber beigebracht?
Polt: Da waren ja immer andere Kinder.
Der eine konnte es besser, der andere
nicht. Dann hat man sich den Schwimm-
gürtel ausgeliehen. Man musste am Ufer
ganz langsam ins Wasser gehen. Damals
gab es noch Muscheln, die schneiden.
Und Krebse.

Seit einer Weile schon paddelt ein Vater
mit seinem Sohn im Schlauchboot über
den See. Jetzt gesellt sich der erste Ruderer
des Tages dazu. Gelegentlich bricht die
Sonne kurz durch die Wolken.

ZEIT: Der Bootsverleiher, der Ihnen so
imponiert hat, kannten Sie den persön-
lich?
Polt: Nein, aber die Art und Weise die-
ses Menschen, dieses Selbstverständliche,
hat mir imponiert. Der hatte eine große
Souveränität. Der hat nicht viel geredet,
der hat seine Zeitung gelesen, der hat
eine Wurst gegessen. Die Leute damals
hatten vielleicht nicht viel, aber dieses
Wenige haben sie zelebriert, das Essen
einer Wurst etwa. Heut wird immer ge-

sagt, man muss über den Tellerrand
schauen. Ich sag: Es wäre besser, man
würde auch mal in den Teller hinein-
schauen.
ZEIT: Sie haben einen Bootsverleiher in
einem kurzen Monolog mal sagen lassen,
er schmiere sich sein Butterbrot drei
Stunden lang.
Polt: Ich hab das in einer Geschichte er-
zählt, weil ich eine Komik darin sehe,
wenn Leute die Erwartung nicht erfüllen,
die man an sie stellt. Da wird etwa einer
als Gärtner eingestellt, und dann sind die
Arbeitgeber empört, wenn der seine Ar-
beit kaum noch erledigt. Aber derjenige,
auf dem die ganze Erwartung ruht, der
geht unbeschwert damit um, darin sehe
ich Komik.
ZEIT: Und die Leute erzählen Ihnen sol-
che Geschichten, und dann nehmen Sie
sie in Ihre Bühnenmonologe auf?
Polt: Ich frag die Leute und bin ganz neu-
gierig, was die sagen. Ein Bademeister
über die Schwimmer etwa. Weil so je-
mand hat halt eine Meinung. Und das ist
eben die Meinung von einem Menschen,
der sich damit beschäftigt. Damit habe
ich, wenn ich ihn auf der Bühne zitiere,
zumindest eine Halb authen ti zi tät. Es ist
auch da eine Frage der Kom mu ni ka tion.

Mit wem redet man, mit wem nicht? Fah-
re ich heute mit Schnellzügen, dann sit-
zen die da und haben ihre Stöpsel drin.
Früher war das kommunikativer: Wo
fahren Sie hin? Und dann wusstest du in-
nerhalb einer halben Stunde über das Ge-
schwür vom Großvater Bescheid oder
über die Fuß ampu ta tion.
ZEIT: Fahren Sie viel Zug?
Polt: Ja.
ZEIT: Und da sitzen Sie dann auch ein-
fach da?
Polt: Ich lese kurz Zeitung, kommt drauf
an, wann ich fahre. Aber ich schau gern
zum Fenster raus. Wenn ich zum Beispiel
nach Berlin fahre, nehme ich nicht den
schnellen ICE, ich möchte ja ein bisschen
die Landschaft sehen.
ZEIT: Sie schauen sechs Stunden aus dem
Fenster?
Polt: Ich geh auch mal in den Speise-
wagen. Da kommt eine amerikanische
Familie, dann kommen, weiß der Teufel,
sind es Kurden oder Pakistani, eine Al-
leinerziehende. Ein kleines Theater. Die
Italiener sagen: teatrino. Es ist keine Se-
kunde langweilig. Selbst in sogenannten
Warteräumen, auf dem Amt oder beim
Arzt. Die Art, wie man wartet, wie man
erwartet, die einen schauen ständig auf

die Uhr, anderen wieder ist es wurscht,
wann die Tür endlich wieder aufgeht.
Das sind Erfahrungen, die haben mit
Komik zu tun und mit Unterhaltung.

Die Bootshaustür knarzt auf: der Boots-
verleiher, ein freundlicher junger Mann,
im Hauptberuf Wirt. »Griaß di«, brüllt
Polt, ganz Nachbar jetzt, bairischer
Gartenzaunsound. Nein, er störe nicht,
was er denn mache? Zwei Angler wollen
ein Boot. Aha. Soso. Jaja.

ZEIT: Morgen fahren Sie nach Sylt, um
dort aufzutreten. Nehmen Sie wieder den
Zug?
Polt: Wir fahren mit dem Auto, aber ich
fahr da am wenigsten. Mich lassen sie
nicht.
ZEIT: Sind Sie zu langsam?
Polt: Mir pressiert’s net, ich hab nicht das
Verlangen, x-mal zu überholen. Ich habe
nicht das Gefühl, dass ich Zeit gewinnen
kann.
ZEIT: Ein freiwilliges Tempolimit, das
klingt zeitgemäß. Sie verbrauchen weni-
ger Sprit, verursachen im Optimalfall
weniger Unfälle.
Polt: Da sagen jetzt aber manche: Wenn
du so langsam fährst, bist du ein Hinder-

nis, dann bist du eher der Verursacher,
wenn es zu einem Unfall kommt.
ZEIT: Wie langsam fahren Sie denn?
Polt: So, dass sie hinter mir ungeduldig
werden. Selbst wenn du im Ort 50 fährst,
womöglich gar einmal 55, überholen sie
dich mit 70 oder 80. Die Leute haben of-
fensichtlich sehr viel Zeit zu verlieren.
ZEIT: Sie fahren ein SUV.
Polt: Das habe ich geleast für ein halbes
Jahr. Mal sehen, was als Nächstes kommt.
Mich ärgert diese Batteriedebatte ... Soll
ich das jetzt erzählen?
ZEIT: Bitte!
Polt: Über 30 Jahre ist es her. Da waren
Dieter Hildebrandt, Christian Müller
und ich in Ottobrunn bei einem Mann,
der sehr berühmt war damals, bei Böl-
kow, Messerschmitt-Bölkow.
ZEIT: Sie waren mit Ihren zwei Kaba-
rettistenfreunden zu Besuch beim Chef
eines Luft-, Raumfahrt- und Rüstungs-
konzerns?
Polt: Es ging um das Thema Nuklearener-
gie. Man muss ja recherchieren, wenn man
Bühnenprogramme macht wie wir damals.
Da hat uns dieser Bölkow also zum Tee
eingeladen und Folgendes erzählt: Er sei
gegen Nuklearenergie. Wenn man etwas
bewegen wolle, müsse man es mit Wasser-
stoff machen. Man müsste diesen Wasser-
stoff bändigen, damit er nicht mehr ex-
plosiv ist. Wenn man darein genug inves-
tiere, könne man sicher fliegen damit,
heizen, Auto fahren und so weiter. Manch-
mal unterhalte ich mich mit Menschen,
die davon etwas verstehen, die sagen mir,
dass der Mann damals wirklich ein Visio-
när war, aber dass das offensichtlich immer
noch keine große Akzeptanz hat. Wenn es
ein Was ser stoff auto gäbe, ich habe gehört,
die Japaner haben schon eins, das würde
ich gerne fahren.
ZEIT: Verfolgen Sie die aktuellen Um-
weltdebatten?
Polt: Ja, ich bin ein Mensch, der gern
lebt, der gern isst, der gern auf dieser
Welt ist. Da muss man sich ja automa-
tisch dafür interessieren.

Es ist jetzt im Gesamten recht sonnig.
Und klar wird auch: Wäre Gerhard Polt
wirklich Bootsverleiher geworden, er
müsste heute vor allem Stand-up-Bretter
aushändigen. Ein Mann und zwei Frauen
paddeln in wechselnden Konstellationen
auf so einem am Steg vorbei.

ZEIT: Wie ist Ihre aktuelle Meinung zum
Thema Stand-up-Paddeln?
Polt: Das ist mir zu wacklig. Aber ich
kenne Leute, die sind ganz begeistert.
Manche Naturschützer wiederum sagen,
die fahren ins Röhricht und stören beim
Brüten.
ZEIT: Sie haben es selbst nie probiert?
Polt: Nein, ein Mal in meinem Leben hat
mich jemand überredet, Wasserski zu
fahren, das war am Wörthersee beim
Werner Schneyder, der im März gestor-
ben ist.
ZEIT: Der österreichische Kabarettist.
Polt: Ich bin immer wieder reingefallen.
Und dann hab ich’s sein lassen. Das war
katastrophal.
ZEIT: Manche Stand-up-Paddler haben
hier schon richtige Stand-up-Paddler-
Outfits, Neoprenlatzhosen mit Schlag.
Polt: Das ist das Entscheidende, dass sie
zu allem, was sie machen, die entspre-
chende Kleidung haben. Ich nehme an,
diese Roller, die jetzt alle fahren, die wer-
den auch bald die entsprechende Klei-
dung haben. Ich habe mal das Wort Bur-
gundisierung gehört. Das war die Zeit der
großen Höfe, als es zu jedem Gericht den
entsprechenden Teller, die entsprechende
Gabel gab. Jetzt sprach jemand von einer
Neoburgundisierung. Dass man prak-
tisch sagt, ich esse heute eine Leberknödel-
suppe, dazu brauche ich die Jacke, meine
Leberknödeljacke.
ZEIT: Leberknödel würde mit Ihrem Jan-
ker passen.
Polt: Ohne Weiteres. Sollte ich jetzt aller-
dings einen Hummer essen, müsste ich
mich schon schämen. Auf Sylt würde ich
da deplatziert dasitzen und sagen: Die
essen alle Hummer, ich würde es auch
gern, aber mit der Jacke ...

Gerhard Polt ist auf dem Stuhl immer
weiter nach vorne gerückt. Er hat jetzt
nicht mehr diese klassische Polt-Haltung,
Ellbogen auf Knie, nach vorn gebeugt
und doch irgendwie zurückgelehnt. Er ist
eindeutig auf dem Sprung.

Polt: Ich muss leider langsam ... Jetzt
kommt mein Kabarettistenkollege Willy
Astor zu mir, der möchte, dass ich ihm
eine Kindergeschichte auf Schwedisch er-
zähle. Der ist jetzt ante portas.
ZEIT: Für einen, der am liebsten nur da-
sitzt, sind Sie ganz schön viel unterwegs.
Polt: Der Willy Astor ist jetzt dann im
Urlaub. Da hab ich gesagt, komm heut
Mittag noch. So sind wir halt alle be-
schäftigt.

Gerhard Polt nimmt seinen Stuhl und
geht.

Das Gespräch führte Johannes Gernert


REISE


»Ich muss nicht wohin,


ich bin schon da«


Der bayerische Kabarettist Gerhard Polt ist ein Meister im Einfach-nur-Dasitzen.


Auf der Bühne und in seiner Heimat am Schliersee. Eine Plauderei auf dem Bootssteg


Foto: Roderick Aichinger für DIE ZEIT

74 2. OKTOBER 2019 DIE ZEIT N
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