Die Zeit - 03.10.2019

(singke) #1
DIE ZEIT: Haben Sie, nachdem das Klimapaket
beschlossen worden war, an Rücktritt gedacht?
Svenja Schulze: Soll ich die Union mit dem Klima-
schutz alleinlassen? Aber Scherz beiseite: Ich habe
viel für den Klimaschutz durchgesetzt und werde
weiter hart dafür arbeiten.
ZEIT: Der im Klimapaket festgelegte Preis für CO₂
macht Sprit und Heizöl teurer. Das belastet ärmere
Menschen.
Schulze: Die Belastung ist moderat und wird gerade
für Menschen mit kleinen Einkommen abgefedert.
Die Ökostrom-Umlage, also der Strompreis wird
sinken. Wenn Ölheizungen ausgetauscht werden,
bezahlt der Staat künftig 40 Prozent der Kosten für
die neue, klimafreundlichere Heizung. Außerdem
wird das Wohngeld erhöht.
ZEIT: Aber es wird keine Rückzahlung an die Ein-
kommensschwachen aus den Einnahmen durch
den CO₂-Preis geben, wie viele Klimaschutzkon-
zepte es ja vorschlagen.
Schulze: Wir wollen, dass die Menschen beim
nächsten Autokauf auf Effizienz achten. Darauf ist
unser ganzes Programm angelegt: Sprit, Heizöl und
Gas werden teurer. Es lohnt sich also, bei der nächs-
ten Heizung, beim nächsten Auto auf Sparsamkeit
und Klimaschutz zu achten.

ZEIT: Der Spritpreis soll 2026 etwa 10 Cent höher
liegen. Die Gelbwesten, vor denen sich deutsche
Politiker ja fürchten, sind wegen einer Erhöhung
von ungefähr 6 Cent auf die Barrikaden gegangen.
Schulze: Mit einer ganz anderen Vorgeschichte: In
Frankreich wurden die Wohlhabenden entlastet
und dann kontinuierlich der CO₂-Preis und damit
den Spritpreis erhöht – ohne jede Entlastung für die
unteren Einkommen. Wenn man unten immer nur
wegnimmt und oben draufpackt, ist das keine so-
ziale Politik, so was will ich nicht.
ZEIT: Laufen wir nicht in die gleiche Richtung wie
Frankreich, wenn wir Einnahmen aus dem CO₂-
Preis nicht an die zurückgeben, die sich keine Ver-
teuerungen leisten können?
Schulze: Ich hatte vorgeschlagen, den CO₂-Preis
sofort bei 35 Euro festzulegen, das hätte den Sprit
um etwa 10 Cent teurer gemacht. Als Ausgleich
hätte ich nicht nur den Strompreis gesenkt, sondern
auch eine Klimaprämie an alle zurückgezahlt – also
eine direkte Rückverteilung, wie Sie sie ansprechen.
Das war nicht durchsetzbar, es scheiterte an der

CSU. Jetzt bin ich froh, dass wir überhaupt einen
Einstieg in eine CO₂-Bepreisung haben. Ich erinne-
re mich noch gut an die Reaktion, als ich vor einem
Jahr zum ersten Mal den CO₂-Preis ins Spiel ge-
bracht habe. Damals stand ich in der Regierung
noch ganz allein da.
ZEIT: Viele Wissenschaftler haben sich vom Klima-
paket distanziert – die Maßnahmen seien ökologisch
zu langsam und trotzdem sozial ungerecht. Und in
Frankreich wurden die Benzinpreiserhöhungen we-
gen der Proteste zurückgenommen.
Schulze: Noch mal: Wir sind mit Frankreich nicht
vergleichbar. Denn auch wenn die Klimaprämie
nicht kommt, werden wir immerhin die Ökostrom-
Umlage und damit den Strompreis senken. Davon
werden die unteren Einkommen profitieren. Au-
ßerdem gibt es viele weitere Programme.
ZEIT: Zu denen gehört auch eine erhöhte Pendler-
pauschale. Davon haben Menschen mit niedrigen
Einkommen auch wieder nichts, es profitieren die-
jenigen überproportional, die viel Steuern zahlen,
also die Gutverdienenden.
Schulze: Ich werde als Bundesumweltministerin jetzt
nicht anfangen, die Pendlerpauschale zu verteidigen.
ZEIT: Deswegen unsere Eingangsfrage nach dem
Rücktritt.
Schulze: Was mir am besten an der Erhöhung ge-
fällt, ist ihre Befristung bis 2026. Wir werden se-
hen, was der Bundestag noch verbessert. Der Frak-
tionschef der Union hat ja schon Offenheit signali-
siert. Wir leben zum Glück in einer Demokratie,
und das bedeutet, dass man Kompromisse machen
muss. Manch einer fordert jetzt auch, dass wir die
Konzepte einzelner Wissenschaftler, beispielsweise
für einen CO₂-Preis, eins zu eins übernehmen. Das
halte ich nicht für den richtigen Weg. Und darüber
gehe ich auch in den Clinch mit den jungen Leuten
auf der Straße. Man muss das demokratisch lösen.
ZEIT: Ein Ministerrücktritt ist ein vollkommen
demokratisches Mittel.
Schulze: Ich habe als Teil des Pakets ein Klima-
schutzgesetz durchgesetzt, das ist gut. Das sieht ver-
bindliche Ziele für jedes Ministerium und jedes
Jahr vor, von 2020 bis 2030. Dadurch werden wir
künftig regelmäßig nachsteuern können, wenn
Deutschland Ziele verfehlt.
ZEIT: Wir kommen auf das Klimaschutzgesetz noch
zu sprechen, würden aber gern noch über einen an-
deren Punkt, das Klimapaket betreffend, sprechen:
Das Dienstwagenprivileg wird nicht angerührt, also
die staatliche Subvention von Dienstwagen, meis-
tens großen, schweren Autos, was ja auch nur denen
zugutekommt, die ein gutes Einkommen haben.
Schulze: Der Steuerrabatt für Dienstwagen bleibt im
Grundsatz bestehen. Der Rabatt wird aber so ver-
ändert, dass er die Markteinführung von kleineren
Elektroautos vorantreibt. Auch die Kaufprämie für
Elektroautos ist bei kleinen Autos größer als bei Lu-
xusautos. Und auch die Kfz-Steuer wird die Regie-
rung so umbauen, dass derjenige begünstigt wird,
dessen Auto einen niedrigen CO₂-Ausstoß hat.
ZEIT: Aber der Staat wird weiterhin Luxusautos
subventionieren, während es einen Ausgleich für
Benzinpreiserhöhungen an die unteren Einkom-
men nicht geben wird, richtig?
Schulze: Doch. Den Ausgleich gibt es. Über sinken-
de Stromkosten. Aber wenn ich Sie richtig verstehe,
geht es Ihnen darum, dass wir das Dienstwagenpri-
vileg nicht ganz streichen. Die SPD ist nicht in der
Koalition mit den Grünen, sondern mit der Union.
Die hat vor einem Jahr noch erklärt, das ist Sozialis-
mus, wenn man einen CO₂-Preis einführt oder ein
Klimaschutzgesetz haben will. Dass die SPD die
Union von ihrem »Nein-Nein-Nein« überhaupt
bewegt hat zu diesem Ja, das hatte ich zwar erhofft,
aber nicht erwartet.
ZEIT: Sie messen Ihren Erfolg daran, wie weit Sie die
Union bewegen konnten, und nicht an der Realität?
Schulze: Die Demokratie gehört zur Realität, samt
Mehrheitsprinzip. Abgesehen davon: Es wird sich
in der Realität massiv etwas verändern.
ZEIT: Stichwort Realität. In dieser Woche wurde
ein neuer Bericht des Weltklimarats veröffentlicht.
Nur ein Detail: Am Ende des Jahrhunderts werden
die meisten europäischen Skigebiete verschwunden
sein. Das muss Sie doch umtreiben.

Schulze: Das tut es auch. Aber fahren Sie mal auf
eine internationale Konferenz und gucken sich an,
wie Deutschland da gelobt wird für das, was wir
tun, für den Ausbau der erneuerbaren Energien, für
den Ausstieg aus der Kohle ...
ZEIT: Von Saudi-Arabien oder von wem?
Schulze: Nein, weltweit! Wir machen Riesenpro-
gramme für den Klimaschutz. Wir arbeiten an er-
neuerbaren Lösungen und gehören nicht zu jenen,
die sagen, ach, das lösen wir über Atomstrom. Viel
zu wenig passiert ist im Verkehrsbereich, da haben
wir ein Problem, klar. Aber auch das wird sich än-
dern, wenn wir ein Klimaschutzgesetz haben. Das
wird alle Regierungen zum Handeln zwingen.
ZEIT: Die Regierung braucht ein Gesetz, um zu
tun, wozu sie sich in Paris 2015 verpflichtet hat?
Schulze: Exakt. Völkerrecht wird in nationales
Recht umgesetzt. Bisher war in der Regierung im-
mer nur die Umweltministerin schuld, wenn die
Klimaziele nicht erreicht wurden. Künftig müssen
auch der Verkehrsminister liefern, der Bauminister
und die Landwirtschaftsministerin.
ZEIT: Was droht denn Ministern, die das nicht tun?
Schulze: Sie hätten sichtbar gegen das Klimaschutz-
gesetz verstoßen, das ist kein Spaß in der öffent-
lichen Wahrnehmung. Sie müssten innerhalb von
drei Monaten ein Sofortprogramm vorlegen. Und
sie bekämen es mit dem Finanzminister zu tun.
Denn die Bundesregierung müsste ja, wenn wir in
Deutschland im Verkehr, in Gebäuden, der kleinen
Industrie oder der Landwirtschaft mehr CO₂ aus-
stoßen, als uns zusteht, Zertifikate von Nachbar-
ländern kaufen, und das kostet richtig Geld.
ZEIT: Der Verkehrsminister und die Landwirt-
schaftsministerin scheinen gut damit zu leben, dass
sie ihre Klimaziele für 2020 nicht erreicht haben.
Und die bayerische Landesregierung ist sogar vom
EuGH verklagt worden, weil sie Luftreinhaltepläne
nicht einhält, und es geht ihr prima, sie wurde gera-
de wiedergewählt. Kann Ihr Klimaschutzgesetz
wirklich den politischen Willen ersetzen?
Schulze: Der Unterschied zur bisherigen Situation
ist: Bisher gab es kein extra ausgewiesenes und ver-
bindliches Unterziel für den Verkehr oder für die
Landwirtschaft, auch nicht für 2020. Das schafft
erst das Klimaschutzgesetz. Und den Bayern sollte
bewusst sein, dass man sich gerade als Regierung
selbst auch an die Regeln halten muss. Sonst unter-
gräbt das unseren demokratischen Rechtsstaat.
ZEIT: Können wir das Gespräch derart zusammen-
fassen, dass Sie zufrieden sind mit dem, was Sie er-
reicht haben, und die große Koalition entsprechend
nicht in Gefahr ist?
Schulze: Ich bin als Umweltministerin erst zufrie-
den, wenn die CO₂-Emissionen in der Realität
dauerhaft spürbar sinken. Dafür stellt die große
Koalition jetzt die Weichen.
ZEIT: Angela Merkel hat bei der Vorstellung des
Klimapakets gesagt: Politik ist, was möglich ist.
Greta Thunbergs Prinzip lautet: Politik muss tun,
was nötig ist. Was sagen Sie?
Schulze: Die Politik hat die Aufgabe, die Probleme
der Zeit pragmatisch zu lösen und die Gesellschaft
für zukünftige Probleme zu wappnen.
ZEIT: Man könnte Politik auch so verstehen, dass
sie Menschen von guten Lösungen überzeugen soll.
Schulze: Ich habe es versucht, in Hunderten von
Reden gesagt, dass das Klimapaket ein Innovations-
programm sein kann. Wir sind damit nicht durch-
gedrungen, weil es ungeheure Ängste gibt.
ZEIT: Vielleicht fehlt den Leuten das Vertrauen in
die Politik und im Speziellen in diese Regierung?
Schulze: Auf die jungen Leute von Fridays for
Future mag das zutreffen. Was ich aber auch erlebe,
wenn ich in Betriebe gehe: Manche Leute machen
sich Sorgen, ob sie sich Klimaschutz leisten können.
Denen wollen wir Sicherheit geben, dass die Politik
sie bei der Umstellung nicht alleinlässt. Manchmal
frage ich mich: Was kriegen Menschen mit, die sich
nicht jeden Tag mit Klimaschutz beschäftigen?
Nach meiner Wahrnehmung noch nicht so viel.
Aber Klimaschutz funktioniert nur, wenn er Mehr-
heiten bekommt.

Die Fragen stellten
Petra Pinzler und Elisabeth Raether

»Man muss es


demokratisch


lösen«


Bundesumweltministerin Svenja Schulze, SPD, über das


Klimapaket, deutsche Ängste und Dienstwagen


Sevnja Schulze, 51, ist
seit März 2018 Mitglied
der Bundesregierung.
Diese stellte am


  1. September ihr
    Maßnahmenpaket zur
    Senkung der
    CO₂-Emissionen in
    Deutschland vor


ZU WENIG, ZU SPÄT? DIE GROKO UND DAS KLIMA


Foto: Thomas Trutschel/photothek/imago



  1. OKTOBER 2019 DIE ZEIT N
    o
    41 POLITIK 9


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