Harald Martenstein
Über umweltfreundliches Reisen und das Bahnfahren
in der stürmischen Jahreszeit
Illustration Martin Fengel
Zu hören unter http://www.zeit.de/audio
Harald Martenstein
ist Redakteur des »Tagesspiegels«
Es ist Herbst. Die Winde wehen. Vor zwei Jahren war ich zu die-
ser Zeit auf Lesereise. Damals wehte ein starker Wind, in Nord-
deutschland kam der Bahnverkehr zum Erliegen. Ich bin ja fast
immer mit der Bahn unterwegs. Aber natürlich bin ich trotzdem
keiner von den Guten, das weiß man ja. Ich bin ein Böser. In die-
ser Eigenschaft besitze ich zwei Autos. Zwei! George Orwell hätte
dieses Konsumverhalten in dem berühmten Roman 1984 wohl
»doppel ungut« genannt.
Das eine Auto ist ein Dacia Duster, also ein SUV. In einem Auto
zu sitzen, das demnächst vielleicht verboten wird, törnt mich total
an. Das andere ist ein Mercedes 300 SL Cabrio, Achtzigerjahre,
natürlich rot und so cool, dass ich ihn an heißen Sommertagen als
Sektkühler verwenden kann. Jetzt hoffe ich doch sehr, dass mich
vor Neid triefende Hassmails erreichen.
Aber weitere Strecken fahre ich fast immer mit der Bahn. Ich bin die
Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft.
Als es so windig war (wer echte »Stürme« erleben will, möge nach
Übersee reisen), bin ich gar nicht weit von Berlin entfernt gewe-
sen, 150 Kilometer vielleicht. Es fuhren keine Fernzüge mehr, aber
einige Bummelbahnen auf Nebenstrecken zuckelten nach ein paar
Stunden wieder los. Mietwagen waren ausgebucht. Der Rückweg
dauerte zehn Stunden, der Faktenchecker darf gern meine Frau an-
rufen, die gibt eine eidesstattliche Erklärung ab. Die Wagen waren
so überfüllt wie in den alten Wochenschauen von 1946. Die von der
Bahn haben nämlich nicht etwa Sonderzüge eingesetzt. Sonderzüge
sind irgendwie nicht ihr Stil.
In der Zeitung stand, dass die Bahn nicht mehr die Bäume fällt, die
nahe bei den Gleisen stehen, so ein Baum stürzt halt manchmal um.
Jetzt, zwei Jahre später, wehte wieder ein Wind, weil wieder Herbst
war, und wieder fielen jede Menge Züge aus, und wieder mussten
Hunderte im Zug übernachten, womöglich im gestrandeten ICE
»Greta Thunberg«, den müsste es doch inzwischen geben. Und wie-
der waren alle Mietwagen schnell weg, und wieder habe ich mich
als Glückskind trotzdem irgendwie durchgeschlagen, nur sechs Stun-
den von Hamburg nach Ostfriesland, eidesstattliche Erklärung liegt
vor, und musste wieder im Zug stehen, weil die Sitzplätze auf dem
Boden des Waggons oder auf der Klobrille des verstopften Zugklos
nach allen Gesetzen der Menschlichkeit den Greisinnen und Greisen
sowie den kinderreichen Familien zustehen, und das ist auch gut so.
Ich frage mich, wie dieses Land ohne Autos funktionieren soll in
seinem gegenwärtigen labilen Zustand. Hallo, ihr Guten, erklärt
es doch mal. Die Bahn kommt als Ersatz vorerst nicht infrage, so
nicht. Wenn du nicht weißt, ob Züge fahren und wann sie, falls
überhaupt, ankommen, kannst du ja gar nichts mehr planen. Zu-
mindest vor der Einführung der Planwirtschaft wären wir dann
allerdings sicher. Klar, ohne Autoindustrie hätten wir jede Menge
Arbeitslose, das entlastet den Verkehr und die CO₂-Bilanz. Ande-
rerseits ist es für die Bahn doch total schlecht, wenn das Klima wie-
der kühler wird und wieder mehr Schnee fällt. Bei Schnee fahren
doch auch fast nie Züge.
In der Stadt Aurich, wo ich war, haben sie den Bahnhof vor Jahren
stillgelegt. Vor der Stadt steht jetzt eine Fabrik für Windkraft an-
la gen. Nachts rollen riesige Schwersttransporter mit eigenheim-
großen Windmühlenflügeln über die Straßen, plus Begleitfahrzeu-
ge. Mit den Windmühlen werden dann Fledermäuse und Federvieh
zu Biohack geschreddert. Zumindest die emittieren nix mehr.
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