Süddeutsche Zeitung - 08.10.2019

(Marcin) #1
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von alexander hagelüken

D


eutschland erlebte die vergange-
nen Jahre einen Boom, für den es
ganz Europa bewunderte. Man-
cher Ökonom argumentierte, wegen der
guten Arbeitsmarktzahlen habe sich das
Thema Ungleichheit erledigt. Das war ver-
früht. Forscher ermitteln nun, dass sich
die Einkommen seit längerem wieder aus-
einander entwickeln. Arm und Reich
trennt ein tiefer Graben. Die Frage ist,
wann diese Unterschiede die Fundamen-
te der Demokratie erodieren – und ob die
Politik weiter zusehen will.
Es gab eine Zeit, da assoziierte man so-
ziale Spaltung vor allem mit den USA.
Das ist vorbei. Im vergangenen Viertel-
jahrhundert drifteten die Gesellschaften
überall im Westen auseinander. Globa-
lisierung und neue Technologien stei-
gern die Firmengewinne – und setzen zu-
gleich Beschäftigte in Fabriken und Bü-
ros unter Druck. Mäßig bezahlte Service-
jobs verbreiten sich. Die Mittelschicht
schrumpft. Und die Politiker senkten
auch noch flächendeckend die Steuern
für Vermögende und Firmen, weil das
angeblich der Allgemeinheit hilft. So ver-
größern sie die Spaltung.

Wer Aktien oder Immobilien sein ei-
gen nennt, hatte zuletzt eine tolle Zeit.
Der Deutsche Aktienindex DAX verdop-
pelte sich binnen einer Dekade, ebenso
die Hauspreise in Großstädten. Davon
profitiert eine Minderheit. Beispiel Immo-
bilienboom: Das Vermögen der reichsten
zehn Prozent Deutschen nahm zehn Mal
so stark zu wie jenes der ärmeren Hälfte
der Bevölkerung. Kein Wunder, sie be-
sitzt ja kaum etwas. Die ärmere Hälfte, 40
Millionen Menschen, hat zusammen so
viel wie die 50 reichsten Haushalte der Re-
publik. So treiben Aktien- und Immobi-
lienhausse das Land weiter auseinander.
Wenn alle Bürger viel haben, mag Un-
gleichheit egal sein. Doch davon kann kei-
ne Rede sein. Die Mieten stiegen dort am
stärksten, wo Geringverdiener leben. Vie-
le Bürger kommen gerade über die Run-
den, fürchten den Abstieg und Armut im
Alter. Es sind auch solche Sorgen, die
überall im Westen Rechtspopulisten Zu-
lauf bescheren, die Demokratie gering
schätzen. Wer diesen Trend stoppen will,
muss die Ungleichheit ernst nehmen.
Leisten könnte die Bundesregierung ei-
ne ganze Menge. In Deutschland hängt
das Einkommen nach wie vor stark von
der Herkunft ab. Wer ohne gute Qualifika-
tionen ins Berufsleben startet, hat wenig
Chancen. Trotzdem wird die Bildungsde-
batte nicht von den Startnachteilen man-
cher bestimmt, sondern von den Weh-
wehchen der Akademikereltern – ein hal-
bes Jahrhundert nach Pierre Bourdieus
Verdikt, das Bildungssystem dupliziere
die Ungleichheit, statt sie zu korrigieren.
Die Bundesregierung hat es auch in
der Hand, die Einkommen der breiten
Masse erhöhen. Dazu müsste sie die Ver-
handlungsmacht der Arbeitnehmer stär-
ken. Zur Not, indem Tarifverträge für all-
gemein verbindlich erklärt werden. Und
die Regierung könnte der breiten Masse
mehr Netto vom Brutto verschaffen. In
dem sie die Steuern und Abgaben für jene
Mehrheit reduziert, die heute sogar mehr
an den Staat überweist als vor 20 Jahren.
Es wird auch Zeit für eine ernsthafte
Vermögenspolitik. Die Masse der Bürger
legt ihr Geld, wenn sie welches hat, über-
wiegend in Lebensversicherungen und
anderen Zinsprodukten an. Die bringen
seit jeher nicht viel und derzeit besonders
wenig. Die Regierung sollte den Kauf von
Aktien und Immobilien fördern – bis hin
zu staatlich beaufsichtigten Sammel-
fonds. Die Voraussetzung dafür ist natür-
lich, dass jemand genug verdient, um et-
was anlegen zu können. Aber auch dazu
kann die Regierung ja etwas beitragen.
Es ist richtig, dass die meisten dieser
Maßnahmen etwas kosten. Dieses Geld
kann sich die Bundesregierung bei denen
holen, die in den vergangenen Dekaden
besonders profitierten. Topverdiener, Fir-
menerben, Immobilienbesitzer – sie alle
können oberhalb großzügiger Freibeträ-
ge ihren Beitrag dazu leisten, dass es in
der Gesellschaft wieder fairer zugeht.
Das wird der Test sein: Ob die Politik
es wagt, die eklatante Ungleichheit anzu-
gehen, bevor die Demokratie Schaden
nimmt. Leicht wird das nicht. Denn dafür
muss sie den Einflüsterungen der Besit-
zenden widerstehen, die viel Geld in Lob-
byarbeit investieren.

München – Die Deutsche Rentenversiche-
rung beschönigt erst gar nichts: „Da die
Renten im Vergleich zu den Löhnen künf-
tig geringer steigen werden und sich somit
die spätere Lücke zwischen Rente und Er-
werbseinkommen vergrößert, wird eine zu-
sätzliche Absicherung für das Alter wichti-
ger (Versorgungslücke).“ Der Satz steht in
der „Renteninformation“, die mehr als
30 Millionen Versicherte jedes Jahr von der
gesetzlichen Rentenversicherung erhal-
ten. Nun mag der Ruhestand für viele, die
diesen Brief erhalten, noch in weiter Ferne
liegen. Trotzdem sollte man die amtliche
Renteninfo nicht gleich ins Altpapier wer-
fen. Immerhin kann man hier schwarz auf
weiß sehen, wie viel – oder wie wenig an
Rente später einmal zu erwarten ist.
Andrea Habermann, 54, (Name von der
Redaktion geändert)zahlt seit 28 Jahren in
die Rentenkasse ein. Vor allem in den ers-

ten Jahrzehnten ihres Berufslebens hat sie
allerdings teilweise nicht so gut verdient,
folglich waren ihre Beiträge auch nicht
sehr hoch. Seit einigen Jahren liegt sie mit
ihrem Bruttoeinkommen zwar knapp un-
ter der Grenze, bis zu der Beiträge fällig
sind (im Westen: 6700 Euro pro Monat, im
Osten 6150 Euro). Unterm Strich kommen
wegen der vielen Jahre als Geringverdiene-
rin beziehungsweise Teilzeitjobberin aber
nur 861 Euro Rente monatlich heraus, so
steht es in ihrer Renteninfo vom Dezember
vergangenen Jahres. Dieses Altersgeld gibt
es aber nur unter zwei Voraussetzungen:
Sie geht erst, so wie es regulär vorgesehen
ist, mit 67 in den Ruhestand, und sie ver-
dient weiter so wie in den vergangenen
fünf Jahren. Außerdem geht die Rentenver-
sicherung bei dieser Modellrechnung zu-
nächst davon aus, dass die Rente nicht
mehr steigt.

Tatsächlich war in den vergangenen
Jahrzehnten fast in jedem Jahr eine Renten-
erhöhung drin (Grafik). Die Rentenversi-
cherung rechnet in ihrer Infopost deshalb
mit zwei weiteren Varianten, und zwar mit
einem Aufschlag von jährlich einem und ei-
nem Plus von jährlich zwei Prozent. Das ist

durchaus realistisch: Seit 1991 erhöhten
sich die Renten in den alten Bundeslän-
dern im Durchschnitt um jährlich 1,78 (in
den neuen Bundesländern: sogar um 5,07)
Prozent, in den vergangenen zehn Jahren
betrug das Plus im Westen jährlich 2,
und im Osten 3,18 Prozent. Andrea Haber-
mann käme mit 67 bei einem regelmäßi-

gen Aufschlag von einem Prozent auf eine
Monatsrente von 980 Euro, bei plus zwei
Prozent wären es immerhin 1110 Euro.
Beim Blick in seine Renteninfo sollte
man sich jedoch bewusst sein, dass hier
mit dem Idealfall gerechnet wird. Wer
nicht bis zu seinem regulären Rentenein-
trittsalter arbeitet und sich etwa schon mit
63 oder 64 aus dem Berufsleben verab-
schiedet, muss Abschläge von seinem Al-
tersgeld in Kauf nehmen. Außerdem wird
angenommen, dass der Versicherte „Beiträ-
ge wie im Durchschnitt der letzten fünf Ka-
lenderjahre“ weiterzahlt. Das kann zutref-
fen, es kann aber auch anders kommen:
Wer an Gehalt einbüßt oder gar arbeitslos
wird, sieht in seiner Renteninfo bald, dass
die voraussichtlichen Altersbezüge viel
niedriger als zunächst errechnet ausfallen.
In der Renteninfo lässt sich außerdem
noch ein anderer wichtiger Hinweis fin-

den: „Bei der ergänzenden Altersvorsorge
sollten Sie – wie bei Ihrer zu erwartenden
Rente – den Kaufkraftverlust beachten.“
Der Anstieg der Lebenshaltungskosten
kann also die Kaufkraft des zu erwarten-
den Alterseinkommens verringern – ein
Hinweis, den Lebensversicherer in ihren
jährlichen Mitteilungen an ihre Kunden
erst gar nicht machen. Im vergangenen
Jahrzehnt war dies recht häufig der Fall:
Von 2001 bis 2010 stiegen nach Angaben
der Bundesregierung die Preise um durch-
schnittlich 1,36 Prozent. Im gleichen Zeit-
raum wurden die gesetzlichen Altersbezü-
ge um 0,82 Prozent pro Jahr erhöht. Wer-
den die Beiträge für die Kranken- und Pfle-
geversicherung berücksichtigt, die die
Rentner zu zahlen haben, betrug das Plus
lediglich 0,56 Prozent jährlich. In diesem
Jahrzehnt sieht es deutlich besser aus: Die
Renten stiegen deutlich stärker als die In-
flationsrate, die zuletzt bei 1,2 Prozent lag.
Niels Nauhauser, Finanzexperte der
Verbraucherzentrale Baden-Württem-
berg, sagt: „Leider weiß man nicht, was
man sich in Zukunft für seine Rente kau-
fen kann.“ Es hänge davon ab, wie sich
Inflation und Renten entwickelten.
Er warnt aber vor Milchmädchenrech-
nungen, die bei den Versicherten nur Pa-
nik auslösen sollen. „Es ist nicht seriös,
wenn Finanzberater unter Annahme von
bestimmten Inflationsraten ihren Kunden
vorrechnen, welche riesigen Versorgungs-
lücken sie haben, ohne zu berücksichtigen,
dass die Renten ja auch steigen.“ Tatsäch-
lich würden bei einer zunehmenden Inflati-
on normalerweise Löhne und damit auch
die Renten steigen. thomas öchsner

Schweden hat es längst, Deutschland noch
lange nicht: Bislang gibt es keine Plattform,
die den Bürgern einen Überblick über ihre ge-
samten voraussichtlichen Alterseinkünfte
gibt – von der Betriebsrente, Lebensversiche-
rungen über die staatlich geförderte Riester-
Rente bis zur gesetzlichen Versorgung, am
besten online mit ein paar Klicks. Die Bundes-
regierung hat sich dies im Koalitionsvertrag
vorgenommen, und Experten reden über ei-
ne Lösung. Ein digitales Rentenkonto, das al-
le Säulen der Alterssicherung abdeckt, gilt
aber als schwierig umzusetzen, da nicht nur

die Deutsche Rentenversicherung (DRV), son-
dern viele Anbieter wie berufsständische Ver-
sorgungswerke, Versicherer oder Pensions-
kassen Daten zur Verfügung stellen müss-
ten. Die DRV wünscht sich so ein Modell. Da-
bei müsse „die gemeinsame Vorsorgeinfor-
mation mindestens den Standards genügen,
die der Gesetzgeber für die Renteninformati-
on der gesetzlichen Rentenversicherung
festgelegt hat“, heißt es in einer Stellungnah-
me. Nur so sei „die gemeinsame Vorsorgein-
formation für die individuelle Vorsorgepla-
nung der Versicherten sinnvoll nutzbar“. TÖ

von thomas öchsner

München – Wenn es um ihre Rente geht,
sind viele Bundesbürger große Skeptiker.
Die große Mehrheit befürchtet laut Umfra-
gen, dass das Alterseinkommen zu knapp
ausfällt, um einen finanziell einigermaßen
sorgenfreien Ruhestand zu genießen. Aber
was ist wirklich von der Rentenversiche-
rung zu erwarten? Und sieht es in Zukunft
wirklich so düster aus, gerade für die Jün-
geren? Wichtig ist hier zunächst einmal

eine Klarstellung: Die Renten werden auch
in Zukunft steigen – und werden weder ge-
kürzt, noch sinken, auch wenn oft vom sin-
kenden Rentenniveau die Rede ist.
Die Bundesregierung kalkuliert in ih-
rem Rentenversicherungsbericht von 2018
so: „Ab dem kommenden Jahr steigen die
Renten bis zum Jahr 2032 um insgesamt
rund 38 Prozent an. Dies entspricht einer
durchschnittlichen Steigerungsrate von
2,5 Prozent pro Jahr.“ Denn steigen die Löh-
ne, steigen auch die Renten. Derzeit

kommt ein Standardrentner, der 45 Jahre
stets zum jeweiligen Durchschnittslohn ge-
arbeitet hat (2019: 3242 Euro brutto im Mo-
nat), auf ein Altersgeld von brutto 1487 Eu-
ro. Würde der Musterrentner nach ebenso
vielen Arbeitsjahren 2032 in Rente gehen,
käme dieser auf knapp 1994 Euro. Das Al-
tersgeld erhöht sich also, obwohl das Ren-
tenniveau, das die Höhe der Standardrente
im Verhältnis zum Durchschnittslohn
misst, von Mitte des nächsten Jahrzehnts
an sinken dürfte. Dann geht die Generati-
on der Babyboomer in den Ruhestand, vor-
aussichtlich weniger Beitragszahler müs-
sen mehr Rentner ernähren.
Die Rechenbeispiele der Bundesregie-
rung liefern aber nur einen Anhaltspunkt.
Die Prognose könnte zu optimistisch sein,
falls die Renten weniger als um die ein-
kalkulierten 2,5 Prozent jährlich steigen.
Außerdem werden es – trotz Rente mit 67


  • viele Bürger nicht schaffen, wie der fikti-
    ve Standardrentner 45 Jahre lang Beiträge
    in die Rentenkasse zu zahlen. Folglich fällt
    ihre Rente auch geringer aus. Heute erhält
    ein Durchschnittsverdiener mit zum Bei-
    spiel 40 Versicherungsjahren gerade ein-
    mal 1322 Euro Rente. 2032 – weiter rei-
    chen die Berechnungen der Bundesregie-
    rung nicht – wären es rund 1772 Euro. Wer
    mehr oder weniger verdient hat, kommt
    natürlich auf ein höheres beziehungswei-
    se niedrigeres Altersgeld. Was genau zu er-
    warten ist, kann man in seiner jährlichen
    Rentenmitteilung(siehe im Beitrag unten)
    nachlesen.
    Die Deutsche Rentenversicherung
    (DRV) betont jedoch stets, dass man sich
    von den Brutto-Beträgen nicht blenden
    lassen sollte. Nicht nur Steuern können
    von der Rente abgehen (darüber in-
    formiert die SZ in dieser Serie in einem spä-


teren Beitrag). Auch die Krankenkasse
zwackt Geld ab.
Die Rentenversicherung zahlt Pflicht-
versicherten, also jenen, die in ihrem Be-
rufsleben kontinuierlich Mitglied einer
Krankenkasse waren, die Hälfte des Bei-
trags und des kassenabhängigen Zusatz-
beitrags für die gesetzliche Krankenversi-
cherung. Die andere Hälfte muss der Rent-

ner stemmen. Abgezogen wird auch der
volle Pflegeversicherungsbeitrag in Höhe
von 3,05 Prozent (mit Kindern, sonst 3,
Prozent). Von 1000 Euro Altersgeld blei-
ben der Mutter eines Kindes bei einem Zu-
satzbeitrag von 1,0 Prozent 891,50 Euro
im Monat übrig, rechnet die DRV vor.
Hinzu kommt ein weiterer Faktor: Was
die Renten in Zukunft letztlich wert sind,
hängt von den Lebenshaltungskosten ab.
Die Inflation mindert die Kaufkraft der
Rente. Die Stiftung Warentest rät, dies bei
der Berechnung der eigenen Alterseinkünf-
te auf keinen Fall zu unterschlagen. Bei-
spiel: Die künftige Kaufkraft einer Rente
von 2000 Euro in zehn Jahren entspricht
bei einer Inflationsrate von jährlich 1,5 Pro-
zent einem Wert von etwa 1723 Euro – und
eine Rente von 2000 Euro läge wahrschein-
lich auch in zehn Jahren deutlich über dem
Durchschnitt, trotz der voraussichtlichen
Rentenerhöhungen.
Schon jetzt sind Renten oberhalb von
2000 Euro eher selten. Bei nicht einmal
drei Prozent aller männlichen Alters- und
Erwerbsminderungsrentner liegt die Ren-
te oberhalb von 2100 Euro (siehe Tabelle).

Bei den Frauen tendiert der Anteil dieser
Top-Rentner gegen Null.
Allerdings sagen Mini-Renten nichts
über das tatsächliche gesamte Altersein-
kommen aus. Viele Rentner beziehen zum
Beispiel nur eine Rente von unter 300 Eu-
ro, haben im Ruhestand aber trotzdem ge-
nug Geld, etwa weil sie nur einige Jahre ren-
tenversichert und später als Beamte oder
selbständig tätig waren und anderweitig
vorgesorgt haben.
Wer allein auf die gesetzliche Rentenver-
sicherung angewiesen ist, wird hingegen
in Zukunft ein Problem bekommen: Die zu-
künftige Rente allein werde nicht reichen,
„um den Lebensstandard des Erwerbsle-
bens im Alter fortzuführen“, schreibt die
Bundesregierung in ihrem Rentenversiche-
rungsbericht. Derzeit liegt das Rentenni-
veau bei 48,1 Prozent, gemessen am Durch-

schnittslohn nach Abzug der Sozialbeiträ-
ge, aber vor Zahlung von Steuern. Die gro-
ße Koalition will verhindern, dass es bis
2025 unter 48 Prozent fällt. Danach dürfte
das Rentenniveau sinken, wenn nicht ge-
gengesteuert wird. „Wir erwarten das star-
ke Zurückbleiben der Renten hinter den
Löhnen ab Mitte bis Ende der Zwanziger
Jahre und dann bis 2040. Dann wird sich
das Niveau im Vergleich zu heute nach heu-
tigen Schätzungen wahrscheinlich irgend-
wo bei zehn Prozent niedriger stabilisie-
ren“, sagt Johannes Geyer vom Deutschen
Institut für Wirtschaftsforschung (DIW).
Der Wissenschaftler hat das Armutsrisiko
der älteren Bevölkerung untersucht.
Nach den Studien des DIW wird die Al-
tersarmut auf jeden Fall zunehmen. Ge-
fährdet sind vor allem Geringqualifizierte,
Geringverdiener, Migranten und beson-
ders auch Ostdeutsche. Viele Rentner ha-
ben schon jetzt Probleme, sich die Mieten
in den Städten leisten zu können – ein Pro-
blem, das sich noch verstärken wird. Mat-
thias Günther vom Pestel-Institut in Han-
nover spricht von der „grauen Wohnungs-
not“, auf die Deutschland zusteuere. Hat
man aber erst einmal das Rentenalter er-
reicht, besteht anders als in jungen Jahren
meist weder Hoffnung noch die Chance,
der Armut aus eigener Kraft zu entrinnen.
Die Menschen bräuchten deshalb mög-
lichst früh Lösungen, um das sinkende
Rentenniveau auszugleichen, sagt DIW-
Forscher Geyer. „Ansetzen müssen wir bei
besseren Erwerbschancen, besseren Löh-
nen“. Die Bundesregierung müsse den
Menschen aber auch bei der betrieblichen
und privaten Vorsorge besser helfen.

Am Donnerstag, 10. Oktober, lesen Sie: Betriebs-
renten – wie man sie bekommt, was sie bringen.

Der Verbraucherschützer
warnt vor Zahlenspielen, die
nur Panik auslösen sollen

AltersvorsorgeWie viel es heute gibt – und mit was zu rechnen ist


Reiches, armes Land
Durch das Öl ist Russland reich. Doch
trotzdem können viele nur mit
Schwarzarbeit überleben 16

Krisenvorhersage
Nobelpreisträger Shiller ruft dazu auf,
weniger auf Zahlen zu achten –
und mehr auf Menschen 17

Aktien, Devisen und Rohstoffe 20,

 http://www.sz.de/wirtschaft

DEFGH Nr. 232, Dienstag, 8. Oktober 2019 15


UNGLEICHHEIT

Angriff auf


die Demokratie


Besser als die Glaskugel


Die jährliche Renteninformation liefert wichtige Hinweise auf das zukünftige Einkommen im Ruhestand – ohne Schönfärberei


Auf einen Blick


Die Rente von morgen


Das gesetzliche Altersgeld wird auch in Zukunft steigen.
Allein wird es aber nicht reichen,
um den gewohnten Lebensstandard zu halten

Mini-Renten sagen nichts
über das tatsächliche
gesamte Alterseinkommen aus

HEUTE


WIRTSCHAFT


Mehr als 2000 Euro sind selten drin
Monatliche Renten wegen Alters und
verminderter Erwerbsfähigkeit*

SZ-Grafik; Quelle: Deutsche Rentenversicherung

Euro/Monat

Anteilin Prozent
Männer Frauen
unter 300
300 – 600
600–
900 – 1200
1200 – 1500
1500 – 1800
1800 – 2100
2100 – 2400
2400 und höher

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*Rentenbestand am 31.12.

1991 2000 2010 2019

15
12
9
6
3
0

SZ-Grafik; Quellen: Deutsche Rentenversicherung, Statistisches Bundesamt

5 4 3 2 1 0

Rentenerhöhung
in Prozent

Rentenerhöhung
in Prozent
WestWest OstOst

Inflationsrate in Deutschland
in Prozent

Inflationsrate in Deutschland
in Prozent

September
2019

September
2019

Millionen Menschen in Deutschland
sorgen sich um ihre Rente. Viele fragen sich:
Wird mir das Geld reichen, wenn ich
im Ruhestand bin? Und was kann ich tun,
um zusätzlich fürs Alter vorzusorgen?
Von diesem Dienstag an gibt es deshalb in
derSüddeutschen Zeitungdie neue,
zehnteilige Serie „Sorgenfrei vorsorgen“,
zu lesen in den nächsten fünf Wochen,
dienstags und donnerstags im Wirtschaftsteil.

SORGENFREI
VORSORGEN

ILLUSTRATION: STEFAN DIMITROV

Aktienkurse und Hauspreise
haben sich verdoppelt.
Davon profitiert eine Minderheit

DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München

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