Süddeutsche Zeitung - 08.10.2019

(Marcin) #1
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Düsseldorf – Sozialverbände und zahlrei-
che Politiker drängen auf mehr staatliches
Engagement bei der Armutsbekämpfung.
Der Auslöser für die neue Debatte ist eine
Studie, der zufolge die Ungleichheit bei
den Einkommen in Deutschland einen neu-
en Höchststand erreicht hat. Der Paritäti-
sche Wohlfahrtsverband verlangte eine An-
hebung der Hartz-IV-Regelsätze „um min-
destens 37 Prozent“. Der Sozialverband
VdK Deutschland forderte einen „Mindest-
lohn von über 12 Euro“.
„Die Zeit der kleinen Trippelschritte
muss endlich vorbei sein“, sagte der Haupt-
geschäftsführer des Paritätischen Gesamt-
verbandes, Ulrich Schneider. Finanziert
werden könne das, indem große Vermögen
und sehr hohe Einkommen stärker besteu-
ert würden. „Zur Ehrlichkeit gehört auch,
den Menschen zu sagen, dass Armut ohne
Umverteilung schlechterdings nicht besei-
tigt werden kann“, argumentierte Schnei-
der.
Trotz der guten Konjunktur und der
günstigen Lage auf dem Arbeitsmarkt hat
sich nach einer aktuellen Studie des Wirt-
schafts- und Sozialwissenschaftlichen In-
stituts (WSI) der gewerkschaftsnahen
Hans-Böckler-Stiftung die Schere zwi-
schen den Wohlhabenden und den unte-
ren Einkommensgruppen in den vergange-
nen Jahren noch weiter geöffnet. „Immer
mehr Einkommen konzentriert sich bei
den sehr Reichen“, heißt es in der Studie.
Die hohen Einkommensgruppen profitier-
ten von den reichlich fließenden Kapital-
und Unternehmenseinkommen. Dagegen
seien die 40 Prozent der Haushalte mit den
geringsten Einkommen weiter zurückge-
fallen – auch im Vergleich zur gesellschaft-
lichen Mitte, die von der guten Arbeits-
marktlage und spürbaren Lohnsteigerun-
gen immerhin profitiert habe.
Mehr und mehr Menschen seien von Ar-
mut betroffen, heißt es in der Studie wei-
ter. Die Zahl der Haushalte, die weniger als
60 Prozent des mittleren Einkommen zur
Verfügung haben und deshalb nach gängi-
ger Definition als arm gelten, sei zwischen
2010 und 2016 von 14,2 auf 16,7 Prozent
gewachsen. dpa  Kommentar

London – Es vergeht kaum ein Tag, an
dem Boris Johnson nicht die großartigen
Möglichkeiten preist, die seinem Land
bald bevorstünden. Wenn Großbritannien
erst einmal der EU entkommen sei, so die
Botschaft des britischen Premierminis-
ters, werde das Vereinigte Königreich end-
lich Handelsabkommen schließen kön-
nen, die einzig und allein dem britischen
Interesse dienten. Johnson tut so, als ob
die ganze Welt nur darauf warten würde,
mit London ins Geschäft zu kommen.
Doch sogar in der britischen Regierung
gibt es starke Zweifel. Ein unter Verschluss
gehaltenes Papier offenbart nun, welche
Nachteile die Briten bei den Verhandlun-
gen mit den USA fürchten.
Das Ministerium für Umwelt, Ernäh-
rung und Landwirtschaft hat seine Sicht
der Dinge mit Blick auf die Gespräche mit
Washington aufgeschrieben. Die Beamten
warnen davor, dass die US-Regierung
darauf pochen werde, Chlorhühnchen und
hormonbehandeltes Fleisch in Großbri-
tannien zu verkaufen. Man werde „unter
erheblichen Druck (...) geraten, um den For-
derungen der USA nachzukommen“, heißt
es in dem Papier, das der Organisation
Greenpeace in Großbritannien zugespielt
wurde. Würde London seine Verbraucher-
schutzstandards aufweichen, könnte dies
einen „irreparablen Schaden“ bedeuten,
so die Verfasser des Papiers.
Dieser drohende Schaden betreffe nicht
nur die Gesundheit der Bürger, Tiere und
Pflanzen. Würde die Regierung in London
sich auf die Forderungen aus Washington
einlassen, die bislang geltenden EU-Re-
geln abzuschwächen, wäre dies auch ein
schweres Hindernis für die Verhandlun-
gen über einen Freihandelsvertrag mit der
Europäischen Union. „Die Zustimmung zu
Forderungen der USA könnte unsere Fähig-
keit, ein Abkommen mit der EU auszuhan-
deln, erheblich einschränken“, heißt es in
dem Papier. So würde sich die EU etwa
sorgen, dass nicht konforme Waren in ihr
Hoheitsgebiet gelangen könnten, wenn
das Vereinigte Königreich den Forder-
ungen der USA nachkomme, mit Chlor ge-

waschenes Huhn einzuführen. Ein solcher
Import ist in der EU verboten.
Die in London artikulierten Ängste erin-
nern an die Verhandlungen über das mitt-
lerweile verworfene TTIP-Abkommen. Als
Barack Obama noch Präsident im Weißen
Haus war, versuchte die US-Regierung die
Verhandler der EU-Kommission zu genau
diesen Zugeständnissen zu drängen. Weil
Brüssel sich aber weigerte, die Lebensmit-
telstandards aufzuweichen, erreichten die
Gespräche nie die entscheidende Phase. In
den Mitgliedstaaten der EU gab es einen
breiten Konsens, keine genmanipulierten
Nahrungsmittel aus den USA einzuführen.
Auch die damalige britische Regierung
zeigte sich keineswegs dafür offen.
Verlässt London mit dem Brexit den EU-
Binnenmarkt, wäre die Europäische Kom-
mission nicht mehr für die Handelspolitik
der Briten zuständig. Das würde dem
Vereinigten Königreich zwar die von den
Brexiteers gepriesene Möglichkeit geben,
wieder selbst Handelsverträge zu schlie-

ßen. Aber nachdem die EU der mit Abstand
größte Handelspartner Großbritanniens
ist, wird ein Vertrag mit Brüssel wohl der
wichtigste von allen sein. Die EU-Kommis-
sion hat seit Beginn der Brexit-Verhand-
lungen allerdings klargemacht, dass sie
nur zu Gesprächen über ein Freihandels-
abkommen bereit ist, wenn die drei Haupt-
punkte des Austrittsvertrags geklärt sind:
die Rechte von EU-Bürgern in Großbritan-
nien, die finanziellen Verpflichtungen
Londons gegenüber der EU und die noch
immer ungelöste Irland-Frage.
Wie der Streit über die innerirische
Grenze auch ausgehen mag, eines steht
jetzt schon fest: Die britische Regierung
wird diese Frage auch bei den Verhandlun-
gen über einen Freihandelsvertrag wieder
einholen. Denn nach dem Brexit wird dort
eine EU-Außengrenze entstehen, an der
Waren und Güter kontrolliert werden müs-
sen. Die britische Regierung hat zwar vor-
geschlagen, dass Produkte aus Nordirland
weiter den EU-Regeln entsprechen; aber

für Güter aus dem Rest des Vereinigten
Königreichs gilt diese Zusage nicht. In Eng-
land, Wales und Schottland könnten also
durchaus laxere Lebensmittelvorschriften
als in der EU gelten. Agrarprodukte, die
von dort in die EU exportiert werden sol-
len, müssen also überprüft werden – auch
an der Grenze zu Irland.

In London regt sich mitunter starker
Widerstand gegen eine Abkehr vom euro-
päischen Verbraucherschutz. Am Montag
diskutierten die Oppositionsparteien über
einen möglichen Handelsvertrag mit den
USA. Labour-Chef Jeremy Corbyn warnte
vor einem „Trump-Deal-Brexit“: „Es ist
schon jetzt klar, dass Johnson unsere
Standards für Lebensmittelsicherheit ver-
wässern will. Neben anderen Dingen setzt
er uns damit Chlorhühnchen und hormon-
behandeltem Rindfleisch aus, die unter EU-
Standards verboten sind.“
Auch wenn der Premierminister nicht
müde wird, davon zu sprechen, dass er den
britischen Markt sehr viel weiter öffnen
will als die EU dies derzeit erlaubt, stößt er
dennoch an Grenzen. Als Johnson beim
G-7-Treffen in Biarritz und am Rande der
UN-Generalversammlung in New York mit
Donald Trump über einen Handelsvertrag
sprach, musste er zugeben, dass dies alles
andere als einfach werde. Der US-Präsi-
dent verspricht Johnson zwar einen groß-
artigen Deal, aber das bezieht er vor allem
auf Amerika. Trump kommt der Brexit
sehr entgegen, schließlich verliert die EU
an wirtschaftlichem Gewicht.
Wie schwer es wiederum Großbritanni-
en ohne die EU hat, mussten die Londoner
Unterhändler bereits erfahren. So ließ sie
die japanische Regierung wissen, dass To-
kio gerade erst einen Vertrag mit Brüssel
geschlossen habe – ein „copy and paste“,
wie London sich das vorstellt, werde es
nicht geben. alexander mühlauer

von bastian brinkmann

München – Ist der Angeklagte betrunken
Auto gefahren oder nicht? Vor dem Verlas-
sen der Party ist er jedenfalls gegen den
Tisch gestoßen und hat eine Schüssel auf
den Boden befördert. Beziehungsweise: Er
hat eine Schüssel mit Guacamole-Dip auf
den weißen Zottelteppich befördert. In den
USA entscheiden die Geschworenen, ob
ein Angeklagter schuldig ist oder nicht. Hö-
ren sie den Satz von der Staatsanwältin in
der zweiten Variante mit den eigentlich be-
langlosen Details, dass in der Schüssel Avo-
vadobrei war und der Teppich vor dem
Missgeschick sauber, sind sie eher bereit,
den Angeklagten zu verurteilen, zumin-
dest hat sich ein Klassenzimmer voller Psy-
chologiestudenten in einem 1980 veröf-
fentlichten Experiment so entschieden.
Details in einer Geschichte sind für Men-
schen eben nicht belanglos. Diese Erkennt-
nis möchte der amerikanische Ökonom Ro-
bert Shiller nutzen. Das Guacamole-Bei-
spiel zitiert er in seinem neuen Buch „Nar-
rative Economics“, in dem er vorschlägt,
dass seine Zunft mehr darauf achtet, was
Menschen einander erzählen. Klassischer-
weise achten Ökonomen auf Zahlen und
Statistiken, zum Beispiel Shiller selbst in
seinem bekannten Case-Shiller-Index, der
Blasen am Immobilien vorhersagen helfen
soll, indem Hauspreise verglichen werden.

Für seine Forschung zu Blasen an Fi-
nanzmärkten hat Shiller den Wirtschafts-
nobelpreis der Schwedischen Reichsbank
bekommen. Doch allen Forschungsfort-
schritten zum Trotz bleiben vor allem Kri-
sen schwierig vorherzusagen. Von 469 Re-
zessionen auf der Welt in den vergangenen
drei Jahrzehnten, zitiert Shiller eine Zäh-
lung, hat der Internationale Währungs-
fonds nur 17 Krisen auch vorgesagt. 47 Mal
hat er gewarnt, obwohl die Konjunktur gar
nicht eingebrochen ist. Eine miese Quote,
die nicht dem IWF allein anzulasten ist,
auch andere Ökonomen hadern damit.
Helfen könnte die „narrative Volkswirt-
schaftslehre“, wie Shiller seinen Vorstoß
nennt. Er analysiert beispielsweise, wie
häufig Schlüsselworte in historischen Zei-
tungsartikeln und Büchern auftauchen,
um zu schlussfolgern, welche Themen die
Gesellschaft damals bewegt haben. Diese
Narrative, so Shiller, könnten nämlich Kri-
sen mitauslösen oder verschärfen. Investo-
ren sind mitunter weniger berechnend, als
es den Anschein habe – stattdessen ließen
sie sich bisweilen mitreißen, wenn alle da-
von sprechen, dass etwa Immobilien gera-
de der Renner sind. Sie springen auf, ob-
wohl die Blase schon kurz vor dem Platzen
ist. Die Menschen, vom Konsumenten bis
zum Finanzhändler, lassen sich eben auch
vom Guacamole-Detail beeinflussen.
Shiller verweist auf diverse historische
Krisen, um seine Narrativ-These zu bele-
gen. Er hat viel in Zeitungsarchiven gestö-
bert und lässt die Leser an vielen (für man-
chen Geschmack: zu vielen) Fundstücken
teilhaben, wie zum Beispiel die Lokalzei-
tungSt. Louis Post-Dispatch1889 über Ka-
priolen auf dem damaligen dortigen Häu-

sermarkt berichtete („Das Haus ist mindes-
tens 80 000 Dollar wert.“). Sein narrativer
Ansatz rückt die Ökonomie in die Nähe der
Soziologie und ist symptomatisch für eine
Forschung, die raus will aus einem Mathe-
Gehege, aber ohne ganz auf Statistik zu ver-
zichten. Shiller wünscht sich mehr Daten
über Narrative, um die dann mit histori-
schen Wirtschaftsdaten abzugleichen und
mögliche Muster zu entdecken. Langfris-
tig angelegte Fokusgruppen und qualitati-
ve Interviewpanel sollen in eine große Da-
tenbank fließen, dazu historische Tagebü-
cher und Briefe normaler Menschen sowie
Predigten.
Stefan Kooths reagiert skeptisch auf
Shillers Forderungen. Kooths leitet das Pro-
gnosezentrum im Institut für Weltwirt-
schaft in Kiel. „Wenn wir nicht über die Kri-
se reden, dann kommt sie nicht – das ist
doch falsch“, sagt Kooths. Die Menschen
spürten schlicht, dass etwas im Busch sein

könnte. Er wolle Krisen lieber durch ökono-
mische Modelle und Daten erklären. Text-
analyse für die Konjunkturforschung zu
nutzen, sei zwar die Anstrengung wert.
„Ich bin aber bestenfalls vorsichtig opti-
mistisch“, obwohl die Methode noch ganz
am Anfang stehe. Daten aus Facebook und
Google liegen bislang nur für wenige Jahre
vor. Dazu kommt: Reine Absichtserklärun-
gen sind nicht immer von finanziellen Ent-
scheidungen gedeckt. Beispielsweise posi-
tionieren sich viele Twitterer und Face-
book-Nutzer für das Klima – aber wer
kauft wirklich ein E-Auto? Kooths würde
statt solcher Ankündigungen lieber Kredit-
kartenumsätze analysieren.
Claus Michelsen wiederum begrüßt die
Thesen der „narrativen Ökonomie“. Michel-
sen leitet die Abteilung Konjunkturpolitik
beim Forschungsinstitut DIW in Berlin.
„Dem Ansatz können wir viel abgewin-
nen“, sagt er. Ein Krisennarrativ etwa kön-

ne natürlich ein sich selbstverstärkender
Prozess sein, der die Misere weiter anhei-
ze. Das DIW betreibt bereits ein entspre-
chendes Forschungsprojekt. Zusammen
mit Computerlinguisten werden Medien
analysiert, um die Konjunkturprognosen
zu schärfen. Es soll über eine reine Stich-
wortzählerei hinausgehen, die nur schaut,
ob das Wort „Rezession“ häufiger oder sel-
tener auftaucht. Denn Stimmung und Kon-
notation müssten ebenfalls ausgelesen
werden: Das Wort „Arbeitslosigkeit“ kann
etwa in einer positiven Geschichte auftau-
chen, weil die Quote gerade sinkt – oder in
einer negativen, wenn sie steigt. Auch die
Perspektive sei relevant. Steigen die Löhne
kaum, sind das zwar schlechte Nachrich-
ten für Arbeitnehmer, aber gute für Arbeit-
geber. All das soll berücksichtigt werden.
Das Forschungsprojekt läuft noch andert-
halb Jahre. Shiller muss sich also noch et-
was gedulden.

London – Dass den Mitarbeitern von
HSBC unruhige Zeiten bevorstehen, war
spätestens im August klar. Vor zwei Mona-
ten wurde John Flint, der damalige Vor-
standschef der britischen Großbank, ge-
feuert. Gerade einmal anderthalb Jahre
stand er an der Spitze des Geldhauses. Sein
überraschendes Aus hatte vor allem einen
Grund: Flint habe, so hieß es im Sommer
aus Unternehmenskreisen, „auf die Eintrü-
bung der Geschäftsaussichten zu langsam
reagiert“. Der Auftrag an seinen Nachfol-
ger Noel Quinn konnte also nur heißen:
Kosten senken. Und so kündigte Quinn im
Zuge seiner Amtsübernahme kurzerhand
den Abbau von 4000 Arbeitsplätzen in die-
sem Jahr an. Offenbar reicht ihm das aber
nicht: Einem Bericht derFinancial Times
zufolge sollen bis zu weitere 10 000 Stellen
gestrichen werden.
Dieser Kahlschlag würde damit etwa
vier Prozent der Beschäftigten treffen.
Weltweit arbeiten 238 000 Mitarbeiter für
die Bank. Vor allem gutbezahlte Jobs sollen
wegfallen. HSBC lehnte eine Stellungnah-
me ab. Die Einschnitte könnten Ende des
Monats bekanntgegeben werden, wenn
die Bank die Zahlen für das dritte Quartal
vorstellt. Laut Analysten machen dem
Geldhaus gleich mehrere Probleme zu
schaffen. Da wären der andauerende Han-
delsstreit zwischen China und den USA,
der die gesamte Weltwirtschaft trifft. Hin-
zu kommt, dass die Notenbanken in vielen
Ländern die Zinsen senken oder auf histo-
risch niedrigen Niveaus belassen. HSBC
plagen zudem die Unruhen im für die Bank
wichtigsten Finanzplatz Hongkong sowie
die Unsicherheit vor dem anstehenden Bre-
xit. Der britische Premierminister Boris
Johnson will sein Land am 31. Oktober aus
der Europäischen Union führen – und
zwar mit oder ohne Deal. Bei einem unge-
ordneten EU-Austritt droht Großbritanni-
en eine Rezession. Angesichts der schwieri-
gen Lage in Europa und Asien will Bank-
chef Quinn nun vor allem das seit längerer
Zeit schwächelnde Geschäft in den Verei-
nigten Staaten vorantreiben.
HSBC ist mit dem anvisierten Stellenab-
bau nicht allein. Auch andere Großbanken
haben harte Einschnitte geplant, darunter
die Deutsche Bank, das britische Geldhaus
Barclays und das französische Finanzinsti-
tut Société Générale. Anfang des Jahres
sah es noch so aus, als ob die Mitarbeiter
von HSBC in einer komfortableren Lage wä-
ren als bei den Wettbewerbern. Die Bank er-
wirtschaftet fast drei Viertel des Gewinns
vor Steuern in Asien und profitierte beson-
ders vom chinesischen Wachstum. Doch
seit den Unruhen in Hongkong ist die in
London ansässige Bank massiv unter
Druck geraten.
HSBC wurde 1865 in der ehemaligen bri-
tischen Kronkolonie als Hongkong und
Shanghai Banking Corporation gegründet.
Das Geldhaus hat sich seitdem zu einem
der weltweit größten Finanzinstitute ent-
wickelt, mit Niederlassungen in 65 Län-
dern und mehr als 40 Millionen Kunden.
Europas größte Bank machte im vergange-
nen Jahr einen Umsatz von 53,8 Milliarden
Dollar. Der Vorsteuergewinn lag bei 19,
Milliarden Dollar. Nach dem Zeitungsbe-
richt zum geplanten Stellenabbau fiel der
Aktienkurs der Bank am Montag anfangs
zwar leicht, stieg dann am Nachmittag
aber wieder an. alexander mühlauer

Darmstadt – Der Darmstädter Phar-
ma- und Chemiekonzern Merck hat die
5,8 Milliarden Euro teure Übernahme
des US-Halbleiterzulieferers Versum
abgeschlossen. Nach der jüngsten Ge-
nehmigung durch die chinesischen
Kartellbehörden sei die letzte Hürde für
den Deal überwunden, teilte Merck mit.
Der Dax-Konzern solle durch den Zu-
kauf zu einem führenden Anbieter von
Elektronikmaterialien für die Halblei-
ter- und Displayindustrie werden. Mit
Versum, einem Hersteller von Spezial-
materialien und -geräten, stärkt Merck
sein hochprofitables Geschäft mit Spezi-
alchemie. Im Trend zur vernetzten In-
dustrie, immer leistungsfähigeren Pro-
zessoren und künstlicher Intelligenz
sieht der Konzern Wachstumschancen.
In der Chip-Herstellung seien die Gren-
zen der Miniaturisierung erreicht und
neue Technologien gefragt, hatte Chef
Stefan Oschmann jüngst gesagt. dpa

Sozialverbände fordern,


Armut zu bekämpfen


Wer hat Angst vor Chlorhühnchen?


Nach dem Brexit verspricht Boris Johnson einen tollen Handelsdeal mit den USA. Doch daran zweifeln sogar Parteifreunde


Auf ein Wort


Wie können Ökonomen Wirtschaftskrisen besser vorhersagen? Nobelpreisträger Shiller ruft seiner Kollegen
Köln – Gute Deutschkenntnisse sind dazu auf, weniger auf Zahlen zu achten – und mehr darauf, was die Menschen erzählen
nach einer Studie entscheidend für den
Arbeitsmarkterfolg von Zuwanderern.
Bei gleichem Sprachniveau in Deutsch
und gleichem Bildungsstand erzielten
Migranten in Deutschland gleich hohe
Löhne wie Einheimische, heißt es in der
Untersuchung des Kölner Instituts der
deutschen Wirtschaft. Die höhere Er-
werbslosigkeit der Zuwanderer sei zu-
mindest zu bedeutenden Teilen auf ihr
geringeres Sprachniveau zurückzufüh-
ren. Zuvor hatte dieRheinische Post
über die Studie berichtet. „Der Spracher-
werb ist somit der Schlüssel zur erfolg-
reichen Integration in den deutschen
Arbeitsmarkt“, so der Verfasser der
Studie, Wido Geis-Thöne. Die Studie
empfiehlt, die Qualität der Integrations-
kurse zu verbessern und allen Zuwande-
rern den Zugang zu ermöglichen. Auch
sollte das Angebot an weiterführenden
Sprachkursen ausgebaut werden. dpa

Frankfurt – Zahlreiche Kreditinstitute
in der Euro-Zone sind laut EZB-Banken-
aufsicht nicht ausreichend gerüstet, um
auch bei plötzlich starken Geldabflüs-
sen längere Zeit geschäftsfähig zu blei-
ben. Nur rund die Hälfte der 103 Institu-
te, die an einem entsprechenden Stress-
test teilnahmen, könnten unter solchen
Liquiditätsschocks mehr als sechs Mo-
nate mit vorhandenen Finanzmitteln
überleben, teilte die Europäische Zen-
tralbank (EZB) am Montag in Frankfurt
mit. Unter einem extremen Belastungs-
szenario seien es lediglich mehr als vier
Monate. Elf Banken würden in einer
extremen Situation sogar nur weniger
als zwei Monate geschäftsfähig bleiben.
Auch im schwächsten Szenario gebe es
vier Geldhäuser, die weniger als sechs
Monate durchhalten könnten. Die Kon-
trolleure wollen sich die Schwachstellen
nun genauer anschauen. reuters

Frankfurt – Die Flugbegleitergewerk-
schaft Ufo bereitet in der Auseinander-
setzung mit dem Lufthansa-Konzern
weiter einen Streik vor. Ihre Mitglieder
will die Spartengewerkschaft in dieser
Woche mit Informationsveranstaltun-
gen vorbereiten, wie sie in Mörfelden-
Walldorf bei Frankfurt mitteilte. Am
kommenden Montag wolle man Details
zu Zeit, Dauer und Ort der Streiks nen-
nen(FOTO: DPA). In Frage kämen Flüge der

Konzern-Gesellschaften Lufthansa,
Germanwings, Eurowings, Lufthansa
Cityline und Sunexpress Deutschland.
Lufthansa lehnt Gespräche mit der Ufo
seit Monaten ab, weil sie deren Vor-
stand für nicht rechtmäßig hält. In ei-
nem Arbeitsgerichtsverfahren wolle das
Unternehmen einem Sprecher zufolge
überprüfen lassen, ob es sich bei der
Ufo überhaupt noch um eine tariffähige
Gewerkschaft handele. An dieser Positi-
on halte man fest. dpa

Dresden/Reutlingen – Der Autozuliefe-
rer Bosch will verstärkt auf Mikrochips
aus Siliziumkarbid setzen. Damit könn-
ten Elektroautos etwa sechs Prozent
mehr Reichweite erzielen, sagte Ge-
schäftsführer Harald Kröger in Dres-
den. Zudem ließen sie sich schneller
laden – bei weniger Platz und Gewicht.
Produziert werden sollen die Mikro-
chips in Reutlingen. In eine Pilotlinie
habe Bosch zunächst im „dreistelligen
Millionenbereich“ investiert; ein erstes
Muster soll im nächsten Jahr vorliegen.
„Siliziumkarbid-Halbleiter werden die
Elektromobilität nachhaltig verändern“,
sagte Kröger. Unterdessen wächst die
neue Bosch-Halbleiterfabrik in Dres-
den, die derzeit für etwa eine Milliar-
de Euro in der Nähe des Flughafens
entsteht. Die ersten rund 200 Mitarbei-
ter sollen bis Jahresende die neuen
Bürogebäude beziehen. dpa

Trump kommt der Brexit
sehr entgegen – die EU verliert
an wirtschaftlichem Gewicht

Gesellschaftliche Narrative
könnten Rezession mitauslösen
oder verschärfen

DEFGH Nr. 232, Dienstag, 8. Oktober 2019 (^) WIRTSCHAFT 17
Hat gut lachen: Donald Trump stellt Boris Johnson ein großartiges Handels-
abkommen in Aussicht – allerdings zu seinen Bedingungen. FOTO: SAUL LOEB/AFP
Auch Finanzprofis lassen sich von Erzählungen mitunter mitreißen, warnt der Ökonom. FOTO: MARTIN LENGEMANN/WELT
Kahlschlag
bei HSBC

Die britische Großbank will
weitere 10 000 Stellen streichen
Sprache ist entscheidend
Merck: Versum-Kauf perfekt
Banken nicht gerüstet
Ufo bereitet Streik vor
Bosch investiert in Mikrochips

KURZ GEMELDET
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München

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