Sophie Passmann
Alles oder nichts (Folge 11): Männerliteratur, findet unsere
Kolumnistin, erinnert sich nur daran, wie es war, als es noch
ganz geil war. Allerdings hilft Jammern nicht, sondern nur Machen
Wenn ich mich mal wieder so richtig langweilen will, lese ich Männer
literatur. Ich meine damit nicht Bücher von Männern allgemein,
sondern eine sehr spezielle Unterform von Romanen, deren Plot
immer nur daraus zu bestehen scheint, dass ein Mann existiert und
mehr als ein Gefühl auf einmal fühlt. In Männerliteratur wird durch
Westdeutschland gefahren oder durch Rom spaziert, irgendjemand
wacht in seiner eigenen Kotze auf, raucht pausenlos irgendeine Zi
garettenmarke, die in den Achtzigern eine popkulturelle Referenz
war, zieht auf 190 Seiten über die ExFreundin her (»... die verrückte
Schlampe!«), schreibt absichtlich ohne Komma. In Männerliteratur
wird Hamburg abgekultet oder die alte Bundesrepublik, es wird ge
schimpft, wie nie ein Teenager schimpfen würde, es wird Bier ge
trunken, überflüssig viele Körperflüssigkeiten kommen vor, ab und
zu wird getankt. Man sitzt ratlos rum, als sei die eigene Ratlosigkeit
ein Palast. Männerliteratur stellt nichts infrage, wirft keine Fragen
auf, sie erinnert sich nur daran, wie es war, als es noch ganz geil war.
Eigentlich könnte mir egal sein, dass solche Romane existieren,
Kunstfreiheit, Nachfrage, der Markt regelt das und so weiter. Aber
natürlich finde ich es wahnsinnig ungerecht, dass Männer mit so
was durchkommen, dass ihnen zunächst mal Vorschussvertrauen
entgegengebracht wird, dass der Markt glaubt, diese Männer hät
ten immer reflektiert, es ist ungerecht, dass Männlichkeit in der
Kunst automatisch Ernsthaftigkeit und Absichtlichkeit unterstellt
wird. Denn genau die Ernsthaftigkeit und Absichtlichkeit, die
Männern unterstellt wird, fehlt bei der Bewertung von Frauenlite
ratur (gerne auch einfach »Bücher« genannt) oft. Bei Autorinnen
wird sich auf das Private, Unbeholfene, Harmlose und Niedliche
gestürzt, meist unter Vorgabe des Versuchs, die Welt zu beschrei
ben, wie sie ist, in Wahrheit mit der Absicht, die eigenen Vor
behalte zu intellektualisieren.
Die Information, dass die Autorin und Literaturwissenschaftlerin
Siri Hustvedt »die Frau von Paul Auster« ist, findet man zum Bei
spiel nur wichtig, wenn man glaubt, Romane würden morgens beim
gemeinsamen Frühstück auf die andere Person rübertranszendieren,
trotzdem kommt fast keine Rezension ohne diese Information aus.
Als in diesem Jahr das erste Buch der irischen Autorin Sally Rooney
auf Deutsch erschien, wurden in einer Besprechung ihre »sinnlichen
Lippen« diskutiert und ihr Blick, der dem eines »aufgeschreckten
Rehs« ähnelte. Unabhängig davon, dass ich mich wundere, wie die
Beschreibung »sinnliche Lippen« von jemandem benutzt werden
kann, der hauptberuflich mit schöner Sprache arbeitet, frage ich
mich, wieso die Augen und Lippen einer Autorin einen Literatur
kritiker vergessen lassen, dass er hauptberuflich Literatur und nicht
Körperteile kritisiert. Denn für die Information, dass Feuilletonisten
über 60 auf junge Autorinnen stehen, muss ich keine Rezensionen
lesen, die bekomme ich auch auf jedem Stehempfang der Frank
furter Buchmesse. Oh, und ich zum Beispiel werde in meiner Arbeit
ständig als »frech« bezeichnet, was so ein Adjektiv ist, das einzig und
allein für schreibende und sprechende Frauen reserviert ist.
Und wie bei jedem emanzipatorischen Detail, das man einfordert,
hilft das Jammern weniger als das Machen. Während das normale
PostkartenAffirmativ also lautet: »Sei so gut, dass sie dich nicht
ignorieren können«, lautet der Rat auf dieses Problem übertragen:
»Sei so gut, dass sie deine Rehaugen ignorieren müssen.« Ich per
sönlich wäre schon zufrieden, nicht mehr als »frech«, sondern end
lich als »unverschämt« bezeichnet zu werden. Und wenn es so weit
ist, lasse ich mir das Herz brechen, fahre mit dem Mofa durch West
deutschland und schreibe einen geilen, geilen Roman.
Foto Paula Winkler
In dieser Kolumne schreibt die Autorin und
Radio moderatorin Sophie Passmann, 25, regelmäßig
über Dinge, die sie entweder mag oder eben nicht
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